Kommunen fordern Sozialabbau – Neuanfang mit Grundeinkommen wäre nötig

Herbert Wilkens 10.08.2012 Druckversion

Wenn der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) fordert, zahlreiche Sozialleistungen zu überprüfen, geht es ihm zunächst einmal um „die Verschiebung der Kosten zwischen den föderalen Ebenen“, also von den Kommunen zum Bund – ein legitimes Interesse der in der Tat klammen Städte und Gemeinden. Um dem Anliegen ein wenig mehr staatsmännische Würde zu verleihen, verlangt er, die Staatsausgaben auf Investitionen statt auf Sozialtransfers zu konzentrieren. Im Klartext heißt das, die sozialen Leistungen zu kürzen. Konzentration auf die „wirklich Bedürftigen“ klingt gut, dürfte aber Einschnitte für viele bedeuten. Wer erhält schon Sozialleistungen, die er nicht nötig hat? Ein paar Leistungen, die wohl großenteils entbehrlich sein sollen, werden gleich beim Namen genannt: familienpolitische Leistungen, ehebezogene Leistungen, Unterstützung bei Altersarmut, Betreuungsgeld, Eingliederungshilfe für Behinderte, Unterkunftskosten, Wohngeld. Das alles mündet in die Forderung, eine Sachverständigenkommission einzusetzen, die praktische Maßnahmen ausarbeiten soll.

Der demagogische Ton in der DStGB-Erklärung sollte nicht unwidersprochen bleiben:

  • Der DStGB behauptet, in einer alternden Gesellschaft könnten nicht immer weniger Junge für immer mehr Ältere auch noch bessere Sozialleistungen erwirtschaften. Er vergisst die wissenschaftliche Erkenntnis „Produktivität schlägt Alterung“ (Gerd Bosbach). Auch dank der Leistungen der Älteren sind die Jungen in der Lage, den Alten angemessene Renten zu finanzieren und später dasselbe für sich selbst in Anspruch zu nehmen.
  • Die Forderung des DStGB nach mehr Eigenverantwortung und Eigenvorsorge ist in diesem Zusammenhang die Abkehr von solidarischer sozialer Sicherung. Angesichts von Finanzkrisen ist die privatwirtschaftliche Zukunftsvorsorge eine schlechte Wahl – das gesetzliche gesamtgesellschaftliche Sozialsystem ist sicherer.
  • Der DStGB meint: „So wie Deutschland durch die Arbeitsmarktreformen seine Wettbewerbsfähigkeit vehement gesteigert hat, kann auch eine solche Sozialstaatsreform Vorbild für ein europäisches Modell des Sozialstaates werden.“ Man hat beim DStGB immer noch nicht begriffen, dass die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit nur mit hoher Selbstschädigung erreicht wurde: durch eine für die Demokratie absolut bedrohliche gesellschaftliche Schieflage zwischen Arm und Reich und durch die Prekarisierung von Millionen Menschen. Gerade die Steigerung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit hat wesentlich zu der aktuellen Krise in Europa beigetragen (siehe z.B. Heiner Flassbeck). Dass Deutschland „ein europäischer Stabilitätsanker“ sei, kann unter diesen Umständen niemand ernsthaft behaupten. Jeder triumphierende Tonfall verbietet sich von selbst.

Das Netzwerk Grundeinkommen hat reagiert: In einer Pressemitteilung erkennt es den Reformbedarf grundsätzlich an. Aber die Schlussfolgerungen gehen nach Ansicht des Netzwerks genau in die falsche Richtung: Die menschenunwürdige Hartz-IV-Praxis und die übrigen Missstände in der sozialen Sicherung müssen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen überwunden werden. Nur mit diesem Mittel kann die verdeckte Armut bekämpft werden, von der in Deutschland 5,9 Millionen Menschen betroffen sind. Sie hätten Anrecht auf Hilfe, nehmen sie aus unterschiedlichen Gründen aber nicht in Anspruch und bleiben so in der Armutsfalle.

Das Netzwerk Grundeinkommen stellt fest, „Armut und Ausgrenzung sind kein kommunales, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Ein bedingungsloses Grundeinkommen entlastet Kommunen von Sozialausgaben, die eigentlich nicht ihre sein müssten.“ Außerdem fordert das Netzwerk die Einrichtung einer Enquête-Kommission im Deutschen Bundestag, die die Möglichkeit einer (schrittweisen) Einführung des Grundeinkommens in Deutschland debattiert und den Abgeordneten und Fraktionen im Bundestag konkrete Schritte zur Einführung empfiehlt.

2 Kommentare

Trabandt schrieb am 29.08.2012, 19:28 Uhr

Es ist wichtig, darüber nachzudenken, dass alle Menschen lebenswert leben können. Vor allem Menschen, die ihr ganzes Leben werktätig waren, dürfen nicht bei Eintritt in die Rente auch noch Flaschen sammeln müssen, wie ich dies heute sowohl bei jungen als auch bei älteren Menschen erlebe. Jeder hat ein Recht, menschenwürdig behandelt und nicht - wie oft Hartz-IV-Empfänger - als Schmarotzer hingestellt zu werden. Es gibt so differenzierte Wege, wie ein Mensch in Hartz IV gerät, und es kann nicht sein, dass unsere Politiker diese Menschen als Parasiten der Gesellschaft bezeichnen, vor allem nicht der Städte- und Gemeindebund.

Ich bin für ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle in Deutschland seit 40 Jahren Lebenden, und keine Ausnahmen bei der Nationalität. Es gibt bei unseren ausländischen Mitbürgern die verschiedensten Gründe, warum diese nicht die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben, deshalb darf man auch diese nicht ausschließen. Bei einer Abwanderung in ein anderes Land müssen Abstriche vorgenommen werden. Denn die meisten Menschen können nur einmal 40 Jahre lang in einem Land arbeitsfähig sein.

Burmester schrieb am 05.09.2012, 18:10 Uhr

Es ist wichtig, dass alle Menschen lebenswert leben können.

\"1 = 1\": Diese Aussage ist korrekt und wird nicht in Frage gestellt und diskutiert. \"bedingungslos = bedingungslos\": Auch diese Aussage ist korrekt und das Wort bedingungslos definiert, sie wird dennoch immer wieder in Frage gestellt und diskutiert.

Warum? Vielleicht weil es \"nur\" darum geht, die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu verzögern oder gar zu verhindern, indem man den UnterstützerInnen des bedingungslosen Grundeinkommens ein paar blödsinnige oder halbherzige Argumente vor die Füße wirft, die sie dann zunächst einmal entkräften wollen oder müssen? Das kostet Zeit, u. U. viel Zeit, die m. E. die UnterstützerInnen sinnvoller nutzen könnten/sollten.

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