Interviews zum Grünen Parteitag – Part 11: Antworten von Sascha Liebermann

Redaktion 02.12.2007 Druckversion

Der Soziologe Dr. Sascha Liebermann ist der wohl bekannteste Sprecher der Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung“. -more->

Herr Liebermann, ist das Ergebnis eine Enttäuschung oder war es zu erwarten? Glauben Sie, dass die Grundeinkommens-Idee immer noch eine realistische Chance hat, im nächsten Bundestagswahlkampf eine Rolle zu spielen? Wenn ja, in welchem Zusammenhang?

Sascha Liebermann: Die Auseinandersetzung am Parteitag ließ zum einen erkennen, welche Bedeutung mittlerweile das bedingungslose Grundeinkommen in der politischen Diskussion erhalten hat – das ist ermutigend. Zum anderen aber wird es überwiegend noch als sozial- und arbeitsmarktpolitisches Konzept und nicht als Idee umfassenden Charakters betrachtet. Kaum einer der Redner, die ich gehört habe, sahen das freiheitliche Moment, das für ein bGE zentral ist. Es ist gerade dieses Moment, das den Bürger als Bürger anerkennt, ihm die Position gibt, die er als Souverän auch haben muss. Über manche Rede konnte man erschrecken angesichts des obrigkeitstaatlichen Geistes, den sie atmete. Von daher zeigt uns das Ergebnis, wo die Diskussion nicht nur bei den Grünen, sondern im allgemeinen steht. Nicht der nächste Wahlkampf ist für mich entscheidend, sondern dass die Idee öffentlich noch sichtbarer wird. Dann wird man noch weniger umhin kommen, sich mit ihr auseinanderzusetzen, als es heute schon der Fall ist.

Welche Bedeutung hat das Abstimmungsergebnis für den sozialpolitischen Kurs der Grünen Partei? Gehört die Kontroverse zwischen Grundeinkommens- und Grundsicherungsbefürwortern jetzt der Vergangenheit an oder geht sie weiter?

Sascha Liebermann: Welche Bedeutung es hat, wird sich erweisen müssen, es hängt vor allem davon ab, ob sich die Befürworter eines bGE bei den Grünen weiterhin dafür einsetzen und sich bemühen, die Gesamtgestalt der Idee zu erfassen. Von daher kann das Ergebnis sowohl als Bestätigung der Gegner, als auch der Befürworter gelesen werden. Aber auch der Vorschlag der Befürworter war nur ein bGE im Sinne einer Negativen Einkommensteuer, worauf Wolfgang Strengmann-Kuhn hinweist – anders ausgedrückt: es war noch nicht vom Erwerbsideal befreit. Solange das bGE als Instrument gegen Armut und Arbeitslosigkeit betrachtet wird, statt als Stärkung der Freiheit, von der unsere Demokratie lebt, wird sich daran nichts ändern.

Stecken die BGE-Befürworter in der Grünen Partei jetzt auf oder formieren sie sich neu?

Sascha Liebermann: Das hängt von den Befürwortern ab, ob sie Argumente vorbringen, die überzeugen können. Bislang scheint es mir daran noch zu mangeln. Eine differenzierte öffentliche Diskussion kann aber dazu einen Beitrag leisten, wie es ja bislang schon der Fall war.

Welche Bedeutung hat das Ergebnis für die Fortführung der Diskussion zum BGE in anderen Parteien, den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden?

Sascha Liebermann: Dass überhaupt über das bGE diskutiert wurde, zeigt, wie weit die öffentliche Diskussion, die noch in ihren Anfängen steckt, schon ist. Die Einwände der Gegner wirken oft genug wie hilflose Abwehrversuche. Doch noch immer entfalten Nebelkerzen in Form von „Berechnungen“ und statistischen Erhebungen erhebliche Wirkung. Es wird auch hier darauf ankommen, dass die öffentliche Diskussion weitergeht, sie hat auch bislang schon eine erstaunliche Wirkung entfaltet.

Welche Auswirkungen hat das Ergebnis auf die außerparlamentarische Diskussion in der GE-Bewegung?

Sascha Liebermann: Unmittelbar keine, mittelbar aber schon. Diejenigen, die sich mit der Idee beschäftigen, konnten sich durch die vielen Berichte vor dem Parteitag gestärkt sehen; diejenigen, die sich damit nicht beschäftigt hatten, konnten sich durch die parteipolitischen Manöver abgeschreckt fühlen. Aufmerksamkeit hat die Berichterstattung verschafft, das könnte weitere Interessierte dazu führen, Veranstaltungen zu besuchen. Letztlich aber wird sich alles daran entscheiden, ob wir Bürger die Frage danach, wie wir leben wollen, auch wirklich ernst nehmen und auf sie eine Antwort geben wollen. Schaue ich auf die vier Jahre zurück, die wir – die Initiative Freiheit statt Vollbeschäftigung – uns für das bGE einsetzen, bin ich immer noch erstaunt, wie schnell die Diskussion sich entwickelt hat. Sie trifft den Geist der Zeit.

Wie stehen Sie zur Aussage von Michael Opielka, dass es sich die BGE-Befürworter nicht leisten können, ein Konzept wie das von Dieter Althaus als „neoliberal“ aus der Diskussion auszugrenzen? Bitte beachten Sie dabei Opielkas Argument, dass auch das heutige Sozialversicherungsmodell konservativer Provenienz ist und schließlich auf den „Vater der Sozialistengesetze“ zurückgeht.

Sascha Liebermann: Kampfbegriffe, wie der Ausdruck „neoliberal“ einer ist, zeugen nur von hilflosen Versuchen, das Gegenüber in die Ecke zu stellen. Wer glaubt, er könne uns Bürgern die Urteilsbildung über solche Fragen abnehmen, entmündigt uns und schwächt die öffentliche Debatte – ein Phänomen, von dem auch die bGE-Diskussion nicht frei ist. Wir können die weite Verwendung solcher Etiketten allenfalls als Anzeichen dafür sehen, wie wenig das alte Schubladendenken heute noch taugt, wie wenig brauchbar heute noch Attribute wie „links“ oder „rechts“, „konservativ“ oder „progressiv“ sind, wenn nicht zugleich Argumente vorgetragen werden. Wer an einem bGE-Konzept Kritik üben will, sollte es differenziert und an der Sache tun, z.B. indem deutlich gemacht wird, worin der Unterschied zwischen einem bGE und einer Negativen Einkommensteuer besteht, weshalb ein Mindestlohn und Arbeitsumverteilung am alten Erwerbsideal festhalten oder wie sehr die erwünschten Auswirkungen eines bGE von seiner Höhe abhängen. Die gesamte Diskussion über das bGE zeigt doch, was gute Argumente bewirken können.

Nächste Folge: Antworten von Birgit Zenker

2 Kommentare

Hanne Hilse schrieb am 02.12.2007, 09:31 Uhr

Sascha Liebermann spricht mir aus der Seele!Schon lange stelle ich fest, dass es für die Beurteilung bestehender Verhältnisse sowie Zukunfsvisionen nicht taugt, sogar oft sehr hinderlich ist, mit den Kampfbegriffen von links und rechts und neoliberal etc. um sich zu werfen!Sowohl in der Beobachtung der Medienlandschaften, als auch in vielen Diskussionen wird mir immer klarer, dass unser altes Schubladendenken sich überlebt hat.Wir leben nicht in einer schwarz-weißen Welt und weder die Menschen , noch ihre Konzepte, ihre Vertreter in Gruppen und Parteien,lassen sich immer so eindeutig zuordnen. Das ist es doch auch, was wir mit dem BGE berücksichtigen wollen: das Menschen individuell sind und sich dem Gieskannenprinzip widersetzen wollen!Ich möchte selbst entscheiden dürfen, was für mich stimmt und wie ich etwas beurteile, dafür brauche ich eine Arge genauso wenig wie eine Ideologie!Lasst uns in der Sache prüfen und streiten und dabei die Freiheit im Denken behalten und achten! In diesem Sinne!Gruß aus Köln von Hanne

Volker Stöckel schrieb am 25.12.2007, 21:46 Uhr

So ganz verstehe ich es nicht, die NES (Negative Einkommenssteuer) als etwas anderes als das Grundeinkommen zu sehen. Im Grunde geht es doch hier nur um eine Frage der Abrechnung, so dass Prof. Opielka es als eine „Technik“ des Grundeinkommens benennt. Und Manfred Füllsack beschreibt es in seinem Buch „Globale soziale Sicherheit“ am Anfang als den Unterschied einer „ex ante“ vs. „ex post“ -Auszahlung. So verstehe ich es auch. Natürlich, wenn man die Beispiele einer NES heute in den USA sieht, gar, wie Milton Friedman sie wollte, die katastrophalen Vorschläge von Graf Lambsdorff zum Grundeinkommen als NES, da kann einem Angst und Bange werden. Aber eigentlich geht es hier doch um die Frage der Höhe des BGE. Wenn das BGE allerdings eine Höhe hat, die den Kriterien des Netzwerk Grundeinkommen entspricht, wäre es meiner Meinung nach ok, dieses mit einer NES einzuführen. Lediglich die erste Zahlung müsste quasi eine außergewöhnliche Zahlung sein, eine wahrhaftige Sozialdividende, nur, um das Time-Lag bis zur ersten Berechnung durch das Finanzamt zu überbrücken; das wird so schwierig nicht sein. Dazu kommt, wenn wir ein BGE weltweit betrachten, wäre es vielleicht passend, wenn alle Grundeinkommen mittels einer NES abgerechnet würden. Dies schüfe Vergleichbarkeit und insbesondere dürfte die jeweilige Einführung leichter sein, da Finanzämter wohl in jedem Land vorhanden sind, egal welche Staatsform. Entwicklungshilfe wäre dann auch leichter, man wüsste genau, wie das Geld, dass man über einen Staatenfinanzausgleich übergibt, verteilt würde.

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