Götz Werner läutet die zweite Phase im Kampf für das Grundeinkommen ein

Herbert Wilkens 10.07.2008 Druckversion

Zwischenbilanz zum Grundeinkommen hat Götz Werner einen Aufsatz übertitelt, der in Wirklichkeit weit mehr ist: Ein Auruf zur schrittweisen Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens nach der von ihm so genannten „Wellenmethode“. Er schlägt vor, mit einzelnen Gruppen der Bevölkerung anzufangen, nämlich zunächst mit Kindern und Alten.

In seinem Resümee aus seinem jahrelangen Einsatz für ein bedingungsloses Grundeinkommen kommt er zu dem Schluss, dass in letzter Zeit viele Denkblockaden auf Seiten der Grundeinkommens-Skeptiker überwunden wurden. So werde das Argument immer seltener, es würde mit Grundeinkommen zu wenig gearbeitet. Insgesamt seien die Diskussionen um das Grundeinkommen immer sinnvoller geworden. Offenbar zieht Werner daraus den Schluss, man könne jetzt solche Fragen wie die Finanzierung angehen und konkrete Schritte zur Einführung eines Grundeinkommens überlegen.

In scharfen Worten kritisiert er den politischen Umgang mit den aktuellen Armutsproblemen: „Kinderarmut ist gesellschaftlich gesehen Dummheit, Altersarmut grober Undank. Eine Gesellschaft, die auch nur einem Kind die auskömmliche Sicherung wenigstens seiner materiellen Existenz verweigert, beschneidet ihre eigenen Zukunftsperspektiven. Die moralischen Standards einer Gesellschaft zu beurteilen, die Armut von Menschen duldet, die ein ganzes Leben für diese Gesellschaft etwas geleistet haben, möchte ich mir lieber ersparen.“ Beim Elterngeld zeigten die Erfahrungen, „dass Besserverdienende von dieser Reform ganz besonders profitieren, während zugleich die relative Kinderarmut in Deutschland nie gekannte Höhen erreicht hat. Das ist nicht nur ein Irrsinn, es ist ein gesellschaftspolitischer Skandal ersten Ranges. Wie so oft hat hier mal wieder die gehobene Mittelschicht Politik für die gehobene Mittelschicht gemacht.“

Bei dieser Feststellung bleibt Werner nicht stehen, sondern schlägt vor, für jedes Kind mindestens bis zum 16., besser aber bis zum 18. Lebensjahr ein Einkommen einzuführen, das vielleicht zwischen 640 und 750 Euro monatlich liegen könnte und die bisherigen Unterstützungen – vom Kindergeld bis zu steuerlichen Erleichterungen – ersetzen würde.

Für Alte fordert er eine „vollständig steuerfinanzierte Grundrente“ in Anlehnung an das Schweizer Modell und in einer Höhe, die deutlich über den Hartz-IV-Sätzen liegen müsste. In der Schweiz sind es zwischen 680 und 1360 Euro monatlich. Zur Sicherung des vorherigen Einkommens- und Lebensstandards müsse jeder privat vorsorgen – wobei klar sei, dass es bezüglich erworbener Ansprüche aus dem bisherigen Rentensystem langer – im Einzelfall wohl auch komplizierter – Übergangslösungen bedürfe.

Bei diesen Forderungen fällt die große Nähe zu aktuellen Diskussionen in allen Parteien auf. Am weitesten sind vielleicht die Exponenten der Grünen Parteibasis – vertreten z.B. durch Wolfgang Strengmann-Kuhn und Robert Zion. Bei der Linken ist die Forderung nach einer Grundsicherung im Alter bereits Beschlusslage. Die CDU arbeitet das Konzept von Dieter Althaus in einer Arbeitsgruppe auf, die der Parteiführung zu berichten hat. Insbesondere der NRW-Ministerpräsident fordert eine angemessene Sicherung im Alter, wenn auch noch nicht für alle Alten, sondern erst einmal für diejenigen, die lange in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Bei der FDP wird über eine Verbesserung der Grundsicherung beraten. Auch in der SPD werden zunehmend Fragen des Grundeinkommens erörtert, wenn auch hier der Widerstand gegen das dafür nötige Umdenken wohl noch am stärksten ist.

Fazit: Während Götz Werner in der ersten Phase, dem Ingangsetzen eines neuen Denkens, bei allen etablierten politischen Kräften ständig Anstoß erregte, ist er nun nahe bei den Tonangebenden, soweit sie überhaupt gegen die offenbaren Missstände tätig werden wollen. Er nimmt die Diskussion um die faktische Umsetzung des Grundeinkommens auf und wird sie weiter richtungweisend bestimmen.

8 Kommentare

Agnes Schubert schrieb am 11.07.2008, 01:03 Uhr

Mir fällt es ehrlich wirklich schwer, den Götz Werner zu loben. Vielleicht kommt es daher, dass ich einem Unternehmer seiner Größenordnung automatisch skeptisch gegenüberstehe und ich nicht akzeptiere, wenn man öffentlich die BGE-Idee in Deutschland immer nur an eine Person anhängt.

Aber was soll`s, wenn ich meine eigenen Argumente zum BGE nun bei ihm lese, dann muss ich zumindest feststellen: Ja, ein erfolgreicher Geschäftsmann kann doch tatsächlich denken. Das zumindest sollten die Kritiker ihm nicht absprechen. Man kann ihm von linker Seite ja auch einen \"falschen\" Klassenstandpunkt vorwerfen, so wie er möglicherweise die Mitarbeitermitbestimmung in den dm-Märkten damals \"nur\" aus Geschäftssinn eingeführt hatte.

Mit seinen Argumenten zum BGE sollte man sich hier aber schon auseinandersetzen.

So schreibt er in in der obigen erwähnten PDF u.a. auch:

\"Inzwischen beginnt sich zum Glück die an sich nicht sonderlich schwer zu erlangende Einsicht durchzusetzen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen keine zusätzliche soziale \'Wohltat\' wäre. Denn es würde die vorhandenen Einkommen selbstredend nicht ergänzen, sondern zum Teil ersetzen.\"

Es gibt also in seinem System für die bisher Armen nicht per se mehr für alle, sondern mindestens so viel, wie sie heute bekommen, verbunden mit einer höheren Selbstbestimmung.

Nun stellt sich die Frage, ob man mit ihm für ein BGE sein kann, oder als Linker nur gegen ihn.

Ich weiß, wie ich mich stelle, und zusätzlich bin ich sicher auch schon gleich auf der Seite derjenigen, die dann alsbald eine Erhöhung des BGE fordern. Ich bin auch gleichzeitig davon überzeugt, dass bei einem durchgesetzten BGE die Front derjenigen, die von einer BGE-Erhöhung etwas haben, einheitlicher ist als bei den unterschiedlichsten Sozialmaßnahmen heute - und somit stärker.

Andreas Gurk schrieb am 15.07.2008, 14:57 Uhr

Zu Agnes:

Gerade das ist es doch, dass wir endlich aus dem Lagerdenken (links-rechts-rot-grün-schwarz-gelb-etc.)aussteigen und nach neuen natürlichen Strukturen suchen.

Für viele Menschen ist das \"Lagerdenken\" die letzte Orientierung in einer rasant sich selbst zerstörenden Zeit. Wir glauben heute in einem Informationszeitalter zu leben und meinen besonders Intelligent zu sein - dass ist ein Irrtum - , denn der Nachwelt bleibt nur noch digitaler Schrott und atomare Verseuchung (das ist eklig aber absolut ernst gemeint.

Was tun? Revolution ausrufen? Seine eigene Haut retten? Weiter machen wie bisher? Nein!

Jeder sollte etwas mehr menschlicher und über sein Leben hinaus denken, mehr Verantwortung für das Leben übernehmen und in Zusammenhängen, Kreisläufen und Rhythmen die Welt anschauen.

Das BGE ist in diesen Sinne eine soziale Tat, dass es der sozialen Ordnung.

Thomas Oberhäuser schrieb am 15.07.2008, 15:27 Uhr

Sich zur Person von Götz Werner zu äußern und ihn dabei in die Unternehmerecke zu stellen, ist schon verlockend. Dabei bedenken sollte man aber, dass alle Diskussionen, die über die Reizworte Kapitalismus, Kommunismus, Unternehmertum, Arbeiterschaft, etc. laufen, immer in einer Klassenkampfbetrachtung enden, die die Menschen auseinanderbringt und der Polemik und Feindschaft unter den Menschen Vorschub leistet.

War es nicht gerade die Idee des Grundeinkommens, die parteiübergreifend wieder eine Diskussion unter den Menschen voranbrachte, scheinbar unüberwindliche Gräben zuschüttete, und zu nicht mehr möglich gehaltenen gemeinsamen Betrachtungen und Erkenntnissen führte. Das \"Kästchendenken\" der Roten, Grünen, Linken, Schwarzen ist es doch, was unsere Gesellschaft so heruntergewirtschaftet hat. Jedes Grüppchen denkt nur soweit, wie ihre eigene „Schatulle“ reicht.

Die Aufgaben, die heute die Grundeinkommensbefürworter angehen müssen, sind in erster Linie machtpolitische Natur:

Durch welche Unternehmungen, Aktivitäten wird eine baldige Einführung des Grundeinkommens befördert? Was können dabei die vielfältig vorhandenen Initiativen tun. Welche Aufgaben können sie übernehmen. --

Die Vermittlung der Grundeinkommensidee bleibt weiterhin eine wichtige Arbeit. Grundeinkommensgegner sind aber nicht nur die, die die Idee nicht verstehen, etwa weil sie zu kompliziert sei, sondern auch diejenigen, die von dem alten, ungerechten und menschen-unwürdigen System profitiert haben. Sie ziehen daraus Profit, dass ihre Mitmenschen benachteiligt werden, und viele dieser Menschen wollen nicht auf die daraus resultierenden „Vorteile“ verzichten. Da nützt auch kein Infoabend.

Für die, die noch gar nichts von der Grundeinkommensidee gehört haben, gibt es immer mehr Informationsangebote. In Form von Vorträgen, Infoveranstaltungen, Internetseiten. Die Grundidee ist nun auch wirklich nicht schwer zu verstehen: Eine durch den Staat an alle Bürger bedingungslos gezahlte Existenzsicherung. - Und die hatten wir bis jetzt noch nicht.

Mathias Schweitzer schrieb am 16.07.2008, 16:31 Uhr

Götz Werner greift jetzt Ideen auf, die zum Teil schon umgesetzt wurden. Damit bewegt er sich (zumindest zum Teil) weg, von der sympathischen Grundidee eines bGE für alle Menschen. Die steuerfinanzierte Rente wird derzeit in der Schweiz umgesetzt und Kindergeld/Kinderfreibeträge gibt es schon in Deutschland. Selbstverständlich hat Götz Werner recht, mit der Feststellung des erbärmlichen Umganges mit armen Kindern und armen Alten in einer derart reichen Gesellschaft, wie der unserigen. Klar, beginnen kann man mit einem bestimmten Personenkreis immer und lieber so, als wenn überhaupt nichts passiert. Die betroffenen Menschen werden es danken. Auf der anderen Seite müssen wir jedoch aufpassen, dass wir uns nicht zu weit vom Ursprung des bGE wegbewegen. Ich würde, wenn ich dürfte, mir eher einen radikalen Schritt in Richtung eines bGE aussuchen, um die \"Verwässerung\" der Grundidee auszuschließen.

peter Leyendecker schrieb am 02.08.2008, 12:41 Uhr

Mein bundesweit erfogreicher Kollege Prof. Werner ist ein Glücksfall.

Aber wie ich seit Jahrzehnten als regional erfolgreicher Risiko- und Familien-Unternehmer (seit 1860) erfahre, trauen die eigenen 150 MitarbeiterInnen Ihrem Chef sehr wohl, aber die Öffentlichkeit bzw. Parteien, Gewerkschaften, Kirchen usw. glauben uns zu oft nicht, dass auch für uns Unternehmer das Ganze = Gesellschaft mehr ist als die Summe seiner Teile. Es gab und gibt viele UnternehmerInnen, die eigendynamisch sozialen Fortschritt eingeführt haben.

Als Mitverantwortlicher des www.bku.de im Bistum Trier engagiere ich mich schon seit Jahren regional und bundesweit für das Grundeinkommen.

Wie nach der Währungsreform 1948 müssen wir bescheiden mit Raten die Einführung des Grundeinkommen angehen.

Aber für mich wäre die erste Gruppe die Arbeitslosen, die viel mehr diskriminiert werden und noch schlechter dran sind als die Rentner und Kinder.

Diesen steht \"sowieso\" ein \"Grundeinkommen\" zu, so dass dies zunächst kein so großer finanzieller Sprung wäre.

Aber die diskrimierende Behandlung z.B. als Schuldiger an der Arbeitslosigkeit könnte abgestellt werden, und es könnte gleich viel Personal eingespart bzw. bei produktiven Aufgaben eingesetzt werden, anstatt sich nur mit schnüffeln, kontrollieren, verwalten usw. beschäftigen zu müssen.

Auch müssten die Dazuverdienst-Möglichkeiten bis 500/750 Euro monatlich höchsten mit dem Mehrwertsteuer-Satz belegt werden, damit auch als Nebeneffekt, die Schwarzarbeit abnimmt.

Durch dieses leichte Dazuverdienen - auch der Kinder z.B. beim Ferienjob - könnte der Einstieg bei 500/600 Euro liegen.

Peter Leyendecker

Saarstr. 6 -12, 5290 Trier

0651/7168 - 22, Fax - 26

www.Leyendecker.de

www.bastelstube.de

www.bku.de

Tobin schrieb am 23.08.2008, 09:00 Uhr

Herr Werner: Hartz4-Opfer sind auf alle Fälle mit die ersten, die ins BGE-Boot geholt werden müssen, um sie von den Schikanen \"ARGEr Behörden\" zu befreien und \"Luft holen\" zu lassen! Meinen Sie nicht?!

Axel Schreiber schrieb am 21.05.2009, 18:17 Uhr

Die Idee des BGE funktioniert nur, wenn sie radikal umgesetzt wird. Nur so entstehen Arbeitsplätze. Wenn wir jetzt nicht den Mut haben, als erste von den Wettbewerbsvorteilen zu profitieren, die das BGE mitbringt, dann werden uns andere Nationen, die mutiger sind, den Rang ablaufen. Je mehr Kompromisse wir eingehen, desto mehr notwendige Dynamik geht verloren. Wir reden hier von der nächsten Stufe der wirtschaftlichen Evolution. Der damit einhergehende soziokulturelle Wandel der Gesellschaft könnte auf lange Sicht der Schlüssel zur Rettung unserer Welt sein. Schwer vorstellbar? Sicher! Aber wann in der Geschichte waren revolutionäre Änderungen leicht vorstellbar. Ich frage mich schon jetzt, wie wohl eine Parteienstruktur in einer Gesellschaft aussieht, in der es nicht mehr notwendig ist, in Klassenbegriffen zu denken. Nehmen wir den Menschen die Angst vor Arbeit. Schaffen wir wieder Kreativität, die sich lohnt und eine Zukunft für unsere Kinder, die selbstbestimmt ist. Geben wir uns wieder Luft für unsere Träume. Die Rahmenbedingungen sind erfüllbar. Was wir jetzt brauchen, ist die Einigung auf das idealtypische Konzept. Nur das kommt einem Win-Win-Szenario am nächsten. Was dann erfolgen muss, ist die breite Aufklärung der Bevölkerung, um die Politik zu zwingen, dieses Konzept ernsthaft in Angriff zu nehmen. Erst wenn auch in der letzten Kneipe darüber diskutiert wird, werden wir dem Ziel näher gekommen sein.

Viktor Panic schrieb am 29.05.2009, 14:33 Uhr

Kritik am (guten) Kommentar von Axel Schreiber:

Es ist wahr, dass nicht jeder \"schrittweise Einstieg\" in das BGE dessen Vorzüge sofort zum Tragen kommen lässt. Ich schlage daher vor, sich auf folgende zwei Gruppen zu beschränken: Hartz-IV-Empfängern sollte durch eine intelligentere Anrechnungs-Regelung der Spaß am Geldverdienen... pardon... der Spaß an der Arbeit zurückgegeben werden. Und auf der anderen Seite sollten Arbeitnehmer, die knapp oberhalb des Hartz-IV- und Wohngeld-Anspruchs liegen, entlastet werden, um den \"Lohnabstand\" zu erhöhen.

Davon abgesehen ist es jedoch AUCH richtig, zunächst durch Einführung eines Kinder-Grundeinkommens die Benachteiligung von Eltern zu beenden!

Besonders übel stößt mir die Verwendung des Begriffs \"Wettbewerbsvorteile\" auf. Wahr ist, dass das BGE Niedriglohnjobs finanziell attraktiv macht und dadurch den derzeitigen WettbewerbsNACHTEIL von Sozialstaaten wie unserem ausgleicht. Doch der ganze \"Standort-Wettbewerb\" ist Auswuchs eines Systems, welches zur fairen Verteilung von Arbeit und Einkommen unfähig ist und die Wiederherstellung von \"Vollbeschäftigung\" dadurch zu erreichen sucht, dass anderen Ländern - in denen doch ebenfalls Arbeitslosigkeit herrscht! - Marktanteile abgeknöpft werden.

In einer Grundeinkommens-Welt ist Standort-Wettbewerb überflüssig!

Denn Wettbewerb ist etwas für Unternehmen (und auch für Arbeitnehmer), nicht aber für Nationen!

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