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Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE): Traum oder Alptraum für Frauen? – Frauenpolitische Sichtweisen

Zusammenfassung der Ergebnisse
vom überparteilichen Runden Tisch der Frauen

Wann: 22. November 2007, 13.00 – 17.00 Uhr
Wo: Deutscher Bundestag, Jakob-Kaiser Haus, Zimmer 2.732

von Pia Kaiser, Überparteiliche Fraueninitiative Berlin – Stadt der Frauen, pia.s.kaiser@gmx.de

Ziele waren:

Teilnehmerinnen waren:Vertreterinnen der Fraktionen aus dem Deutschen Bundestag, der Jugendverbände der Parteien, von ver.di, attac, der Arbeiterwohlfahrt, dem Behindertenverband, vom Verband für Alleinerziehende Mütter und Väter, von Unternehmensberaterinnen, führenden Frauenorganisationen, Sozialen Verbänden und wissenschaftlichen Instituten (21 TN).

Referentinnen waren:

Diskussionsergebnisse

Chancen und Voraussetzungen für ein geschlechtergerechtes BGE

  1. Wir sprechen von einem BGE wenn es individuell (auch für Kinder), ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit und zusätzlich zum Erwerbsarbeitseinkommen gezahlt wir. Dafür würden staatliche Transfers wie BaföG, Kindergeld, Erziehungsgeld und alle Steuerbegünstigungen, wegfallen. Für zusätzliche Renten-, Arbeitslosen-, Pflege- und Unfall-versicherungszahlungen könnten weitere solidarische Versicherungsmodelle entwickelt werden.
  2. Eine Teilhabesicherung setzt ein BGE zwischen 800€ – 1000€ plus individuellem Mehrbedarf (Wohngeld, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderungen/altersbedingten Krankheiten), plus Krankenversicherung voraus, um nicht unter das heutige Hartz IV Niveau zu fallen.
  3. Ein BGE muss eingebettet sein in einen zusätzlichen staatlichen Ausbau der sozialen Dienstleistungen (Betreuung von Familienangehörigen und verbesserte Familienhilfe für sog. „Problemfamilien“).
  4. Ein BGE muss flankiert sein von einem Mindestlohn und einer massiven Bildungsoffensive, um allen die gleiche Chance zu gewährleisten an einem fairen Arbeitsmarkt teilnehmen zu können. Bei der Vermittlung von erwerbsarbeitsuchenden Menschen müsste schon heute mehr auf deren Stärken und nicht auf deren Schwächen eingegangen werden.
  5. Equal Pay Strategien müssen zusätzlich zum BGE verstärkt verfolgt werden.
  6. Das BGE setzt auf eine immense Umverteilung von reich zu arm und damit auf eine gerechtere Einkommensverteilung.
  7. Das BGE ist ein Instrument mehr Freiheit zu ermöglichen, bezahlte und unbezahlte Arbeit umzuverteilen, die Gesellschaft neu zu gestalten und sich persönlich zu entwickeln.
  8. Das BGE macht die gigantische Masse an gesellschaftserhaltender unbezahlter Arbeit sichtbar.
  9. EhepartnerInnen wären weniger finanziell von einander abhängig (keine Bedarfsgemeinschaften mehr).
  10. Der „Druck“ auf Väter Vollzeit zu arbeiten würde niedriger. Es würden mehr Teilzeitstellen entstehen. Die Rollenverteilung zwischen Eltern könnte dadurch geschlechtergerechter werden.
  11. Die hohe (mehrheitlich weibliche) „verdeckte“ Armut würde abgeschafft.
  12. Es gäbe keine „working poor“ mehr.
  13. Mit dem BGE ginge ein starker Bürokratieabbau einher. Die heutige Praxis der Bedürftigkeitsprüfung und der Zwang jede Arbeit anzunehmen ist weder vom bürokratischen Aufwand her noch aus menschlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt. Der Andrang auf 1 Euro Jobs und Ehrenamt belegt, dass Zwang nicht notwendig ist.
  14. Jede Erwerbsarbeit, auch die im niedrigen und mittleren Lohnbereich, würde sich lohnen – im Gegensatz zu heute.
  15. Das BGE ist eine Chance für KleinunternehmerInnen (BGE als Existenzgründungszuschuss)
  16. Das BGE würde eine sehr viel höhere Steuer- und Finanztransparenz bedeuten.
  17. Die gesamtgesellschaftliche Kaufkraft würde breiter verteilt (mehr Konsumgüter, weniger Luxusgüter).
  18. Das BGE könnte zu einem stärkeren sozialer Frieden führen.

Befürchtungen und Risiken

  1. Der Staat würde sich immer mehr von seiner Verantwortung (Bildung, Betreuung/Pflege von Familienangehörigen, gleicher Zugang zum Arbeitsmarkt) verabschieden.
  2. BGE würde Armut nicht abschaffen, sondern würde sie nur auf eine höhere finanzielle Ebene stellen.
  3. Wenn Verzicht auf ein Erwerbsleben alimentiert würde, würden sich viele zurückziehen. Frauen würden mehr Hausarbeit übernehmen als das heute der Fall ist. Mütter würden noch mehr von ihren Ehemännern abhängig als sie das heute schon sind.
  4. Wegen der hohen Besteuerung allen Einkommens (bis zu 50%) gäbe es weniger Anreiz viel Geld zu verdienen. Damit wäre dem BGE die Grundlage entzogen.
  5. Große Gefahr, dass mehr Menschen als heute das ihnen überlassene Einkommen „missbrauchen“ würden.
  6. Falls Kinder in voller Höhe wie Erwachsene BGE erhalten, könnte ein Anreiz entstehen auch ohne Erwerbsarbeit Familien zu gründen (z.B. 6 X 800€ = 4800€ Familiennettoeinkommen ohne Erwerbsarbeit).
  7. Solange geschlechtsspezifische Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und schlechte Betreuungsmöglichkeiten vorherrschen, werden Frauen weiterhin ärmer sein als Männer.
  8. Bei Mehrbedarf müssten weiterhin Einzelfälle geprüft werden (Bürokratie). Hier müsste das Personal besser geschult und kontrolliert werden, damit die Gefahr der Gängelung abnimmt.
  9. Ohne Mindestlohn würde das BGE zu einem Lohndumping führen.

Offene Fragen

  1. Wie wäre ein solches geschlechtersensibles BGE (800€ – 1000€) plus Krankenversicherung und individuellem Mehrbedarf sowie flankierenden Maßnahmen (Ausbau der sozialen Dienstleistungen und Bildungsoffensive) finanzierbar? Zu welchen Kosten?
  2. Inwiefern wäre ein BGE gut bzw. schlecht für die Wirtschaft? Welche volkswirtschaftlichen Effekte und Nebeneffekte hätte ein solches BGE? Gäbe es mehr Fluidität auf dem Arbeitsmarkt?
  3. Würde es bezahlte bzw. ehrenamtliche Arbeitsplätze schaffen bzw. vernichten? Falls ja, welche?
  4. Würden mehr Menschen als heute das soziale System bewusst ausnutzen?
  5. Welche Gesellschaftsgruppen müssten im Vergleich zu heute stark dazu zahlen?
  6. Welche Gesellschaftsgruppen würden am meisten profitieren?
  7. Wäre der Anreiz für Frauen trotz betreuungsbedürftigen Familien-angehörigen einer Erwerbsarbeit nachzugehen höher oder niedriger als heute?
  8. Wie würde sich ein BGE, wie oben beschrieben, auf Schwarzarbeit, Kapitalflucht und Lohndumping auswirken?
  9. Wie sind MigrantInnen abgesichert?