Ein Mehrwertsteuer-Bonus als partielles Grundeinkommen?

Herbert Wilkens 19.06.2011 Druckversion

Die aktuell wieder diskutierte vollständige Abschaffung des ermäßigten Mehr- wertsteuersatzes würde Haushalte mit geringen Einkommen deutlich höher belasten als Haushalte mit mittlerem und hohem Einkommen. Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) schlägt deshalb eine Bonuslösung vor. Dies könnte ein Einstieg in ein partielles Grundeinkommen sein, zumindest was die administrative Umsetzung angeht.

In Rede stehen hier nicht die gänzlich von der Umsatzsteuer befreiten Güter und Leistungen, also z.B. Wohnungs- und Grundstücksvermietung an Privathaushalte, Leistungen von Ärzten, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, die meisten Bankdienstleistungen für Private, gemeinnützige wissenschaftliche, sportliche und kulturelle Veranstaltungen. Vielmehr geht es um Güter und Leistungen, die statt mit 19 % mit dem ermäßigten Satz von 7 % besteuert werden. Die Liste ist lang, und die finanzielle Bedeutung der einzelnen Positionen (Quelle: DIW Berlin, Tabelle 1) sehr unterschiedlich. Im wesentlichen handelt es sich dabei um folgendes:

  • Nahrungsmittel
  • Bücher, Zeitungen und Zeitschriften sowie Kinobesuch (wenn jugendkonform und ohne sexuelle Inhalte)
  • Eintritt für Theater, Konzerte und Museen sowie vergleichbare künstlerische Veranstaltungen
  • Hotelübernachtungen
  • öffentlicher Personennahverkehr
  • zahntechnische Leistungen und Hilfsmittel für Behinderte

Es geht also in der Regel um existenzsichernde oder die soziale Teilhabe ermöglichende Dinge, die aus gutem Grund subventioniert werden. Allerdings müssen Steuerschlupflöcher gestopft werden. Die Regelungen sind deshalb sehr kompliziert, gelegentlich geradezu grotesk, vor allem in den Ausführungsbestimmungen, die sich in einer Anweisung von 140 Seiten niederschlagen. Einen Überblick über die Reformnotwendigkeiten gibt z.B. die Deutsche Bank Research.

Wird der ermäßigte Mehrwertsteuersatz abgeschafft, leiden darunter vor allem Haushalte mit geringem Einkommen. Das ist unsozial, so der DIW-Experte, und

    „im Wesentlichen eine Rückwirkung der reduzierten Besteuerung von Nahrungsmitteln, die gut 70 Prozent der ermäßigt besteuerten Umsätze ausmachen. Sofern solche regressiven Verteilungswirkungen vermieden werden und Haushalte mit niedrigem Einkommen von der Mehrwertsteuer entlastet werden sollen, wäre die Einführung eines Mehrwertsteuer-Bonus die wirksamere Alternative. Dieser würde ähnlich wie der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer wirken. Dazu müsste eine zusätzliche staatliche Transferzahlung eingeführt werden, die sich an der durchschnittlichen Mehrwertsteuerbelastung von Haushalten mit niedrigen Einkommen orientiert. Der Mehrwertsteuer-Bonus könnte nach Größe und Zusammensetzung der Haushalte differenziert und bei höheren Einkommen reduziert werden. Ferner könnte der Bonus jährlich an die Inflationsentwicklung angepasst und in regelmäßigen Abständen neu berechnet werden.

    Würden die Mehreinnahmen aus der Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes über einen solchen Mehrwertsteuer-Bonus zurückerstattet, ergäben sich klar progressive Verteilungswirkungen der Reform. Einkommensschwache Haushalte würden spürbar entlastet, die einkommensstarken Haushalte moderat belastet. […] Eine Bemessung des Mehrwertsteuer-Bonus nach der gesamten Durchschnittsbelastung der Haushalte mit geringen Einkommen würde die gesamte Mehrwertsteuerbelastung progressiv gestalten. Dann müsste allerdings der Mehrwertsteuersatz auf 25 Prozent steigen, um die damit verbundenen Steuerausfälle zu kompensieren.

    Die Einführung eines solchen Mehrwertsteuer-Bonus löst zusätzlichen Verwaltungsaufwand aus. Dies gilt vor allem, wenn die Bonuszahlung nach Größe und Zusammensetzung der Haushalte differenziert und bei höheren Einkommen reduziert werden soll, wie es hier analysiert wurde. Hinzu kommen tendenziell ungünstige Anreizwirkungen auf Erwerbseinkommen und Anreize zugunsten der Schattenwirtschaft. […]

    Diese Nachteile sollten jedoch mit jenen der bestehenden Mehrwertsteuerbegünstigungen verglichen werden, die erheblichen Verwaltungsaufwand und Wettbewerbsverzerrungen bei der Abgrenzung der ermäßigt besteuerten Produkte auslösen. Der Mehrwertsteuer-Bonus entlastet dagegen gezielt den existenznotwendigen Bedarf. Auch bei anderen aufkommensstarken indirekten Steuern könnte ein ähnliches Modell die Belastungswirkungen im unteren Einkommensbereich mildern, etwa bei der Energiebesteuerung (Öko-Bonus). Ferner können solche Bonus-Modelle zum Anlass genommen werden, die Bemessungsgrundlagen der einkommensbezogenen Steuern und Transfers besser abzustimmen. Dies würde die Effizienz des gesamten Steuer- und Transfersystems erhöhen.“

So gut das zunächst klingt, sind doch viele Fragen offen:

  • Ist die Umverteilung von oben nach unten wirklich mehrheitsfähig?
  • Hat eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht bei den meisten Befürwortern das Ziel, die Staatseinnahmen zu erhöhen?
  • Werden dann nicht alle Bürger – gleich ob finanziell leistungsfähig oder nicht – zur Kasse gebeten, und zwar ohne Kompensation, so dass für die unteren Einkommensschichten mehr existenzielle Not und soziale Ausgrenzung die Folge wäre?
  • Ist nicht in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Stimmung zu befürchten, dass der Bonus zu einer Reduzierung der bisherigen Transferansprüche gerade der Ärmsten (Flüchtlinge, Langzeitarbeitslose) führen würde?
  • Ist es gerecht, wenn der Bonus nach Einkommenslage differenziert wird, obwohl doch alle von der Steuererhöhung betroffen wären?
  • Wäre der Verwaltungsaufwand nicht viel geringer, wenn man – wie bei dem Konzept des Öko-Bonus, wie er bei den Grünen oder in der Partei DIE LINKE diskutiert wird, allen Einwohnern den gleichen Pauschbetrag auszahlt – allenfalls gestaffelt zwischen Erwachsenen und Kindern?
  • Sollte nicht behördliche Schnüffelei analog zur Feststellung einer Bedarfsgemeinschaft bei Hartz IV von vornherein vermieden werden und wäre nicht die faktische Besserstellung von Familien und Wohngemeinschaften ein gesellschaftlich erwünschter Effekt?
  • Wäre dann nicht auch die Umverteilungswirkung viel stärker und besonders für einkommensschwache Familien mit Kindern eine wesentliche Entlastung?
  • Müssten nicht flankierende Transferzahlungen für Menschen mit Sonderbedarf (z.B. chronisch Kranke oder Behinderte) zu den pauschalen Entlastungen hinzutreten, zumal auch für medizinische Güter und Leistungen bisher die ermäßigte Mehrwertsteuer gilt?
  • Sollten nicht jene MWSt-Ermäßigungen, die eine soziale Teilhabe erleichtern, z.B. im öffentlichen Nahverkehr, bei kulturellen Leistungen wie Theater und Museen, bei Büchern und Zeitschriften in dem pauschalen Bonus stärker berücksichtigt werden als vom DIW vorgeschlagen, also stärker als nur bis zur Höhe der durchschnittlichen Inanspruchnahme durch Menschen im untersten Einkommensbereich?

Erst wenn diese Fragen in sozialverträglicher Weise geklärt wären, könnte die Bereinigung des – offenkundig mangelhaften – Mehrwertsteuersystems ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Die Bonuslösung hätte dann den Charme, dass sie allmählich zu einem bedingungslosen Grundeinkommen ausgebaut werden könnte. Die Auszahlung eines Pauschalbetrags an alle Einwohner wäre jedenfalls eine sinnvolle Einübung in ein Verfahren, welches das bedingungslose Grundeinkommen technisch möglich macht, und zwar in einer Weise, die wenig Verwaltungsaufwand erfordert. Die steuerlichen Identifikationsnummern existieren ja, und die Auszahlung durch die Finanzbehörden wäre einfach. Auch das Antragsverfahren – soweit dann überhaupt noch erforderlich – wäre sehr schlicht zu gestalten, so dass verdeckte Armut eliminiert wäre.

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