Grundeinkommen – eine Gesellschaft ohne Mitwirkungspflichten

Archiv 08.07.2009 Druckversion

Das bedingungslose Grundeinkommen soll die Freiheitsspielräume der Individuen erweitern. Eine größere Vielfalt von Lebensentwürfen wird möglich. Es gibt nicht mehr die Nötigung, sich stromlinienförmig nach dem Erwerb auszurichten. Der Druck, sich mit großem Eifer, wenngleich innerlich zähneknirschend, um unattraktive Jobs zu bemühen, fällt weg.

Viele, die von der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens begeistert sind, erwarten, dass die Menschen die hinzugewonnene Freiheit sinnvoll nutzen werden, sowohl in der Erwerbsarbeit, als auch jenseits der Erwerbsarbeit in vielen gesellschaftlich nützlichen Tätigkeitsfeldern. Die Menschen sind nicht mehr gelähmt vor Existenzangst, sondern fühlen sich aktiviert.

Ein Problem entsteht jedoch, wenn das bedingungslose Grundeinkommen nur in dem Maße als gerecht empfunden wird, in dem diese Erwartungen auch eintreffen. Denn die Wirklichkeit wird auch mit Grundeinkommen nicht perfekt sein. Die Menschen werden von ihrer Freiheit immer auch auf eine Weise Gebrauch machen, die von anderen nicht als wünschenswert und akzeptabel angesehen wird.

Sie werden Dinge tun, die andere für sinnlos halten, sie werden sich weigern, auf eine Weise tätig zu werden, die von anderen als sinnvoll anerkannt wird. Dies könnte den Anlass geben, neue Pflichten zu etablieren, die in der Konsequenz die durch das bedingungslose Grundeinkommen gestärkte individuelle Freiheit wieder einschränken würden. Moralischer Druck kann sich in politischen Druck wandeln, das Grundeinkommen für Untätige zu kürzen.

Dies wäre die Restaurierung eben jenes Arbeitszwanges, der durch das Grundeinkommen gerade abgeschafft werden soll. Deshalb ist es wichtig, gegen einen Gesellschaftsperfektionismus von allenthalben sinnvoll tätigen Menschen einen ausdrücklichen Antiperfektionismus zu stellen. Es gilt, ausreichend tolerant zu sein, um auch Lebensentwürfe zu ertragen, die den eigenen Vorstellungen eines sinnvoll verbrachten Lebens zuwiderlaufen. Die folgenden Argumente sind ein Plädoyer für eine Grundeinkommensgesellschaft, die vielleicht weniger perfekt ist als von vielen gewünscht.

1. Die zunehmende Überflüssigkeit ist keine Not, sondern eine Erleichterung

Not und Existenzangst nehmen zu – und das in einer Ökonomie, die in den letzten Jahrzehnten immer mehr Reichtum geschaffen hat. Immer mehr mühevolle, zeitraubende und unproduktive Arbeit kann durch Produktivitätsfortschritt reduziert, ja abgeschafft werden.

Solange jedoch das Einkommen an eine bezahlte Arbeitsleistung gekoppelt wird, entsteht eine paradoxe Situation: Je überflüssiger die Arbeitskräfte werden, desto intensiver müssen sie sich um den Verkauf ihrer immer überflüssigeren und deshalb immer unverkäuflicheren Arbeitskraft bemühen, und das in immer härterer Konkurrenz zu immer mehr anderen „Überflüssigen“ auf dem Arbeitsmarkt.

Mit einem von der individuellen Arbeitsleistung entkoppelten Grundeinkommen kann die zunehmende Überflüssigkeit der Arbeit von einer Not in einen Segen umgewandelt werden.

2. Plädoyer für Antiperfektionismus

Mit Grundeinkommen können die Leute in höherem Maße selber entscheiden, wie sie ihr Leben verbringen wollen. Es muss nicht jede Lebensregung darauf gerichtet sein, Erwerbsarbeit zu leisten oder es den anderen immer recht zu machen. Eine neue Vielfalt an Tätigkeiten und Lebensentwürfen wird möglich.

Einerseits ist eine Dynamisierung in selbstbestimmten Tätigkeiten zu erwarten. Wenn die Leute nicht mehr in perspektivlosen Jobs und in ebenso perspektivlosen Fördermaßnahmen fixiert sind, werden viele das tun, was sie schon immer tun wollten, werden die Projekte in Angriff nehmen, die sie bislang immer vor sich her schoben, werden die Ausbildung beginnen können, an der sie vorher gehindert wurden.

Das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht in höherem Maße freie Kooperation, in der Erwerbsarbeit ebenso wie jenseits der Erwerbsarbeit. Anders als gängige Vorbehalte gegen das Grundeinkommen unterstellen, ermöglicht das Grundeinkommen auch langfristige Kooperationen, langfristige vertragliche Bindungen und langfristige Selbstverpflichtungen.

Es entscheidet nicht mehr eine Sozialbürokratie, welche Tätigkeiten für wen zumutbar sind. Mit Grundeinkommen können die Menschen selber entscheiden, welche Tätigkeiten sie sich zumuten wollen und für welche sie sich zu schade sind. Es wird insofern auch eine zur Dynamisierung gegenläufige Entwicklung geben: viele Menschen werden – hoffentlich – nicht mehr so diensteifrig sein. Sie werden sich nicht mehr in der unwürdigen Situation befinden, um Arbeit geradezu betteln zu müssen.

Zur Grundeinkommensgesellschaft gehört es wesentlich dazu, dass Leute ihre Mitarbeit verweigern und trotzdem ein glückliches Lebens führen können. Diese allen offen stehende Ausstiegsoption ist ein Recht für jede und jeden. Es ist klar, dass eine Gesellschaft nicht lebensfähig wäre, wenn alle von diesem Recht gleichzeitig Gebrauch machen würden. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Freiheit der Berufswahl. Auch wenn jeder das Recht hat, Bäcker zu werden, wäre die Gesellschaft nicht lebensfähig, wenn alle Bäcker würden.

Die wesentliche Frage lautet: ist es akzeptabel, wenn einige Menschen sich der Mitarbeit komplett verweigern und es ihnen dennoch gut geht? Oder muss dieses Verhalten, das vielen inakzeptabel erscheint, mit der Etablierung von neuen, zu einer Grundeinkommensgesellschaft passenden Pflichten bekämpft werden?

Viele GrundeinkommensbefürworterInnen betonen den aktivierenden Charakter des Grundeinkommens und erhoffen sich vom Grundeinkommen den Aufbau einer Gesellschaft ausschließlich aktiver und sinnvoll tätiger Menschen. Diese unrealistische Erwartung muss von dem realistisch erwartbaren Verhalten der Menschen enttäuscht werden. Für das bedingungslose Grundeinkommen zu sein heißt, eine breite Vielfalt unterschiedlicher Lebensläufe zu bejahen und dabei auch Lebensläufe akzeptieren zu können, die den eigenen Vorstellungen eines moralisch einwandfreien Lebens nicht entsprechen. Dem Hang zum Gesellschafts-Perfektionismus vieler Grundeinkommensbefürworter soll hier ein Plädoyer für einen ausdrücklichen Antiperfektionismus gegenüber gestellt werden.

3. Warum das Unverdiente unerträglich ist – Lohnextremismus

Dieser Antiperfektionismus widerspricht der vorherrschenden Gerechtigkeitsvorstellung, nach der sich alle irgendwie nützlich machen müssen, zumindest sich darum bemühen müssen. Nur ein selbst verdientes Einkommen sei ein in Würde erzieltes Einkommen. Die Demütigung, unproduktive oder überflüssige Arbeit machen zu müssen, wird hier perfider Weise mit der Wiederherstellung der Würde der Beschäftigten gerechtfertigt.

Die Zustimmung zu diesem Beschäftigungsdogma resultiert jedoch weniger aus dem Motiv, den Beschäftigten Gutes zu tun, als vielmehr aus dem Ressentiment, welches nicht akzeptieren kann, wenn andere ihr Einkommen unverdient erhalten. Keine Leistung ohne Gegenleistung. Das Opfer, das ich selber erbracht habe, erwarte ich dann auch von den anderen. Es ist schwer zu ertragen, dass ich selber Opfer erbracht und Entbehrungen erlitten habe, während andere es sich gut gehen lassen.

Hier liegt eine tiefere Ursache dafür, dass es vielen schwer fällt, die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens zu akzeptieren. Viele sind sogar stolz darauf, dass sie sich auch für unangenehme Arbeit nicht zu schade waren. Besonders tragisch ist, dass gerade auch die schlechter Gestellten, die Erwerbslosen ebenso wie die Geringverdienenden, diese Moral verinnerlicht haben, eine Moral, mit der ihre zunehmende Prekarisierung gerechtfertigt wird. Nur ein verdienter Lohn wird als gerechtes Einkommen empfunden – insofern herrscht Lohnextremismus.

4. Bedingungsloses Grundeinkommen als reale Ausstiegsoption – glückliche Arbeitslose sind eine „Impfung“ der Gesellschaft gegen Unterwürfigkeit

Das Prinzip Erpressung regiert heute die Arbeitsgesellschaft. Wer nicht mitmacht, ist von harter Armut bedroht. Die Erwerbslosen haben die Funktion des abschreckenden Beispiels. Weil sie unglücklich und verzweifelt sind, bemühen sich alle um Erwerbsarbeit, machen Kompromisse und reduzieren ihre Ansprüche, sind immer mehr dazu bereit, im allgemeinen Unterbietungswettbewerb billiger und williger zu sein als die anderen.

Das bedingungslose Grundeinkommen schüfe eine Ausweichmöglichkeit, bedeutete die Möglichkeit, Nein zu sagen zum Job oder zur behördlichen Eingliederungsmaßnahme. Diese Ausweichmöglichkeit muss eine reale sein, und es muss von ihr real Gebrauch gemacht werden können. Es ist notwendig, dass es tatsächlich Leute gibt, die nur vom Grundeinkommen leben und dabei ein glückliches Leben führen. Der Unterschied ist klar zu erkennen: statt der Drohkulisse der unglücklichen Arbeitslosen gibt es die glücklichen Arbeitslosen als leibhaftigen Beweis dafür, dass die Erpressbarkeit abgeschafft ist.

Die Beschäftigten merken, dass sie wieder Ansprüche stellen können, dass sie sich nicht mehr alles bieten lassen müssen, dass sie sich nicht mehr gegenseitig herunterkonkurrieren müssen. Insofern sind die glücklichen Arbeitslosen wichtige Verbündete der Beschäftigten. Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Art Impfung der Gesellschaft gegen Unterwürfigkeit. Dass es den Aussteigern gut geht, ist eine Voraussetzung dafür, dass die „Impfung“ erfolgreich ist.

Das Grundeinkommen schafft die Möglichkeit, die Mitwirkung an der Arbeit zu verweigern und damit das Angebot der eigenen Arbeitskraft zu verknappen. Die Lohnabhängigen sind nicht mehr so lohnabhängig wie vorher; sie müssen nicht mehr als Ressource Arbeitskraft bedingungslos zur Verfügung stehen. Heute gilt: Not lehrt dienen. Mit Grundeinkommen können die Beschäftigten auf gleicher Augenhöhe verhandeln.
Das Grundeinkommen stärkt die individuelle Freiheit auch in anderen Lebensbereichen. Insbesondere verbessert es die Möglichkeit für Frauen, aus ihrer traditionellen Rolle auszubrechen.

5. Einerseits „Wirkliche-Freiheit-für-alle“; andererseits „zur Freiheit verurteilt“

Mit Grundeinkommen müssen die Individuen nicht mehr all ihre Lebensregungen auf den Erwerb ausrichten. Sie erfahren einen Freiheitsgewinn. Bedingungsloses Grundeinkommen ist antipaternalistisch. Andere können sich zwar anmaßen, besser zu wissen als ich selbst, was für mich gut wäre, sie können mir dies aber nicht mehr aufzwingen.

Philippe Van Parijs spricht von „wirklicher Freiheit“ und meint damit das Ausmaß, in dem ein Individuum tun kann, was es will, bzw. was es wollen könnte. „Wirkliche Freiheit“ ist ein gradueller Freiheitsbegriff; ich kann mehr oder weniger „wirklich frei“ sein. Wenn ich beispielsweise vor der Alternative stehe, einen miesen Job zu machen oder zu hungern, ist meine „wirkliche Freiheit“ sehr gering.

Eine Gesellschaft ist umso gerechter, je besser es um die „wirkliche Freiheit für alle“ bestellt ist. Van Parijs plädiert dafür, die dominierende Idee der Leistungsgerechtigkeit zu ergänzen um eine solidaristische Gerechtigkeitskonzeption. Gerechtigkeit bedeutet dabei radikale Solidarität mit den Individuen und ihrer individuellen Freiheit. Kriterium der „solidaristischen Gerechtigkeit“ soll die „wirkliche Freiheit für alle“ sein.

Jean-Paul Sartres Freiheitsbegriff dagegen bezeichnet eine zentrale Eigenschaft des Bewusstseins. Als bewusstes Wesen bin ich „zur Freiheit verurteilt“. Wie wenig auch immer ich „wirklich frei“ bin, wie bedrückend auch immer meine Situation ist, wie hart auch immer die Zwänge sind, denen ich ausgesetzt bin – ich muss in jedem Fall meine Entscheidungen selber treffen und bin für meine Entscheidungen verantwortlich. Wer Entscheidungen aufschiebt, wer sich nicht entscheidet, hat sich dafür entschieden, andere für sich entscheiden zu lassen und ist dann genau dafür verantwortlich. Letztlich haben wir keine Ausrede. Freiheit in diesem Sinne erfahren wir als Angst.

Was ergibt sich, wenn wir diese beiden sehr unterschiedlichen Freiheitsbegriffe gleichzeitig betrachten? Der Zuwachs an „wirklicher Freiheit“ durch das bedingungslose Grundeinkommen macht es spürbarer, dass eben nicht alles höheren Orts vorherbestimmt ist, sondern dass der Verlauf meines Lebens auch von mir bestimmt wird. Diese Erkenntnis, dass ich meine „Wahl“ lebe, ist unbequem. Bequemer ist die Einstellung, dass mein Lebensweg vorab festgelegt ist, dass es für mich einen, und sei es auch eine ungeliebten Platz im Leben gibt, wo feststeht, was ich zu tun habe.

Bequemer als der Schrecken der Freiheit ist das Klagen über die Zwänge. In einer Gesellschaft mit Lohnzwang habe ich Grund zu klagen, aber wenn mir mein Leben nicht so gelingt, wie ich es vorhatte, habe ich immer die Ausrede, mir mein Leben verdienen zu müssen. In einer Gesellschaft mit Grundeinkommen entfällt diese Ausrede. Die Angst vor der Freiheit könnte eine Ursache für viele Vorbehalte gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen sein.

6. Recht auf Arbeit? Gebraucht zu werden lässt sich nicht erzwingen

Was bedeutet Sartres Freiheitsphilosophie für das Thema des Rechts auf Arbeit? Sartres Freiheitsbegriff beinhaltet, dass nicht nur ich zur Freiheit verurteilt bin, sondern auch die anderen. Ich bin nicht nur wahrnehmendes Subjekt, sondern auch wahrgenommenes Objekt. Die anderen sehen mich. Ich erlebe mich als von anderen Subjekten erblickt, von Subjekten, die ebenso „zur Freiheit verurteilt“ sind wie ich selber.

Anerkennung resultiert immer aus der Freiheit der anderen, ich kann es nicht als Recht einfordern. Das Gebraucht-Werden, z.B. als Arbeitskraft, lässt sich nicht erzwingen; die anderen sind frei darin, ob sie mich als Mitarbeiter brauchen können oder nicht. Wie stellt sich dieses Objekt-Sein aus der Sicht des „Erblickten“ dar? Ich agiere, und ich kann letztlich nicht wissen, wie ich bei den anderen „ankomme“. Schon gar nicht kann ich erzwingen, auf eine bestimmte Art und Weise anzukommen.

In Gegenwart des Anderen bin ich „fremder Freiheit ausgesetzt“. Nun sind die Spielräume, wie ich (im Sinne von Sartre) Objekt für andere sein kann oder sein muss, auch gesellschaftlich bedingt. In der Lohngesellschaft heute bin ich als Objekt für andere die Ressource Arbeitskraft, die nützlich und verwertbar zu sein hat, die Reklame für sich machen muss, um sich als Ware erfolgreich verkaufen zu können.

Aufgrund der Nötigung, ein Erwerbseinkommen erzielen zu müssen, sind die Leute verständlicherweise darauf erpicht, als Arbeitskraft gebraucht und verwertet zu werden, um mittels Lohn überleben zu können. Wenn man zum Zwecke der Existenzsicherung Erwerbsarbeit verrichten muss, dann ist es konsequent, ein „Recht auf Arbeit“ zu fordern.

In der Ermöglichungsgesellschaft andererseits würde mittels eines existenzsichernden Grundeinkommens der Lohnzwang abgeschafft, zumindest reduziert und abgemildert. Damit veränderte sich auch der Charakter meines Objekt-Seins. Insbesondere die Unsicherheit wird eine andere. Sie ist nicht mehr die Existenzunsicherheit, die konkrete materielle Bedrohung, die Gefahr einer mit niedrigem Einkommen verbundenen deutlich kürzeren Lebenserwartung. Die Armut und auch die Drohung mit Armut würden durch das Grundeinkommen beseitigt.

Auf der verlässlichen Basis des Grundeinkommens kann ich mich selbst entfalten. Ob und wie die anderen mich anerkennen werden, bleibt hingegen unsicher, ich bewege mich auf dem Glatteis. Ich werbe um Aufmerksamkeit und um Zustimmung – ob und wie viel Aufmerksamkeit und Zustimmung ich erhalte, liegt in der Freiheit der anderen.

An die Stelle von erzwungener Kooperation in der Lohngesellschaft tritt die freie Kooperation in der Ermöglichungsgesellschaft. Freie Kooperation bedeutet zum einen, dass ich nicht kooperieren muss, heißt aber andererseits auch die Freiheit der Mitmenschen, mit mir nicht kooperieren zu müssen, ihre Freiheit, mich in ihre Tätigkeitszusammenhänge nicht zu integrieren. In der Lohngesellschaft bin ich existenziell darauf angewiesen, einen Arbeitslohn zu verdienen. Deshalb ist es legitim, ein Recht auf Arbeit einzufordern. In der Ermöglichungsgesellschaft entfällt dieser Anspruch.

Dass es Leute gibt, die Schwierigkeiten damit haben, sich sinnvoll zu beschäftigen, die darunter leiden, in keine gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeiten eingebunden zu sein, wird nicht bestritten. Sicher ist es gut, wenn Freiwilligen-Agenturen sinnvolle Mitwirkungsgelegenheiten anbieten – immer unter der Voraussetzung, dass es sich dabei nicht um Workfare handelt, dass also diejenigen, denen die Angebote gemacht werden, nicht mit Sanktionen, nicht mit der Kürzung des Grundeinkommens bedroht werden. Diese Angebote sind etwas grundlegend anderes als das „Beschäftigen“, um den mit Arbeit „Versorgten“ zu ermöglichen, sich ihr Einkommen selbst verdienen müssen zu können.

7. Die gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten und der neue Arbeits-„Markt“

In einer Grundeinkommensgesellschaft ohne Mitwirkungspflichten muss genug gearbeitet werden, und zwar sowohl im Erwerbssektor (um die Finanzierung des Grundeinkommens zu gewährleisten) als auch in den gesellschaftlich notwendigen Tätigkeitsbereichen jenseits der Erwerbsarbeit. Das Grundeinkommen verändert die ökonomische Anreizstruktur. Bei ansprechenden und reizvollen Tätigkeiten wird es zu einer Dynamisierung führen. Wenn sie nicht mehr in Jobs oder in Arbeitsfördermaßnahmen gefesselt sind, die ihnen alle Perspektiven versperren, werden die Leute endlich das tun können, was sie schon immer tun wollten, und sie werden dies auch tun.

Anders verhält es sich bei den Tätigkeiten, die aus Sicht der Tätigen eher belastend, mühevoll, demütigend, deklassierend oder anderweitig unangenehm sind. Hier wird es zu einer Verringerung der Arbeitsbereitschaft kommen; die Arbeitskräfte sind nicht mehr so nötig auf den Arbeitslohn angewiesen und können das Angebot ihrer Arbeitskraft verknappen. Die gestärkte Verhandlungsmacht der Beschäftigten wird dazu führen, dass unangenehme Arbeit besser bezahlt werden muss. Insofern wirkt das Grundeinkommen als Anreiz zur Abschaffung unangenehmer Arbeiten.

Das ist dann unproblematisch, wenn die unangenehme Arbeit ohne Schaden reduziert oder ersatzlos wegfallen kann, wenn beispielsweise nicht mehr jede Woche sondern nur noch einmal im Monat geputzt wird. Ein Problem liegt dann vor, wenn der Rückgang der Arbeitsbereitschaft jene Aufgaben betrifft, deren Erfüllung dringend notwendig ist. Wie lässt sich sicherstellen, dass auch in einer Gesellschaft mit Grundeinkommen die Sorge-Tätigkeiten, etwa im Bereich der Krankenpflege oder der Altenpflege, in ausreichendem Maße getan werden? Zwei Entwicklungen sind denkbar.

Eine eher autoritäre Grundeinkommensgesellschaft wird moralischen Druck aufbauen und die Leute in soziale Tätigkeiten treiben, die mit einem wirklich freiwilligen sozialen Engagement nicht gleichzusetzen sind. Auch ausdrückliche Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens sprechen davon, dass der Erhalt des Grundeinkommens eine „Bringschuld“ (Götz Werner) hervorrufe, und wenden damit das Prinzip von Leistung und Gegenleistung auch auf das Grundeinkommen an. Echtes Aussteigertum kann aus dieser Sicht nicht als akzeptabel erscheinen. Es muss die Frage gestellt werden, ob sich hier nicht eine Bereitschaft andeutet, die Bedingungslosigkeit einzuschränken, um auch jene zu aktivieren, die sonst nicht bereit wären, ihre Bringschuld zu begleichen.

Noch deutlicher wird es, wenn für die Aktiven ein höheres Grundeinkommen vorgesehen ist als für jene, die ein behördlich anerkanntes soziales Engagement nicht nachweisen können. Auf diese Weise wird der Zusatzbetrag, um den das Grundeinkommen erhöht wird, für gesellschaftlich Tätige zu einem Lohn. Ehemals freiwilliges Engagement wird damit in Lohnarbeit umgewandelt und verliert dadurch eben jene Besonderheit, die aus seiner Freiwilligkeit resultierte. Bei einem niedrigen Grundeinkommen, welches für Nicht-Tätige auf einen nicht mehr existenzsichernden Sockelbetrag gekürzt würde, hätten wir damit wieder den Zwang der Lohngesellschaft, eben jene Erpressbarkeit der Lohnabhängigen, welche die Einführung des Grundeinkommens gerade beenden sollte.

Anders in einer Grundeinkommensgesellschaft, der es mit der Bedingungslosigkeit ernst ist: Die echte Freiheit der Entscheidung über eigene Tätigkeiten erhöht die intrinsische Motivation und stärkt gerade das freiwillige Engagement in vielen Tätigkeitsbereichen. Unerledigt bleiben nur Arbeiten, die unattraktiv sind, und für die zugleich niemand bereit ist, mehr Geld zu zahlen. Das Grundeinkommen erübrigt deshalb nicht die Forderung, für die Erledigung belastender sozialer Aufgaben und Sorgearbeiten vermehrt öffentliche Mittel aufzubringen.

Aber auch zur Lösung dieser Frage setzt das Grundeinkommen eine neue und bessere Rahmenbedingung. Es stärkt die Verhandlungsposition der Beschäftigten. Dem Wohlergehen von Pflegebedürftigen ist dann besser gedient, wenn die Sorge-Arbeiten besser entlohnt und mit besseren Arbeitsbedingungen versehen werden, als wenn auf die Beschäftigten immer mehr Druck ausgeübt wird.

Eine Gesellschaft, in der die Motivation zum Tätigsein auf Freiwilligkeit beruht, kann auch damit leben, wenn einige sich der Mitarbeit entziehen – sogar besser, weil dies den Druck von den Beschäftigten nimmt. Eine Grundeinkommensgesellschaft ist eine Gesellschaft der offenen Perspektiven und nicht eine Gesellschaft der bedrückenden Sackgassen. Es werden nicht alle gebraucht. Mit den Aussteigern und Aussteigerinnen, die sich weigern, nützlich zu sein, können wir gut leben. Es wird auch mit der Ausstiegs-Option, die das Grundeinkommen bietet, genug Mitwirkende geben, die den Laden am Laufen halten.

Nachbemerkung

Dieser Text ist die Schriftfassung meines Beitrages auf dem Grundeinkommenskongress 2008 in Berlin. Welche Bedeutung haben diese Überlegungen knapp 1 Jahr später in einer Wirtschaftskrise, in der immer mehr Arbeitsplätze wegbrechen werden? Eine wahrscheinliche Reaktion auf die zunehmende Arbeitslosigkeit ist die staatliche Schaffung von Beschäftigung. Es wird ein Bürgergeld geben, aber nur als Bezahlung für eine Bürgerarbeit. Gegen diese denkbare autoritäre Entwicklung ist die vorliegende Argumentation gerichtet.

28 Kommentare

Günter Sölken schrieb am 09.07.2009, 08:40 Uhr

Ein herausragend wichtiger und grundlegender Beitrag, wie ich finde. Auch wer die Aussagen des Autors in den ersten vier Kapiteln bereits kennt, sollte weiterlesen, denn ab fünf wird es intellektuell und philosophisch spannend.

Richard Huhn schrieb am 11.07.2009, 07:44 Uhr

Um die Welt zu verbessern zu wollen, bleibt vielen Menschen nichts anderes übrig, als in die Mottenkiste ihrer Utopien zu greifen. Und genau auf diesem Boden agiert dieser Artikel m.E. Dass man den Freiheitsbegriff Sartres aus seinem Kontext reißt und in einen anderen stellt, ist Beweis genug. Hier wird, wie in so vielen Diskussionen um den Begriff Freiheit, Verantwortung von Freiheit abgekoppelt, wenn nicht sogar einfach negiert. Jeder hat das Recht, sich entgeltlicher Arbeit zu entziehen, muss dann aber auch die Konsequenzen tragen. Das ist mit Freiheit gemeint. Was die Verfechter hier wollen, ist ihre Vorstellungen von Freiheit ohne Verantwortung in die Gesellschaft zu propagieren. Man kann nur hoffen, dass eine demokratische Mehrheit der Bürger sich genauer überlegt, wie sie als Gesellschaft zukünftig leben wollen.

rumpumpel schrieb am 11.07.2009, 13:14 Uhr

Ich finde diesen Artikel lesenswert und inhaltlich richtig. Ein Grundeinkommen für jeden (nicht: alle!) setzt soziale Kräfte frei und entlässt die Menschen aus politisch und wirtschaftlich gewollten Zwängen. Das Problem scheint mir nur zu sein, dass ausgerechnet die, die von unserem aktuellen System profitieren, die Entscheidungsträger sind und dass sie keine Veränderung wollen. Wer die alternativen Medien etwas verfolgt, sieht ganz deutlich, dass das genaue Gegenteil geplant ist: die Unterdrückung und Beherrschung fast aller Menschen durch eine winzige Elite von Bänkern und Großkapitalisten (Weltfaschismus). Deutschland gilt nicht mehr als Demokratie, sondern als Parteienstaat. Vor dem Grundeinkommen ist wahrscheinlich zunächst die Rückkehr zur Demokratie notwendig. Das bedingungslose Grundeinkommen würde die Beherrschung der Menschen ungleich erschweren und ist der Horror aller Bänker und Politiker. Deshalb wird es nicht kommen.

Kritiker schrieb am 11.07.2009, 13:16 Uhr

Wischi-Waschi-Argumentation. Wo sind Rechnungen zur Inflation, Preisniveausteigerung, Rückgang von Arbeitsleistung in kritischen Sektoren und ähnlichem?

Hanne Hilse schrieb am 11.07.2009, 17:28 Uhr

Danke an Robert Ulmer für diesen wunderbaren Beitrag! Genau so habe ich das BGE auch immer verstanden und mir war und ist auch klar, dass das Thema Angst für viele Menschen eine Rolle spielt, wenn sie sich plötzlich in einer Situation wiederfinden würden, in der sie tatsächlich für sich selbst verantwortlich sind. Kein Schimpfen auf den bösen Staat, der mich ja nicht lässt, wie ich will, hilft mir dann weiter. Und selbst innerhalb der BGE Bewegung ist diese Angst weit verbreitet, wo einige meinen, sie müßten ein aktivierendes Grundeinkommen fordern und dann auch noch den möglichen Bereich vorgeben. Dies aber wäre nicht bedingungslos! Die Eigenverantwortung scheint etwas zu sein, dass sehr viele Menschen sich einfach nicht vorstellen können. Nicht für sich selbst, und deshalb natürlich auch nicht für andere. Sehr gelungen hast du auch die für viele so schmerzhafte Erkenntnis beschrieben, dass zur Freiheit gehört, Ja oder nein zu sagen. Dass ich auch andere nicht zwingen kann, mich zu brauchen. Sowenig wie das im privaten Bereich funktioniert, genauso wenig funktioniert dies gesellschaftlich. In Zukunft werden noch weniger Menschen \"gebraucht\" werden. Wieso freuen wir uns nicht darüber, nicht gebraucht zu werden. Ich bin froh über jegliche Unabhängigkeit, die mir zuteil wird. Damit ich frei über mein Leben entscheiden kann. Und ich wünsche diese Freiheit jedem Einzelnen! Vielleicht ist es tatsächlich noch ein langer Weg bis eine Mehrheit der Menschen die im BGE innewohnende Mündigkeit der BürgerInnen für sich und für andere akzeptiert und sie dann auch leben will.

Lothar Mickel schrieb am 11.07.2009, 18:09 Uhr

In der Kritik von Herrn Huhn begegnen uns die typischen traditionellen Denkmuster unserer Zeit: Freiheit und Würde müssen \"verdient\" werden. Im deutschen Grundgesetz steht da was ganz anderes und gleich ganz am Anfang: \"Die Würde des Menschen ist unantastbar\". Jeder Mensch besizt eine Würde kraft seiner Geburt bzw. Zeugung. Nur ist ein würdevolles Leben ohne ein basales teilhabefestes Einkommen in einer Fremdversorgungsgesellschaft schlechterdings unmöglich. Und ein solches Einkommen lässt den Einzelnen sich seiner Würde erst richtig bewusst werden und seiner Freiheit und gerade auch seiner Verantwortung. Wenn dann Jedem dies bewusst ist, besteht keine Notwendigkeit mehr, sich von Anderen \"verantworten zu lassen\", soll heißen: Auch eine Verantwortung für Andere wird obsolet.

Dies zu verinnerlichen, erfordert jedoch andere als die traditionellen Denkmuster...

Gisela Brunken schrieb am 12.07.2009, 17:44 Uhr

Wenn wir von einer Bring-\"Schuld\" sprechen, auch wenn der Mensch sich - wie es besonders die Anthroposophen unter uns begründen mögen - durch eigene Entfaltung, und damit zum eigenen Wohle, einbringen soll, gestehen wir dem Menschen, das heißt uns selbst, nicht bedingungslos das Lebensrecht zu. Auch wer die \"Unnützlichen\" unserer Gesellschaft damit ent-\"Schuld\"igt, dass sie - vielleicht aufgrund ihrer schwierigen Biographie - wenig in der Lage seien, zum Gemeinwohl beizutragen, tut dies nicht.

Nur wenn wir aus ganzem Herzen damit einverstanden sein können, dass jemand weder durch Erwerbstätigkeit, Familienarbeit noch durch irgendeine andere Tätigkeit sichtbar zum Gemeinwohl beiträgt und gleichzeitig glücklich ist, erkennen wir den Menschen um seiner selbst willen an. Damit sprechen wir unseren Mitmenschen und uns selbst das zu, was wir mancher Pflanze ganz selbstverständlich zugestehen: ein nicht in Frage gestelltes Daseinsrecht.

Erst wenn wir Untätigkeit und Muße nicht mit Schuld beladen und verurteilen, werden auch die fleißigen und verantwortungsbewussten Menschen unter uns als solche eindeutig erkennbar und sie können erst wirklich in Freiheit tätig sein.

Mir ist durch diesen Text von Robert Ulmer bewusst geworden, wie wichtig für unsere gesellschaftliche Entwicklung und die Entwicklung unseres Bewusstseins das coming out der Glücklichen Arbeitslosen ist. - Ein Grundlagentext der jeder Gruppe zum Bedingungslosen Grundeinkommen zu empfehlen ist und mit Sicherheit noch zu vielen intensiven Gesprächen führen wird.

Manuel Ziegler schrieb am 14.07.2009, 18:07 Uhr

Ein wichtiger Artikel, dennoch diskussionswürdig. Gehen wir davon aus, dass das wichtigste Gegenargument gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen lautet: \"Dann arbeitet ja niemand mehr.\"

Dieser Artikel spricht dafür zwei Alternativen an: Die Einschränkung der Bedingungslosigkeit und die Erhöhung öffentlicher Mittel für unattraktive Tätigkeiten.

Wenn also oben genanntes Gegenargument tatsächlich das zentrale ist, müsste die Hauptdiskussion doch momentan gerade bei diesen beiden Lösungsalternativen weitergeführt werden. Das Gegenargument muss durch Lösungen entkräftet werden.

Und ich befürchte die Aussage \"Doch, doch: Die arbeiten dann ehrenamtlich schon weiter.\" wird nicht reichen.

ryszard kotonski schrieb am 16.07.2009, 20:54 Uhr

Man sagt, dass der Mensch sich vom Zwang der Natur befreit hat, um sich dem Produktionszwang zu unterwerfen. Da die Unverträglichkeit des Überflusses einerseits, und die Ungerechtigkeit andererseits die Menschenwürde sukzessive vernichten, muss sich der Mensch von der Arbeitsliturgie und dem Produktionszwang befreien. Die Moralapostel ungeklärter Herkunft, meistens aus den politischen Lagern, haben viele Gründe, diesen natürlichen Umdenkprozess zu verhindern. Wenn es ihnen nicht gelingt, den Arbeitsethos zu reanimieren, und wenn nach Gott auch die Arbeit stirbt, so gibt es einen wichtigen Grund weniger, sie zu wählen.

Eines hat die Politik von der Kirche gelernt: nämlich zu predigen, wenn es für Handlungen keinen Spielraum mehr gibt. Man hätte gerne den Dekalog um ein weiteres Gebot erweitert: „Im Schweiße Deines Angesichts sollst Du Dein Brot erwerben“, der bei der „postindustriellen Arbeiterklasse“ Schuldgefühle erzeugt, dass sie sich noch mehr anstrengt, ihre eigene Misere zu genießen. Woran geglaubt werden sollte, ist vor allem die moralische Überlegenheit der Arbeit über die Bezahlung. Die Arbeit selbst ist die Belohnung, die Buße, das Alpha und Omega der frommen Bürgerschaft. Wer daran glaubt wird heilig. Da die Christen mit der Erbsünde geboren sind, und die Schuldgefühle mittragen, müssen sie verständlicherweise auch konsequent die Verpflichtungen ihrem Erlöser gegenüber nachkommen. Was ist aber mit den unbelasteten Ungläubigen, deren Seelen nicht gerettet wird, die kein schlechtes Gewissen haben, dass die Yuppi-Gemeinde sie nicht braucht, und sich dafür nicht schämen wollen?

Die Mehrheit akzeptiert die neue Moral der individuellen Verantwortung gehorsam und naturgemäß schweigend. Um nicht als ausgestoßen angesehen zu werden (denn nur ein vermittelbar, werktätiger Mensch scheint ein Mensch zu sein), lassen sich die mittellosen Ex-Arbeiter auf jenem Arbeitsmarkt, der für ihre Demütigung mitverantwortlich ist, regelrecht prostituieren. Von Menschen die 20 Jahre in einem Betrieb gearbeitet haben, Flexibilität zu verlangen, ist eine Unverschämtheit! Wenn das keine Menschenverachtung ist? Nicht nur die Verfassung, sondern auch der Bürger selbst, muss immer öfter vor dem Kalkül der politischen Angriffe geschützt werden. Die Würde des Menschen wird so oft angetastet, dass man schon an ihr zweifelt und nach neuen Definitionen sucht, damit die Relevanz des Grundgesetzes erhalten bleibt. Der Aufruf zur Selbstverantwortung bewegt in den Massen eine Welle des sozialen Kannibalismus. Jeder der den Ekel der täglichen Selbstjustiz-Vorführung aushält, wird davon überzeugt, dass der Mensch kein „Intelligent–Design“ sein kann.

Das „sozial benachteiligte Milieu“ in ihren Vormittagssendungen beklagt und beschimpft sich gegenseitig als asozial und präsentiert stolz, die eigene Bereitschaft, um jeden Preis zu arbeiten. Man kann sich leicht vorstellen, wie dieses Abscheuliche Spektakel den Wohlhabenden amüsieren muss, wenn sie das hören. Der große Erfolg der Minderwertigkeit ist, wenn alle ihr Elend teilen müssen. Trotz der demütigenden unterbezahlten Leiharbeit, sucht der Mensch nach neuen Möglichkeiten weiter gedemütigt zu werden. Bertolt Brecht hat das gut formuliert: „Die Unzufriedenheit von Arbeitern sei nicht so sehr durch die Ausbeutung verursacht, als durch die Weigerung der Unternehmer, sie weiter auszubeuten.“

Die moralische Erneuerung des Kapitalismus sollte mit der Umkehrung des bis jetzt geltenden Paradigma beginnen. Nicht der, der die Regel bricht soll gewinnen, heißt es. Na endlich. Wir dachten, dass das eine Selbstverständlichkeit sei! Trotzdem muss man davon ausgehen, dass die Stabilisierung des Marktes weiter mit der Destabilisierung der Gesellschaft bezahlt wird. Eine Kuriosität in der Demokratie ist, dass in einem Rechtstaat die politisch-wirtschaftliche Komplizenschaft unsere Existenz mehr negativ verändert, als die Legalität und selten anzutreffende Rechtschaffenheit sie neutralisieren kann. Es ist ein schockierendes Merkmal unserer Zeit, eine Spitze moralischer Heuchelei, einen Mord zu bestrafen, während der langfristige, erniedrigende Vernichtungsprozess der Existenzgrundlagen von Arbeitslosen, nur als „systemimmanent“ dargestellt wird. Ein Minimum an Gerechtigkeit sind wir uns Menschen schuldig, und es ist absolut egal unter welchem politischen System man zu leben hat, wenn die grundliegende soziale Gerechtigkeit gewährleistet wird. Die Schriftstellerin und Sozialkritikerin Viviane Forester, fragt direkt: \"Muss man zu leben verdienen, um das Recht zu leben zu haben“? Kein Moralapostel wagt sich das zu bejahen, auch wenn die Konsequenzen ihrer Predigten solch einen Zustand nicht ausschließen.

In der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte Art.1, ist zu lesen: „Die Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten.“ Es heißt aber nicht, dass der Mensch „freiwillig“ geboren sein kann. Diese Selbstverständlichkeit des ursprünglichen Determinismus, der uns von Anfang an begleitet, sitzt in den Orten, in der Zeit und den Umständen unserer irdischen Erscheinungen, wie Ausgangs-Parameter die uns vorgegeben sind. In den westlichen Industrieländern geboren zu sein, ist gewiss ein vergleichbares Glück, bedeutet aber, aus dem marktwirtschaftlichen Produktions- und Konsumkreis nicht einfach entkommen zu können. Jeder ist in der wirtschaftlichen, politischen und religiösen Wirklichkeit seiner Eltern gefangen, ohne ein Widerspruchsrecht zu haben. Der Fatalismus der Geburt ist nur mit der Endgültigkeit einer lebenslangen Haftstrafe zu vergleichen. Die „Verpackung“ bestimmt zwar nicht die Qualität, aber die Freiheit des „Inhalts“, und ist ohne einen dramatischen „Abgang“ nicht zu ändern. Haben wir als Gesellschaft das Recht, Menschen, die sich andere Ziele setzen als die offizielle bürgerliche Moral bevorzugt, zu einem permanenten Casting zu zwingen, oder sollten wir nicht ihre letztendlich harmlose Untätigkeit (Passivität ist selten feindlich und aggressiv) respektieren und akzeptieren?

Eine Zusicherung des Existenzminimums für „Aussteiger“ ist eine Pflicht des Staates, ähnlich wie die obligatorische Verpflegung eines Sträflings, und das aus dem einfachen Grund, weil sie Menschen sind. Es bleibt unbegreiflich, warum jenen Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen zu verweigern ist, während die in Gefängnissen eingesperrten Kriminellen jahrelang bedingungslos unterhalten werden. Humanismus, anders als Rassismus, kann nicht selektiv angewendet werden. Er muss übergreifend und bedingungslos sein. Sogar im Umgang mit Tieren, strengen wir uns an, uns human zu verhalten! Weshalb ist das mit dem Arbeitslosen nicht möglich? Konsequenz eines bedingungslosen Humanismus im 21.Jahrhundert ist ein bedingungsloses Grundeinkommen, und nicht deshalb, weil es finanziell möglich ist, sondern ethisch unabdingbar. Die allgemeine Befürchtung, dass die Einführung von bedingungslosem Bürgergeld eine generelle Faulheit verursachen würde, ist absurd. Solange keine der Moral entsprechenden Zwangsarbeitslager entstehen werden, ist jede Befürchtung der Arbeitsverweigerung unbegründet. Ein bescheidenes Leben mit einem Grundeinkommen ist nicht jedermanns Sache.

Da nur intelligente Menschen sich nicht langweilen, lässt sich die Mehrheit gern beschäftigen, um ihrem Tag einen Inhalt zu geben und damit auch den Lebensstandart zu verbessern. Die ehrenamtlichen Tätigkeiten, über die zur Zeit viel diskutiert wird, und ihr bis jetzt nicht ganz genutztes Potential, werden von der Einführung des Bürgergeldes sicherlich auch profitieren. Der von täglichen Sorgen um die eigene Existenz befreite Mensch arbeitet viel effizienter und engagierter. Eine Faulheits-Epidemie wird es nicht geben und die Welt geht nicht unter durch den faulen Nichtstuer, sondern durch die konsumkonforme Überproduktion und Vollzeit-Beschäftigung. Die Chinesen sagen, dass 2/3 des vollgefüllten Magen dem Menschen zu Nutze sei, und 1/3 den Arzt unterhält. Die ungebremste Unersättlichkeit der Konsumgesellschaft bringt Krankheit, Armut, Umweltverschmutzung und unterhält die Parasiten, Spekulanten und Scharlatane. Nicht nur von industriellem Abfall ist die Welt vermüllt. In die Biosphäre schwebt auch ideologischer Schrott, und der Wahnsinn des wirtschaftlichen Wachstums gehört dazu.

Fast jeder, nach seinem ersten Bedürfnis gefragte Arbeitslose, wird somit die Arbeit vermissen. Man könnte denken, dass er tatsächlich lebt, um zu arbeiten. Nur auf den ersten Blick scheint eine solche Aussage richtig zu sein. Das ist allerdings die Logik eines Belohnungssystems, der „klassischen Konditionierung“ des enthumanisierten Kapitalismus. Warum braucht der Arbeitslose kein Geld, was eine direkte existentielle Notwendigkeit wäre? Dass das Geld durch die Arbeit zu erwerben ist, weiß doch jeder. Die verkehrte Reihenfolge verrät, wie Sklaven-Logik in unser Nervensystem „eingepredigt“ wird. Das Ansehen der Arbeit als primäre Lebensnotwendigkeit, ist eine Selbstdegradierung zur wirtschaftlichen Rentabilität, als ob nicht der Mensch dass Maß aller Dinge wäre, sondern der Profit.

Auch die sozialisierende Funktion der Arbeit wird weit überschätzt. Die sozialen Bindungen sollen auch außerhalb des Arbeitsplatzes entstehen dürfen und Eigeninitiative erfordern. Freiwillig angeknüpfte Beziehungen sind in der Regel dauerhafter und gleichzeitig einfacher abzubrechen. Die für einen Hungerlohn schuftenden Menschen durch Arbeit zusammenzubringen, gelingt selten, und besonders nicht in einer permanent angespannten Arbeits-Atmosphäre, die von Leistungsdruck und Konkurrenzgeist durchdrungen ist. Die Konsequenz aus der Tatsache, dass viele Menschen gegen ihre Vorstellungen und Fähigkeiten jede Arbeit annehmen müssen, ist Mobbing, permanente Frustration, Qualitätssenkung, Nomadisierung des Lebens und Depressionen. Die Existenz eines bis zur Selbst-Deformation getriebenen „flexiblen“ Menschen, der vom Morgen bis zum Abend um die Selbstversorgung kämpft (Multijobber), unterscheidet sich kaum von der Existenz eines Tieres, dessen einzige Tätigkeit und Sorge die ständige Nahrungsbeschaffung ist. Ist das DER Fortschritt, den man nach 5000 Jahren Menschengeschichte erreicht hat? Oder steht der Mensch wieder am Anfang seiner Entwicklung? Die Verfügbarkeit von Zeit ist einer die wichtigste Voraussetzungen für die bürgerliche Freiheit, wenn nicht von Freiheit überhaupt. „Zeit zu haben“, darf kein Luxus, sondern muss ein Recht sein. Ein durch Arbeit „besetzter“ Mensch, ohne Zeit für persönliche Entwicklung, kann weder der Kulturträger noch deren Empfänger sein. Die Kultur braucht Menschen, die Zeit haben. Eine Zivilisation ohne Kultur wird barbarisch. Ryszard Kotonski

Manuel Ziegler schrieb am 22.07.2009, 13:14 Uhr

Ein sehr langer Kommentar, der schon den Status eines eigenen Artikels würdig wäre. Richtig sind all die Argumente, die ein Grundeinkommen begründen (Freiheit, Würde etc.).

Doch wieder wird die Behauptung in den Raum gestellt: \"Eine Faulheits-Epidemie wird es nicht geben [...]\". - Diese Aussage steht zwar nicht beweislos da: Die Erwartung an die Menschen, dass sie versuchen werden ihren Lebensstandard durch Arbeit trotz Grundeinkommen zu erhöhen, ist nachvollziehbar. Doch wer definiert die \"Arten\" der zu verrichtenden Arbeit?

Reicht eine bessere Bezahlung für unwillkommene Tätigkeiten? Wieviele Menschen würden tatsächlich aussteigen und würden sich zumindest in den ersten Jahren nach den arbeitsreichen Epochen nicht zumindest ein paar Järchen in eine Ruhezone zurückziehen?

Denn: Wir müssen uns absichern, dass im Falle der Einführung eines bGE immer noch sichere stabile Häuser gebaut werden, dass die Verpflegung für alle sichergestellt ist und die gesundheitliche Versorgung nicht zusammenbricht.

Können wir garantieren, dass genügend Menschen genau diese Tätigkeiten übernehmen? Und zwar alleine mit der Motivation einen erhöhten Lebensstandard erreichen zu wollen?

Wenn die Sorgen um wegfallende gewohnte Leistungen und persönliche Sicherheit nachvollziehbar diskutiert und ausgeräumt werden können, sehe ich das bGE auf einem sehr guten Weg. - Andernfalls werden diese Sorgen das Scheitern bedeuten.

Viktor Panic schrieb am 22.07.2009, 16:12 Uhr

Zum Kommentar von Manuel Ziegler: Niemand würde \"aus dem Berufsleben aussteigen\", wenn das bedingungslose Grundeinkommen zunächst \"auf Hartz-IV-Niveau\" eigeführt würde!

[Ich habe dies in Anführungszeichen gesetzt, weil nicht ganz eindeutig ist, wie hoch dieses Niveau genau ist: Schließlich müssten bei Einführung des BGE Wohnkosten letztlich pauschaliert werden.]

Ich stimme ja dem \"Tenor\" von Herrn Ziegler ausdrücklich zu! Doch ein niedriges BGE hätte diese negativen Auswirkungen einfach nicht, weil es für die meisten Berufstätigen folgendes bedeuten würde: (1) Ein Ausstieg würde ihr Einkommen aufs Existenzminimum reduzieren. (2) Um dasselbe Einkommen zu erzielen wie zuvor, würde weniger Arbeit ausreichen. (3) Mit derselben Arbeit wie zuvor ließe sich ein höherer Lebensstandard finanzieren. ... Fazit: Für DIESE Menschen käme Alternative 1 sicher nicht infrage, sie würden sich wohl zwischen 2 und 3 und \"irgendwo dazwischen\" entscheiden. Darum werden die meisten Tätigkeiten nicht unter einem Arbeitskräftemangel zu leiden haben!

Betrachtet man nun die Gruppe der heutigen JobCenter-\"Kunden\", so dürften natürlich einige, die sich heute zur Arbeit erpresst fühlen, darauf verzichten. Doch selbst für die \"Erpressten\" wird Arbeit lukrativer, geschweige denn, dass die meisten Hartz-IV-Empfänger sich sehr wohl nach einem \"normalen\" (Berufs-)Leben sehnen!

Weihmayr Josef schrieb am 26.07.2009, 17:32 Uhr

Mit Sicherheit wird in dieser Frage die Höhe des Grundeinkommens mitentscheidend sein. Wer mehr Zeit hat, gibt mehr Geld aus. Aufgrund seiner Gier, wird daher der Mensch wieder arbeiten gehen. Wer mehr Zeit hat, wird gefordert sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dies führt dazu, das Prinzip der Liebe zu entdecken und aus eigenem Antrieb in der Gesellschaft mitzuwirken. Auch gesellschaftlicher Druck und Langeweile werden den Menschen zu einer Tätigkeit hintreiben.

ryszard kotonski schrieb am 26.07.2009, 19:42 Uhr

Die Befürchtungen von Manuel Ziegler, dass die Faulheitswelle doch ankommt, teile ich zwar nicht, dennoch, mit einer langen Übergangsphase ist zu rechnen. „Wieviele Menschen würden tatsächlich aussteigen und würden sich zumindest in den ersten Jahren nach den arbeitsreichen Epochen nicht zumindest ein paar Jährchen in eine Ruhezone zurückziehen?“

Stimmt, das ist nicht ausgeschlossen. Aber trotzdem. Ich bin zu blöd, in die technische Einzelheiten zu gehen und kann mich nur auf die Intuition verlassen. Kennt jemand eine Einführung oder Veränderung eines Gesetzes, die nicht gewöhnungsbedürftig war? Im Übrigen leben wir in ständigen Übergangsphasen. Die Schnelligkeit von inneren und äußeren Anstößen lassen den Menschen nur selten Zeit, ihre Pläne zu Ende zu bringen, ganz zu schweigen sie auszukosten. Zu viele Ablenkung, zu viele Zwänge.

Was die vermeintlichen Auftritte von A-Motivation angeht, muss man noch sagen, dass das Geld auch motivieren kann wenn es bestimmte Freiheiten erschafft. Die ehrenamtlichen Tätigkeiten, über die z. Z. viel diskutiert wird, und ihr bis jetzt nicht ganz genutztes Potential, werden von der Einführung des Bürgergeldes sicherlich auch profitieren. Der von täglichen Sorgen um die eigene Existenz befreite Mensch arbeitet viel effizienter und engagierter.

Wir lassen uns immer wieder mit von den Politikern verbreiteten Wirtschaftsphilosophien bezaubern und sind bereit zu glauben, dass nur ein profitables Unternehmen sich zu realisieren lohnt. Sie täuschen diejenigen, deren Lebensphilosophie keine wirtschaftlichen Züge hat. Sie haben vergessen, wie verschwenderisch sie vorgehen, wenn es um ihre Eitelkeit und ihr Prestige geht. Sie haben vergessen, dass das Unternehmen „Deutsche Vereinigung“ ein wirtschaftlicher Flop war. Was hat die Vereinigung gekostet? 60-80 Milliarden,oder noch mehr? Es scheint, dass die Politik in diesem Fall verstanden hat, dass das Glück der Gesellschaft nicht unbedingt und nicht immer vom wirtschaftlichen Erfolg abhängig ist.

Die Befreiung einer Nation von der Diktatur hat eine symbolische Bedeutung. Trotz der nachvollziehbaren Unzufriedenheit von vielen „Ost-Deutschen“ geht es langsam voran. Das gleiche gilt doch auch für ein Bürgergeld und seine soziale Regelungsfunktion und ist doch lange nicht so kostspielig. Aber die Politiker sehen in diesem „Projekt“ noch keine eigenen Vorteil, und dass ist traurig und wirklich deprimierend.

Die Politik widmet ihre vorprogrammierten Affekte und ihre Aufmerksamkeit den schwer lokalisierbaren Anonymitäten wie Nation, Stolz, nationales Bewusstsein (was ist das?) und ähnliche Attrappen. Vielen Bürger fühlen sich damit angesprochen, ohne zu ahnen, Arbeitslose, Obdachlose, Kranke usw. sind erschreckend anspruchsvoll - zu real. Die Nation hat wiederum große Vorteile – sie kann keine Beschwerden verfassen.. Die Liebe zum eigenen Staat ist immer platonisch. Deshalb schenke ich dem Staat eine „vorsichtige Freundlichkeit“, und mehr braucht er nicht, um mich nicht zu übersehen. Aber das ist schon ein anderes Thema.

Michael schrieb am 02.08.2009, 12:56 Uhr

Das Grundeinkommen wäre eine denkare Alternative. Viele Kritiker haben Angst vor der \"Arbeitsflucht\". Die Hartz-4-Lösung ist für mich nur zu dem Zweck installiert worden, um auch die übelsten Arbeiten, so billig wie mögkich zu entlohnen. Mir drängt sich der Verdacht auf, das es bei den Kritikern, weniger um Menschen handelt, die in dieser \"Kaste\" sind. Der durchschimmernde Tenor: \"Einer muss ja den \"Dreck\" weg machen. Es soll nichts kosten und ich möchte es auch nicht machen.\" Nehmen wir weiterhin eine Bevölkerungsschicht die sich dem nicht verweigern kann und predigen vom Märchen: Streng dich an und du bekommt einen priviligierten Arbeitsplatz im 1. Arbeitsmarkt. Die Realität ist beweislastig anders.

Manuel Ziegler schrieb am 04.08.2009, 15:04 Uhr

Ganz kurz nochmal zur obigen Diskussion \"Faulheitswelle\": Herr Panic, ich bin absolut bei Ihnen. Nur glaube ich nicht daran, dass es reicht, unsere Sicht beweislos vorzulegen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist dafür meiner Ansicht nach zu sehr in Richtung \"Dann arbeitet ja niemand mehr.\" - Vielleicht reichen kreative Spielereien, wissenschaftliche Tests etc. Aber es müssen Überzeugungen her.

Und für die Übergangszeit: Wenn tatsächlich unmittelbar nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens viele Menschen diese Möglichkeit zur \"totalen Freizeit\" erstmal nutzen möchten, *müssen* wir uns überlegen, wie das ganze bestehende Versorgungssystem *nicht* zusammenbricht.

Das sind Bedenken, die ausgeräumt werden müssen, um seriös über dieses Thema argumentieren zu können.

Detlef Müller schrieb am 07.08.2009, 10:13 Uhr

Wird ein Grundeinkommen nicht dazu führen, daß \"doch keiner mehr arbeitet ... ?\" Dahinter steckt die Vermutung, besser ausgedrückt, die irrige Annahme einer \"sozialen Hängematte\".

Zwei Fakten dazu ....

(1) Dass die Vermutung einer sozialen Hängematte ein Märchen ist, wurde bereits im Jahr 2003 durch eine Studie an UNI Leipzig nachgewiesen.

Ein Verweis zu zwei Pressemitteilungen zur Studie siehe oben in der verlinkten FAQ unter \'Die Begründung mit der sog. \'sozialen Hängematte\'

(2) Es gibt tatsächlich Menschen, bei denen eine massive, anhaltende Lustlosigkeit nicht zu übersehen ist.

Ich würde nach meiner eigenen (Krankheits-)Erfahrung davon aufgehen, dass sehr viele Menschen unter dem sogenannten chronischen Müdigkeitssyndrom leiden (heute \"Chronisches Erschöpfungssyndrom\", CFS, englisch \"chronical fatigue syndrom\", siehe Wikipedia), das wenig bekannt ist, jedoch bei uns sehr verbreitet sein dürfte.

Fachleute gehen von einer Dunkelziffer von mehreren Millionen Betroffenen in unserem Land aus. Extreme Lustlosigkeit gehört zu den auffälligen Symptomen von CFS - also nicht \"Null-Bock-Typen\", sondern chronische Erkrankungen!

Nähere Erkenntnisse darüber sind in der Fachliteratur des Heilpratikers Dietmar Krämer (Hanau) nachzulesen - siehe dort unter dem sogenannten Wild-Rose-Zustand.

Reinhard Börger schrieb am 07.08.2009, 13:17 Uhr

Dem hervorragenden Text von Robert Ulmer stimme ich voll zu. Dass wir nicht zu neuen Lösungen kommen, liegt meines Erachtens an einer weit verbreiteten irrationalen Angst vor der Faulheit. Damit zusammen hängt die Vorstellung, Arbeit sei genau dann sinnvoll, wenn sie bezahlt werde. Nur so kann ich es mir erklären, dass beispielsweise die ökologisch bedenkliche Verschrottung funktionstüchtiger Autos staatlich subventioniert wird, damit Menschen in monotoner Arbeit am Fließband neue Autos produzieren können, während der öffentliche Personnennahverkehr aus finanziellen Gründen reduziert wird.

Gerade die wachsende Arbeitsproduktivität könnte doch mehr Freizeit für alle bedeuten; damit die Menschen trotz weniger Arbeit genug zum Leben hätte, müsste das Einkommen von der Erwebsarbeit abgekoppelt werden. Das wäre genau das BGE. Ob alle Menschen weniger arbeiteten oder einige gar nicht, spielt dem gegenüber keine so große Rolle. Aber wenn mehr Arbeit angeboten wird, als gebraucht wird, ist doch Angst vor Faulheit völlig unangebracht. Und die paternalistische Auffassung, viele Menschen wüssten sonst nicht, was sie tun sollten, erscheint mir in einem demokratischen Rechtsstaat völlig unangemessen. Ich will jedenfalls niemandem vorschreiben, wie er sein Leben zu leben hat.

Ich würde sogar noch weiter gehen und mich vom Begriff der Arbeit ganz verabschieden. Manche Tätigkeiten des Menschen werden auf verschiedene Weise honoriert. So sind beispielweise zwei Euro in der Stunde wohl für keine Arbeit im üblichen Sinne ein angemessener Sundenlohn. Aber wenn jemand bereit ist, mir für eine Tätigkeit, die ich auch ohne Bezahlung tun würde, noch zusätzlich zwei Euro in der Stunde zu geben, freue ich mich darüber.

Wie sinnvoll eine Tätigkeit ist, hängt doch von anderen Dingen ab als von der Bezahlung. So erscheint es mir sinnvoller, Gedichte zu schreiben uns sie unbezahlt im Freundeskreis vorzulesen, auch wenn sie nicht in einem Verlag eingereicht werden, als am Fließband neue Autos zu bauen, für die andere funktionierende Autos verschrottet werden. Und auch die Erziehung der eigenen Kinder ist doch sicher sinnvoll, obwohl sie nicht bezahlt wird. Statt den hoch geschätzten Begriff \"Arbeit\" auf komplizierte Weise auf bestimmte unbezahlte Tätigkeiten auszuweiten, halte ich es für sinnvoller, ihn in ökonomischen Betrachtungen ganz abzuschaffen. In anderen Zusammenhängen verwendet man ihn ohnehin schon anders; so spricht man beispielsweise von \"Gartenarbeit\".

Jost Griesing schrieb am 13.08.2009, 01:48 Uhr

Der Artikel ist wirklich hervorragend, weil er die emanzipatorische Wirkung eines BGE, und die unverzichtbare Bedingungslosigkeit betont. Wenn diese eingeschränkt würde, wäre es nur noch eine Sozialstaatsreform ohne große gesellschaftliche Auswirkungen.

CDU/CSU, Bild und co. haben es immer verstanden, Neid und Missgunst der Durchschnittsverdiener gegen angebliche \"Schmarotzer\" zu lenken und damit viele Stimmen gewonnen. Da das BGE außerdem die heiligen Kühe Arbeit(SPD) und Leistung(FDP) schlachtet, scheint seine Durchsetzbarkeit leider schwierig bis unmöglich.

Zu den Kommentaren:

Die Abwrackprämie hat nichts mit der Sinnhaftigkeit von Arbeit oder deren Bezahlung zu tun. Sie ist eine Gelegenheit sich gleichzeitig beim (autofahrenden) Wähler, bei der Autoindustrie samt Zulieferern sowie deren Mitarbeitern und Gewerkschaften beliebt zu machen, also eine win/win Situation für Schwarz und Rot gleichermaßen.

Ich halte auch die Koppelung von Arbeit und Bezahlung nicht für bedenklich da die Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit nicht objektiv zu bestimmen ist, sondern nur ein Marktpreis dafür ausgehandelt werden kann. Damit wird auch die Frage: \"Reicht eine bessere Bezahlung für unwillkommene Tätigkeiten?\" beantwortet. Wenn man an den Markt glaubt, und die Tätigkeit wirklich notwendig ist, dann wird diese Bezahlung solange steigen bis jemand das Angebot annimmt.

Reinhard Börger schrieb am 14.08.2009, 10:18 Uhr

Nur ein paar Bemerkungen dazu: Die Abwrackprämie war für mich nur ein Beispiel für eine Subvention zu Gunsten der Produzierenden, nicht der Konsumierenden; (auch) deshalb halte ich sie für unsinnig. Es ging mit darum, dass wir uns von der Vorstellung verabschieden, der Mensch müsse sich seinen Lebensunterhalt durch (harte?) Arbeit verdienen.

Dass Löhne sich am Markt bilden, finde ich im Prinzip richtig. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können aber nur dann einen angemessenen Lohn durchsetzen, wenn sie nicht mehr erpressbar sind; deshalb brauchen wir das BGE. Das hat Robert Ulmer in in seinem Beitrag mit anderen Worten gesagt.

Horst Grützke schrieb am 15.08.2009, 17:22 Uhr

Der Beitrag sollte öffentlicher für jene gemacht werden, die ihn hier nicht lesen, weil sie an diese Frage noch nicht gedacht haben. Die Argumente sind geeignet, bisher das BGE ablehnende \"gutwillige\" Menschen, die meinen, hier wird der Faulenzer von den Arbeitenden ernährt, ihre Position zu überdenken.

Ich schlage vor, diesen Text auch auf der AG-Webseite \"Grundeinkommen\" des \"Europäischen Bürger-Netzwerkes\" zu veröffentlichen. Er könnte auch dort in Französisch übersetzt werden und die andere Sprachhälfte Europas zur Kenntnis gebracht werden.

Mein bescheidener Hinweis für den Teil, der sich der persönlichen Freiheit widmet. Man sollte nicht schlechthin nur \"Freiheit\" sagen, sondern differenzieren zwischen \"ökonomischer\" Freiheit, die Voraussetzung für \"politische\" Freiheit ist.

Daniel schrieb am 20.08.2009, 06:07 Uhr

Meine Antwort ist etwas länger geworden und schweift auch etwas ab, deshalb gibt es hier die komplette Antwort auf meinem Blog: http://daimpi.blogspot.com/2009/08/uberlegungen-zum-bedingungslosen.html

lg aus Mannheim =)

Johannes Bucej schrieb am 21.08.2009, 08:17 Uhr

Bei all den Kommentaren zu den Vorzügen (oder auch Nachteilen) eines wirklich bedingungslosen Grundeinkommens kommen mir zwei Aspekte zu kurz:

1. Ein bedingungsloses Grundeinkommen entzieht m. E. menschenverachtenden, totalitären Ideologien (namentlich rechtsextremen) den Boden, da Menschen ihre Situation nicht mehr als materiell entsprechend bedrückend empfinden und andere dafür verantwortlich machen können (\"die nehmen uns die Arbeit weg\").

2. Auch eine Gesellschaft, in der das BGE verwirklicht ist, wird sich von \"Angebot und Nachfrage\" nicht ganz abkoppeln können. Ein BGE kann, ja muss m. E. \"flexibel\" sein, d.h. seine Höhe richtet sich nach dem tatsächlich in einer Gemeinschaft Erwirtschafteten, das dann auch wieder entsprechend verteilt werden kann. Insofern ist das Szenario, dass sich viele, vielleicht sogar die meisten erst einmal \"einen faulen Lenz machen\" nur ein sehr vorübergehendes, wenn der \"egoistische Drang\", es doch besser haben zu wollen als der Durchschnitt und dafür etwas tun zu müssen, nicht ausreicht. Ich plädiere sehr dafür, wie Robert Ulmer, nicht irgendeinen versteckten oder mehr oder weniger offenen \"Zwang\" zur Erwerbsarbeit zur Grundbedingung des \"bedingungslosen\"(!) GE zu machen.

Bleibt noch die Frage nach den \"ungeliebten Arbeiten\". Die bessere Verhandlungsposition derer, die solche Aufgaben übernehmen und dafür endlich auch adäquat bezahlt werden, ist die eine Seite. Die andere ist, dass wir solche Arbeiten schon aus purem Eigeninteresse erledigen werden. Wer möchte seinen Müll vor der Haustür ewig stehen haben, weil er/sie sich darauf verlässt (mit welchem Recht eigentlich), dass das andere schon wegräumen, selbst wenn er dafür bezahlt? Wer möchte nicht ebenfalls in Notsituationen oder im Alter gepflegt und betreut werden? Die Beispiele lassen sich fortsetzen und sollen eben keine Abwertung der Tätigkeiten darstellen! - Vieles wird sich erst einpendeln müssen. Aber die Argumente \"pro\" erscheinen immer noch plausibler als die \"contra\".

Und last but not least der Einwand, dass \"die da oben\" (also etwa Banker, Politiker und sonstige \"böse Buben\") ein BGE schon deshalb nicht zulassen und es deshalb schon nicht kommen werde, weil es mit einem Macht- und Bedeutungsverlust verbunden wäre. Ich halte diese Argumentation für kurzsichtig - für genauso kurzsichtig wie die unterstellten \"Eigeninteressen\" der \"Mächtigen\". Macht über andere setzt voraus, dass sich Menschen beherrschen/leiten lassen. Eine zunehmende Ungleichheit verstärkt soziale Spannungen, die sich schlimmstenfalls gewalttätig entladen. Das war in der Vergangenheit so - und es war schlecht.

Selbst wenn \"die andere Seite\" gewonnen hat und sich die Verhältnisse für einige zum Positiven änderten (was implizierte, dass sich die Situation für andere verschlechterte), hatte man in der Regel zwei, drei Generationen später wieder ein ähnliches Problem, nur waren die Saturierten und jetzt Angegriffenen die \"anderen\". Nur eine Balance der Interessen, wie sie das BGE verspricht, wird dazu beitragen, dass \"Gesellschaftsmanager\" wie Politiker und \"Kapitäne\" (seien es \"Industriekapitäne\" oder \"Steuermänner/-frauen\" auch weiterhin Bedeutung haben. Auch eine noch so freie Gesellschaft wird sich irgendwie steuern müssen - und sie wird sich regulieren, nur werden die Methoden friedlichere sein und die doch heute stark gebeutelte Glaubwürdigkeit der \"Mächtigen\" wird sich auf ganz anderer Ebene unter Beweis stellen müssen. Aber etwas anderes wird ihnen gar nicht übrig bleiben, wenn sie diese Glaubwürdigkeit auch weiterhin einfordern wollen.

Florian schrieb am 03.09.2009, 13:52 Uhr

Viel gäbe es zu diesem Thema zu sagen, aber ich versuche, mich zu beschränken: Ich gehöre auch der Gruppe derjenigen an, die zunächst einmal mehr Fakten (im Gegensatz zu Vermutungen, Gefühlen, etc.) kennen möchten, bevor sie eine Meinung zum BGE abgeben (Wie hoch ist der Inflationseffekt wirklich? etc.). Auch zu der Faulheitsdebatte gibt es zwar viele Meinungen, aber wenig konkretes. Wem ich aber ganz konkret widersprechen will, sind die \"Sozialromantiker\", die glauben, ein BGE würde auch nur annähernd alle gesellschaftlichen Probleme lösen. Vielleicht ist sogar das Gegenteil der Fall: Trotz eines allgemeinen BGE wird es in Deutschland Menschen geben, die dieses nicht bekommen. So wäre es offensichtlich absurd, jedem Touristen, der nach Deutschland einreist, für die Tage, die er hier, ist ein BGE auszuzahlen. Die Grenze zwischen BGE-Berechtigten und Nicht-BGE-Berechtigten ist dabei nur normativ zu ziehen, da es keine offensichtliche Abgrenzung gibt (Wie lange muss ein Franzose in Deutschland leben, um BGE-Berechtigt zu werden? Wie lange ein Türke? Wie lange ein Iraki? Wie viele Tage/Monate/Jahre darf ich mich als deutscher Staatsangehöriger im Ausland aufhalten, bevor ich meinen BGE-Anspruch verliere?). Die Schere zwischen BGE- und Nicht-BGE-Berechtigten ist dabei um ein Vielfaches größer, als zwischen heutigen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen. Weiteres Beispiel aus dem Post von Johannes: Ich halte es für absurd, zu denken, dass ein BGE rechtsextremen Gedanken den Boden entzieht. Diese werden sicherlich von einem BGE sogar genährt. Warum? Ganz einfach: Während man dem zitierten \"die nehmen uns die Arbeit weg\" heute noch entgegenhalten kann, dass gerade in diesen Bevölkerungsgruppen die Arbeitslosigkeit exorbitant hoch ist und außerdem viele ausländische Mitbürger Tätigkeiten ausüben, \"die sonst keiner machen will\", wäre es bei einem BGE in der Tat der Fall, dass \"die uns das BGE wegnehmen\". Zu glauben, die intellektuell eher minderbemittelten Mitbürger, die ernsthaft ein Problem damit haben, dass \"Ausländer\" \"ihnen\" die Arbeit wegnehmen, hätten plötzlich kein Problem mehr damit, dass derselbe \"Ausländer\" BGE bezieht, das \"von Deutschen\" (man bemerke bitte spätestens hier den Gebrauch der \"\"\") erwirtschaftet wurde, ist aus meiner Sicht ... so nicht zu erwarten. (Die letzten 4 Wörter dieses Satzes sind eine redaktionelle Änderung).

Lothar Mickel schrieb am 08.09.2009, 23:13 Uhr

Ein BGE nur in Deutschland wird es definitiv nicht geben. Minimal eine europäische Lösung ist realistisch. Deshalb muss das Thema BGE auch Einzug im Europäischen Parlament finden. Weniger geht nicht.

Eule schrieb am 10.09.2009, 22:50 Uhr

Zitat: \"Wie lange muss ein Franzose in Deutschland leben, um BGE-Berechtigt zu werden? Wie lange ein Türke? Wie lange ein Iraki? Wie viele Tage/Monate/Jahre darf ich mich als deutscher Staatsangehöriger im Ausland aufhalten, bevor ich meinen BGE-Anspruch verliere?\" Zitat Ende. Mal angenommen, das BGE betrifft nur Deutschland (zunächst). Dann ist doch naheliegend, dass es von deutschen Staatsbürgern bezogen wird. Gut, so ganz bedingungslos ist es dann auch nicht, aber schließlich gilt ja auch als Bedingung, dass man lebendig sein muss, um es zu bekommen, da sollte man schon kompromissbereit sein ;-D Bedingung für eine Staatsbürgerschaft könnte sein, dass man sich (z.B.) uneingeschränkt zu den Menschenrechten bekennt und sich bereit erklärt, diese einzuhalten. Vielleicht noch die Erklärung der Bereitschaft, die Sprache des entsprechenden Landes zu erlernen. So. Dann gibt es das BGE dieses Landes. Wo sollte da ein Problem liegen? Jeder \"Ausländer\" könnte jederzeit soviel Geld hier verdienen, wie er mag und kann, so wie bisher auch. Geschäftstüchtige Händler könnten wie bisher besser verdienen als mancher Deutscher. Für viele Auswärtige würde sich wenig ändern. Ich fände das sehr fair.

Reinhard schrieb am 23.02.2010, 15:03 Uhr

Als jemand, der an praktischer (\"schwacher\") künstlicher Intelligenz für humanoide Roboter forscht, habe ich diesen Artikel mit Freuden gelesen. Was heute noch eine ökonomische Utopie darstellt, wird schon bald eine soziokulturelle Notwendigkeit werden. Die Automatisierung der Produktion wird schon bald in die Dienstleistung überschwappen. Taxifahrer und Investmentbanker, Altenpfleger und Immobilienmakler sind auf dem Weg durch Hard- und Software ersetzt zu werden und es sind keine Tätigkeitsfelder in Sicht, die dann die nach heutigem Paradigma \"Überflüssigen\" aufnehmen können.

Die Zukunft ist eine \"society beyond labor\" und es ist höchste Zeit, dass sich die Gesellschaft darüber Gedanken macht, wie die Früchte des automatisierten Schlaraffenlandes verteilt werden. Sonst haben wir einige sehr wenige, die alles besitzen und den Rest als (praktisch) rechtlose Sklaven. Diese unsäglichen Konstellationen gab es schon zu oft in der Geschichte.

Für mich ist mein tägliches, persönliches Ziel meiner (Erwerbs)Arbeit mitzuhelfen, jegliche menschliche Erwerbsarbeit überflüssig zu machen. Aber die protestantische Überhöhung der Erwerbsarbeit aus den Köpfen zu verbannen, dabei müssen _alle_ mithelfen.

Axel K. schrieb am 30.03.2010, 21:09 Uhr

Ein interessanter Artikel meiner Meinung nach, mit Punkten die Gegnern des BGE in die Hände spielen. Sicher ist richtig, dass es mit BGE Menschen gibt die komplett aussteigen werden und ein Leben führen, das den Moralvorstellungen mancher widerspricht. Aber auch dieser Artikel ist von heutigem Denken und Utopien meiner Meinung nach eingefärbt.

Komme ich zu dem, was meiner Meinung nach Utopie ist:

Ein BGE ist so hoch, dass alle Wünsche an das Leben erfüllt werden können, ohne Zwang zur Arbeit. Mit BGE fällt der unbedingte Zwang zur Arbeit weg ... so soll es sein und wird es auch sein. Nur, dass man sich ohne Arbeit alle Wünsche erfüllen kann, wird eine Utopie bleiben. BGE wird meiner Meinung nach für Nahrung, Unterkunft, Kleidung, KV eine Pauschale für jeden bedingungslos bereitstellen.

Darüber hinaus gibt es aber auch noch die Erwerbsarbeit mit der man sich einen Lebensstandard oberhalb des BGE erarbeiten kann, so man will. Auch mit BGE kann es eine Diskussion geben, ob man mit BGE gemäß bestimmter Definitionen als arm gelten kann. Das kommt drauf an, wo das Durchschnittseinkommen bei BGE + bezalter Lohnarbeit liegt und welche Höhe man in diesem Fall als arm definiert.

BGE kann zwar so gering sein, dass man als arm gilt ohne Zuverdienst, soll und wird dem Wesen nach aber eine menschenwürdige Existenz garantieren. Eine andere Überlegung die vom heutigem Denken stark eingefärbt ist, ist diese: \"Andere bekommen ihr Geld für\'s Nichtstun und ich muss dafür arbeiten!\" Das stimmt mit BGE nicht, denn jeder bekommt den gleichen Sockelbetrag - das BGE. Keiner muss für das Geld arbeiten, dass ein Anderer für Nichtstun bekommt.

Jeder der arbeitet hat mehr als einer der nicht arbeitet und der Lebensstandard des BGE ohne Zusatzverdienst wird von der Mehrheit nicht angestrebt werden. Natürlich wird es Leute geben die mit ihrer Lebenssituation nicht zufrieden sind, weil sie auf Grund ihrer Ausbildung oder Gesundheit keine zusätzliche Erwerbsarbeit finden. Oder andere hätten gern mehr Freizeit, trotz höheren Lebensstandards. Aber das \"ich muss erst mal 8 Stunden oder mehr arbeiten für das, was andere für das zu Hause bleiben bekommen\" wird es mit BGE nicht mehr geben.

Natürlich birgt auch BGE Gefahren, wenn es falsch angegangen wird. Es wächst die Gefahr, dass die Gruppe \"stupider\" Menschen immer weiter wächst, wenn man sich um nichts mehr Gedanken machen muss. Allein der Rückgang der handwerklichen Fähigkeiten, der Fähigkeit sich kreativ selbst zu helfen und des Allgemeinwissens in den ostdeutschen Ländern nach der Wende ist offenkundig. Man muss sich um vieles keine Gedanken mehr machen, weil andere schon vorgedacht haben und fertige konsumierbare Lösungen anbieten.

Nun ist in dem Artikel ja der Tenor \"wir müssen auch das zulassen und akzeptieren was wir persönlich nicht so gut finden!\" Machen wir und werden wir.....es ist gar nicht zu vermeiden, dass wo Licht ist auch Schatten ist, nur sollte man die Zahl schwieriger Lebenskonstellationen so gering wie möglich halten, dass sie nicht zur Gefahr für die Gesellschaft werden. Dazu muß das BGE mindestens menschenwürdig sein aber höchstens so hoch, dass die Mehrheit sich veranlasst sieht, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.

AgneS schrieb am 13.04.2010, 10:09 Uhr

Ich nehme exemplarisch Bezug auf die Antwort von Axel K. :

\"Keiner muss für das Geld arbeiten, dass ein Anderer für Nichtstun bekommt.\"

Das stimmt so für das BGE nicht. Das BGE (bzw. die damit zu erwerbende Ware) muss erarbeitet werden. Nur weil jener der arbeitet, sein BGE nicht als Lohn bekommt, heißt das nicht, dass er sein und auch das BGE der anderen nicht anteilig mit erwirtschaftet. Jener der nicht arbeitet (je nach Auslegung des Arbeitsbegriffes), lebt in dieser wirtschaftlichen Betrachtung somit durchaus auch unter BGE auf Kosten der anderen.

Nun ganz umsonst gibt es das BGE sicher nicht. Die Gesellschaft erkauft sich zumindest ein Stillhalten, wenn man mit BGE die Not der sonst zu kurz kommenden lindert. BGE ist auch eine Einschränkung der Freiheit, in dem Sinne wie J. Joplin es besang: \"Freedom is just an other word for nothing left to lose\".

Auch Aufwand für eine Senkung von Störpotential macht eben ökonomisch Sinn, und so sind auch diesbezügliche BGE-Skeptiker von anderer Seite her durchaus zu überzeugen.

Zur BGE-\"Gefahr... ´stupider´ Mensch\": Was ist schlecht daran, sich an die Gesellschaft anzupassen? Die Form des Handwerkens und bestimter Kreativität nicht zu entwickeln, die auch gar nicht mehr gebraucht wird. Jede Gesellschaft verlangt spezifische Fähigkeiten. \"Fertig konsumierbare Lösungen\" zu nutzen, heißt eben auch, das Rad nicht zum 2. Mal zu erfinden und es - das Rad - auch zu nutzen, statt nur zu Fuß unterwegs zu sein. Aufgabe der Gesellschaft ist es nicht, die Menschen zu autarken Individuen zu erziehen, sondern sie zu einem gesellschaftlichen Beitrag zu motivieren, um weitere Lösungen konsumierbar zu fertigen. Das kann und muss auch mit dem BGE geleistet werden. Hierfür sind noch ein paar Ideen nötig und nicht ein Hinterhertrauern, das Fähigkeiten, die einst so sinnvoll schienen, heute nicht mehr nützlich sind.

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