Drei Tage Grundeinkommen in Maastricht

Stefan Füsers 09.02.2016 Druckversion

12645203_926594560723102_1574029252504770978_nDie niederländische Vereniging Basisinkomen feierte Ende Januar 2016 in Maastricht ihr 25-jähriges Bestehen (wir berichteten). Die Feierlichkeiten begannen am Freitag mit einer landesweiten Konferenz. Am Samstag folgte eine europäische Konferenz und am Sonntag ein

Treffen des UBIE-Netzwerks.

Bei der europäischen Konferenz ging es um neue, von der Grundeinkommensidee inspirierte Experimente zur sozialen Absicherung. Berichtet wurde von den inzwischen 20 niederländischen Städten und Gemeinden, die bei der Regierung ein Experiment beantragt haben. Vertreter aus Finnland hatten die Möglichkeit, die finnischen Pläne für ein Experiment vorzustellen. Es wurde klar, dass die Experimente weit von einem  Grundeinkommen, inklusive aller vier Kriterien, abweichen. In beiden Ländern wird wohl keine Individualsicherung getestet. In Holland sollen zudem nur momentane Sozialhilfebezieher Teil des Projektes werden. Während in den Niederlanden über Beträge in Höhe des jetzigen Sozialhilfeniveaus diskutiert wird, sind sich die Finnen diesbezüglich noch nicht einig. In dem  Gremium von wissenschaftlichen Instituten, welches mit dem Projekt beauftragt wurde, sind noch Beträge zwischen ca. € 400 und € 1200 im Gespräch, wobei die insgesamt 20 Milliarden zugesagten Regierungsmittel wohl eher als partielles Grundeinkommen ausgezahlt werden. Die Koordinatorin des französischen Netzwerks, Nicole Teke, berichtete von der Netzwerkarbeit in Frankreich, wo es ebenfalls ein Grundeinkommensexperiment geben soll.

Insgesamt wurde deutlich, dass die geplanten Experimente, nicht zuletzt bedingt durch rechtliche Vorgaben, beträchtliche Einschränkungen haben. So müssen Teilnehmer gewöhnlich freiwillig mitmachen, was ein Experiment mit Grundeinkommen in einer Region erheblich erschwert. Die Experimente sind zudem immer zeitlich begrenzt. Das hat psychologisch einen anderen Effekt als ein lebenslanges Recht. Aus dem Publikum kam sogar die Befürchtung, dass ein „Grundeinkommens“-experiment, welches weit von der eigentlichen Idee des Grundeinkommens abweicht, der Idee Schaden zufügen könnte – das Grundeinkommen werde dann womöglich als ein ungerechtes Bürokratiemonster wahrgenommen und hätte sich damit weit von den ursprünglichen Absichten Gerechtigkeit und Bürokratieabbau entfernt.

Guy Standing, der in Indien bereits ein größeres Projekt mit einem partiellem Grundeinkommen durchgeführt hat, verwies mehrfach darauf, dass sein Projekt im Wesentlichen auf kommunaler Ebene gewirkt habe, was bei einem Projekt mit einigen aus der gesamten Gesellschaft zufällig ausgewählten Personen unter den Tisch fallen würde. Gleichzeitig empfahl er, solche Experimente individual- und nicht haushaltsbasiert durchzuführen. Philippe van Parijs machte deutlich, dass man genau überlegen müsse, welche Ziele mit dem Grundeinkommen verfolgt würden. Er machte zudem für beide Länder klar, dass die Einbettung solcher Experimente in ein bestehendes Sozial- und insbesondere Steuersystem schwierig und für die Experimentdauer extrem ungerecht sein kann. Er geht zudem davon aus, dass man Gegner nicht mit Experimenten überzeugen kann, insbesondere auch weil die finanzielle Tragfähigkeit nicht mit einem Experiment belegt werden könne.

Insgesamt waren sich die meisten Konferenzbesucher dennoch einig, dass die Experimente der Grundeinkommensbewegung nutzen. Auch wenn die wissenschaftliche Bestätigung für die Sinnhaftigkeit eines Grundeinkommens ausbleibt, sind Experimente vielmehr eine Garantie dafür, dass die Ideen, die mit einem Grundeinkommen verbunden sind, im gesellschaftlichen Diskurs verankert werden. Eine bei der Konferenz präsentierte Studie über transformative soziale Innovationen zeigt, dass die Grundeinkommensidee in verschiedenen Ländern Europas momentan an Zuspruch gewinnt, was zweifellos auch mit den zahlreichen Berichten über die Experimente zu hat. Die Experimente sollten also genau wie das anstehende Referendum in der Schweiz dazu genutzt werden, die Bevölkerung und vor allem die Medien weiterhin zu informieren und aufzuklären.

Ganz in diesem Sinne fand am Sonntag das Netzwerktreffen des UBIE statt. Nicole Teke aus Frankreich wurde neu in den Vorstand gewählt, Quentin Fabri, Barb Jacobsen, Daniel Feher sowie Lena Stark wurden im Vorstand bestätigt. Allen Aktivitäten, die momentan oder in naher Zukunft stattfinden, stimmte die Versammlung zu. Gegen Bedenken aus Frankreich wurde beschlossen, in der dritten Woche im September weiterhin die Internationale Woche des Grundeinkommens zu veranstalten, wobei in Zukunft alle Länder das Thema selbst bestimmen dürfen. Man erhofft sich mehr Beteiligung und vor allem größere Aufmerksamkeit im Land, wenn der nationale Kontext stärker berücksichtigt werden kann. Weiterhin solle man das Thema „Grundeinkommensexperimente“ nutzen, um sich mit der Förderlandschaft der EU in Bezug auf europäische Experimente auseinandersetzen.

Zur Unterstützung des Schweizer Referendums führt das UBIE im April 2016 im Haus der Earth Focus Foundation in Genf eine Kulturveranstaltung durch. Diese soll zugleich für die Konferenz „Bedingungsloses Grundeinkommen und Degrowth“ werben, die für den 19. und 20. Mai in Hamburg geplant ist. Von der Konferenz im Mai wiederum erhofft man sich valide Ergebnisse, die auch auf die Degrowth Konferenz Anfang September in Budapest getragen werden.

Hamburger Aktive erläuterten ihren Plan, ein erstes Modul für eine europaorientierte Grundeinkommensausstellung zu erstellt. Unterstützung beim Fundraising ist für das UBIE erwünscht. Bei einer Konferenz in Brüssel im Herbst 2016 könnte ein konkreter Sockel für ein Grundeinkommen in den europäischen Ländern diskutiert werden. Eine Arbeitsgruppe soll im Vorfeld der Europawahl Ziele und Rahmenbedingungen für ein Grundeinkommen definieren, das die Armut in Europa bekämpft, soziale Gerechtigkeit und Freiheit schafft und die natürlichen Ressourcen schützt. Diese Gruppe soll beim UBIE-Treffen im Anschluss an die Konferenz in Hamburg gegründet werden, ebenso eine weitere zur Planung einer erneuten Europäischen Bürgerinitiative.

Ein Kommentar

Herbert Wilkens schrieb am 16.02.2016, 15:52 Uhr

Sascha Liebermann hat zu diesem Bericht einen bedenkenswerten kritischen Kommentar in \"Freiheit statt Vollbeschäftigung\" veröffentlicht.

http://blog.freiheitstattvollbeschaeftigung.de/2016/02/15/feldexperimente-zum-grundeinkommen-nutzen-oder-schaden/

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