Anträge bei ver.di zum Grundeinkommen

Ronald Blaschke 12.04.2011 Druckversion

Zur Bundeskonferenz des Fachbereichs Besondere Dienstleistungen mit dem Thema „Gute Arbeit — Guter Lohn — Gutes Leben!“ am 6./7. Mai 2011 in Berlin liegen mehrere interessante Anträge (siehe pdf-Dokument) für den ver.di-Bundeskongress 2011 im September vor.

Die Landesbezirksfachbereichskonferenz 13 Hessen fordert im Antrag A 009 eine gewerkschaftliche Studie zum bedingungslosen Grundeinkommen unter dem Arbeitstitel „Wie könnte ein gewerkschaftsnahes Konzept zum bedingungslosen Grundeinkommen aussehen?“ Begründet wird dieser Antrag wie folgt: „Seit geraumer Zeit wird das Thema BGE in der Gesellschaft auf breiter Front diskutiert, auch innerhalb der Gewerkschaft. Es wird Zeit, dass wir als Gewerkschaft ein fundiertes Konzept dazu finden.“ Dieses Konzept soll als Antwort auf das „FDP-Bürgergeld“, als „Ergänzung und Stützung der Forderung nach dem Mindestlohn“ und als Antwort auf das “’Fördern und Fordern’ bei Hartz IV, das bei den betroffenen Kollegen oft nicht als Hilfe, sondern als Schikane ankommt“, entwickelt werden. Weiter heißt es im Antrag des hessischen ver.di-Fachbereichs: „Sanktionen nehmen den betroffenen Familien selbst noch das Existenzminimum aufgrund fragwürdiger Rechtsgrundlagen. Ein Klima der Angst ist entstanden. Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich entgegen den Versprechungen verfestigt, neu entstanden sind vor allem prekäre Jobs, die oft nicht lebenshaltungsdeckend sind. Dies hat sich in den letzten Jahren als Schaden nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Gewerkschaft als solche erwiesen, weil viele Kolleginnen und Kollegen sich von ihr nicht mehr vertreten fühlen und austreten. Das BGE ist jetzt schon ein kleiner Hoffnungsschimmer für viele Betroffene, die Gewerkschaft sollte [dies] stärker aufgreifen. […] Ein bedingungsloses Grundeinkommen, das durch vorhandene Sozialleistungen ergänzt wird, könnte als Bollwerk gegen Lohndumping und Willkür dienen und auch die Arbeitsbedingungen der Kollegen in den Argen und Optionskommunen verbessern.“ Das BGE soll auch eine „Antwort […] auf die von vielen angestrebte Amerikanisierung unseres Sozialstaates (Privatisierung der Lebensrisiken)“ sein.

Der Antrag A 010, ebenfalls von der Landesbezirksfachbereichskonferenz 13 aus Hessen, fordert eine breite sozialpolitische Diskussion über eine „Grundsicherung der Zukunft“ in allen Gliederungen von ver.di zu führen. Begründet wird dieser Antrag folgendermaßen: „Nach der BuVerfGerichts-Entscheidung ist in diesem Land die Frage der Grundsicherung neu entbrannt. Die Hartz-Gesetze stehen mehr denn je auf dem Prüfstand und sind in Verruf. Es spielt keine Rolle, ob über eine Erhöhung der Hartz- IV-Sätze oder gar eine Absenkung, ob in Sach- oder Geldleistung geleistet, ob über eine Verschärfung der Leistungsbedingungen diskutiert wird, grundsätzlich ist festzuhalten, dass die bisherigen Absicherungen nicht funktionieren.“ Festgestellt wird, dass ein enormer Verwaltungsaufwand bei den bisherigen Grundsicherungen besteht und die ohnehin Marginalisierten gegeneinander ausgespielt werden. Eine Erkenntnis ist auch, „dass eine Vollbeschäftigung unter guten Lohnbedingungen immer utopischer erscheint, wenn man den globalen Rahmen hinzuzieht. China, Indien und viele andere Staaten (auch kleinere Drittwelt-Staaten) wollen ebenfalls am Weltmarkt teilnehmen und treten auch auf dem weltweiten Arbeitsmarkt als Konkurrenten an, nicht mehr nur im Niedriglohnbereich, sondern auch bei hochqualifizierten Jobs und Bezahlungen. Diese Arbeitnehmer haben ebenfalls ein Recht, am weltweiten Arbeitsmarkt partizipieren zu dürfen, was Auswirkungen auch auf unseren Teilmarkt hat und in Zukunft weiterhin haben wird. Die Frage der Grundsicherung ist hier wie dort nicht befriedigend gelöst.“
Das Fazit dieser Überlegungen: „In Anbetracht dessen ist es notwendig in Deutschland und auf europäischer Ebene eine offene Diskussion über die Grundsicherung der Zukunft zu führen. Dies kann wie oben beschrieben nicht der Politik und den Interessenvertretern der Wirtschaft überlassen bleiben. Die Gesellschaft muss die Oberhoheit in dieser Frage gewinnen. Es geht grundsätzlich um die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben, was sind wir bereit für eine Grundabsicherung zu geben und umgekehrt, was erwarten wir von einer vernünftigen und humanen Absicherung? Es ist Aufgabe von ver.di, hierzu mit alternativen Modellen und Visionen in die politische Diskussion einzusteigen. Dazu ist unter den Mitgliedern fernab irgendwelcher Ideologien eine offene Diskussion anzuregen, aus der Konzepte entwickelt und vertreten werden.“

Im Antrag B 006 zur selbstbestimmten Arbeitszeitflexibilisierung (siehe auch hier), der ebenfalls von der Landesbezirksfachbereichskonferenz 13 aus Hessen stammt, wird eine Aussage gemacht, die vor dem Hintergrund der zunehmenden wachstumskritischen Diskussionen in der Gesellschaft bemerkenswert ist: „Mit der Bundesregierung ist […] zu diskutieren, ob das Bruttosozialprodukt als Gradmesser des Wachstums und Wohlstandes noch angemessen ist. Denn es wächst, wenn die Menschen krank sind und Leistungen im Gesundheitssektor abgerufen werden, es wächst, wenn Schadstoffe und Müll entsorgt werden müssen! Ehrenamtliches Engagement, Nachbarschaftshilfe und unentgeltliche Leistungen finden dagegen keinen Niederschlag im Bruttosozialprodukt.“

Wir dürfen gespannt sein, ob auf dem ver.di-Bundeskongress im September emanzipatorische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter eine zukunftsfähige Politikausrichtung der Gewerkschaft ver.di erstreiten können. Stützen können sich die Gewerkschafter/innen dabei auch auf den Beschluss zum Grundeinkommen auf dem letzten Bundeskongress von ver.di.

2 Kommentare

Viktor Panic schrieb am 13.04.2011, 13:36 Uhr

Viele Gewerkschafter stehen dem bedingungslosen Grundeinkommen kritisch gegenüber, weil sie zwei Aspekte missverstehen: Die Arbeitsmarkt-Effekte des BGE und die eigene Rolle in der Gesellschaft.

Arbeit wird durch das BGE am Markt wieder aufgewertet, nachdem Hartz IV durch Sanktionen einen Verfall der Löhne für einfache Tätigkeiten in Gang gesetzt hat. Mit anderen Worten: Hartz IV ist ein Arbeitszwang-Systen, und erzwungene Arbeit hat keinen hohen Marktwert. Das BGE wird leider von vielen Gewerkschaftern, ebenso wie von der Mehrheit der Gesellschaft, fälschlich primär als soziale Wohltat für Arbeitsscheue betrachtet, tatsächlich verbessert es jedoch hauptsächlich die Einkommenssituation Erwerbstätiger (ausgenommen derer mit hohen Einkommen) und wertet dadurch Arbeit auf. Genauer gesagt: Gut bezahlte Arbeit wird wieder lohnenswerter, Billig-Jobs hingegen, wie bei Schlecker, Kik und Pin-Group, verlieren demgegenüber an Attraktivität. Diese letzteren werden heute nur durch den Sanktionsmechanismus von Hartz IV am Leben erhalten, und durch die Tatsache, dass diese Arbeit weniger belastend ist als gut bezahlte Tätigkeiten in der Produktion, die aber aufgrund der hohen Einkommensanrechnung unter Hartz IV für die Bezieher wenig lohnend sind.

Zum anderen sehen sich viele Gewerkschafter hauptsächlich als Gegenspieler der Arbeitgeber. In Tarifverhandlungen ist dies auch richtig, denn da gibt es nur zwei Seiten: Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Darum ist es dort ihre Aufgabe, möglichst hohe Löhne \"aus den Arbeitgebern herauszuholen\". Jedoch ist es darum für diese Leute eine schwierige Umstellung, sich in den dreiseitigen \"Verhandlungen\" zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Staat für ein System zu begeistern, das nicht nur den Arbeitnehmern höhere Einkommen, sondern auch den Arbeitgebern niedrigere Lohnkosten bescheren würde. Sie lehnen das BGE ab, weil sie darin einen Kombilohn sehen, der Löhne auf Kosten der Allgemeinheit subventioniere. Auch ich habe das BGE früher, als ich den Begriff \"bedingungsloses Grundeinkommen\" noch nicht kannte, gerne als Kombilohn bezeichnet. Die real existierenden \"Kombilohn\"-Modelle haben sich jedoch verheerend auf den Ruf dieses Begriffs ausgewirkt, indem sie als reine (Wieder-)Einstiegshilfen konzipiert waren, die zudem untertarifliche Bezahlung voraussetzten (!). Dieser schlechte Ruf färbt nun leider auf das BGE ab.

Diesen Gewerkschaftern, die der Meinung sind, der Arbeitslohn (einer Vollzeitstelle) müsse unbedingt zum Leben in unserer Gesellschaft ausreichen, und darum sollte der Staat nur Erwerbslose finanziell stützen, nicht aber Erwerbstätige (mit niedrigen Löhnen), ihnen muss man vor Augen führen, dass angesichts von Rationalisierung (und auch Globalisierung, solange der weltweite Wohlstand ungleichmäßig verteilt ist) zu wenig Arbeit vorhanden ist, um allen Arbeitswilligen einen solchen existenzsichernden Arbeitsplatz zu garantieren. Mit der Folge, dass der Abstand zwischen Löhnen und Lohnersatz (Sozialhilfe etc) gering bleiben wird, wenn der Staat nicht selbst für einen anständigen Lohnabstand sorgt. Das BGE wäre ein leistungsfördernder. Ganz zu schweigen von der Frage, wie denn - nach Auffassung der Gewerkschaft - der Staat den Lebensunterhalt von Personen regeln sollte, die sich künstlerisch oder gemeindienlich engagieren, Tätigkeiten, deren Wert nur subjektiv beurteilt werden kann. Das BGE würde diese Beurteilung dem Betroffenen selbst überlassen.

Übrigens - als ehemaliger Ausländer darf ich das sagen - ist es auch wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass uns ein großer Zustrom an osteuropäischen Arbeiskräften bevorsteht, für die deutsche Löhne immer noch sehr attraktiv sind. Gegen sie werden frustrierte deutsche Hartz-IV-Empfänger auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, wenn wir sie nicht mit besseren Zuverdienst-Möglichkeiten entlasten. Auch ein Mindestlohn hilft nicht, wenn Neu-Zuwanderer völlig gleichberechtigten Zugang haben, und wenn deutsche Arbeitgeber genau wissen, dass diese bei gleichem Lohn erheblich motivierter als Deutsche sind.

Peter Nowak schrieb am 15.05.2011, 14:47 Uhr

Die Frage des BGE (Bedingungsloses Grundeinkommen) ist tatsächlich eine Frage, der die Gewerkschaften höhere Aufmerksamkeit schenken sollten. Dabei geht es gar nicht so sehr um die Frage, ob oder ob nicht das BGE eingeführt werden oder wie hoch es sein sollte, sondern die Frage, wie es finanziert werden sollte:

- Wird das BGE nämlich steuerfinanziert, wie es ja offensichtlich gefordert wird, dann bedeutet das für die Unternehmen nichts anderes als eine Senkung ihrer Lohnkosten. Diese würden ja dann zu einem grossen Teil von der arbeitenden Bevölkerung selbst aufgebracht werden. Die Folge wäre eine Erhöhung der Profite der Unternehmen zu Lasten der Beschäftigten. Eine solche Idee als \"soziale Maßnahme\" zu verkaufen, zeigt ein ziemlich perverses Denken.

- Wenn wir also als Gewerkschaftler für ein BGE eintreten sollten, könnte dies nur im Rahmen eines bundeseinheitlichen Lohnfonds geschehen, in den alle Unternehmen je nach Größe und Leistungsfähigkeit einzahlen müssten (die Mitarbeiteranzahl darf nicht allein zum Kriterium gemacht werden, um keinen zusätzlichen Anreiz für Rationalisierungen zu schaffen) und aus dem das BGE oder gleich überhaupt alle Löhne und Gehälter bezahlt werden müssten. Letzteres würde natürlich die Möglichkeit bieten, gleichzeitig die alte Forderung der Gewerkschaften nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit zu realisieren. Außerdem wäre dann der Unterschlagung von Lohngeldern durch marode Firmen zur Finanzierung ihrer Schulden ein Riegel vorgeschoben. Dieser Lohnfonds müsste natürlich unter paritätischer Kontrolle der Arbeitgeber und Gewerkschaften stehen. Jede andere Umsetzung des BGE wäre meiner Ansicht nach als asozial abzulehnen.

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