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BIEN 2014: Die Wirtschaft re-demokratisieren

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Der 15. Kongress des Basic Income Earth Network (BIEN) in Montreal brachte neben einer großen Vielfalt wissenschaftlicher Anregungen auch die klare politische Kritik an Ungleichverteilung und Ausgrenzung.

Zwei Jahre nach dem Kongress des Basic Income Earth Network (BIEN) in Ottobrunn bei München fand der Kongress (Hyperlink: http://biencanada.ca/congress/ [1]) dieses Jahr vom 27. bis 29. Juni in Montreal, Kanada, statt. Das kanadische Basic Income Canada Network (BICN) um Jürgen De Wispelaere organisierte den Kongress souverän. Geschätzt 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Aktive aus der ganzen Welt trafen sich bei schönstem Sommerwetter in den klimatisierten Räumen der McGill-Universität zu Vorträgen, Diskussionen und Austausch. Das Motto lautete „Re-democratizing the Economy“ und war zu Beginn Anlass für eine skeptische Bemerkung über das „re“ – war die Wirtschaft jemals demokratisch?

Während in einzelnen Workshops wissenschaftliche Präsentationen dominierten, hatten die zentralen Vorträge, die „keynotes“, stärker politischen Charakter.

Wie gewohnt hat die Wissenschaft zum Grundeinkommen eine breite Ausrichtung, von juristischen, philosophischen und ökonomischen Fragen bis zur Genderperspektive. Beispiele der Debatten auf dem Kongress:

Regionale Perspektiven spielten wie immer eine wichtige Rolle, diesmal mit nordamerikanischem Schwerpunkt.

Das Kongress-Motto von der Re-Demokratisierung zog sich durch einige der Plenarvorträge. Die gemeinsame Botschaft mehrerer Keynote-Speaker ist, dass das Grundeinkommen nicht unabhängig von der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung positiv wirken kann, sondern immer zusammen mit anderen politischen Änderungen umgesetzt werden muss.

Dies wurde deutlich bei Antonio Prado von der UNO-Kommission für Lateinamerika (ECLAC), der von den aktuellen Herausforderungen lateinamerikanischer Volkswirtschaften berichtete. Trotz großer Erfolge bei der Armutsreduzierung in den zurückliegenden Jahrzehnten ist die Einkommensungleichheit hoch. Ein handlungsfähiger Staat mit ausreichend hohen Steuereinnahmen ist erforderlich, damit soziale Sicherheit, ökologische Nachhaltigkeit und eine gute Infrastruktur gesichert werden können.

Joe Soss, Politikwissenschaftler von der University of Minnesota, beschrieb den Abbau sozialer Errungenschaften und die Änderung der Verteilung zu Gunsten der Wohlhabenden in den USA seit den 70-er Jahren. Nur die Vermögenden und die Eliten profitierten vom Wirtschaftswachstum. Die meisten müssen immer härter arbeiten, nur um ihren Status aufrechtzuerhalten. Die am meisten Benachteiligten werden von einem bevormundenden und autoritären Sozialstaat bestraft und mit moralisierenden Reden über „Rechte und Pflichten“ ins Unrecht gesetzt. Soss machte die hohen Hürden für gesellschaftliche Verbesserungen unangenehm deutlich. Die Mächtigen werden keine Zugeständnisse machen: „power concedes nothing without a fight“. Der Bedarf, Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt zu re-demokratisieren, wurde in seinem Vortrag besonders deutlich.

Roberto Gargarella, Verfassungsjurist der Universität Buenos Aires, diskutierte die Verfassungsgeschichte Lateinamerikas der letzten 250 Jahre. Sein Fazit ist, dass die Proklamation neuer politischer Rechte wenig Wirkung hat, wenn damit nicht die Veränderung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse verbunden ist.

Politisch konnte in den Plenarsitzungen über einige neue Aktivitäten in Richtung Grundeinkommen berichtet werden. So präsentierten Guy Standing und Renana Jhabvala neue Erfahrungen aus den Grundeinkommensexperimenten in einigen Dörfern Indiens. Hier trug die Einführung niedriger Cash Transfers zur ökonomischen Aktivierung der Einwohner bei und hatte ausgesprochen positive Folgen für die arme Bevölkerung. Für viele Frauen, die es gewohnt waren, sich als „die Frau von …“ vorzustellen, hatte die Eröffnung eines Bankkontos auf ihren eigenen Namen einen identitätsstiftenden Effekt. Leider gab es keine neuen Erfahrungsberichte von den Projekten in afrikanischen Ländern, wo in zurückliegenden Jahren ebenfalls mit der Einführung von Cash Transfers experimentiert wurde.

Aus Europa konnte über die Erfahrungen der (schließlich nicht erfolgreichen) Europäischen Bürgerinitiative für ein Grundeinkommen berichtet werden. Obwohl die notwendige Zahl an Unterschriften am Ende nicht zu Stande kam, wurde im Rahmen der Kampagne das Grundeinkommen in vielen Ländern bekannter gemacht. Mit der Gründung des neuen europäischen Netzwerks UBI Europe (UBIE) wird die europäische Vernetzung der Grundeinkommensinitiativen fortgesetzt. Dieses Netzwerk wurde in der Mitgliederversammlung von BIEN als regionale Niederlassung von BIEN anerkannt. Das nächste Treffen dieses europäischen Netzwerks ist Ende September 2014 in Athen. Internationale Vernetzung ist gerade in Europa entscheidend, wenn soziale Verbesserungen durchgesetzt werden sollen.

Während die europäische Bürgerinitiative nicht genug Unterschriften sammeln konnte, gelang dies der Schweizer Volksinitiative für die Einfügung des Grundeinkommens in die Schweizer Verfassung, von der Enno Schmidt berichtete. Hier wird am Ende in einer Volksabstimmung über die Einführung des Grundeinkommens entschieden. Unabhängig von den Erfolgsaussichten ist dies eine große Chance, die Idee bekannter zu machen und dafür zu werben.

Neuer Schwung kommt auch aus der Gruppe junger Wissenschaftler und Aktivisten. Diese schlossen sich am Rande des Kongresses zum neuen Basic Income Global Youth Network (BIGYN) zusammen.

Die BIEN-Mitgliederversammlung konnte nur verkürzt stattfinden. Dem fiel auch ein vom deutschen Netzwerk Grundeinkommen unterstützter Antrag zum Opfer, die Definition des Grundeinkommens im BIEN-Statut („ein Einkommen, das allen bedingungslos auf individueller Basis ohne Bedürftigkeitsprüfung oder Verpflichtung zur Arbeit garantiert wird“)[1] [2] und damit den satzungsmäßigen Konsens des BIEN-Netzwerkes um ein weiteres (viertes) Kriterium zu erweitern: Das Grundeinkommen muss hoch genug sein, um ein Leben in Würde sowie gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.[2] [3] Dieser Antrag wurde vertagt.

Der nächste Grundeinkommenskongress soll 2016 in Seoul (Südkorea) stattfinden.

Für nähere Informationen siehe: http://biencanada.ca/congress/ [1]. Dort werden laufend zahlreiche Papers zu den einzelnen Präsentationen des Kongresses veröffentlicht.

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Endnoten

[1] [4] Originalformulierung in Nummer 1 des BIEN-Statuts: „an income unconditionally granted to all on an individual basis, without means test or work requirement“, http://www.basicincome.org/bien/pdf/BIEN_Statutes.pdf [5]

[2] [6] „a UBI should be high enough to live in dignity and with full participation in society“.

2 Comments (Open | Close)

2 Comments To "BIEN 2014: Die Wirtschaft re-demokratisieren"

#1 Comment By Henrik Wittenberg On 10.07.14 @ 18:30

Schön, wieder etwas vom BGE-Pilotprojekt in Indien zu hören, da es anscheinend – abgesehen von den in Deutschland bekannten Rettungsbemühungen für Otjivero – in Afrika keinerlei neue Impulse zum BGE gibt. Verwunderlich allerdings, dass das brasilianische Pilotprojekt in Quatinga Velho nicht erwähnt wurde und auch nicht über andere geplante Pilotprojekte in Brasilien berichtet wird (Senator Eduardo Suplicy hatte über ein solches Vorhaben auf dem BIEN-Kongress 2012 in München berichtet). Artikel darüber liegen schon etwas länger zurück:
[7]

#2 Comment By Thilo Krause On 16.10.14 @ 14:17

Ich habe erst heute gelesen, dass BIEN das vierte Kriterium (existenzsichernd) noch gar nicht aufgenommen hatte. So kam es wohl auch dazu, dass Wikipedia unter Bezugnahme auf BIEN behauptet:”Ein BGE kann aber auch unterhalb des Existenzsicherungsniveaus liegen.”
Der Wikipedia-Eintrag zum bedingungslosen Grundeinkommen wird jeden Monat von durchschnittlich 7700 Menschen aufgerufen!