Sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV

Natalie Pavlovic und Ronald Blaschke 11.02.2016 Druckversion

sf_a0aufsteller-quer-berg„Die Würde des Menschen ist sanktionsfrei“ prangt in großen Lettern auf der neuen Seite sanktionsfrei.de. Am 9. Februar hat eine Gruppe um Inge Hannemann und Michael Bohmeyer eine Crowdfundingkampagne gegen die umstrittene Rechtspraxis der Jobcenter gestartet.

Inge Hannemann wurde durch ihren mutigen Einsatz gegen das Hartz-IV-Regime bekannt (wir berichteten), Michael Bohmeyer durch sein Projekt mein-grundeinkommen.de (wir berichteten). Auf dieser Onlineplattform sammelt er seit Mitte 2014 Spenden, aus denen per Los ermittelte Gewinner ein Jahr lang ein Grundeinkommen von 1000 Euro im Monat erhalten.  31 solche Grundeinkommen kamen bisher zusammen. Hierdurch rückte das Grundeinkommen wieder stärker in Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Eine gelungene Aktion, die immer bekannter wird und deren Ende nicht in Sicht ist.

Mit sanktionsfrei.de startet Bohmeyer nun ein Gemeinschaftsprojekt mit der Hartz-IV-Aktivistin und ehemaligen Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann. Für die beiden und das Team rund um die Aktion ist klar: Die bisherige Sanktionspraxis im Rahmen des SGB II (Hartz IV) darf keine Zukunft haben.

Die Sanktionen bei Hartz IV widersprechen zwei der vier Grundeinkommenskriterien unseres Netzwerkes: Bedingungslosigkeit und Existenz- und Teilhabesicherung. Die Initiator*innen schreiben auf ihrer Website, dass durchschnittlich jeder vierte Leistungsberechtigte einmal pro Jahr sanktioniert wird. Bei der Sanktionierung werde häufig gegen Gesetze verstoßen. Und obwohl Erfolgsquote von über 37 Prozent der Widersprüche und über 40 Prozent der Klagen nutzten doch nur ca. fünf Prozent diese Möglichkeit.*
Damit soll nun Schluss sein.

Hannemann, Bohmeyer und das Team sanktionsfrei.de wollen über ihre Plattform automatisiert auch weitreichende Unterstützung bei der rechtlichen Gegenwehr anbieten, ob es nun um einen Erstantrag geht, um Akteneinsicht oder um einen Widerspruch bzw. eine Klage. Dass sogar Anwälte zur Verfügung stehen werden, ist ein besonderes Schmankerl. Per Video-Chat sollen sie kompetente Rechtsberatung anbieten. Außerdem erkenne das System Jobcenter-Schreiben vollautomatisch und schlage den Betroffenen via Datenanalyse sinnvolle Handlungsalternativen vor. In Zusammenarbeit mit Jurist*innen können Antwortschreiben direkt an die zuständigen Jobcenter übermittelt werden.

Die Hilfe soll auf zweierlei Ebenen ankommen: im Vorfeld, um Sanktionen zu verhindern, und im Nachhinein, um auf Sanktionen richtig zu reagieren. Wenn es tatsächlich zu einer Sanktionierung kommt, will sanktionsfrei.de die Betroffenen aus einem Solidarfonds finanziell unterstützen, um so ihre Existenz zu sichern, also ihr Grundrecht zu garantieren.

Wie das alles finanziert wird, ist eine interessante Frage. Die Antwort soll über die Onlineplattform startnext.com kommen. Hier kann jeder mitmachen, der die Aktion unterstützen möchte. Das Finanzierungsziel liegt aktuell bei 150.000 Euro. Bereits am zweiten Tag hat das Projekt die 10.000-Euro-Grenze geknackt. Es läuft also gut an. Die Reichweite scheint schon heute enorm zu sein.

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Langfristig möchten die Aktivist*innen das Sanktions­system komplett kippen. Nur wie? Eine deutliche Steigerung der Verfahren würde, davon sind Hannemann und Bohmeyer überzeugt, für Jobcenter und Sozialgerichte einen Verwal­tungsaufwand bedeuten, den sie nicht leisten könnten. Würden statt wie bisher fünf zum Bespiel zehn Prozent der betroffenen Personen den Sanktionen wider­sprechen, könne dies das System zum Erliegen bringen.

Hartz IV soll also in eine sanktionsfreie Mindestsicherung umgestaltet werden. Diese Ziel ist vollumfänglich zu unterstützen, denn die sanktionsfreie Mindestsicherung ist ein wichtiger Schritt  hin zur Einführung eines Grundeinkommens, das den vier Kriterien entspricht: bedingungslos, existenz- und teilhabesichernd, individuell garantiert und ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt.

* Hier die Fakten in einer Übersicht.

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