Birgit Zenker: Diskurs zum Grundeinkommen hat an Qualität gewonnen
Anlässlich des 15. Jubiläums der Gründung des Netzwerks haben wir die Gründungsmütter und -väter um einen Rück- und Ausblick gebeten. Hierzu zählen Birgit Zenker, Prof. Dr. Michael Opielka, Katja Kipping und Ronald Blaschke. Wolfram Otto, der fünfte Mitgründer, verstarb leider voriges Jahr.
Die kurzen Beiträge werden in loser Folge auf der Website veröffentlicht. Wir beginnen mit dem Beitrag von Birgit Zenker.
Liebe Birgit, wie bewertest du die Entwicklung der Grundeinkommensdebatte in Deutschland seit Gründung des Netzwerks Grundeinkommen im Jahr 2004?
Die Entwicklung in den letzten 15 Jahren sehe ich als insgesamt sehr erfreulich an. Auch wenn wir im Sinne der damaligen Gründungsbewegung, dem ALG II-Regime etwas positiv Freiheitliches entgegen zu setzen – vor allem mit Blick auf diejenigen, die unmittelbar unter Armut, Stigmatisierung und Sanktionierung zu leiden haben – noch rein gar nichts erreicht haben. Gleichwohl können wir uns auf die Fahne schreiben, der vermeintlichen politischen Alternativlosigkeit eine positive mobilisierende Debatte entgegengestellt zu haben und dabei den neoliberalen Grundeinkommensversprechen nicht auf den Leim gegangen zu sein. Unsere Kriterien gegen jede Vereinnahmung von liberalkonservativer Seite haben wir erfolgreich verteidigt. Die Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen ist ein gutes Beispiel dafür, dass der thematische Diskurs oft höher zu bewerten ist als die schnelle Umsetzung einer politischen Forderung. Persönlich habe ich das Gefühl, dass immer mehr Menschen verstehen, dass es nicht zielführend ist, das Grundeinkommen möglichst schnell umzusetzen. Wichtiger ist es, die mit dem BGE verbundenen Ziele nicht aus dem Blick zu verlieren. Das Grundeinkommen ist für die meisten Befürworter*innen kein Selbstzweck. Es geht um die Frage, in welchen Reformkontext ein BGE eingebettet werden muss, um in einer hochkomplexen Gesellschaft das Versprechen individueller Freiheit mit dem Prinzip sozialer Verantwortung in Einklang zu bringen. Und diese Diskussion muss in der Mitte der Gesellschaft geführt werden, sie muss dort geführt werden, wo Menschen dem BGE eher kritisch oder unentschlossen gegenübergestehen. Sie muss dort geführt werden, wo in Parteien, Verbänden und NGO‘s unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen und im Rahmen politischer Willensbildung um Mehrheiten gerungen wird. Das ist für mich die eigentliche Botschaft nach 15 Jahren Netzwerk Grundeinkommen: Raus aus der Komfortzone der eigenen Echokammer und rein in die harte politische Auseinandersetzung.
Was ist aus deiner Sicht notwendig, um die Debatte in Deutschland über das Grundeinkommen und die Einführung des Grundeinkommens zu befördern?
Auffallend ist, dass der Diskurs zum BGE insgesamt an Qualität gewonnen hat. Fragen, mit denen wir uns noch vor fünf Jahren bei Veranstaltungen konfrontiert sahen, wie z.B. „wer geht bei Einführung eines BGE noch arbeiten oder wirkt das BGE nicht eher wie eine Stillhalte- oder Herdprämie“, werden nur noch selten gestellt. Davon konnte ich mich bei der Veranstaltung des Netzwerks Grundeinkommen zuletzt im Rahmen des Evangelischen Kirchentages überzeugen. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, klar Position zu beziehen – wer steht für was?! Das scheint mir wichtig zu sein, um in der Auseinandersetzung insbesondere mit den politischen Parteien weiterkommen. Wer sich nicht täglich mit dem BGE beschäftigt, verliert schon mal den Überblick bezogen auf die unterschiedlichsten Ansätze mit ihren jeweils divergierenden Zielen und der Vielzahl an vorhandenen Modellen. Ich denke, es wäre hilfreich, wenn sich die im Netzwerk vertretenen Organisationen bzw. alle NGO’s, die sich explizit für ein emanzipatorisches Grundeinkommen aussprechen, mittelfristig hinter einem Modell/Konzept versammeln und dieses offensiv nach außen vertreten. Auch die für das Jahr 2020 geplante Europäische Bürgerinitiative könnte helfen, individuelle Orientierung und politischen Schwung in die Debatte zu bringen und den Ansatz eines freiheitsmehrenden Grundeinkommens als Gegenentwurf zur neoliberal ausgerichteten EU zu präsentieren. Gleichzeitig darf die Realpolitik kein blinder Fleck für das Netzwerk Grundeinkommen sein. Wir müssen anschlussfähig bleiben und uns im Sinne unserer Vision an aktuellen politischen Debatten beteiligen und notwendige Schritte einfordern. Das ist unser großer Vorteil gegenüber den politisch Verantwortlichen. Diese scheinen keine ganzheitliche Vorstellung darüber zu haben, wir in Zukunft miteinander leben und arbeiten wollen. Und wer keine Vision hat, kann bekanntlich nicht mal den nächsten Schritt tun – auch diese Botschaft gilt es immer wieder in den politischen Raum zu stellen.
Birgit Zenker, Soziologin M.A.
– Gründungsmitglied und ehemalige Sprecherin des Netzwerks Grundeinkommen
– von 2003 bis 2011 Bundesvorsitzende der KAB Deutschlands e.V.
– seit 2017 Fundraiserin bei der Frauenrechtsorganisation FEMNET in Bonn
Fotos: pixabay, Birgit Zenker privat
Ein Kommentar
Grundsicherung für Kinder, Grundeinkommen für Leistungssportler, Grundeinkommen für Studierende, Garantiesicherung für die Armen usw. und so fort.
Wird das BGE also schleichend Puzzlestein für Puzzlestein eingeführt? Weil dies unauffälliger bzw. systemverträglicher ist, als gleich eines für alle einzuführen und mit der Tür ins Haus zu fallen?