„Irrweg Grundeinkommen“ – ein neues Buch

Ronald Blaschke und Herbert Wilkens 14.11.2012 Druckversion

Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens sind immer erfreut, wenn ihr Thema wieder auf die Tagesordnung kommt. Starke Kritik ist sogar willkommen, weil sie die Schwächen der verschiedenen Konzepte überwinden und das Profil der Idee schärfen hilft.

Deshalb ist hier ein neues Buch zu begrüßen:

    Irrweg Grundeinkommen
    Die große Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden.

    von Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt und Dieter Vesper.
    Frankfurt 2012 (Westend)

Das Team um Heiner Flassbeck (Chefvolkswirt der UNCTAD – United Nations Conference on Trade and Development) vereint Menschen, die im DIW Berlin ausgewiesene Fachleute für Makroökonomie (Friederike Spiecker), Sozialpolitik (Volker Meinhardt) und Finanzpolitik (Dieter Vesper) waren.

Der Titel des Buches verwirrt: Er könnte so verstanden werden, als sei das Grundeinkommen die große Umverteilung von unten nach oben, die nun beendet werden müsse. Tatsächlich wurden bisher weder Schritte Richtung Grundeinkommen unternommmen (die beendet werden könnten) noch wären solche Schritte eine Umverteilung von unten nach oben. Das Buch ist eine Kampfschrift, die eigentlich den Titel „Irrweg Neoliberalismus“ tragen müsste.

Die Autoren belassen es nicht dabei, die Fehlentwicklung der Wirtschaftspolitik in Deutschland zu beschreiben und zu brandmarken. Sie weisen auch Wege aus der Krise. Die Richtung wird schon im Untertitel des Buches klar: „Die große Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden.“ Dadurch lasse sich auch die Arbeitslosigkeit bekämpfen, denn sie entstand durch die Umverteilung, die jahrzehntelang den privaten Konsum gedrosselt hat. Die Vorschläge zur Rückverteilung laufen auf ein Maßnahmenbündel hinaus, das sich der immer noch vorherrschenden neoliberalen Ideologie entgegenstellt. In seinem Kern also ein lesens- und beherzigenswertes Buch.

Problematisch wird es allerdings, sobald das bedingungslose Grundeinkommen zur Sprache kommt. Die positive und für die Gesellschaft heilsame Wirkung wird nicht zur Kenntnis genommen. Kein Wort über die neuen Möglichkeiten der Menschen, sich produktiv für ihre Mitmenschen zu engagieren, mit echter Motivation zu arbeiten, Neues auszuprobieren. Freiheit des Einzelnen wird nicht als gesellschaftlich belebend und die Demokratie fördernd erkannt. Kein Seitenblick auf Menschenwürde oder gar Menschenrechte. Dass ein Grundeinkommen die Armut beseitigen kann, nehmen die Autoren gar nicht wahr. Das gilt für die Lage der Erwerbslosen, besonders aber für die verdeckte Armut derjenigen, die Anspruch auf soziale Unterstützung hätten, sie aber nicht beantragen. Nichts ist über die emanzipatorische Wirkung und die Auflösung von existenziellen Abhängigkeiten zu lesen.

Im Folgenden konzentrieren wir uns auf jene Aspekte des Buches, die mit dem Grundeinkommen direkt zu tun haben. Dabei handelt es sich um 52 der (ohne Anhang) 215 Seiten.

Auswahl der Grundeinkommensmodelle

Aus der großen Zahl der Grundeinkommensvorschläge (siehe Übersicht) haben die Autoren drei herausgegriffen:

  • den Ansatz von Götz Werner
  • das „Solidarische Bürgergeld“ von Dieter Althaus und Hermann Binkert (partielles Grundeinkommen)
  • das „Emanzipatorische Grundeinkommen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE von Stefan Wolf 2010

Bedauerlich ist, dass der schon weit vorangeschrittene Diskussionsprozess bei Bündnis 90/Die Grünen, bei der Partei DIE LINKE, bei den unabhängigen Erwerbsloseninitiativen und bei der Katholischen Arbeitnehmerbewegung nicht berücksichtigt wurde. Spätestens dann wäre den Verfassern wohl aufgefallen, dass man nicht unterstellen kann, das Grundeinkommen würde eines Tages fertig vom Himmel fallen und alles auf einen Schlag ändern. Vielmehr dürfte der Weg in Zwischenschritten zu gehen sein. Ein allmähliches Vorgehen wäre nicht nur leichter hinnehmbar für diejenigen, die für die Umverteilung netto zahlen, es hätte auch den Vorteil, dass eventuelle Fehlentwicklungen laufend beobachtet und korrigiert werden könnten.

Gesamtwirtschaftliche Funktionsfähigkeit und Finanzierbarkeit

Die gesamte Betrachtung des bedingungslosen Grundeinkommens ist geprägt von der Annahme der Autoren, viele Menschen würden sich mit ihrem Grundeinkommen zufriedengeben und ihre Erwerbstätigkeit aufgeben (v.a. S. 36-38). Wenn das anfangs nur wenige täten, gäbe es sogar einen erdrutschartigen Nachahmungseffekt. Käme es so, hätte das gravierende gesamtwirtschaftliche Folgen, die in diesem Buch mit mahnender Besorgnis breit ausgemalt werden. Von den vielen befürchteten Effekten seien als Beispiel genannt:

  • Verringerung der Wirtschaftsleistung und damit des Wohlstands
  • im Verhältnis zur Nachfrage ungenügendes Angebot von Gütern und Leistungen und somit Inflation
  • Rückzug vieler Menschen auf nichtmonetäre Wirtschaftsformen, „Autarkie“ genannt, mit Einbußen an Effizienz und Wohlstand
  • Zusammenbruch der Finanzierungsmöglichkeit für das Grundeinkommen und das Gemeinwesen insgesamt, dann Rückkehr zum alten System, aber zu schlechteren Konditionen für die Unterstützungsbedürftigen

Doch sind all diese Mahnungen überhaupt von Bedeutung? Hätten sich die Autoren nur einmal selbst gefragt, ob sie sich jemals mit 1000 Euro monatlich zufrieden geben würden! Keiner von den vieren täte das. Sofort wäre ihnen aufgefallen, dass ihr Untergangsszenario unrealistisch ist. Denn warum sollte ein Ingenieur, ein Werkstattmeister, ein Kommunalbeamter freiwillig bei 1000 Euro stehenbleiben? Spätestens bei denen, die am Markt nachgefragte Spezialkenntnisse und -Fähigkeiten haben, würde der von den Autoren an die Wand gemalte Schneeballeffekt hin zum Nichtstun enden. Da ein Grundeinkommen stets nur ein wirklich bescheidenes Lebensniveau abdecken soll, ist der Anreiz groß, eigenes Einkommen zu erzielen.

Der Grundgedanke, dass das Wirtschaftsleben nicht durch massenhaften Rückzug ins Private geschwächt werden darf, ist übrigens nicht neu. Ingmar Kumpmann hat die Zusammenhänge 2009 („Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens“) und 2008 („Das Finanzierungsproblem ist das Anreizproblem“) analysiert. Er stellt fest:

    „Bei der Frage nach der Finanzierung geht es im Kern darum, wie sich das Grundeinkommen auf das Verhalten der Menschen auswirkt. … Das bedingungslose Grundeinkommen soll die Menschen vom Markt unabhängiger machen, ist jedoch zu seiner Finanzierung auf die Wertschöpfung am Markt angewiesen.“

Seine Schlussfolgerung lautet:

    „Das Grundeinkommen kann maximal so hoch sein wie die Bereitschaft der Menschen, zur Wertschöpfung beizutragen, hoch genug bleibt, damit die Finanzierung gesichert ist.“ (2009)

Das Netzwerk Grundeinkommen hat seine Position in dieser Frage so zusammengefasst:

    „Bei einem ausreichend hohen Volkseinkommen ist auch die Finanzierung des Grundeinkommens gesichert. Dazu wird es zweifellos kommen, denn die Produktivität wird durch die höhere Motivation der Erwerbstätigen gesteigert, und durch das bessere Zusammenwirken von Erwerbsarbeit und anderen Tätigkeiten steigt der Wohlstand.“ (Fragen und Antworten, Textziffer 35)

Wenn Menschen einen Teil ihrer Arbeitskraft wegen des Grundeinkommens nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt feilbieten, sondern zum Beispiel in Teilzeit arbeiten oder berufliche Auszeiten nehmen, wäre das sogar zu begrüßen. Denn dadurch würden Arbeitsplätze frei für diejenigen, die Erwerbsarbeit suchen – nämlich für die gegenwärtig 3,7 Millionen Unterbeschäftigten in Deutschland.

Diese hier zurechtgerückte Fehleinschätzung zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch, soweit es Fragen des Grundeinkommens behandelt. Die vielen angedrohten Fehlentwicklungen sind erst dann zu befürchten, wenn man von einer Massenflucht aus dem Erwerbsleben ausgeht. Die Warnung vor dem Grundeinkommen ist also insoweit haltlos.

Gerechtigkeit

Es heißt, das Grundeinkommen sei ungerecht, weil es das Prinzip von Leistung und Gegenleistung ausheble, welches für die Marktwirtschaft unabdingbar sei. Erwerbstätige müssten ja für freiwillig Nicht-Erwerbstätige zahlen. Von letzteren wird aber kaum jemand in keiner Weise für andere Menschen tätig sein, und diese Tätigkeiten haben einen hohen gesellschaftlichen Wert. Das Grundeinkommen dient dazu, dies häufiger als bisher zu ermöglichen. Im Jahr 2001 nahm der Bereich der unbezahlten gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten (Haus-, Sorge- und Pflegearbeit in der Familie, ehrenamtliches Engagement) fast doppelt soviel Arbeitszeit in Anspruch (rund 96 Milliarden Stunden jährlich) wie die Erwerbsarbeit (56 Milliarden Stunden).

Aber auch den Wenigen, die für ihre Mitmenschen keinerlei Nutzen stiften wollen, obwohl sie es könnten, steht die Existenzsicherung zu, denn sie ist ein Menschenrecht. In einer Gesellschaft, die Güter und Infrastruktur mit immer geringerem Produktionsaufwand bereitstellen kann, ist dieses Menschenrecht auch grundsätzlich materiell abgesichert.

Wenn von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit die Rede ist, soll auch die Verteidigung der Bedürftigkeitsprüfung (S. 36, ähnlich auch S. 201) nicht unerwähnt bleiben. Offenbar nehmen die Verfasser die zutiefst entwürdigende Situation von Millionen Menschen, die diesem bürokratischen Verfahren unterworfen sind, nicht zur Kenntnis. Es ist extrem ungerecht, Erwerbslose in Existenznot zu treiben, während große Teile der Gesellschaft im Konsumrausch taumeln. Die Autoren des Buches nehmen billigend in Kauf, dass das deutsche Grundsicherungssystem, weil es eine Bedürftigkeitsprüfung voraussetzt, Millionen Menschen Leistungen vorenthält, die ihnen gesetzlich zustünden. Bei Hartz IV trifft es über 50 Prozent derjenigen, die Anspruch auf die Grundsicherung haben (Irene Becker/Richard Hauser 2010, S. 138), bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sogar 68 Prozent (Irene Becker 2012). Wie kann man ein System verteidigen, das systematisch das Grundrecht auf soziale Sicherheit sowie auf Existenz- und Teilhabesicherung verletzt? Das bedingungslose Grundeinkommen würde damit restlos aufräumen.

Verführung zur Trägheit

Die Autoren warnen, ein bedingungsloses Grundeinkommen werde dazu führen, dass der Anreiz, sich um Bildung und Qualifikation zu bemühen, auf breiter Basis sinkt. Jeder könne sich ja „bequem zurückzulehnen“ (S. 41ff). Besonders gering dürfte jedoch die Neigung zum Verzicht auf Erwerbsarbeit bei den hochqualifizierten Spezialisten sein, die hohe Einkommen erzielen und überdies starke nicht-monetäre Motive für ihre Erwerbstätigkeit haben. Die Befürchtung, das Grundeinkommen werde infolge seiner angeblichen „Autarkietendenz“ zu einem Mangel an leistungsfähigen Fachkräften führen (S. 45f), ist gegenstandslos.

Weitere Argumente gegen das Grundeinkommen

Den Autoren sind etliche Fehler in der Darstellung des Grundeinkommens unterlaufen. Ferner finden sich in dem Buch noch zahlreiche andere vermeintliche Angriffspunkte gegen das bedingungslose Grundeinkommen. Es handelt sich dabei um häufig vorgebrachte Argumente, die das Netzwerk Grundeinkommen in seinen Fragen und Antworten behandelt hat und die sich alle als nicht tragfähig erweisen. Dies alles kann hier aus Platzgründen nicht aufgegriffen und kommentiert werden. Eine Langfassung dieser Rezension dokumentiert die Einzelheiten.

Fazit

Das Gesamtbild des Buches ist zwiespältig. Die von unrealistischen Grundannahmen und manchen Fehlern beherrschte und damit zu falschen Ergebnissen führende Analyse des bedingungslosen Grundeinkommens ist seine schwache Seite. Doch besonders der dringend notwendige Fokus auf Fragen der Einkommens- und Vermögensverteilung ist verdienstvoll, und die Forderungen nach einer neuen, rationalen Wirtschaftspolitik sind beachtlich. Wenn sie durchgesetzt werden könnten, käme das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in Deutschland und Europa einen großen Schritt voran. Die aktuelle politische Konstellation lässt das allerdings nicht erwarten, und umso düsterer sind die Zukunftsaussichten.

Für politisch engagierte Menschen bedeutet das, sich auf harte Zeiten einzustellen und beharrlich an der Überwindung der aktuellen Missstände zu arbeiten. Die Grundforderung des Buches, dass wir mehr soziale Gleichheit brauchen, ist völlig zutreffend. Dazu können Schritte in Richtung Grundeinkommen einen Beitrag leisten. Es ist – bei all ihrer Kritik an den Aussagen zum Grundeinkommen – überraschend, wie gut sich die von den Autoren vorgeschlagene Wirtschaftspolitik mit einigen Grundeinkommensmodellen verbinden ließe. Hier ist insbesondere die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu nennen. Ein allgemeiner Mindestlohn wird von vielen Grundeinkommensbefürwortern ebenso vehement gefordert wie sie den Flächenbrand der offenen oder verdeckten Lohnsubvention (insbesondere durch Hartz IV und Minijobs) ablehnen. Gemeinsam ist auch der Kampf für eine Bürgerversicherung oder allgemein die Absicherung der paritätisch und solidarisch gestalteten sozialen Sicherung bzw. die Rückkehr zu ihren bewährten Prinzipien. Dass das bedingungslose Grundeinkommen als starker Konjunkturstabilisator wirken würde, dürfte unmittelbar einleuchten. Darf man auf einen Schulterschluss der jetzt entgegengesetzt erscheinenden Positionen hoffen? Das Plädoyer der Autoren für eine „ungeschminkte Bestandsaufnahme und eine daraus abgeleitete Therapie“ (S. 210) der aktuellen Krisenerscheinungen bietet sicherlich einen Ansatz für gemeinsame Arbeit – unter Einschluss der Grundeinkommensidee.

Zum Download: Komplett dokumentierte Version dieser Buchbesprechung (PDF, 145 KB)

2 Kommentare

W. Merkel schrieb am 21.11.2012, 21:03 Uhr

Das BGE für alle muss das anstrengungslose Spitzeneinkommen für sehr wenige ablösen. Wir brauchen außer dem BGE noch fließendes Geld, soziales Bodenrecht und freie Presse, wie in www.wissensmanufaktur.net dargestellt. Dann können wir die geldgesteuerte Scheindemokratie, in der das Finanzsystem über dem Recht steht, überwinden

Stefan Bürk schrieb am 21.11.2012, 21:23 Uhr

Ich gebe zu: Das Buch habe ich nicht gelesen. Mich macht allerdings das Fazit von Blaschke/Wilkes stutzig, worin sie Gemeinsamkeiten erkennen wollen:

\"Rückkehr zu bewährten Konzepten\" - das Problem des BGEs ist doch eher, dass man darin vergeblich nach Bewährtem sucht, weil es ein völlig neues Denken ist.

\"Stabilisierung der Konjunktur\" - beim BGE geht es nicht um die Konkunktur, sondern um die Menschen. Das Problem heute ist ja gerade, dass wir hypnotisiert immer nur auf die Konjunktur als Selbstzweck sehen.

\"Mindestlohn\" - hier verwechseln Blaschke/Wilkes immer wieder ihre persönliche Meinung mit der vieler BGE-Befürworter, die in diesem \"Forum\" leider selten zu Wort kommen und reden lieber dier Fixierung auf die Erwerbsarbeit das Wort.

Trotzdem danke für die fundierte Buchbesprechung.

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