Offener Brief von Kai Ehlers – scharfe Kritik am BGE-Kongress

Kai Ehlers 10.11.2008 Druckversion

Ich habe den Kongress als eine recht unentschiedene Veranstaltung erlebt, die mich darin bestärkt, dass wir andere als die eingefahrenen Politikformen brauchen.

Kurz und knapp im Detail:
Das Einführungspodium war aus meiner Sicht – und aus der Sicht ausnahmslos aller Menschen, mit denen ich dann darüber sprach – sehr verunglückt:
12 Minuten für Götz Werner, danach kurze Statements auf einem sechsköpfigen Podium, die sich nicht aufeinander bezogen, sondern zusammenhanglos nebeneinander standen, dann Eröffnung einer Publikumsdebatte mit dem Auditorium – das war ein echter Fehlstart. Götz Werner (warum immer) hat einen höchst allgemeinen Parcours durch die Wolken der Grundeinkommnens-Idee gemacht, nicht einmal so konkret, dass er die Botschaft eines anderen Menschenbildes rübergebracht hätte. Die übrigen Beiträge waren so blass, dass ich sie kaum noch erinnere. Hängengeblieben ist bei mir nur der Beitrag von Werner Rätz, der immerhin einen für ihn neuen Ton anschlug:
Grundeinkommen nicht nur monetär zu verstehen, sondern mehr in Relation zu den Fragen der Grundversorgung zu diskutieren.

Nach diesem schwerpunktlosen Einführungspotpourri war es nicht verwunderlich, dass die daraufhin angesetzte Debatte im Auditorium den Charakter von ziemlich unerträglichen Wadenbeißereien annahm. Man fühlte sich offenbar durch das Auftreten von Götz Werner provoziert, hatte andererseits aber keinen neuen Stoff, um den man sich sinnvoll zu diesem Zeitpunkt hätte streiten können. So wurden die alten Dauerbrenner wieder herausgekramt und das in einem Klima der Hahnenkämpfe statt des Versuchs der gegenseitigen Verständigung. Vergessen ist offenbar der Versuch, den die Bewegung auf Einladung Werners letztes Jahr gemacht hat, solche unsinnigen Platzkämpfe durch konstruktive Auseinandersetzung zu ersetzen.

Für Newcomer war dieser Einstieg absolut demotivierend und desorientierend.
Ich hatte u.a. einen jungen Mann aus Hamburg an meiner Seite, ganz neu im Thema – den musste ich nach diesem Einstieg erst einmal wieder aufrichten, indem ich ihn auf die kommenden Workshops orientierte. Er hatte sich von dem Einstieg, versteht sich, eine Einführung ins Thema, in den Stand und die weiteren Ziele der Bewegung versprochen. In dieser Erwartung kann ich den jungen Mann, wie alle anderen, mit denen ich sprach, nur unterstützen:

Richtig wäre – aus meiner Sicht – gewesen, ein Podium anzubieten, das eine klare Einführung ins Thema, Zielsetzung, in den Stand der Bewegung, in die wichtigsten offenen Fragen und die Zielsetzung dieses Kongresses gegeben hätte, um damit die Fragen, vorzugeben, die für diesen Kongress als die zu bearbeitenden und zu klärenden anstehen, und die Kongressteilnehmer aufzufordern – meinetwegen auch zu bitten oder anzuregen – sich in ihren jeweiligen Workshops mit ihren jeweiligen Ansätzen um diese Grundfragen herum zu bewegen. So hätte man auch den Workshops die Möglichkeit gegeben, auf eine SYNERGIE des Kongresses hinzuarbeiten.

Stattdessen fanden die Workshops unverbunden nebeneinander statt.
Rückbezüge auf eine gemeinsame Fragestellung hat es praktisch nicht gegeben.
Außendarstellung (Podien) und innere Arbeitsprozesse (Workshops) konnten sich nicht gegenseitig fördern.

Ich schlage vor, mögliche zukünftige Treffen, Arbeitsbegegnungen, Kongresse genauestens daraufhin abzuklopfen, was da jeweils im Vordergrund stehen soll – interne Klärungsprozesse? Gezielte Arbeit an offenen Fragen? Publik Relation? Alle drei Aspekte sind selbstverständlich wichtig, aber man muss sie entweder getrennt voneinander organisieren oder die gemeinsame Organisation so aufeinander abstimmen, dass sich diese drei Elemente gegenseitig aufbauen.

Dazu muss die Kongressvorbereitung natürlich den Mut und das Vertrauen haben, klaren „frontalen“ Input, die Forderung nach ergebnisorientiertem Arbeiten und offene Diskussionsprozesse effektiv miteinander zu verbinden.
Ich sehe es so: Klare Einführung des Grundanliegens (wie oben gesagt), die Greenhorns mitnimmt und alte Kämpen auf ein Miteinander einstimmt, Workshops, die darauf orientieren, ihre Ergebnisse zur gestellten Grundfrage miteinander in einen Austausch zu bringen. (Keine „Berichte“, sondern nach den Workshops, bzw. jeder Workshopphase eine offene Runde des Austausches), Repräsentation der Workshops in den Podien, damit die Arbeitsergebnisse der Workshops gezielt in die Kongress- und darüber hinaus die allgemeine Öffentlichkeit kommen – statt der separaten „Pressegespräche“ einzelner Akteure am Rande (die selbstverständlich ergänzend auch stattfinden sollen/können/dürfen).

Abschließend noch dies: Ich denke, die Bewegung zum Grundeinkommen muss hart darauf achten, nicht zu einer Szeneveranstaltung zu werden, die sich von anderen Kreisen mit den üblichen, eingefahrenen Ritualen einer sektiererischen (linken) Debatten(un)kultur abgrenzt, sondern sich für die bewusste, gezielte, langfristig angelegte Entwicklung von Synergien öffnen – ohne dabei die unterschiedlichen Positionen zu verwässern oder zu unterdrücken. Nur wenn dieses Kunststück gelingt, hat die Idee des Grundeinkommens eine Chance der Verwirklichung, glaube ich, mehr noch, die Herstellung einer solchen Synergie – kreativer gemeinsamer Energie – ist ja geradezu das Grundanliegen dieser Idee.

4 Kommentare

Jörg Drescher schrieb am 10.11.2008, 23:29 Uhr

Der Einschätzung kann ich weitgehenst zustimmen. Eigentlich war ich als Referent für einen Workshop nach Berlin gekommen, doch aus organisatiorischen Mißverständnissen kam es nicht dazu.

Man muß allerdings auch sehen, wer diesen Kongress vorbereitet hat und welche Schwierigkeiten im Hintergrund abliefen. Daß dies nicht gerade \"öffentlichkeitwirksam\" ist, wenn dann so etwas herauskommt, muß nicht extra gesagt werden. Trotzdem will ich sagen: daß der Berliner Kongress überhaupt stattfand, ist wenigen Engagierten zu verdanken!

Letztlich müßte eigentlich wöchentlich so eine Veranstaltung zur Aufklärungsarbeit stattfinden. Doch Berlin (gerne als \"Hauptstadt und Initiationspunkt des BGE\" betitelt) bietet sooo viele Möglichkeiten, sich abzulenken, zu engagieren und zu beschäftigen. Das BGE ist dabei nur eine von tausenden Optionen in der Stadt.

Anders sieht es im übrigen Deutschland aus.

Kongresse sind eigentlich \"Expertentreffen\", um sich über den Stand der Dinge persönlich auszutauschen. Ich würde diesen Kongress deshalb nicht als \"BGE-Aufklärungskampagne\" verstehen; trotzdem (und da stimme ich der Kritik zu) wurde kaum über das weitere Vorgehen gesprochen. Der Kongress hätte die Möglichkeit geboten, um sich abzustimmen, Ideen zu sammeln und gemeinsame Aktionen zu planen. Aber die (links-typische?) Zerstrittenheit innerhalb der Bewegung machte den Kongress zu einem \"No-Event\".

Mit persönlich brachte es einigen Input als \"außenstehender Beobachter\" - aber der Kongress selbst war dafür nur der Rahmen, der mir eigentlich kaum in Erinnerung blieb. Gleichfalls sprach ich mit Leuten, die meinten, sie würden in nächster Zukunft keine Kongresse mehr besuchen, da es eigentlich doch immer wieder das Gleiche sei.

Mir scheint auch, daß die Putzfrau, die zum Erreichen des gemeinsamen Ziels genauso wichtig ist, wie jene, die im Rampenlicht stehen wollen, bei der Sache vergessen wird. Jeder Einzelne ist beim BGE wichtig, aber das Gefühl hatte man bei dem Kongress leider nicht.

Was dem BGE und der sich daraus (immer noch) entwickelnden Bewegung fehlt, sind klare Ziele mit Konzepten, wie diese erreicht werden können.

Günter Sölken schrieb am 11.11.2008, 01:07 Uhr

Kai Ehlers hat einen Kommentar geschrieben, der mich als einen der Hauptorganisatoren des Kongresses schmerzt, den ich aber dennoch für vollends berechtigt halte.

Bei der Gestaltung des Kongressaufbaus sind notwendige konzeptionelle Überlegungen kaum zum Tragen gekommen, weil immer wieder der Proporz bei der Besetzung der Podien im Vordergrund stand. Dabei sind dann die Bedürfnisse der Teilnehmer des Kongresses - zwangsläufig? - auf der Strecke geblieben, wie übrigens auch die Botschaft. Eigentlich hätte von dieser Großveranstaltung ein Kraftimpuls für die ganze Grundeinkommensbewegung ausgehen müssen. Bleibt die Frage, wie wir es beim nächsten Kongress wirklich besser machen. Und die geht nicht nur die jetzigen Organisatoren an.

Reinhard Börger schrieb am 11.11.2008, 14:28 Uhr

Das Problem ist wohl, dass er Kongress viele Menschen zusammengebracht hat, die aus unterschiedlichen Gründen für verschiedene Varianten des BGE sind. In der Tat hätte ich mir gewünscht, dass diese Gruppen stärker miteinander ins Gespräch gekommen wären. Aber dies ist nicht nur eine Schwäche, sondern auch eine Stärke: Auf die Dauer hat das BGE nur dann eine Chance, wenn es in verschiedenen politischen Parteien Fuß fasst.

Die Möglichkeit zu solchen Auseinandersetzungen hätte sich m.E. in erster Linie in den Workshops geboten. Die Workshops wurden von verschiedenen Gruppen in eigener Regie angeboten. Leider haben manche Gruppen anscheinend mehr versucht, dort ihre eigenen Anhänger zu sammeln, als mit anderen ins Gespräch zu kommen. Viele wollen wohl ihren alten Forderungen einfach noch das BGE hinzufügen, ohne darüber nachzudenken, was sich dadurch ändert.

Ich wünsche mir eine lebhaftere Diskussion zwischen verschiedenen Gruppen von BGE-Befürwortern.

Robert Bleilebens schrieb am 17.11.2008, 18:00 Uhr

Götz Werner war in seinem Eingangsstatement nicht so konkret und bezogen auf die Beiträge aus dem Podium, wie ich es von ihm gewohnt bin.

Besonders enttäuscht war ich von dem Beitrag von Christian Fuchs von Attac Österreich, der meinte, über die Person von Götz Werner ein persönliches Urteil abgeben zu müssen, wie es offensichtlich seinem Menschenbild eines Unternehmers zu entsprechen scheint. Er kritisierte ihn wegen \"seines\" hohen Vermögens, das ja in Wirklichkeit im Unternehmen DM-Drogeriemärkte gebunden ist und Götz Werner nicht privat zur Verfügung steht.

Ich sehe es als sehr problematisch an, mit solchen aus meiner Sicht eher dogmatischen \"Feindbildern vom bösen Unternehmer\" für die Grundeinkommens-Bewegung allgemein einen möglichst konstruktiven Beitrag zu leisten.

Ich bin überzeugt davon, dass die öffentliche Auseinandersetzung zum Grundeinkommen um so erfolgreicher sein wird, je mehr ein neuer Weg, fernab von schlammschlachtähnlichen Debatten des Bundestages, eingeschlagen werden kann, indem es hauptsächlich um Lösungen geht und nicht um Polemik.

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