Demokratie und Freiheit sind Schwestern. Das Grundeinkommen ist ihre materielle Absicherung.

Jens-Eberhard Jahn 14.07.2013 Druckversion

EU

Interview von Jens-Eberhard Jahn mit Ronald Blaschke, dem stellvertretenden Repräsentanten des Bürgerausschusses der Europäischen Bürgerinitiative Grundeinkommen.

Ronald, wie schätzt du die Europäische Bürgerinitiative (EBI) grundsätzlich ein? Was hältst du von diesem Mittel direkter Demokratie?

Grundsätzlich leidet die Europäische Union an Demokratiemangel. Die Bürgerinnen und Bürger haben keine direkten Mitbestimmungsrechte, weder bei der Gesetzgebung noch bei Gemeingütern und Produktionsmitteln. Selbst das von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte Europäische Parlament hat nur einen beschränkten Einfluss auf die Gesetzgebung.

Die Europäische Bürgerinitiative, eine Art Petition an die Europäischen Kommission, ist ein problematisches Mittel. Die Kommission muss zwar auf das Anliegen der Bürgerinitiative antworten, diesem Anliegen aber keineswegs folgen.

Also ist auch die EBI zum Grundeinkommen ein Papiertiger?

So wirkungslos ist sie auch wieder nicht.

Erstens muss sich bei einer erfolgreichen Initiative das Europäische Parlament in einer Anhörung mit dem Grundeinkommen befassen. Das wäre schon ein Paukenschlag.

Also wie bei der Petition von Susanne Wiest an den Bundestag?

Nein. Bei der Bundestagspetition gab es nur eine Anhörung im Petitionsausschuss. Die Anhörung zu EBI erfolgt aber in zwei Ausschüssen, im Petitionsausschuss und im fachpolitisch zuständigen Ausschuss „Beschäftigung und soziale Angelegenheiten“.

Zum Zweiten werden die Bürgerinnen und Bürger bei der Sammlung von Unterstützungsunterschriften auf das Thema Grundeinkommen aufmerksam, auch in Ländern, in denen es bisher kaum Debatten dazu gab.

Drittens verstärkt sich mit der Initiative die Kooperation der nationalen und regionalen Grundeinkommensnetzwerke in Europa, und neue Netzwerke entstehen.

Und damit bin ich bei einem wichtigen Thema: So wie Europa sozial und demokratisch gestaltet werden muss, so müssen die Menschen frei werden. Nur wer nicht ökonomisch erpressbar ist, nur wer nicht ausgegrenzt werden kann, kann sich unangefochten in die demokratische Gestaltung des politischen Gemeinwesens einbringen. Demokratie und Freiheit sind Schwestern. Grundeinkommen ist die materielle Absicherung von Demokratie und Freiheit.

Freiheit und Demokratie müssten Anliegen der ganzen Gesellschaft sein.

Müssten, richtig. Sind sie aber nicht, weil Herrschende vor der freien Bürgerin und dem freien Bürger und vor wirklicher Demokratie in allen gesellschaftlichen Bereichen Angst haben.

Von wem geht die EBI Grundeinkommen konkret aus?

Das Netzwerk Grundeinkommen in Österreich und in Deutschland sowie die Attac-Grundeinkommensgruppierungen beider Länder diskutieren das Grundeinkommen in Europa schon seit Jahren. In mehreren Konferenzen und Meetings haben sie Konzepte für eine Politisierung des Themas in Europa entwickelt (vgl. den Beitrag von Klaus Sambor). Als die Europäische Bürgerinitiative möglich wurde, war den Akteuren schnell klar, dass die EBI eine Chance für die Grundeinkommensbewegung ist.

Steht der Aufwand in einem guten Verhältnis zu den Chancen, die die EBI Grundeinkommen bietet? Damit sie überhaupt zu Stande kommt, braucht man eine Million Unterschriften in der EU. Ist das zu stemmen?

Die drei Chancen hatte ich oben erwähnt – sie lohnen den Aufwand. Natürlich ist es richtig: Eine Million Unterstützerinnen und Unterstützer in den Mitgliedsstaaten der EU bis Mitte Januar 2014 zu erreichen ist kein Pappenstiel, zumal hinter dem Projekt keine Großorganisationen, sondern Bürgerinitiativen und -Netzwerke stehen. Die Organisatorinnen und Organisatoren der EBI Grundeinkommen sind aber guten Mutes. Natürlich bedarf es noch weiterer Anstrengungen. Zur 6. Internationalen Woche des Grundeinkommens hoffen wir auf zahlreiche weitere Unterstützerinnen und Unterstützer. Und natürlich wird die große Grundeinkommensdemo am 14.09. 2013 in Berlin mit vielen Gästen aus Europa die EBI publik machen.

Ein echter Synergie-Effekt: Demos und Aktionen bewerben die EBI und die EBI hilft ihrerseits, für Demos und Aktionen zu mobilisieren?

Genau. Einen schönen Erfolg können wir schon jetzt sicher verbuchen: So viel Vernetzung und Aktivierung der politischen Grundeinkommensbewegung gab es in Europa noch nie. Die Grundeinkommensbewegung ist gestärkt und wächst, selbst in Ländern, in denen es bisher keine Initiativen und Gruppierungen für das Grundeinkommen gab.

Das klingt gut. Aber wie breit ist die Bewegung? Hat sich die EBI Grundeinkommen auf ein bestimmtes Modell festgelegt?

Die Bewegung ist sehr breit, sie wird getragen von Erwerbslosen, Prekären und der Mittelschicht. Viele wissen, dass sie inmitten des Überflusses überflüssig sind und haben existenzielle Ängste.

Zur zweiten Frage: Die EBI Grundeinkommen ist den bekannten vier Kriterien des Grundeinkommens verpflichtet: existenz- und teilhabesichernde Höhe, individueller Rechtsanspruch für alle Menschen, ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit oder anderen Gegenleistungen. Die EBI ist auf kein bestimmtes Modell des Grundeinkommens festgelegt. Sonst wäre auch europa- und deutschlandweit keine Einigung möglich gewesen. Es gibt allein für Deutschland zwölf verschiedene Modelle bzw. Ansätze für ein Grundeinkommen. Noch mehr Ideen gibt es für die Einführung eines Grundeinkommens in den anderen europäischen Ländern oder für die Einführung in ganz Europa.

Wichtig bei der EBI ist aber die Argumentation für das Grundeinkommen im Zusammenhang mit den europäischen Grundrechten: Diese ist im erklärenden Anhang der Europäischen Bürgerinitiative nachzulesen. Darin finden sich fast alle Grundeinkommensansätze wieder. Das macht den Charme der Europäischen Bürgerinitiative aus.

Ronald, vielen Dank für das Gespräch und natürlich viel Erfolg für die EBI Grundeinkommen!

2 Kommentare

Juergen Rettel schrieb am 17.07.2013, 17:04 Uhr

Zur Zeit wird in der EU die Harmonisierung der Einkommensteuer diskutiert, nachdem ja schon lange die Mehrwertsteuer harmonisiert ist. Anstatt diese Gelegenheit zu nutzen, z.B. die Basic Income Flat Tax von Strengmann-Kuhn bzw. die NIFT von Milton Friedman mit Grundeinkommen in die Diskussion einzubringen, bettelt die EBI um Erforschung des Grundeinkommens. Das ist nicht hilfreich, weder für die EU noch für das Grundeinkommen.

h.noll schrieb am 22.07.2013, 18:40 Uhr

Am 17.05.2010 stand in einem Artikel der Süddeutsche.de http://www.sueddeutsche.de/politik/sozialbericht-jeder-dritte-euro-fuer-sozialausgaben-1.157161, dass die Sozialausgaben jährlich 754 Milliarden Euro betragen. Damit ist das bedingungslose Grundeinkommen doch schon finanzierbar. Der Wegfall des Verwaltungsapparates würde noch mehr Euros bringen. Die Einführung einer bedingungslosen sozialen Grundsicherung, die natürlich einen höheren Regelsatz beinhalten muss, wäre doch noch schneller und einfacher mit ebenfalls guten Effekten umzusetzen. Das wäre doch eine gute Alternative, allerdings mit dem Nachteil einer Bedürftigkeitsüberprüfung.

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