Zum Verhältnis von Grundeinkommen und Rente mit 67

Herbert Wilkens 10.01.2012 Druckversion

Mit dem Hineinwachsen der Gesellschaft in die höhere Altersgrenze für Rentner (Rente mit 67) ab 2012 hat die politische Diskussion an Schärfe gewonnen. Die Linkspartei ist ohnehin gegen die Anhebung der Altersgrenze, weil diese bei der bestehenden Arbeitslosigkeit in Wirklichkeit oft einer Rentenkürzung gleichkommt, und zwar bei den ohnehin benachteiligten Rentnergruppen. Aber auch in der SPD, der CDU sowie bei den Grünen haben die eher linken Gruppierungen die höhere Altersgrenze angegriffen und fordern eine Überprüfung.

Bei den Grünen ist der Streit besonders heftig, wobei sich das Lager der Vorstandsfunktionäre einer Gruppe von basisnahen Grundeinkommensbefürwortern gegenübersieht. Mit der Bemerkung, die Rücknahme der Rente mit 67 „würde bedeuten, den Druck rauszunehmen“, hat Fritz Kuhn, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Öl ins Feuer geschüttet („Süddeutsche Zeitung“). Prompt gab es eine scharfe Erwiderung von Arfst Wagner, Grünen-Landtagskandidat in Schleswig-Holstein und Mitglied des Netzwerkrats im Netzwerk Grundeinkommen. „Spitze und Basis entkoppeln sich“ titelt die „Tageszeitung (taz)“. Wagner wird zitiert: „Kuhns Äußerungen zeigen, dass er jede Bodenhaftung verloren hat“. Er fragt, ob Kuhn etwa den Druck auf die Betroffenen weiter erhöhen wolle. Und er weist seinen Parteivorsitzenden Cem Özdemir darauf hin, dass es sehr wohl einen Weg vorbei an der Rente mit 67 gibt: „Die Einführung einer bedingungslosen Grundsicherung für alle Menschen ist die notwendige politische Antwort auf die immer weniger werdende Anzahl an Lohnarbeitsplätzen.“

Der Sprecher für Rentenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen, Wolfgang Strengmann-Kuhn (MdB) – von Anfang an Mitglied des Netzwerks Grundeinkommen – hat ebenfalls Stellung genommen, allerdings leider nur lauwarm und in einer Weise, die den Vorstand seiner Partei nicht sonderlich beunruhigen dürfte. Zunächst weicht er auf einen Nebenschauplatz aus, indem er klarstellt, dass erworbene Rentenansprüche nicht angetastet werden dürfen – was gar niemand vorhat, selbst diejenigen nicht, die ein bedingungsloses Grundeinkommen auch zur Basis der Alterssicherung machen wollen. Dass hier Ideen für eine Grundrente im Rahmen des bedingungslosen Grundeinkommens so karikiert werden, dass sie nicht vernünftig erscheinen, dürfte der Rücksichtnahme auf die Mehrheiten in der Grünen-Fraktion geschuldet sein. Es gibt ja durchaus ernstzunehmende Konzepte, die von einer Grundrente plus zusätzlicher Lebensstandardsicherung ausgehen – und selbstverständlich für die Übergangszeit bis zur vollständigen Umstellung auf das neue Rentensysteme ohne Verlust der erworbenen Rentenansprüche.

Strengmann-Kuhn erinnert an das in seiner Fraktion gegenwärtig mehrheitsfähige Konzept für eine Rentenreform. Es umfasst folgende Hauptelemente:

  • Lebensstandardsicherung durch Rente – bei entsprechenden Beitragsleistungen über das Niveau eines Grundeinkommens hinaus
  • Garantierente – Anhebung geringer Renten auf ein armutsfestes Mindestniveau, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind
  • Bürgerversicherung – Umlagefinanzierung der Renten mit Beiträgen aus allen Einkommensarten
  • Flexibilisierung der „Regelaltersgrenze“ von 67 Jahren mit Wahlmöglichkeit für Teilrente nach schwedischem Vorbild

Schließlich erwähnt er das Grundeinkommen als Basis für selbstbestimmte Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe und stellt fest, dies sei mit der Anhebung der flexibilisierten „Regelaltersgrenze“ gut vereinbar, weil dadurch Teilhabe im Alter – auch durch Erwerbsarbeit – gewährleistet werde. Dass diese Teilhabe ohne Anhebung der Altersgrenze noch viel besser möglich ist, fällt unter den Tisch.

In dem aktuellen Streit um die Rente mit 67 nimmt Strengmann-Kuhn somit eine Position ein, die keinen Ärger mit dem Führungspersonal seiner Partei heraufbeschwört. Allerdings hilft er sich mit einem Trick: Er tauft die Altersgrenze in Regelaltersgrenze um, die sich nicht allzu sehr von dem aktuellen Rentenrecht unterscheidet. Sein Konzept sieht zwar vor, dass frei und selbstbestimmt gewählt werden kann, wann die Rentenphase beginnt. Aber: „Die Rentenhöhe sollte dabei davon abhängig sein, wie viel eingezahlt wurde und wie lang die erwartete Dauer der Rentenzahlung ist.“ Er führt für die Rente ab 67 ins Feld, „dass nicht nur die Beiträge geringer, sondern auch die Renten höher sind als ohne Anhebung der Regelaltersgrenze.“ Diese Vorteile überwiegen in seinen Augen die Nachteile, welche von denjenigen zu tragen sind, die mit Abschlägen vorzeitig in Rente gehen, und zwar fast nie freiwillig oder durch eigenes Verschulden. Diese Munition wird dann ausgiebig von den grünen Frontleuten genutzt, die nicht von der Rente mit 67 abrücken wollen.

Unverständlich bleibt, warum die Rente mit 67 überhaupt erforderlich sein sollte. Wenn die geforderte Bürgerversicherung eingeführt wird, in die alle Bürger mit allen ihren Einkommen einzahlen, sinken die Beitragssätze sehr viel stärker als durch die Anhebung der „Regelaltersgrenze“, und die Rente kann steigen, gleichgültig ob die Altersgrenze bei 65 oder 67 Jahren angesetzt wird.

Einige der übrigen Bestandteile des Rentenkonzepts von Strengmann-Kuhn sind ebenfalls für alle problematisch, welche die Vorzüge des Grundeinkommenskonzepts verwirklichen wollen. Oberflächlich betrachtet scheint die „Garantierente“ ein Zwischenschritt auf dem Weg zum Grundeinkommen zu sein – mit Signalwirkung zunächst für eine Kindergrundsicherung und dann für die Idee des Grundeinkommens insgesamt. Einer solchen Erwartung hält das tatsächliche Konzept der Grünen Garantierente jedoch nicht Stand. Sie ist keineswegs bedingungslos, sondern setzt 30 Jahre Beitragszahlung voraus. Wer die nicht erreicht, ist wie bisher auf die erbärmliche Grundsicherung im Alter angewiesen – von Garantie keine Spur, von Auflösung der verdeckten Armut ebenfalls nicht.

Ähnlich ist es mit der Flexibilisierung des Renteneintrittsalters. Sie wäre zwar für viele Rentner eine Hilfe, doch kann sie wohl erst dann sinnvoll umgesetzt werden, wenn die Bürgerversicherung eingeführt ist. Ohne diese würde sie für diejenigen, die früh in Rente gehen wollen oder müssen, wahrscheinlich auf weitere Renteneinschnitte hinauslaufen. Die Rentner, die jenseits der Altersgrenze weiter erwerbstätig sein wollen, können das ja ohnehin auch im jetzigen System. Im aktuellen Streit um die Rente mit 67 hat die Flexibilisierung somit keine Bedeutung.

Fazit: Auch in der Opposition versäumen es die Grünen, in der Rentenpolitik Fehler der Vergangenheit auszubügeln und durchgreifende Fortschritte in Richtung auf sozialen Ausgleich anzustreben.

8 Kommentare

eckhard hensel schrieb am 11.01.2012, 19:52 Uhr

\"Unverständlich bleibt, warum die Rente mit 67 überhaupt erforderlich sein sollte.\"

Dazu folgender Link: http://www.heise.de/tp/artikel/33/33269/1.html

Der Sozialwissenschaftler Rainer Roth erklärt, warum das Rentenalter nicht erhöht, sondern gesenkt werden sollte.

Sylvia Kreye schrieb am 19.02.2012, 15:44 Uhr

Diese ewigen Diskussionen um die Rente mit 67 sind eine Zumutung für jeden Arbeitnehmer und Arbeitssuchenden. Beschämend und peinlich zugleich für unsere Gesellschaft - in einer Zeit, wo immer mehr Stellen abgebaut werden, wo Arbeit nicht mehr wertgeschätzt wird und man schon mit 50 zum \"alten Eisen\" gehört!

Die fortschreitende Diskriminierung älterer Arbeitnehmer (oft schon mit über 35) ist - trotz ausdrücklichen Diskriminierungsverbots in der gesamten EU - leider immer noch an der Tagesordnung. Erst kürzlich wurde ich, diplomierte Sängerin, zu einem Vorsingen für den Opernchor an einem deutschen Provinztheater nicht eingeladen, weil in der Ausschreibung ganz offen angegeben war: \"Altersgrenze 35 Jahre\". Und so geschieht das seit Jahren und zieht sich durch alle Branchen - ohne dass sich jemand darüber beschwert.

Die Bestrebungen nach einem existenzsichernden, bedingungslosen Grundeinkommen für alle EU-Bürger sind meines Erachtens die einzige vernünftige, sozialverträgliche Lösung - ein erster wesentlicher Schritt zu einer gerechteren Verteilung, zur Bekämpfung von Armut (vor allem der Altersarmut) und zur Sicherung eines würdevollen Daseins für jeden Bürger der Europäischen Union. Der aus einer solchen Lösung resultierende konjunkturelle Aufschwung würde letzten Endes auch für den nötigen finanziellen Ausgleich sorgen, indem das investierte Geld über die anspringende Binnenkonjunktur wieder in die Kassen zurückfließen würde.

Petra Wehn schrieb am 02.05.2018, 04:14 Uhr

Ich bin dafür, dass man auf jeden Fall, de Menschen bei der Garantierente berücksichtigt, die mindestens 25 Jahre gearbeitet haben. Auch muss derjenige berücksichtigt werden, der durch Krankheit erwerbsunfähig wurde.

Heinz Günter Weiß schrieb am 04.06.2020, 12:33 Uhr

Ein Grundeinkommen, oder eine \"Garantierente\" bietet den in Frage kommenden Personen zumindest eine finanzielle Planungssicherheit.

Der Personenkreis, der 45 oder mehr Jahre gearbeitet hat,( Fehlzeiten inclusive)

wird sich jedoch die Frage stellen: \"Ist es erstrebenswert so lange zu arbeiten, wenn danach eine Rente von z.B. 1350,85 € zu erwarten ist und das Grundeinkommen

bei z.B. 1000,25 € festgelegt wird.

Dann muss darüber nachgedacht werden, wie Anreize geschaffen werden können,

das es sich lohnt, lange zu arbeiten für ein \"auskömmlichen\" Lebensabend.

Für 350,65 € mehr im Monat sehe ich keinen echten Anreiz.

Markus Hansen schrieb am 08.06.2020, 11:38 Uhr

Ich will das bedingslose Grundeinkommen.

Ich möchte den Tag so nutzen, wie ich es will. Möchte mich nicht sorgen, ob jemand das, was ich so produziere, kauft oder nicht. Es ist ein Stück Freiheit. Die Freiheit eine echte Entscheidung zu treffen.

Die Entscheidung: So will ich Leben und Arbeiten.

Das Grundeinkommen würde nicht das Arbeiten ersetzen, es würde die Arbeit begleiten. Die Arbeit ist dann nicht mehr der zwanghafte Dreh und Angelpunkt im Leben eines einzelnen. Ich könnte weniger arbeiten und dadurch wäre eine Teilzeitstelle frei, für jemanden, der so ähnlich tickt wie ich oder eben ganz anders.

Das Grundeinkommen würde den Menschen befreien, es gibt allen die Freiheit, um Gute und für sie richtige Entscheidungen zu treffen. Wir könnten die Maslowsche Bedürfnisspyramide zu einem Quadrat machen. Physiologische,- Sicherheits-, Soziale-, Individuelle Bedürfnisse und die Selbstverwirklichung (die an der Spitze steht), nicht auf einander aufbauend sondern nebeneinander. Gleichberechtigt. Oben auf diesen Säulen ruht der Mensch, zufrieden, sichere und satt.

Die etwas fragwürdige, gerade beendete Studie aus Finnland hat es gezeigt, allen Teilnehmern ging es mental besser.

So viel steht fest: Wer ein bedingungsloses Grundeinkommen bekommt, fühlt sich weniger gestresst. Das ist eine der klarsten Erkenntnisse des finnischen Experiments zum Grundeinkommen, dessen Ergebnisse am Mittwoch endgültig vorgestellt wurden.(1)

Leider ist Zufriedenheit wirtschaftlich nicht wichtig genug. Alle Beispiele aus dem Buch von Rutger Bregman „Utopien für Realisten“ zeigen, das ein bedingungsloses Grundeinkommen die Menschen positiv verändert. Zum Beispiel das Mincom-Projekt in Kanada. Aber eben auch, das es Gegner dieser Idee gibt, die falsche Aussagen treffen und die Ergebnisse in ihrem Sinne interpretieren.

Eine sichere Aussage über das tatsächliche Verhalten der Menschen mit einem Grundeinkommen zu treffen ist bei dieser Art von Experiment schwer, da der Zeitraum begrenzt ist und das Einkommen nicht bedingungslos, sondern an die zeitliche Limitierung geknüpft.

„Ein paar zufällig ausgeloste Menschen, die ein solches zeitlich begrenztes Grundeinkommen beziehen, sind weder repräsentativ, noch sagen deren individuelle Erfahrungen irgendetwas über den gesellschaftlichen Wandel aus, der sich mit einem echten Grundeinkommen einstellen würde. Denn erst wenn alle Menschen ein Leben lang bedingungslos abgesichert seien, könnte man überhaupt von einem bedingungslosen Grundeinkommen sprechen.“ (2)

Vielleicht ist der Weg das Ziel, auf jeden Fall ist der Weg richtig.

(1) https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ergebnisse-des-grundeinkommen-experiment-in-finnland-16757054.html

(2) Michael Bohmeyer, Claudia Cornelsen „Was würdest du tun?“ Seite 22

jürgen beick schrieb am 31.07.2020, 21:54 Uhr

sehr geerte befürworter der grundrente, wie soll man von 1000 euro leben mit einer miete von 835 euro?

wie habt ihr fantasten es euch vorgestellt ?

Angelika Pavlovic schrieb am 13.02.2021, 13:18 Uhr

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde mir helfen an meiner Arbeit als Pflegekraft wieder Spaß zu haben. Die Löhne würden steigen

da es ja schwerer ist Personal zu finden. Wenn ich dann ca. 2500 € verdienen würde hätte ich bei 50 % Steuerabzug & Grundeinkommen von

1000 € 2250 € . Da macht das Arbeiten doch wieder Spaß

Angelika Pavlovic schrieb am 13.02.2021, 13:21 Uhr

Ausserdem kann von 1000 € kaum jemand leben.

Die Preise für Miete, lebens und Konsumgüter werden, da die Arbeit teuer wird steigen.

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