Kann ein bedingungsloses Grundeinkommen die imperiale Lebensweise überwinden?

    Jonas Korn 08.06.2020 Druckversion

    Das Thema Grundeinkommen ist derzeit medial wieder sehr präsent. Im Zuge der COVID-19-Krise erscheint das bedingungslose Grundeinkommen vielen als wirkungsvolle Krisenmaßnahme, die sie in den Diskurs einbringen. Dies schlägt sich auch im Erfolg laufender Petitionen nieder (Blaschke 2020).

    Die Coronakrise verstehen viele als möglichen gesamtgesellschaftlichen Wendepunkt. Für Ulrike Herrmann läutet die Krise das Ende der neoliberalen Ideologie ein (Herrmann 2020). Laut Hartmut Rosa kann das Anhalten der „gewaltige[n] Maschine“, das mit der Krise verbunden ist, neue Resonanzbeziehungen entstehen lassen und zu etwas kollektiv Neuem führen (Rosa 2020). Slavoj Žižek geht davon aus, dass wir „unsere gesamte Einstellung gegenüber dem Leben anpassen“ (Žižek 2020) werden. Auch Ulrich Brand und Heinz Högelsberger sehen in der Coronakrise eine Erweiterung des Denkbaren, z. B. auch für eine ambitioniertere Klimapolitik: „Drastische Maßnahmen sind möglich, wenn der Großteil der Menschheit ihre Notwendigkeit versteht. Mit der Erfahrung der Coronakrise könnte dem Klimaschutz die Ernsthaftigkeit entgegengebracht werden, die er benötigte“ (Brand & Högelsberger 2020).

    Die Coronakrise hat starke Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und Diskurse. Gleichzeitig ist sie nur ein Teil einer umfassenden und multiplen gesellschaftlichen Krisenformation. Der vorherrschende Diskurs betrachtet die Krisenerscheinungen der Klimakatastrophe einerseits und die Pandemie andererseits getrennt voneinander. Verbindungen zu globalen Lebensweisen werden nur am Rande diskutiert. Im Diskurs zur „imperialen Lebensweise“ wird deutlich, dass die Produktion für die globalen Ober- und Mittelklassen (Brand & Wissen 2017) „auf Kosten anderer“ (I.L.A. Kollektiv 2017) stattfindet. Die imperiale Lebensweise erfordert Exklusivität. Gleichzeitig breitet sie sich aus und intensiviert sich. Sie ist tief eingeschrieben in Alltagspraktiken, Infrastrukturen, Institutionen sowie Machtverhältnisse. Eine lediglich symptomhafte Bearbeitung bereits auftretender Krisenerscheinungen führt letztlich zu ihrem Fortbestehen.

    Der Gegenentwurf zur imperialen Lebensweise ist die „solidarische Lebensweise“, in deren Zentrum ein „Gutes Leben für alle“ (I.L.A. Kollektiv 2019) steht. Bestehende gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten, Menschenbilder und Politiken müssen dafür geändert werden. Im Rahmen einer Masterarbeit (Korn 2019) habe ich mich mit den Möglichkeiten und Problemen verschiedener Grundeinkommenspolitiken auseinandergesetzt, die sich vor dem Hintergrund des Diskurses zur „imperiale[n] Lebensweise“ ergeben.

    In der Arbeit stelle ich dar, dass der Grundeinkommensdiskurs sehr divers ist und unter dem Schlagwort „Grundeinkommen“ ganz unterschiedliche Modelle gefasst werden. Die Bandbreite reicht von als eher neoliberal zu klassifizierenden Modellen über solidarisch-emanzipative Modelle bis hin zu ökologischen Ansätzen, die vermutlich sehr unterschiedliche gesellschaftliche Auswirkungen haben.

    In meiner Arbeit betrachte ich diese verschiedenen Stoßrichtungen des Grundeinkommens vor dem Hintergrund der verschiedenen Dimensionen, für die die oben genannte solidarische Lebensweise steht. Den folgenden kritischen Diskursen schenke ich dabei besonderes Augenmerk: Degrowth/Postwachstum, Entwicklungskritik, Feminismus, Kapitalismuskritik, Zeitwohlstand, Arbeitskritik, Commons/Gemeingüter und Normalitätskritik.

    In meiner Arbeit komme ich zu dem Schluss, dass ein solidarisch-emanzipatives Grundeinkommen die Überwindung der imperialen Lebensweise befördern kann. Dafür muss es jedoch in andere emanzipative Transformationspolitiken eingebettet werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte wesentliche Veränderungen der Herrschaftsstrukturen begünstigen, einen Kulturwandel ermöglichen und die Gesellschaft insgesamt, aber auch speziell die Arbeit, demokratisieren. Dabei ist es entscheidend, dass bei den Kämpfen für ein Grundeinkommen und für die solidarische Lebensweise im Voraus bedacht wird, welche gesellschaftlichen und dabei insbesondere staatlich-politischen Kräfteverhältnisse vorherrschen.

    In der aktuellen Krisenbearbeitung werden womöglich radikalere staatliche Politiken denk- und umsetzbar. Dieses Gelegenheitsfenster sollten die Akteur*innen der sozial-ökologischen Transformationsbewegungen und Grundeinkommensbewegung nutzen, bevor es wieder geschlossen wird.

    Die Originalarbeit mit dem Titel Bedingungsloses Grundeinkommen: Ein politisches Instrument zur Überwindung oder Aufrechterhaltung imperialer Lebensweisen? findet man unter
    https://pub-data.leuphana.de/frontdoor/index/index/docId/913

     


    Grafik: Sarah Heuzeroth (www.sarah-heuzeroth.de) in I.L.A. Kollektiv (2017).

    Zum Autor: Jonas Korn (jonas.korn[at]stud.leuphana.de) hat Biowissenschaften in Münster und Nachhaltigkeitswissenschaft in Lüneburg studiert. Derzeit ist er in der ILA-Wandelwerkstatt aktiv.

    Literatur:

    Blaschke, Ronald (2020): Viele Petitionen zum Krisen-Grundeinkommen in Deutschland: Wie weitgehend sind sie? In: Netzwerk Grundeinkommen, 07.04.2020, [https://www.grundeinkommen.de/07/04/2020/viele-petitionen-zum-krisen-grundeinkommen-in-deutschland-wie-weitgehend-sind-sie.html].

    Brand, Ulrich; Högelsberger, Heinz (2020): Klimapolitik nach Corona. In: Der Standard, 21.03.2020, [https://www.derstandard.de/story/2000115991988/klimapolitik-nach-corona].

    Brand, Ulrich; Wissen, Markus (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München.

    Herrmann, Ulrike (2020): : Ende einer Theorie. Corona-Dämmerung für Neoliberalismus. In: Taz, 21.03.2020, [https://taz.de/Corona-Daemmerung-fuer-Neoliberalismus/!5669238].

    I.L.A. Kollektiv (2017): Auf Kosten anderer? Wie die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert. Imperiale Lebensweise und Ausbeutungsstrukturen im 21. Jahrhundert, München, [https://aufkostenanderer.files.wordpress.com/2018/11/auf-kosten-anderer-zweite-auflage.pdf].

    I.L.A. Kollektiv (2019): Das gute Leben für alle. Wege in die solidarische Lebensweise. Imperiale Lebensweise und Ausbeutungsstrukturen im 21. Jahrhundert, München, [https://dasgutelebenfüralle.de].

    Korn, Jonas (2019): Bedingungsloses Grundeinkommen. Ein politisches Instrument zur Überwindung oder Aufrechterhaltung imperialer Lebensweisen? Masterarbeit in Nachhaltigkeitswissenschaft, Universität Lüneburg, [http://opus.uni-lueneburg.de/opus/volltexte/2019/14551].

    Rosa, Hartmut (2020): (25.03.2020): „Wir sind in einem Versuchslabor“. In: Taz, 25.03.2020, [https://taz.de/Soziologe-Hartmut-Rosa-ueber-Corona/!5673868].

    Žižek, Slavoj (2020): Der Mensch wird nicht mehr derselbe gewesen sein: Das ist die Lektion, die das Coronavirus für uns bereithält. In: Neue Zürcher Zeitung, 13.03.2020, [https://www.nzz.ch/feuilleton/coronavirus-der-mensch-wird-nie-mehr-derselbe-gewesen-sein-ld.1546253].

    3 Kommentare

    Arthur Heidt schrieb am 12.06.2020, 15:51 Uhr

    nein, das bedingungslose grundeinkommen schafft nur ein bestehendes imperium ab erzeugt massives chaos und ersetzt es duch ein anderes

    Carl-Wolfgang Seip schrieb am 17.06.2020, 14:54 Uhr

    Das sieht für mich wie ein Vorurteil aus und ist schlichtweg eine nicht beweisbare Behauptung! Es werden ganz im Gegenteil, zumindest bei Gradido Kriege, Hungersnöte, Lobbyismus, Megakonzerne und Megareichtum systembedingt verschwinden, dafür aber der grösste Umwelttopf der Geschichte initiiert! Glaubst du nicht? dann schau mal hier: https://gradido.net/de/ oder noch besser hier: https://docs.google.com/document/d/1jZp-DiiMPI9ZPNXmjsvOQ1BtnfDFfx8BX7CDmA8KKjY/edit#

    Hans-Jürgen Gratz schrieb am 07.07.2020, 12:48 Uhr

    Die derzeitigen wirtschaftlichen Herrschaftsverhältnisse weltweit zeigen eine stetig wachsende ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung. Als eines der bestentwickelten und sich demokratisch nennenden Länder müssen wir Vorreiter sein, diese Entwicklung zu ändern. Von allen seriösen Fachleuten unbestritten wird die nämlich über kurz oder lang weltweit zur wirschaftlichen und sozialen Katastrophe führen. Die Coronakrise liefert dafür bereits Anzeichen. Ein BGE als Beginn und Kern eines Sozialpakets ist zumindest ein vernünftiger Versuch, zu retten was noch zu retten ist. Doch herrscht leider mehrheitlich noch immer die zum Überleben seit der Steinzeit notwendige Maxime: Nimm Dir, was Du kriegen kannst. Solange wir unsere Repräsentanten danach wählen, dass sie daran nur nichts ändern, wird es ein BGE schwerhaben.

    Ich empfehle dazu den durchfinanzierten Entwurf von Robert Carls.

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