Interviews zum Grünen-Parteitag – Part 1: Antworten von Werner Rätz (Attac)

Redaktion 29.11.2007 Druckversion

Werner Rätz, Attac, ist Grundeinkommensbefürworter der ersten Stunde und Autor mehrerer Bücher und Aufsätze zum bedingungslosen Grundeinkommen. Zusammen mit Andreas Exner und Birgit Zenker hat er den Sammelband „Grundeinkommen – Soziale Sicherheit ohne Arbeit“ herausgegeben. -more->

Ist das Ergebnis eine Enttäuschung oder war es zu erwarten? Glauben Sie, dass die Grundeinkommens-Idee immer noch eine realistische Chance hat, im nächsten Bundestagswahlkampf eine Rolle zu spielen? Wenn ja, in welchem Zusammenhang?

Werner Rätz: Es war ein viel schlimmeres Ergebnis zu erwarten, der Ausgang ist für die Bedingungen, unter denen die Debatte stattfand, erstaunlich positiv. Immerhin bekennen sich die Grünen dazu, dass sie Steuererhöhungen von 60 Mrd. Euro verlangen. Wer eine tagespolitische Debatte auslöst oder sich an ihr beteiligt, darf sich nicht wundern, dass die Ergebnisse, die er dort erreichen kann, nicht über den tagesaktuellen Bewusstseinsstand hinausgehen. In einer Zeit, wo es noch nicht einmal einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass Hartz IV eine entwürdigende, erbärmliche Prozedur ist, die sofort abgeschafft gehört, kann kein wirklich emanzipatorisches Grundeinkommen durchgesetzt werden. Das war von vorneherein der Fehler der gesamten Grünen Debatte. Die BefürworterInnen eines bge sind bei den Grünen noch besonders stark, in den anderen Parteien sieht das noch viel finsterer aus. Dennoch haben sie ein Modell vorgelegt, das völlig unattraktiv und dazu geeignet war, jedweder Vorstellung von bedingungslosem Grundeinkommen zu schaden. Mir einer Höhe von 420 € blieb es sogar noch hinter der als Zwischenschritt auf dem Weg zur Abschaffung gedachten Forderung nach Erhöhung des ALG II auf 500 € zurück. Das Argument, dass ein solcher Betrag zu einer sehr hohen Zahl von Anspruchsberechtigten führen würde, zeigt, dass man sich nicht einmal getraut hat, das Armutsproblem in seiner vollen Dimension anzugehen, viel weniger war diese Mini-Einkommen dazu geeignet, gegenüber den Zumutungen des Arbeitsmarktes auch nein sagen zu können. Das liegt nicht etwa daran, dass die Grünen bge-BefürworterInnen nicht etwas Besseres wollten, sondern dass sie glauben, dass man ein bge verwirklichen könnte, ohne vorher entsprechende gesellschaftliche Kämpfe und Auseinandersetzungen zu führen und Kräfteverhältnisse zu ändern. Deshalb hoffe ich sehr, dass solche Debatten und Modelle im kommenden Bundestagswahlkampf keine Rolle spielen.

Welche Bedeutung hat das Abstimmungsergebnis für den sozialpolitischen Kurs der Grünen Partei? Gehört die Kontroverse zwischen Grundeinkommens- und Grundsicherungsbefürwortern jetzt der Vergangenheit an oder geht sie weiter?

Werner Rätz: Ich kenne die Interna der Grünen Partei nicht genügend, um vorhersagen zu können, wie langen Atem die bge-BefürworterInnen haben. Aber die Gefahr solcher Kampagnen, die auf einen konkreten Entscheidungspunkt gerichtet sind, ist ja in der Tat, dass sie hinterher vorbei sind. Auch diejenigen in der Partei, die sich am liebsten gar nicht bewegt hätten, haben jetzt den perfekten Vorwand, um ein Ende der Debatte zu fordern. Schließlich, so werden sie sagen, habe die Partei nach langer Diskussion demokratisch entschieden. Und dabei habe sie ein bge abgelehnt. Insofern befürchte ich stark, dass die Grünen bge-FreundInnen der ganzen Bewegung und der Sache einen sehr schlechten Dienst getan haben.

Stecken die BGE-Befürworter in der Grünen Partei jetzt auf oder formieren sie sich neu?

Werner Rätz: Nötig wäre jetzt eine Auseinandersetzung , die einerseits die Möglichkeiten der beschlossenen Vorschläge konsequent aufgreift und ihre Umsetzung einfordert (Steuererhöhungen zur Finanzierung von Sozialleistungen und Infrastruktur sind ja zu begrüßen) und die gleichzeitig versucht, sie an einzelnen Punkten in Richtung bge zu öffnen und weiterzuentwickeln. Eine erneute Kampagne für die schnelle Einführung eines bge kann beim aktuellen Stand der Meinungsbildung nicht gewonnen werden.

Welche Bedeutung hat das Ergebnis für die Fortführung der Diskussion zum BGE in anderen Parteien, den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden?

Werner Rätz: Die Diskussion in anderen gesellschaftlichen Großorganisationen wird sehr viel schwieriger werden. Wenn das bge nicht einmal bei den Grünen mehrheitsfähig ist, wie viel weniger anderswo. Und alle konkreten Modelle, die in den noch mehr neoliberalen Organisationen diskutabel sein sollen, werden noch weiter von einem tatsächliche bge entfernt sein als das Grüne. Es ist augenblicklich praktisch nicht ehr möglich, überhaupt über ein wirkliches bge zu reden. Die Grünen bge-BefürworterInnen haben die Debatte auf einem Armutsniveau etabliert und damit der ganzen Bewegung viel von ihrem Visionären, von ihrem utopischen Überschuss und damit von ihrer Faszination genommen.

Welche Auswirkungen hat das Ergebnis auf die außerparlamentarische
Diskussion in der GE-Bewegung?

Werner Rätz: Wir werden noch sehr viel klarer als bisher die Trennung von solchen realpolitischen Vorschlägen vollziehen müssen, die kein wirklich hohes und damit überhaupt erst emanzipatorisches bge vorsehen.

Wie stehen Sie zur Aussage von Michael Opielka, dass es sich die BGE-Befürworter nicht leisten können, ein Konzept wie das von Dieter Althaus als „neoliberal“ aus der Diskussion auszugrenzen? Bitte beachten Sie dabei Opielkas Argument, dass auch das heutige Sozialversicherungsmodell konservativer Provenienz ist und schließlich auf den „Vater der Sozialistengesetze“ zurückgeht.

Werner Rätz: Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn wir nicht schnell und radikal mit Althaus und ähnlichen Vorstellungen brechen, dann ist das bge endgültig zu einem neoliberalen staatlichen Sparprogramm verkommen und Teile der Bewegung machen sich auch noch zum Steigbügelhalter davon. Nur weil etwas Anderes, wie hier die Sozialversicherungssysteme, ebenfalls nichts im Kern Fortschrittliches ist, sondern vor allem auch Instrumente der Soziakontrolle, wird doch die gleiche Tendenz beim bge nicht besser oder akzeptabel. Es ist nichts dadurch gewonnen, dass wir defizitäre und auf Arbeitszwang beruhende Sozialversicherungen gegen eine Grundeinkommen genannte Mindestsicherung eintauschen, die faktisch ebenfalls dazu zwingt, seine Arbeitskraft unter allen Umständen zu verkaufen, nur eben billiger für die Unternehmen. Ein bge muss ein Fortschritt für die Menschen sein und kein Sparprogramm für Staathaushalt und Arbeitgeber.

Nächster Teil: Antworten von Robert Zion.

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