Debatte um Armutsrenten weist einen Weg zum Grundeinkommen

Herbert Wilkens 06.09.2012 Druckversion

Kürzlich veröffentlichte Arbeits- und Sozialministerin von der Leyen (CDU) Horrorzahlen zur künftigen Rente. Millionen Normalverdiener hätten schon in absehbarer Zeit nur noch Ansprüche, die nicht über dem Grundsicherungsniveau lägen. Ihre Altersbezüge wären somit nicht armutsfest, weil sie sich an den unzureichenden Regelsätzen orientieren müssten, die auch für Langzeitarbeitslose gelten. Auch müssen sich diese Rentner der Bedürftigkeitsprüfung unterwerfen – mit all ihren entwürdigenden Einzelheiten.

Politisches Handeln ist dringend erforderlich, weil Änderungen im Rentensystem erst mit großer Verzögerung wirksam werden. Was schlägt aber die zuständige Ministerin vor? Eine Zuschussrente, die aus der Rentenkasse finanziert würde. Die Rentenversicherung basiert aber auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung, wie jede Versicherung. Die Beitragszahler haben ein Recht auf ungeschmälerte Renten. Wenn aus diesem Vermögen eine solidarische Leistung für Menschen geleistet werden sollte, müsste dieses Prinzip durchbrochen werden. Das führt dazu, dass der von der Sozialministerin vorgeschlagene Gerechtigkeitszuschuss äußerst mager ausfällt und von den Antragstellern sehr restriktive Bedingungen zu erfüllen wären. So wären z.B. 30 Beitragsjahre und ab 2019 zusätzlich eine langjährige private Eigenversicherung – z.B. als Riester-Rente – Voraussetzung für einen individuellen Anspruch. Will sie den Versicherungen Millionen Erwerbstätige zutreiben, die aus Angst um ihre Rentenzukunft Verträge abschließen, obwohl die aktuelle Finanzkrise zeigt, dass dies – wie u.a. die FAZ meldet – eine höchst unsichere Kapitalanlage ist?

Gleichzeitig strebt die Ministerin an, die Rentenbeiträge zu verringern, was die Ansprüche der künftigen Rentner noch zusätzlich mindert.

Wenig überraschend erhob sich umgehend ein Sturm der Kritik und Entrüstung gegen diese Pläne. Oppositionsparteien, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Wissenschaftler und Betroffenenverbände wiesen das Konzept als untauglich und unsozial zurück. Gerade den von Altersarmut am meisten Betroffenen ist mit dieser Form der Zuschussrente kaum gedient. Wer wenig verdient hat, öfter oder lange Zeit erwerbslos war, wer auf die solidarische gesetzliche Rentenversicherung vertraut hat, sich also nicht z.B. mit Riester-Rente privat zusätzlich versichert hat, kann in der Regel die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllen. Das Vertrauen in die allgemeine staatliche Rentenversicherung wird zusätzlich untergraben.

Die Ministerin zeigte sich davon wenig beeindruckt. Rückendeckung erhielt sie von dem Wirtschaftsprofessor und Ex-“Wirtschaftsweisen“ Bert Rürup, der allerdings zufällig auch Lobbyist für die private Versicherungswirtschaft ist.

Nun scheint sich das Blatt jedoch zu wenden: Auch in der CDU bleiben kritische Stimmen gegen den Kurs der Arbeitsministerin nicht aus. Norbert Blüm, langjähriger Minister in Regierungen mit CDU-Beteiligung und dem deutschen Volk im Wort („Die Renten bleiben sicher.“), verlangte die Abkehr von der Beitragssenkung und im Gegenteil eine Anhebung. Er wird vom „“FOCUS“: http://www.focus.de/finanzen/news/wirtschaftsticker/schlarmann-cdu-zuschussrente-loest-nicht-das-problem_aid_812531.html“ wie folgt zitiert: „Da kann in Berlin regieren wer will: Die Rente ist auf Solidarität anderer angewiesen, die Jungen müssen die Rente zahlen. … Das war im Neandertal so und wird auch auf dem Mars so bleiben.“ Das Konzept, die Rentenbeiträge anzuheben, kann in Zeiten der Unterbeschäftigung (Statistisches Bundesamt: Ungenutztes Arbeitspotential bei 7,4 Mill. Menschen) aber offensichtlich nur einen Teil der Lösung darstellen. Bei diesen Rahmenbedingungen sollten die sozialen Lasten nicht nur von den Versicherten getragen werden, sondern von allen Bürgern. Die Aufstockung niedriger Renten aus der Rentenversicherung zu finanzieren, wäre ein Systemfehler, der die Akzeptanz der solidarischen Rentenversicherung mindern würde. Mittel der Wahl wären entweder die Finanzierung aus Steuermitteln unter der Voraussetzung eines gerechten Steuersystems oder eine Ausweitung der Rentenversicherungspflicht auf alle Einkommensbezieher, oder beides kombiniert.

Eine andere Linie als sein Parteifreund Blüm vertritt der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, Josef Schlarmann. Im „rbb-Inforadio“ wiegelte er ab: Nur etwa 2% der Rentner seien auf Grundsicherung angewiesen – die Debatte sei übertrieben. Die klare Trennung zwischen Rentenversicherung und Sozialhilfe müsse beibehalten werden. Die Grundsicherung gewährleiste, dass niemand in Not gerät. Ähnlich argumentiert laut „FAZ“ der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder: Eine Vermischung von Versicherungs- und Fürsorgeprinzip sei kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der zu erwartenden Altersarmut. Zur Bewältigung dieses Problems bedürfe es einer „systematischen Grundlösung“.

In der CDU ebenso wie in den anderen Parteien mit Ausnahme der LINKEN – bei dieser ist eine Strategie zur Vermeidung der Altersarmut Beschlusslage – ist also der Streit zwischen zwei Denkrichtungen voll ausgebrochen. Auf der einen Seite stehen die Bewahrer des Status quo, welche durch die Beibehaltung der jetzigen Grundsicherung eine weitverbreitete Altersarmut hinnehmen wollen. Die andere Seite betont bei jeder Gelegenheit, dass jeder, der lange erwerbstätig war, mehr Rente erhalten soll als die bloße Sozialhilfe. Vor der Bundestagswahl 2013 wird ein Wettlauf der Parteien um das bessere Rentenkonzept einsetzen. Einen illustrativen Überblick bringt der „Tagesspiegel“.

Ein sozial überzeugendes Konzept könnte eine Grundrente enthalten, die anteilig – nämlich soweit sie höher ist als der Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung – aus Steuern finanziert würde. Dies wäre ein erster Schritt zu einem Rentner-Grundeinkommen.

Das Konzept einer Bürgerrente (Vorschlag von Wolfgang Strengmann-Kuhn) geht über den Vorstoß der Arbeitsministerin weit hinaus. Es folgt insbesondere den Erfahrungen in Schweden und in der Schweiz (aber auch die Regelungen in Norwegen sind beachtenswert). Strengmann-Kuhn will eine Bürgerrente, „die alle Bürgerinnen und Bürger eigenständig absichert, ein Mindestniveau für alle garantiert und bei der sich Beitragszahlungen auch für alle lohnen. Drei Reformvorhaben sind erforderlich, um aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Bürgerrente zu machen:

  1. eine Universalisierung der Rentenversicherung (Bürgerversicherung),
  2. eine Individualisierung der Leistungen (eigenständige Sicherung) und
  3. die Einführung eines Mindestniveaus in der Rente (Garantierente).“

So weit sind in den etablierten Parteien allerdings bisher wenige. Die Anhänger des Grundsicherungssystems nehmen schon gar nicht in den Blick, dass die Begleiterscheinungen humaner werden müssen. Die Bedürftigkeitsprüfung gehört abgeschafft und mit ihr die Ausrichtung an den Erfordernissen der Bedarfsgemeinschaft statt eines individuellen Anspruchs. Kein Rentner darf in Armut fallen.


Ein Kommentar

christoph schlee schrieb am 08.09.2012, 22:36 Uhr

Der Beitrag ist wichtig, aber schon nicht mehr ganz aktuell. Das Interessante an von der Leyens Vorstoß ist, dass sie nun die SPD herausfordert, ihrerseits aktiv zu werden. Sie versucht einerseits, die langjährigen Beitragszahler zu belohnen, verbessert aber auch die Situation für Menschen, die länger arbeitslos waren oder für Hausfrauen.

Mindestens ebenso interessant die ARD-Umfrage zum Deutschlandtrend vom September, siehe http://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend1568.html. Immerhin ein Drittel der Befragten gibt an, Angst vor Altersarmut zu haben, und vierzig Prozent befürworten eine Mindestrente.

Sicher sind das nun geplante SPD-Konzept und Strengmann-Kuhns wirklich wegeweisenden Lösung noch ein gutes Stück voneinander entfernt. Die SPD stückelt noch am System herum, während Strengmann-Kuhn eine echte Reform will - man kann nicht immer nur ins System zuschießen, ohne dann auch Abzüge zu machen: Mit einer individuellen Mindestrente Seniorinnen zu stärken und die Witwenrente abzuschaffen, würde (noch) einem gesellschaftlichen Erdbeben gleichkommen.

Aber die Uhr tickt unaufhaltsam. Die Durchschnittsrente lag nach einer Studie der Uni Freiburg 2009 bei 987 Euro, auch wenn Betriebsrenten häufig noch hinzukommen. Da wäre zur SPD-Mindestrente gerade mal noch ein Abstand von 137 Euro - die aber nur für 30 bzw. 40 Beitragsjahre gilt. Aber schon dass der Begriff von der Mindestrente nun populär wird, ist ein Erfolg, der nicht gering zu schätzen ist. Eine echte (!) Mindestrente werden wir hoffentlich noch in diesem Jahrzehnt erleben, wenn die sozialdemokratischen Bedingungen nach und nach abgeschmolzen werden, wovon zuallererst Rentnerinnen profitieren würden, die keine hohe Witwenrente haben.

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