Grundeinkommen kein Thema im Bundestagswahlkampf – ein Blick in die Wahlprogramme zeigt, warum

Ronald Blaschke 12.02.2025 Druckversion

Keine der derzeit im Bundestag vertretenen Parteien tritt mit ihrem Wahlprogramm für ein Grundeinkommen ein. Einige wollen massive Verschlechterungen sozialer Absicherungen, andere Verbesserungen im bestehenden Sozialsystem. Ergänzend dazu kann man sich die Positionen der Parteien zum Steuersystem vergegenwärtigen – und die damit verbundenen Umverteilungen (nach oben, nach unten, in die Mitte).

Wer sich über die Positionierungen dieser und anderer Parteien oder einzelner Kandidat*innen der Parteien zum Grundeinkommen informieren will, kann das auf der Plattform „Grundeinkommen ist wählbar“ tun. Dort finden sich auch Kandidat*innen, die sich zum Grundeinkommen bekennen, obwohl im Wahlprogramm ihrer Partei nichts zu ihm geschrieben steht.

Im Folgenden werden die Wahlprogramme der momentan im Bundestag vertretenen Parteien unter die Lupe genommen. Es werden Aussagen über Höhe und Ausgestaltung der folgenden drei steuerfinanzierten monetären Sozialleistungen aufgelistet, die für die Existenzsicherung da sein sollen: Hartz V („Bürgergeld“) bzw. Grund-/Mindestsicherung, Kindergeld bzw. Kindergrundsicherung und Grundsicherung im Alter bzw. Mindestrente. Die hier gewählte Reihenfolge der Parteienaussagen orientiert sich an den Ergebnissen der Sonntagsfrage von Yougov (12. Februar), Forsa (11. Februar 2025), INSA (10. Februar 2025).  

Neben den gleich aufgeführten Passagen ist auch ein Blick auf die Anträge aufschlussreich, die die Fraktionen zum Ende der jetzigen Legislaturperiode gestellt haben (zum Beispiel die FDP, oder auch die AfD) . Gleiches gilt für die Äußerungen der Spitzenkandidat*innen. Sie lassen in der Regel deutlicher werden, was die Parteien beabsichtigen. Die Aussagen von Olaf Scholz und Friedrich Merz zu den Sanktionen im sogenannten „Bürgergeld“, das besser Hartz V hätte heißen sollen, im TV-Kanzlerduell vom 9. Februar 2025, oder auch die Diskussion in „Hart aber fair“ am 10. Februar 2025, zeugen davon.      

1. Hartz V („Bürgergeld“), Grund-/Mindestsicherung (alles bedürftigkeitsgeprüft):

CDU/CSU

„Wer arbeiten kann, muss auch arbeiten und darf nicht auf Kosten der Gemeinschaft leben. […] Das sogenannte „Bürgergeld“ in der jetzigen Form schaffen wir ab und ersetzen es durch eine Neue Grundsicherung. Den Vermittlungsvorrang führen wir wieder ein. Wenn jemand grundsätzlich nicht bereit ist, Arbeit anzunehmen, muss der Staat davon ausgehen, dass er nicht bedürftig ist. Dann muss die Grundsicherung komplett gestrichen werden.“

„Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konnten die überproportionale Erhöhung des sogenannten „Bürgergelds“ nicht nachvollziehen. Denn ihre Löhne sind nicht im selben Maße gestiegen. Solche Fälle wollen wir in Zukunft verhindern. […] Großangelegter Sozialleistungsmissbrauch, im Inland und von im Ausland lebenden Menschen, muss beendet werden. Dazu wollen wir einen vollständigen Datenaustausch zwischen den Sozial-, Finanz-, Sicherheits- und Ausländerbehörden. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit stärken wir weiter und gehen so härter gegen die vor, die illegale Beschäftigung betreiben oder ‚schwarz‘ arbeiten.“

AfD

„Dabei gehen wir vom Grundsatz aus, dass jeder, der arbeiten kann, auch arbeiten soll, anstatt der Gesellschaft zur Last zu fallen. Dazu wollen wir erwerbsfähige Bürgergeldempfänger, die nach 6 Monaten noch immer im Leistungsbezug sind, zu gemeinnütziger Arbeit heranziehen. […]. den Mehrfachbezug von Bürgergeldleistungen durch biometrische Identitätsfeststellung und digitale Vernetzung der Jobcenter und Agenturen verhindern, die Regelbedarfssätze an die tatsächliche Inflationsentwicklung des Bürgergeld-Warenkorbs anpassen.“

SPD

„Jede Bürgerin und jeder Bürger hat das Recht auf Arbeit. Deshalb soll jeder Bürgergeldbezieher ein passendes Angebot erhalten. Wir setzen dafür auf eine stärkere Finanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren und werden deshalb den Passiv-Aktiv-Transfer ausweiten, vereinfachen und gesetzlich verankern. Wir wissen, dass die meisten Menschen im Bürgergeldbezug, die arbeiten können, auch arbeiten wollen. Das Bürgergeld ist eine steuerfinanzierte Grundsicherung und kein bedingungsloses Grundeinkommen. Deswegen wird zu Recht Mitwirkung eingefordert.“

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

„Um insbesondere niedrige Einkommen, Alleinerziehende und auch Menschen, die mit Bürgergeld aufstocken müssen, zielgenau und unbürokratisch zu entlasten, führen wir Steuergutschriften ein. So ersparen wir den Menschen und unseren Behörden immer mehr und kompliziertere Antragsverfahren und erreichen, dass jede Stunde mehr an Erwerbsarbeit immer auch zu spürbar mehr verfügbarem Einkommen bei den Menschen führt.“

„Das Bürgergeld soll vor Armut schützen, indem es ein soziokulturelles Existenzminimum gewährleistet und die Teilhabe an unserer Gesellschaft ermöglicht. Wir lassen nicht zu, dass der Regelsatz darunter sinkt. Deshalb passen wir das Bürgergeld regelmäßig an, damit das soziokulturelle Existenzminimum immer garantiert ist. Die Leistungen werden wir perspektivisch individualisieren. Statt arbeitslose und arbeitende Menschen gegeneinander auszuspielen, unterstützen wir die Menschen, fördern gesellschaftliche Teilhabe und sorgen gleichzeitig für gute und auskömmliche Arbeit.“

„Ein starker Sozialstaat traut den Menschen etwas zu, setzt auf Anreize und Unterstützung, baut auf ihr Engagement, eröffnet neue Chancen und Perspektiven und gibt ihnen damit die Möglichkeit, wieder ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wir verbessern die Anreize zur Aufnahme von Arbeit und schaffen in Zusammenarbeit mit Arbeitgebern und Kammern Maßnahmen, um Menschen wieder an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Wenn Menschen trotz Arbeit auf zusätzliche Unterstützung angewiesen sind, soll es sich für sie noch mehr als bisher lohnen, ihren Stundenumfang zu erhöhen.“

Die Linke

„Armut und Erwerbslosigkeit sind nicht selbst verschuldet, sondern haben oft strukturelle Ursachen. Wir kämpfen für des Recht auf Existenzsicherung ohne Gängelung und Strafen. Der Regelsatz im Bürgergeld ist kleingerechnet: Der Paritätische Wohlfahrtsverband zeigt, dass der Regelsatz bei mindestens 813 Euro liegen müsste. Wir wollen das Bürgergeld zu einer sanktionsfreien individuellen Mindestsicherung umbauen. Anspruch haben alle, die kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen haben. Um Armut zu verhindern, orientieren wir uns an der sogenannten Armutsgefährdungsgrenze, gegenwärtig rund 1.400 Euro monatlich (inklusive Miete und sonstigen Wohnkosten; in Regionen mit hohen Mieten entsprechend mehr). Mit einem Mindestlohn von mindestens 15 Euro – spätestens ab 2026 16 Euro – sowie Steuerentlastungen für kleine Einkommen stellen wir sicher, dass sich Erwerbsarbeit lohnt.“

BSW

„Den Missbrauch von Sozialleistungen, heute etwa Bürgergeldbezug bei gleichzeitiger Schwarzarbeit, wollen wir unterbinden – ins besondere durch mehr Kontrollen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll. […]. Mitwirkungspflichten bei Qualifizierungsangeboten sind notwendig, um Perspektiven zu schaffen. Wer Maßnahmen ohne triftige Gründe ablehnt, muss mit Konsequenzen rechnen.“

FDP

„Für einige scheint es lohnender, von Sozialleistungen zu leben, als einer geregelten Arbeit nachzugehen. Das wollen wir ändern. Denn Arbeit muss sich immer mehr lohnen als Sozialleistungen! Dafür wollen wir Freie Demokraten das Bürgergeld grundlegend reformieren. Wir wollen eine Reform der Grundsicherung, weg von einem alimentierenden Bürgergeld hin zu mehr Aktivierung, wobei Arbeit den Unterschied macht. Unser oberstes Ziel lautet: Arbeit statt Bürgergeld. Dies ist nicht nur als Perspektive für die Menschen in einer Notlage wichtig, sondern es ist auch eine Frage der Fairness gegenüber dem arbeitenden Steuerzahler. Hierzu wollen wir erwerbsfähige Arbeitslose zu einer aktiven Bringschuld und Eigeninitiative inklusive Beweislast verpflichten. Sie müssen sich darum bemühen, die eigene Hilfsbedürftigkeit durch Arbeit und Qualifizierung zu überwinden. Das Jobcenter unterstützt dabei so stark wie möglich und prüft, ob ausreichende Aktivitäten unternommen werden und werden können. Bei fehlender Initiative sollen die Sozialleistungen Stück für Stück reduziert werden. Dazu wollen wir die Sanktionen wirksamer gestalten. Damit sich Arbeitslosigkeit nicht verfestigt, wollen wir eine 18 Intensivphase zu Beginn des Leistungsbezugs einführen, sodass in den ersten 12 Monaten die Kontaktdichte zum Jobcenter besonders hoch ist. Wir wollen die Zumutbarkeitsregeln dahingehend anpassen, dass auch längere Pendelstrecken und Umzüge für Personen ohne Kinder und ohne pflegebedürftige Angehörige zumutbar sind. Zusätzlich wollen wir Arbeitsgelegenheiten für Totalverweigerer einführen. Zuletzt ist das Bürgergeld überproportional zur Inflation angestiegen. Der Regelsatz liegt im Jahr 2025 weiter über dem Bedarf. Deshalb wollen wir mit der Abschaffung der sogenannten Besitzstandsregelung die Voraussetzung dafür schaffen, den Regelsatz abzusenken. Das stärkt die Arbeitsanreize.“

„Den Grundfreibetrag wollen wir im Zuge der Bürgergeldreform schrittweise um mindestens 1.000 Euro anheben. Damit stärken wir das Lohnabstandsgebot, also dass es Menschen mit Erwerbsarbeit deutlich besser gehen muss als mit Transfereinkommen, und stellen sicher, dass sich Arbeit lohnt.“

„Wir Freie Demokraten wollen das bürokratische Wirr-Warr der verschiedenen Sozialleistungen reduzieren, indem wir die steuerfinanzierten Sozialleistungen – wie das Bürgergeld und das Wohngeld – in einer Leistung und an einer staatlichen Stelle zusammenfassen. […] Deshalb soll diese neue gebündelte Leistung eine regionale Pauschale für Unterkunftskosten beinhalten.“

„Jobcenter müssen besser prüfen können, ob die Transferempfänger Autos besitzen, auf wie viele Konten sie Zugriff haben und ob sie Vermögen im Ausland besitzen.“

„Es kann nicht sein, dass arbeitende Personen erst Steuern zahlen, um anschließend Sozialleistungen bei einer steuerfinanzierten Behörde beantragen zu müssen. Dies wollen wir ändern, indem wir das Steuer- und Sozialsystem leistungsgerecht im Sinne einer negativen Einkommensteuer aufeinander abstimmen.“

2. Kindergeld (partielles Kindergrundeinkommen), Kindergrundsicherung (bedürftigkeitsgeprüft):

CDU/CSU

„Unser Ziel ist, den Kinderfreibetrag in Richtung des Grundfreibetrags der Eltern zu entwickeln. Entsprechend heben wir auch das Kindergeld an, das künftig nach der Geburt automatisch ausgezahlt werden soll. Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein, dass das Kindergeld für im EU-Ausland lebende Kinder an die Unterhaltskosten des jeweiligen Landes angepasst werden kann. Zudem bündeln wir Familienleistungen und machen sie einfacher zugänglich.“

AfD

keine Aussage

SPD

„Im nächsten Schritt wollen wir erreichen, dass Familien – insbesondere auch Alleinerziehende – mit eigenem niedrigem Lohneinkommen mit einer Kombination aus Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld nicht auf ergänzendes Bürgergeld angewiesen sind. Mit einer zentralen Ansprechstelle soll zudem die Zugänglichkeit dieser Leistungen weiter verbessert und die (digitale) Beantragung weiter erleichtert werden. Wo möglich sollen Leistungen automatisch beantragt und ausgezahlt werden.“

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

„Eltern müssen von Anfang an, bei Geburt ihres Kindes, über ihre Ansprüche durch den Staat informiert werden. Dazu führen wir einen Kindergrundsicherungs-Check ein, der prüft, in welcher Höhe ein Kind Ansprüche auf Unterstützung hat und die Familien aktiv darüber informiert. Wir machen aus der Holschuld der Eltern eine Bringschuld des Staates für die Absicherung aller Kinder.“

„Um der Ungleichheit der Entlastung zwischen Kinderfreibetrag und Kindergeld entgegenzuwirken, wollen wir zunächst die Höhe des Kindergeldes gesetzlich an die regelmäßige Erhöhung des Kinderfreibetrages koppeln. Perspektivisch gleichen wir die Entlastung von Familien über Kindergeld und Kinderfreibetrag an, denn alle Kinder sollen das gleiche Maß an finanzieller Unterstützung erhalten – egal wie viel ihre Eltern verdienen.“

Die Linke

„Um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, wollen wir eine eigenständige Kindergrundsicherung einführen, von der alle Kinder und Jugendlichen profitieren. Sie bündelt vier soziale Leistungen: 1 Kindergeld für alle Kinder in Höhe von 350 Euro monatlich (unabhängig vom Einkommen der Eltern). Das Kindergeld darf nicht mehr auf das Bürgergeld angerechnet werden. 2 Kinderzuschlag für Kinder, die in Armut leben (alters gestaffelt bis zu maximal 379 Euro monatlich). 3 Tatsächliche Unterkunftskosten (anteilig). 4 Einmalige und besondere Bedarfe (z. B. Klassenfahrten, Umzugskosten o. Ä.).“

BSW

„Dem Staat muss jedes Kind gleich viel wert sein: Der steuerliche Freibetrag des Chefarztes für seine Kinder sollte genauso hoch sein wie das Kindergeld, das eine Krankenschwester für ihre Kinder erhält.“

FDP

keine Aussage

3. Grundsicherung in Alter, Mindestrente (alle bedürftigkeitsgeprüft):

CDU/CSU

keine Aussage

AfD

„Die monatlichen Regelsätze pro Person fallen in den drei [Grundsicherungs-]Systemen gleich hoch aus; die Nebenbedingungen wie Schonvermögen und Autobesitz sind jedoch unterschiedlich geregelt. Insbesondere sind die Grundsicherungsempfänger im Alter in diesen Positionen gegenüber Bürgergeldempfängern schlechter gestellt, was wir ändern werden.“

SPD

keine Aussage

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

„Die Grundrente werden wir zu einer Garantierente nach 30 Versicherungsjahren weiterentwickeln, die deutlich mehr Menschen als bisher ein bezieht und finanziell besserstellt.“

Die Linke

„Gegen Altersarmut hilft unsere ‚solidarische Mindestrente‘: für diejenigen, die wegen schlechter Jobs, erzwungener Teilzeit oder Erwerbslosigkeit keine auskömmliche Rente bekommen. Sie erhalten einen Zuschlag bis zur Höhe der Armutsrisikogrenze von derzeit rund 1400 Euro. Dazu kommen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge und in Regionen mit sehr hohen Wohnkosten ggf. ein Mietzuschuss.“

BSW

„Wir fordern eine Mindestrente von 1500 Euro nach 40 Versicherungsjahren. Wir plädieren – ähnlich wie bei unseren Nachbarländern – für ein Stufenmodell: Nach 30 Versicherungsjahren liegt die Mindestrente bei 1300 Euro und nach 15 Jahren bei 1200 Euro.“

FDP

keine Aussage

Zu den Wahlprogrammen:

CDU/CSU Wahlprogramm

AfD Wahlprogramm

SPD Wahlprogramm

BÜNDNIS 90/DIE Grünen Wahlprogramm

Die Linke Wahlprogramm

Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) Wahlprogramm

FDP Wahlprogramm

Bild: pixabay

Ein Kommentar

Eric Manneschmidt schrieb am 13.02.2025, 23:46 Uhr

Danke für diese Übersicht.

Ebenfalls lesenswert zu dem Thema ist der \"Grundeinkomm-O-Mat\" von Mein Grundeinkommen:

https://www.mein-grundeinkommen.de/magazin/bundestagswahl-ist-grundeinkommen-waehlbar

Der Spitzenkandidatin der LINKEN Heidi Reichinnek habe ich auf Abgeordnetenwatch die Frage nach dem BGE gestellt: https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/heidi-reichinnek/fragen-antworten/wie-stehen-sie-zum-bedingungslosen-grundeinkommen

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