Blauer Brief an den Grünen Parteivorstand
In einem Offenen Brief an den Bundesvorstand fordern die Grünen Grundeinkommensbefürworter eine Berücksichtigung von GE-Elementen im Leitantrag zur BDK ein.
Betrifft: Aufbruch zu neuer Gerechtigkeit! – Verhältnis zum Modell des grünen Grundeinkommens
Liebe Claudia, lieber Reinhard,
liebe Steffi, Astrid, Dietmar und Malte,
wir, von denen bekannt ist, dass wir für ein grünes Grundeinkommen
streiten, haben Euren Antrag zur BDK mit großem Interesse gelesen.
Er setzt fort, was die Arbeit in der Kommission „Zukunft der
Sozialen Sicherung“, aber auch die Diskussion in der Partei seit
einem Jahr zeigt: ein konstruktives Umgehen mit den Argumenten der
Gegenseite. Dafür möchten wir insbesondere Dir, Reinhard, als
Vorsitzendem der Kommission, Anerkennung und Dank sagen.
Wegen dieser erkennbaren Bewegung haben wir nach reichlicher
Abwägung darauf verzichtet, aus der Perspektive der AG
Grundeinkommen der Kommission eine eigene Globalalternative
einzubringen, zumal mit dem Antrag aus Baden-Württemberg ein
Alternativantrag vorhanden, der weitgehend unserer Position
entspricht und den wir teilweise mit formuliert haben. Wir sehen
Euren Versuch, eine Brücke über die Positionen hinweg zu
formulieren, allerdings endet aus unserer Sicht die von Euch
begonnene Brücke im Moment noch in der Mitte des Flusses. Bei
genauerem Hinsehen gibt es durchaus große Übereinstimmungen
zwischen unseren Positionen.
So zeigt auch Ihr in Eurem Antrag, dass es offensichtlich sinnvoll
und möglich ist, einzelne Ziele und Elemente der Grundeinkommens-
Debatte in das Konzept der bedarfsorientierten Grundsicherung
aufzunehmen. Wir begrüßen auch, dass Ihr mittlerweile deutlicher
sagt, dass Sanktionen nicht zu Kürzungen unter den Grundbedarf
führen dürfen. Umgekehrt wird ja auch von uns ein Modell
vertreten, das auf bedarfsorientierte Zusatzleistungen nicht
verzichtet und haben immer auch für Reformen und Verbesserungen
der Grundsicherung geworben, wie Ihr sie vertretet, die aber aus
unserer Sicht durch mehr Grundeinkommenselemente ergänzt werden
müssen, um die Zahl derjenigen, die auf eine bedarfsorientierte
Grundsicherung angewiesen sind, zu minimieren. Volle
Übereinstimmung haben wir bei der Bedeutung öffentlicher Güter,
insbesondere für Bildung, und bei der Bedeutung einer aktiven
Arbeitsmarktpolitik.
Für eine tragfähige Einigung sind aber einige grundlegende
Änderungen notwendig. Wir finden einige unserer Positionen in dem
Antrag korrekt wiedergegeben – allerdings nicht immer und oft
nicht in der Deutlichkeit, die wir uns wünschen würden. Andere
fehlen. Die Kritik am Grundeinkommen ist teilweise unsachlich,
insbesondere was die Grüne Positionen angeht, und Unterschiede
werden dramaturgisch überzogen. So wisst Ihr aus den unabhängigen
Gutachten, die Bundestagsfraktion in Auftrag gegeben hat, dass im
Gegensatz zu Eurem Modell das Grüne (!) Grundeinkommen mit unserem
Vorschlag einer Reform der Einkommensteuer voll finanzierbar ist,
und damit bei unserem Modell mehr Geld für Infrastruktur zur
Verfügung steht als bei Eurem Ausbau der Grundsicherung. Trotzdem
argumentiert Ihr so, als wäre dies umgekehrt.
Wir vermissen insbesondere:
- eine deutliche Positionierung für eine Umstellung auf eine negative Einkommenssteuer,
- eine Aussage darüber, dass und wie Grundsicherungs-/ Grundeinkommenselemente in die bestehenden sozialen Sicherungssysteme integriert werden sollen,
- klare Aussagen und Positionierungen zu den Zuverdienstmöglichkeiten, gerade angesichts der begrüßenswerten Anhebung der Transfersätze (Lohnabstand). Bei einer Transferentzugsrate von über 80% Beschäftigung sehen wir keinen fließenden Übergang in den Arbeitsmarkt.
- die Einsicht, dass Einkommen eine Dimension von Teilhabebefähigung ist und dass die Trennung von Existenzsicherung auf der einen und Teilhabe (durch Erwerbstätigkeit usw.) auf der anderen Seite überwunden wird,
- den Aspekt, dass die Steuer- und Transferpolitik auch einen besseren Beitrag zu mehr Verteilungsgerechtigkeit leisten soll,
- die Feststellung, dass die Individualisierung bei den Sozialleistungen (Bedarfsgemeinschaften) und im Steuerrecht (Ehegattensplitting) nicht nur langfristiges angestrebt wird,
- eine differenzierte Betrachtung dessen, was als „Erwerbsarbeitsgesellschaft“ verstanden wird und in diesem Zusammenhang einen Lösungsvorschlag für die Absicherung unsteter Berufsbiographien,
- die Hervorhebung, dass Bildung und Bildungsmöglichkeiten – nicht undifferenziert „Arbeit“ – „Schlüssel zur Teilhabe“ sind und
in diesem Zusammenhang eine positivere Erörterung des Bildungsgrundeinkommens, - Eine klare Beschreibung, wie der Öko-Bonus (Energiegeld) funktionieren soll, etwa wie es der Kommissionsbericht
„Klimaschutz“ formuliert, - ein Kindergrundeinkommen, das nicht auf den Bedarf der Eltern angerechnet wird
- eine Präzisierung der Brücken-Existenzsicherung,
- eine deutlichere Absage an die Koppelung von Beratungs- und Hilfsangeboten mit der Erwerbsintegration.
Aus unserer Sicht sollten die oben genannten Punkte im Sinne einer
sachlichen Klarstellung berücksichtigt werden.
Wir haben noch drei Wochen bis zur BDK. Wir hoffen, dass es
konstruktive Wochen werden.
Thomas Poreski, Wolfgang Strengmann-Kuhn, Robert Habeck, Bärbl
Mielich, Manuel Emmler, Stefan Ziller, Dirk Jacobi, Frank Peters,
Till Westermayer
Ein Kommentar
\"die Hervorhebung, dass Bildung und Bildungsmöglichkeiten – nicht undifferenziert „Arbeit“ – „Schlüssel zur Teilhabe“ sind und in diesem Zusammenhang eine positivere Erörterung des Bildungsgrundeinkommens,\"
In den verbesserten (freiwilligen) Bildungsmöglichkeiten für alle liegt auch der Schlüssel zu der wirklich sinnvollen Reform der Gesellschaft.