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Die Gespenster der Vergangenheit

In ihrem Widerstand gegen das bedingungslose Grundeinkommen schreckt die Linke derzeit vor dem Individualisierungsschub der Gesellschaft zurück – und leugnet dabei ihre Wurzeln.

Im postindustriellen Zeitalter, in dem sich zunehmend eine grundlegende Transformation der Produktions- und Arbeitsformen abzeichnet, steht die Gesellschaft vor einem qualitativen Sprung. Die eigentlich wertschöpfende Arbeit wird immateriell (Der Anteil des Wissens an der Wertschöpfung beträgt heute nahezu 70%), diversifiziert sich in die Gesellschaft hinein und bringt damit die beiden Grundpfeiler der alten Gesellschaftsordnung ins Wanken, den bürgerlichen Eigentumsbegriff und den Disziplinarcharakter des Staates und seiner Institutionen.
Diese Entwicklung ist Banalität und radikale Transformation zugleich, denn seit je her haben die Arbeits- und Produktionsweisen unsere Gesellschaften institutionell und politisch geformt und ihnen im Nachgang ihren Namen verliehen: Feudalgesellschaft, Industriegesellschaft. Die sich zur Zeit ausformende Wissensgesellschaft wird so keinen Bruch in einer historischen Kontinuität darstellen, die in jedem qualitativen Sprung zugleich einen Vergesellschaftungs- und hiernach einen politisch vermittelten Individualisierungsschub auslöste.
Denn die moralischen und politischen Werte einer Gesellschaft waren nie ein Input, etwas vorgelagertes, sie waren und sind immer Ausdruck dessen, wie die Gesellschaft ökonomisch produziert und sich damit auch kulturell reproduziert. Und so wie die erste industrielle Revolution dereinst zur Voraussetzung hatte, dass an die Stelle des Leibeigenen der „freie“ Arbeitskraftanbieter trat, so erfordert die neue Wissensökonomie heute das befreite Individuum.

Tatsächlich verschwimmen heute die Grenzen zwischen produktiven und reproduktiven Tätigkeiten, zwischen Arbeitszeit und Freizeit, kurz: die ganze Gesellschaft ist tendenziell in Produktion gesetzt. Dabei verliert die Arbeit ihren klassischen Charakter als vom Subjekt abgetrennte und handelbare Ware Arbeitskraft und wird zur Arbeit an und mit sich selbst für sich und für andere. So verschieben sich nicht nur die Anforderungen an die staatlichen Institutionen und den Einzelnen bezüglich der Arbeits- und Lebenszeitorganisation, auch unsere nach wie vor bürgerlich und industriegesellschaftlich verfassten Begriffe von sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit geraten ins Wanken.
Denn die Abschöpfung des gesellschaftlich erzeugten Mehrwerts scheint nur noch auf der Ebene der Gesamtgesellschaft möglich. An die Stelle des bürgerlichen Eigentumsbegriffs, also der individuellen Aneignung der eigenen Arbeitsergebnisse, tritt der individuelle Anspruch auf „Zugang zu“ und „Teilhabe an“ gesamtgesellschaftlichen Mehrwertergebnissen. Die soziale Frage beginnt sich darum heute um diese Pole zu organisieren, um den freien Zugang zu ökonomischen, sozialen und politisch-kulturellen Netzwerken und um die individuelle Teilhabe am Reichtum der Gesamtgesellschaft.

Die Verteilungsfrage verschwindet darüber nicht, sie beginnt nur einen grundlegenden anderen Charakter anzunehmen. Die bisherigen Mechanismen der marktförmigen Primärverteilung und der staatsförmigen Sekundärverteilung zerschellen an der schlichten Tatsache, dass die Akkumulation des gesamtgesellschaftlich erzeugten Reichtums heute weitestgehend im privaten Vermögensbesitz stattfindet, der allerdings nach wie vor noch als unantastbar gilt. Doch ist diese individuelle Aneignung keine Aneignung der Früchte der eigenen Arbeit mehr, sondern eine Aneignung der Früchte eines gesamtgesellschaftlichen Produktionszusammenhangs. Mit den Worten des kommunistischen Manifests von 1848 gesagt: „Das persönliche Eigentum verwandelt sich nicht in gesellschaftliches. Nur der gesellschaftliche Charakter des Eigentums verwandelt sich.“
Darum auch ist die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen im Kern eine Debatte darüber, wie sich die Gesellschaft ihren aus sich selbst heraus geschaffenen Reichtum wieder aneignen kann. Das Grundeinkommen ist darum die richtige neue verteilungspolitische Idee, es ersetzt die teilweise dysfunktional gewordenen, teilweise zusammenbrechenden Mechanismen der Primär- und Sekundärverteilung durch eine Protoverteilung, durch eine Art Input-Output-Steuerung der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung. Dass hierbei allerdings ökonomische Outputs (Güter- und Umweltverbrauch, Vermögen und Kapitalerträge) und nicht mehr Wertschöpfungen selbst (Arbeit und unternehmerische Tätigkeit) abgeschöpft werden müssen, sollte auch von den Befürwortern eines Grundeinkommens deutlicher als bisher herausgehoben werden.

Das Grundeinkommen muss dabei als der nur geldwerte Teil einer Sozialdividende verstanden werden, die der Staat der Zukunft abschöpft und individualisiert auf seine Bürger als Bedingung zukünftiger Wertschöpfung in der Wissensökonomie zurückverteilt. Denn ergänzend wird es die Aufgabe neuer Institutionen des Staates sein, über den freien Zugang zu Wissen und Bildung, über die Bewegungs- und Repressionsfreiheit und auch über einen gemeinwohlorientierten Arbeitssektor, seinen Bürgern ebenso eine Wissens-, Freiheits- und Teilhabedividende zu garantieren.

Die Wissensgesellschaft der Zukunft könnte also, wieder in den Worten des Manifests ausgedrückt, eine Gesellschaft sein, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ Tatsächlich steuert der Kapitalismus derzeit latent auf eine Art libertären Kommunismus zu („Kommunismus des Kapitals“ nennt dies der Philosoph Yann Moulier Boutang), der die bürgerliche Form aus sich selbst heraus überwindet, eine Entwicklung, die im Nachhinein die beschrittenen Umwege über Keynesianismus, Sozialdemokratie und Sozialismus als Sackgassen erscheinen und deren Krise und Niedergang nur allzu verständlich erscheinen lässt.

Allerdings bangen zur Zeit gerade deshalb die meinungsbildenden Wortführer auf der Linken aus Gewerkschaften, Parteien und Wissenschaft um ihre Definitionshoheit über die Politik und um die Glaubwürdigkeit ihrer Problemlösungskompetenzen. Dabei überspielen sie ihre Unfähigkeit abschließen und das vollkommen Neue identifizieren, annehmen und gestalten zu können, mit dem verzweifelten Festhalten an ökonomischen und politischen Ordnungsvorstellungen, von denen nur noch sie selbst als Funktionseliten wirklich profitieren. Es ist ein Widerstand von Technokraten und Funktionären, die sich vehement gegen die politische Verwirklichung des Individualisierungs- und Freiheitsschubes in der Folge des ökonomischen Vergesellschaftungsschubes stellen.

Für die Funktionsträger der politischen Linken wie für die der Gewerkschaften ist es im Grunde eine Peinlichkeit, dass sie sich von der eigenen Basis und Jugend oder von Unternehmern wie Götz Werner erst erzählen lassen müssen, dass ein Gesellschaft im Umbruch gesellschaftspolitische Zielvorstellungen, in die Zukunft weisende Richtungsentscheidungen und eben auch Ideale braucht, um die im Umbruch schlummernden emanzipatorischen Potentiale überhaupt erst Wirklichkeit werden zu lassen und dass es eben nicht genügt, sich an den ohnehin brüchig gewordenen Errungenschaften der Vergangenheit festzuklammern. Und so ist es vor allem deren Mutlosigkeit, die erstaunt, die Mutlosigkeit, den qualitativen Sprung in eine freiere Gesellschaft endlich zu wagen und somit die Ideale von 1848 ein Stück wirklicher werden zulassen.

2 Comments (Open | Close)

2 Comments To "Die Gespenster der Vergangenheit"

#1 Comment By Christoph Schlee On 20.12.07 @ 02:03

Robert Zion umreißt eine Art “Manifest” des Grundeinkommens, das mit der Perspektive einer “Grundeinkommensgesellschaft” weiter präzisiert werden könnte.

Auch wenn darauf hinzuweisen ist, dass die aktuelle Bedeutung des Individuums in unserer Gesellschaft sich nicht lediglich als Forderung aus der Wissensökonomie “ergibt” sondern aus weiter greifenden kulturellen Einsichten heraus verstanden werden muss, halte ich Robert Zions Text für eine weit bessere Diskussionsbasis als die vom Netzwerk verabschiedete “Hannoveraner Erklärung”.

Wir sollten anhand solcher Vorstellungen eine Programmdebatte beginnen, die auch in einen entsprechenden Arbeitskreis münden sollte.

Zu klären wäre, in wiefern Konzepte der Bürgergesellschaft, eines “tertiären Sektors”, aber auch von gemeinwohlorientierter “neuer” Arbeit mit dem Grundeinkommen mitzudenken sind. Fest steht, dass ein Rückgriff auf “alte Konzepte” weder in der Wirtschaft (Wirtschafts- bzw. Rätedemokratie) noch in der Politik (Staatliche Beschäftigungsprogramme, ABM, aufgeblähte staatsfinanzierte Institutionen, die von der Linke geforderte Ausweitung öffentlicher Beschäftigung) zielführend ist.

Interessant wäre die Anschlussfähigkeit des bGE an Institutionen wie Freiwilligenagenturen, Selbsthilfeinitiativen u. ä. zu prüfen.

#2 Comment By Michael Klockmann On 04.11.08 @ 13:14

In der Tat, diese Analyse von Robert Zion ist vom fundiertesten, was ich zum Grundeinkommen bisher gelesen habe, weil hier endlich einmal Realität analysiert wird und die historische Plausibilität des Grundeinkommens herausgearbeitet wird, statt über “Finanzierung” und “Einführung” zu fabulieren.

Und in der Tat, der Bias in Richtung “Wissensgesellschaft” ist darin fast der einzige Schwachpunkt. Aber auch den überwindet der Autor fast noch, wenn er schreibt “… wird zur Arbeit an und mit sich selbst für sich und für andere”. Genau darin liegt der qualitative Umschlag von der Industriegesellschaft zur Kommunikationsgesellschaft: Mensch bewirtschaftete belebte Natur in der Agrargesellschaft, Mann verformte anorganische Natur in der Industriegesellschaft, Mensch arbeitet, spricht mit Mensch in der Kommunikationsgesellschaft. “Frau arbeitet…” war ich versucht zu schreiben, um den epochalen Umschlag deutlicher zu machen, denn Wissen ist dabei natürlich wichtig, wie es Boden und Eisen in den Epochen zuvor waren, aber die Charakteristik einer Gesellschaftsformation definiert sich nicht aus den Rohmaterialen, sondern aus dem Verb, der Art der Verarbeitung.

Und in der wird, sollte, zukünftig Zuwendung, Lernen, Pflege, Gefühl, Beziehung, Therapie und soziale Tätigkeiten im weitesten Sinne ein quantitativ und qualitativ wesentlich größeres Gewicht haben als der Logos, die eher maschinennahe Symbolverarbeitung, die uns Männern so liegt. Auch wenn Linux als wahrhaft schlagender Beweis dafür steht, daß wir Sozialismus skippen können weil Kommunismus längst eine pure Frage der Effizienz ist – Die Musik der Emannzipation spielt woanders. Und wir können nur gewinnen, wenn wir hinhören…