Grundeinkommen in Finnland?

Baukje Dobberstein 08.09.2018 Druckversion

Marjukka Turunen (Foto: Baukje Dobberstein)

Seit Anfang 2017 wird in Finnland ein Experiment zum Grundeinkommen durchgeführt (wir berichteten). Was wird dort wirklich gemacht und was hat das Ganze mit einem Grundeinkommen zu tun? Die Projektleiterin von KELA, Marjukka Turunen, hat auf der Utopie-Konferenz 2018 in Lüneburg diese Fragen beantwortet. Ein Bericht.

Die Bandbreite der medialen Gerüchte erstreckt sich von der Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens in Finnland bis hin zum Scheitern des Experiments, wo doch tatsächlich beides falsch ist (wir berichteten): Weder wurde ein Bedingungsloses Grundeinkommen in Finnland eingeführt, noch ist das Experiment gescheitert. Im Einzelnen stellt es sich so dar:

Die rechtskonservative Regierung in Finnland hatte im Wahlkampf einen Versuch zum Grundeinkommen angekündigt. Dieser wurde sehr schnell nach Aufnahme der Regierungsarbeit als Auftrag an die finnische Sozialversicherungsanstalt KELA vergeben. Finnland ist eine recht experimentierfreudige Nation, was sich bereits im Bildungssystem als positiv erwies. Normalerweise werden solche Experimente langfristig geplant. Beim Grundeinkommen standen – statt der üblichen ein bis zwei Jahre – hingegen nur wenige Monate für die Vorbereitung zur Verfügung. Sehr schnell mussten alle beteiligten Akteure an einen Tisch geholt werden, da sie sich der Vorgabe ausgesetzt sahen, bereits zur nächsten Wahl Ergebnisse verzeichnen zu können. Deswegen war das Experiment von Beginn an für zwei Jahre geplant, sodass die Auswertung Anfang 2019 durchgeführt und veröffentlicht werden kann. Diese “Hauruck-Aktion” hat zu nicht optimalen Versuchsbedingungen geführt.

Die Sozialversicherungsbehörde befürwortet das Experiment mit dem Grundeinkommen vor allem mit dem Ziel einer deutlichen bürokratischen Vereinfachung. Die vielen verschiedenen Sozialleistungen sollen harmonisiert, die Anträge vereinfacht und damit besser zugänglich gemacht werden. Trotz aller Mängel im Versuchsaufbau sind sie froh, dass es nach Jahrzehnten der Diskussion nun endlich konkreter wird. Sie seien sich allerdings auch darüber im Klaren, dass ein Sozialsystem, das über lange Zeit gewachsen ist, nicht über Nacht geändert werden sollte. Bisherige Errungenschaften sollten nicht gefährdet werden.

2000 Erwerbslose aus ganz Finnland erhalten für zwei Jahre ein partielles Grundeinkommen von 560 Euro pro Monat

Von Seiten der Regierung besteht das vornehmliche Ziel darin, Vollbeschäftigung zu erreichen. Das Grundeinkommen soll Erwerbslose möglichst kostengünstig wieder in die Erwerbstätigkeit bringen. Dementsprechend ist der Versuchsaufbau gestaltet: 2000 Erwerbslose aus ganz Finnland erhalten für zwei Jahre eine bedingungslose Zahlung von 560 Euro im Monat. Als Kontrollgruppe werden ebenso viele Erwerbslose untersucht, welche weiterhin die bisherigen Leistungen der Arbeitslosenversicherung erhalten. Um belastbare Ergebnisse zu bekommen, die nicht zum Beispiel durch die Grundeinstellung der Teilnehmenden zum Grundeinkommen beeinflusst werden, ist die Teilnahme am Experiment nicht freiwillig.

Die in Finnland gezahlten 560 Euro sind kein Grundeinkommen. Die Leistung entspricht nicht den Kriterien des deutschen Netzwerks Grundeinkommen: Es ist nicht für jedes Mitglied der Gesellschaft, sondern nur für 2000 bislang Erwerbslose und sichert auch nicht die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe. Zudem ist es auf zwei Jahre begrenzt.

Um die Existenz von Erwerbslosen zu sichern, müssen weitere Sozialleistungen wie Wohngeld oder Arbeitslosengeld zusätzlich beantragt werden. Das Arbeitslosengeld beträgt in Finnland durchschnittlich 730 Euro, das partielle Grundeinkommen wird darauf angerechnet. Die finanzielle Gesamtsituation ändert sich für weiterhin Erwerbslose durch den Erhalt des Grundeinkommens also nicht. Ebenso kann die Sozialleistung bei Nichtaufnahme einer angebotenen Tätigkeit auch weiterhin gekürzt werden, nur die 560 Euro partielles Grundeinkommen bleiben auf jeden Fall erhalten.

Die Bezieher der Grundeinkommensgruppe erhalten die 560 Euro ohne Pflicht zur Gegenleistung, also ohne sich dem Arbeitsmarkt verfügbar halten zu müssen. Sie können sich der Pflege ihrer Angehörigen widmen, sich selbstständig machen oder auch einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz annehmen, ohne dass ihnen dieser Betrag gekürzt werden kann. Die Bezieher von Arbeitslosengeld dürfen in Finnland 300 Euro frei hinzuverdienen, alles darüber hinaus wird zu 50 Prozent mit den Sozialleistungen verrechnet.

In Deutschland ist es möglich, auch als Selbstständiger aufzustocken, wenn die Gewinne nicht zum Leben reichen. In Finnland nicht: Dort müssen Selbstständige sich komplett selbst versorgen und erhalten auch kein Wohngeld. Dies wird als große Hürde für eine Unternehmensgründung wahrgenommen.

Untersucht wird hier also insgesamt die sogenannte “Armutsfalle”, also die Annahme, dass jemand aufgrund der Ausgestaltung von Sozialleistungen, nämlich der hohen Anrechnungsrate, erwerbslos bleibt. Durch den freien Zuverdienst zu den 560 Euro partiellem Grundeinkommen soll die Annahme einer Erwerbstätigkeit attraktiver werden.

Den Teilnehmern des Experiments wird von KELA eine Hotline für Fragen zu Verfügung gestellt, wodurch es bereits Hinweise darüber gibt, wie sich die Teilnehmer verhalten. Die Befragungen für die eigentliche Auswertung stehen allerdings noch aus.

Pflege, Selbstständigkeit und Studium

Eine Teilnehmerin zum Beispiel widmet sich nun ausschließlich der Pflege ihrer Eltern. Zuvor lebte sie mit der ständigen Angst, ein Jobangebot annehmen und damit ihre

Eltern alleine lassen zu müssen. Dieses Thema spielt in der alternden finnischen Gesellschaft eine große Rolle, denn die Pflege ist teuer und vor allem in ländlichen Regionen kaum außerhalb der Familien leistbar.

Ein anderer Teilnehmer hat sich selbstständig gemacht und profitiert davon, dass er die 560 Euro als sichere Basis behalten kann. Viele andere Bezieher des Grundeinkommens nutzen die Gelegenheit zur Aus- und Weiterbildung und haben ein Studium aufgenommen. Ob am Ende aus staatlicher Perspektive Kosten eingespart wurden und durch die besseren Zuverdienstmöglichkeiten mehr Menschen eine Erwerbsarbeit aufgenommen haben, werden die Auswertungen zeigen.

Am 1.1.2019 ist es für alle diese Perspektiven aber erstmal wieder vorbei, denn dann endet der Versuch wie geplant.

Auch Gesundheit, psychisches Wohlbefinden und die Selbstmordrate wird untersucht

Für viele Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens stehen eigentlich ganz andere Aspekte im Vordergrund, weswegen das finnische Projekt zum Teil auch recht abwertend betrachtet wird. Dennoch kann es interessante Erkenntnisse liefern. Denn neben den Aspekten tatsächlicher Erwerbsarbeit, dem Bemühen darum, der Einkommenssituation und der Inanspruchnahme anderer Sozialleistungen widmen sich die Interviews auch noch einer Reihe weiterer Parameter. Dazu zählen die Einstellung zum Grundeinkommen, Fragen zur Gesundheit, die Lebenszufriedenheit, soziales Vertrauen und Teilhabe, die Zufriedenheit mit dem Sozialsystem, psychisches Wohlbefinden und die Sterberate. Insbesondere Todesfälle durch Alkoholismus und Suizid sind in Finnland sehr häufig.

Außerdem werden noch regionale Unterschiede geprüft.

Ob die finnische Regierung mit den Ergebnissen zufrieden sein wird und das Experiment nach ihrer möglichen Wiederwahl weiter fortsetzen oder gar ausweiten würde, bleibt offen. Da die Zielsetzung trotz Demografie und Digitalisierung weiterhin Vollbeschäftigung lautet, kann es sein, dass sich das Experiment für die Menschen als Gewinn herausstellt und von der Regierung trotzdem als Misserfolg bewertet wird. Somit sind leider auch Verschärfungen von Sanktionspraxis und Kontrollen ein möglicher Ausgang. Denn während das Experiment noch läuft, wurden die Repressionen für alle anderen Erwerbslosen schon verschärft.

Ein Kommentar

Thomas Schönfelder schrieb am 18.09.2018, 20:48 Uhr

Schon die Verschärfung von Repressionen läuft einem BGE diametral entgegen. Wo sind denn all die Jobs, die dann von den Erwerbslosen angenommen werden sollen und wie werden die bezahlt. Wahrscheinlich auch bloß mit Billiglohn bei maximaler und familienunfreundlicher Arbeitszeit!

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