Kapital Macht Politik

Herbert Wilkens 12.12.2014 Druckversion

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“Das Grund­einkommen ist eine Demokratie­pauschale.” Dieser Satz von Katja Kipping1, der Vor­sitzenden der Partei Die Linke, braucht Erläuterung und Fundierung, um seine volle Über­zeu­gungs­kraft zu entwickeln. Ein neues Buch mit dem doppeldeutigen Titel “Kapital Macht Politik” leistet genau dies.

Harald Trabold – Ökonomie-Professor an der Hochschule Osnabrück und aus­ge­wie­sener Fachmann für inter­natio­nale Wirtschafts­beziehungen – beschreibt detailreich, fesselnd und bildhaft, wie der Kapitalismus sich anschickt, die Demokratie auszuhebeln. In vielen Industrieländern ist dieser Prozess schon weit fortgeschritten. Eine sehr kleine Schicht von Reichen ist dabei, die Macht im Staate zu übernehmen. Der Bürger als demokratischer Souverän wird ruhiggestellt und abkassiert. Sein Wahlrecht nimmt er mehrheitlich im Sinne der Kapitaleigentümer wahr – demokratische Legitimierung einer undemokratischen Plutokratie.

Auch Leser mit dem Motto “Bangemachen gilt nicht” dürften von den vielen Beweisen beeindruckt sein, die Trabold ausbreitet. Sein Buch ist ein Weckruf gegen die schleichende Aushöhlung der Demokratie, d. h. der Staatsform, welche allen Bürgern die gleichberechtigte Teilhabe am Staatswesen zusichert, einschließlich des in ihm erwirtschafteten Wohlstands.

Trabolds Kernpunkt ist die Kennzeichnung des Kapitalismus als einer Arbeitsweise privater Unternehmen, die darauf abzielt, möglichst hohe Gewinne zu erzielen und diese zum großen Teil wieder zu investieren. Auf diese Weise wird immer mehr Kapitalvermögen in privater Hand angehäuft. Solange sich die Kapitaleigner demokratischen Regeln unterordnen und dem Gemeinwohl dienen, hat die Kapitalanhäufung (Akkumulation) durchaus Vorteile. Sie ermöglicht z. B. Produktivitätsfortschritt und somit Wohlstandsgewinne, die allen zugutekommen können und sollten.

Aktuell ist jedoch eine krasse Fehlentwicklung zu beobachten. Die Kapitalisten haben ein parasitäres Gewinnstreben entwickelt und das Gemeinwohl dabei vernachlässigt. Trabold bezeichnet nur diejenigen als Kapitalisten, “die den Prozess der Akkumulation aktiv vorantreiben. Sie sind es, die als Manager oder Eigentümer unmittelbaren Druck auf ihr Unternehmen ausüben oder als Analyst und Fondsverwalter indirekt Unternehmen dazu bringen, eine möglichst hohe Rendite zu erzielen. Nicht jeder, der als Handwerker, kleiner Selbständiger oder mittelständischer Unternehmer Kapital in seinem Betrieb einsetzt, ist somit ein Kapitalist. Auch der normale Sparer zählt nicht dazu. Wie hoch der Anteil der Kapitalisten an der Bevölkerung ist, lässt sich nur schwer beziffern. Die Occupy-Bewegung, die für sich beansprucht, die 99% der Normalbürger zu vertreten, liegt vermutlich ziemlich gut, wenn sie 1 % der Bevölkerung als Kapitalisten einstuft.” (S. 51)

Eines der Ergebnisse ist die Kluft zwischen Reichen und Armen, die sich ständig vertieft. Auch die Ausbeutung der Menschen in der Dritten Welt und die grenzenlose Plünderung der Natur gehen auf dieses Konto.

Trabold beschreibt, wie die Kapitalisten ihr schon jetzt riesiges Vermögen als politisches Machtmittel einsetzen. Gesetze werden ihren Zielen entsprechend entworfen, verabschiedet und durchgesetzt. Ein Beispiel ist das Steuerrecht zu Lasten des Staates und der Mehrheit seiner Bürger. Exemplarisch auch die Rettung der meisten Banken in der Finanzkrise, welche die Banken selber verursacht hatten. Die Politik wird zum Diener einer kleinen Kapitalistenschicht und ihres Gewinnstrebens. Auf diese Weise verstärken und beschleunigen die Kapitalisten den Prozess der Kapitalakkumulation.

Trabold analysiert diese gesellschaftlich abträgliche Entwicklung in allen Einzelheiten. Ihre Folgen sind auf vielen Gebieten deutlich erkennbar. Die Schwächung der Demokratie zeigt sich zum Beispiel in der niedrigen Wahlbeteiligung. Die Kapitalseite hat mit einer Fülle von Methoden und Einzelmaßnahmen dazu beigetragen, dass der Durchschnittsbürger keine wirkliche Alternative mehr sieht. Wozu dann noch wählen gehen?

Der unausweichliche Schluss ist, dass die Demokratie in entwickelten Staaten massiv gefährdet ist. Trabold macht deutlich, dass das Tückische an diesem Prozess gerade darin besteht, dass er sich nur ganz allmählich vollzieht. Oft sind die einzelnen Elemente der kapitalistischen Machtübernahme an sich kaum als besonders gefährlich zu erkennen, beispielsweise die Konsumwerbung, die Unterhaltungsindustrie, die Veränderungen im Bildungswesen, die Beeinflussung der Massenmedien, um nur einige Bereiche zu nennen. Sie verstärken einander zu einem machtvollen Angriff auf die Demokratie. Nur wenige Menschen erkennen den Gesamtzusammenhang, und es gelingt ihnen nicht, die Mehrheit der Bürger davon zu überzeugen, dass Gefahr im Verzuge ist. Trabold leistet eine solche Gesamtschau. Sein Fazit: Letztlich stellt sich die Machtfrage. Werden wir unsere demokratischen Rechte kampflos aufgeben zugunsten weniger Kapitalisten, die uns alle ausbeuten?

Das Besondere an Trabolds Buch ist, dass er es nicht mit der düsteren Beschreibung des Ist-Zustands und gegenwärtiger Trends bewenden lässt. Er zeigt, wie wir den scheinbar unaufhaltsamen Niedergang der Demokratie aufhalten können. Für den “Kampf zwischen Kapitalismus und Demokratie um die Vorherrschaft in Staat und Gesellschaft” benennt er mehrere Einflussbereiche, die er mit Vorschlägen für konkrete Maßnahmen vorstellt.

Änderung des politischen Systems, gegliedert in fünf Abschnitte:

  • direkte Demokratie stärken
  • Lobbyismus eindämmen
  • Abgeordnete gegen Korruption abschirmen (Nebentätigkeiten verbieten, Diäten erhöhen)
  • Parteienfinanzierung neu ordnen
  • Privatisierung der Politik stoppen

Begrenzung der ökonomischen Macht des Kapitals

  • Kapital machtreduzierend besteuern
  • Wettbewerbspolitik intensivieren
  • Privatisierung stoppen; private Vermarktung von Naturressourcen staatlich kontrollieren
  • Gesetzesverstöße härter ahnden
  • der Meinungsmache widerstehen
  • Maßnahmen international koordinieren

Stärkung der ökonomischen Macht der Mittelschicht und der Marginalisierten

  • Mindestlohn zahlen
  • Grundeinkommen gewähren. Hiervon gehe eine Befreiung der Bürger zu politischer Teilhabe aus, und der Kapitalismus verlöre “das letzte Instrument repressiver Machtausübung …, nämlich den Menschen Angst vor einem Leben in Armut am Rande der Gesellschaft einzujagen.” (S. 431) Trabold weist bei dieser Gelegenheit auch die Standardargumente der Grundeinkommensgegner (unfinanzierbar! leistungshemmend!) zurück, und zwar – wie durchgehend in dem ganzen Buch – mit rationalen Argumenten.
  • Spitzeneinkommen höher besteuern, Mittelschicht entlasten

Aufklärung und Bildung

  • kritische Berichterstattung stärken
  • Freiräume für Bildung schaffen

Besser leben und wirtschaften

  • Sinngebung jenseits des Materiellen
  • Werbung einschränken
  • Arbeitszeit verkürzen
  • Wohlstand anders messen

Diese Vorschläge nehmen weniger als zehn Prozent des Gesamtwerks ein. Hier bietet sich ein weites Feld für künftige Arbeit. Kein Vorschlag ist grundlegend neu für jemanden, der sich mit Gegenwartsproblemen beschäftigt. Manches mag man auch vermissen, etwa ein Plädoyer für die Abkehr von der bisher herrschenden Ausrichtung auf Wirtschaftswachstum. Dieser Aspekt kommt zwar indirekt zum Ausdruck, vor allem in den Bemerkungen zur Sinngebung des Wirtschaftens und zur Messung des Wohlstands; er hätte aber wegen seiner aktuellen Bedeutung mehr Berücksichtigung verdient.

Das Neue bei Trabold ist die umfassende Zusammenschau und die Umsetzung seiner Analyse in eine problemorientierte Anregung zum Handeln. Ähnlich wie bei den Mechanismen, welche die Kapitalseite anwendet, bringt auch auf der demokratischen Seite das Zusammenwirken der Einzelaktivitäten Erfolg. Ermutigend ist, dass es auf allen Gebieten schon starke prodemokratische Kräfte gibt. Erinnert sei an den Kampf von “Occupy”, den starken Widerstand gegen TTIP und CETA sowie den kometenhaften Aufstieg der spanischen Partei “Podemos” (wir berichteten).

In seinem Schlusswort schreibt Trabold: “Wem etwas an Selbstbestimmung und Freiheit liegt, der kann das noch verbleibende Zeitfenster nutzen, um sich persönlich für die Umsetzung der oben vorgeschlagenen Maßnahmen zu engagieren. Es würde vermutlich schon reichen, wenn sich jeder zehnte Bürger eine davon aussuchen und sich für ihre Verwirklichung einsetzen würde. Denn der beste Schutz gegen eine Plutokratie ist immer noch eine starke Demokratie. Da Demokratie aber kein Zuschauersport ist, kommt es darauf an, sich persönlich einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. 99% der Menschen würden davon profitieren.” (S. 445)

Dieses Buch ist für jeden an Politik und Wirtschaft Interessierten ein großer Gewinn.

 


 

1 Sie benutzt diesen Begriff seit langer Zeit in vielen Interviews und Reden, siehe z.B. “Stern” (26.6.2007).

2 Kommentare

Martina schrieb am 01.01.2015, 09:29 Uhr

Ich glaube, Katja Kipping meint mit \"Demokratiepauschale\", dass man ein Grundeinkommen braucht, damit man eine politische Maßnahme ohne finanziellen Verlust ablehnen kann. Man denke an den Maidan oder an gegen Pediga demonstrierende Studenten, wo Menschen für etwas demonstrieren oder putschen, weil sie Geld dafür bekommen, wärend die Gegenseite sich evtl.nicht das Fahrticket leisten kann, um auf die Demo zu gehen.

Ute Plass schrieb am 03.01.2015, 17:04 Uhr

Eine repressionsfreie Grundsicherung für alle Menschen ist notwendig, damit Menschen überhaupt Zeit finden für die erforderliche Demokratiearbeit, die eben mehr ist als die vorherrschende parlamentarische Demokratie. Die vielbeschworenen mündigen Bürger_innen können derzeit lediglich auf die meist vorgefertigten Konzepte der gewählten Volksvertretung reagieren und in aufreibenden Prozessen (auch juristischen) die kostbare Lebenszeit verschwenden (siehe Stuttgart 21, Berliner Flughafen, Energiewende, Verkehrspolitik ...)

Vielen fehlt es überhaupt an Zeit, um die hochnotwendige Demokratie- und Friedensarbeit mit leisten zu können und diejenigen, die über Zeit verfügen, haben resigniert (siehe Millionen von Erwerbsarbeitslosen und die nicht mehr stattfindenden Demonstrationen gegen Hartz IV). Ein bGE ermöglicht die Souveränität, die es braucht zur freien, selbst bestimmten Lebensgestaltung im Sinne eines gutes Lebens für alle.

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