Besinnungslose Kritik am Grundeinkommen

Ronald Blaschke 14.12.2017 Druckversion

Prof. Gerhard Bäcker, ehemalig Inhaber des Lehrstuhls Soziologie des Sozialstaats der Universität Duisburg-Essen, jetzt Research Fellow am Institut Arbeit und Qualifizierung der Universität, formulierte eine Kritik am Grundeinkommen im IAQ-Standpunkt 03/2017 unter dem Titel „Grundeinkommen: besinnungslos bedingungslos?“. Viele seiner Argumente basieren auf unbewiesenen Unterstellungen und falschen Darstellungen und würden wohl einen Studenten in der Prüfung durchfallen lassen.

Genannt seien nur einige Beispiele, die den Argumentationsstil Bäckers beleuchten:

1. Gerhard Bäcker behauptet, „dass das deutsche System der sozialen Sicherung bereits ein steuerfinanziertes Grundeinkommen vorsieht: Die Leistungen nach dem SGB XII und SGB II sollen von ihrer Zielsetzung her allen Menschen ein sozial-kulturelles Existenzminimum garantieren, das der ‚Würde des Menschen‘ entspricht und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglicht.“ Zugleich schränkt er aber ein, dass der Bezug dieser angeblichen Grundeinkommen an Bedingungen geknüpft ist: „nur im Fall von Bedürftigkeit“, mit der Verpflichtung für Erwerbsfähige, „zur Bestreitung des Lebensunterhalts vorrangig die eigene Arbeitskraft einzusetzen“ (S. 4). Auch konstatiert Bäcker zurecht, dass die von ihm als Grundeinkommen bezeichneten Sozialleistungen „keineswegs zureichend und geeignet sind, den Betroffenen die geforderte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen.“ (S. 5). Nicht nur, dass Bäcker schon darüber stolpern müsste, dass diese Sozialleistungen größtenteils als Grundsicherungen bezeichnet werden („Grundsicherung für Arbeitsuchende“, geregelt im Sozialgesetzbuch II; „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“, geregelt im Sozialgesetzbuch XII). Grundsätzlich darf von einem ehemaligen Lehrstuhlinhaber für Soziologie des Sozialstaats auch erwartet werden, zwischen Grundsicherung und Grundeinkommen unterscheiden zu können. Grundeinkommen sind im Gegensatz zur Grundsicherungen eben nicht an eine Bedürftigkeitsprüfung und einen Zwang bzw. eine Verpflichtung zur Erwerbsarbeit oder zu einer Gegenleistung gebunden. Und sie sollen – im Unterschied zur Grundsicherung – die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen (vgl. zum Beispiel die Definitionen des Netzwerks Grundeinkommen und des Netzwerks Unconditional Basic Income Europe; vgl. auch Grundbegriffe).

2. Gerhard Bäcker versucht Grundeinkommensansätze in linke, emanzipatorische auf der einen und neoliberale bzw. marktradikale Ansätze auf der anderen Seite zu unterteilen. Das kann mit guten Argumenten getan werden (vgl. Blaschke 2017a). Problematisch wird es, wenn diese Unterscheidung pauschalierend mit dem Verweis auf den sozioökonomischen Status der vermeintlichen Unterstützer eines bestimmten Grundeinkommensansatzes verbunden wird. Bäcker meint, dass es „prominente Wirtschaftsvertreter“ seien, die neoliberale, marktradikale Grundeinkommensansätze unterstützen. Konkret werden von Bäcker genannt: „Joe Kaeser / Siemens, Timotheus Höttges / Telekom, Götz Werner / DM“. Was aber sind die Fakten? Joe Kaeser hat sich niemals für ein Grundeinkommen ausgesprochen. Kaeser möchte Personen, die vom digitalen Wandel abgehängt werden, im Rahmen bestehender Sozialsysteme versorgen. Er schreibt auf Twitter: „Ich fordere kein bedingungsloses Grundeinkommen. Vielmehr sind die bestehenden sozialen Grundsysteme gefordert.“ (vgl. Newsletter November 2016) Timotheus Höttges dagegen meint: „Nur, was mir am heutigen Sozialstaat vor allem missfällt: Ich muss um Hilfe bitten, auch wenn ich mein Leben lang gearbeitet habe. Das Grundeinkommen verspräche mehr Würde und könnte das Unternehmertum sogar fördern. […] Ich bin mir aber sicher, dass das heutige System die Sozialhaushalte der Zukunft nicht wird finanzieren können. Mir scheint, dass wir da über völlig neue Finanzierungsmodelle nachdenken müssen. […] Eine Gewinnbesteuerung der Unternehmen bleibt für mich die sinnvollste Lösung. […] Dass die Besteuerung von Gewinnen die Grundlage sein muss für ein sozial gerechtes System, ist für mich eine Selbstverständlichkeit.“ (Interview im Handelsblatt) In einem Interview in der ZEIT argumentiert Höttges bezüglich der Annahme, dass die Digitalisierung bald Arbeitslosigkeit produzieren würde: „Ich halte nichts von solchen Drohkulissen. Wie bald ‚bald‘ tatsächlich ist, ist offen – wir reden hier über Jahrzehnte und nicht Jahre. Fakt ist: Wir müssen und können uns auf den Wandel vorbereiten. Statt dieser Entwicklung ängstlich und abwartend zu begegnen, ist es doch besser, sie aktiv zu gestalten. Es gibt auch Chancen, und die müssen wir nutzen, damit die Sozialsysteme weiter funktionieren. Diese Systeme erhalten den sozialen Frieden und versetzen Konsumenten in die Lage, Produkte zu kaufen. Die Frage ist, wie wir diese Systeme erhalten können!“ Eine Erörterung, inwieweit diese und andere Äußerungen von Höttges auf einen neoliberalen, marktradikalen Grundeinkommenansatz schließen lassen, bleibt Bäcker jedoch schuldig.

3. Gerhard Bäcker versucht mit verschiedenen Annahmen bezüglich der Finanzierung des Grundeinkommens nachzuweisen, dass ein Grundeinkommen nur über den Sozialabbau zu finanzieren wäre. So wird argumentiert, „dass in der Regel davon ausgegangen [wird], dass damit sog. Förder- und Fürsorgesysteme wie Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Kinderzuschlag, Sozialhilfe, Eingliederungshilfe, Teilhabeleistungen, Wohngeld, Kindergeld, Ausbildungsförderung, Elterngeld und Unterhaltsvorschuss zu einer Leistung zusammengefasst werden können.“ (S. 9) Bäcker behauptet dies einfach, einen Nachweis für diese „Regel“ bleibt er schuldig. Dieser Nachweis dürfte ihm auch nicht gelingen, schaut man sich die Modelle für ein Grundeinkommen an (vgl. Blaschke 2017b) Denn die Regel ist eine andere: Spezielle, steuerfinanzierte Sozialleistungen für bestimmte Personengruppen und in bestimmten Fällen der Sonderbelastung sollen gerade nicht im Grundeinkommen aufgehen. Sie bleiben also weiterbestehen. Bäcker geht aber noch weiter. So wird im Folgenden ersichtlich, dass er den Grundeinkommensmodellen etwas unterstellt, was nicht der Wahrheit entspricht, um dann auf diesen selbstgebastelten Pappkameraden „einzuprügeln“: „Denn sträflich vernachlässigt wird bei diesen [also bei seinen eigenen, R. B.] Überlegungen, dass sich Förder- und Fürsorgesysteme keineswegs auf die Zahlung von Geldleistungen beschränken,“, sondern „die Angebote an sozialen Dienstleistungen und Einrichtungen eine zentrale Rolle spielen.“ (S. 9) Richtig! Nur steht auch hier die Frage, ob in bekannten Finanzierungsmodellen des Grundeinkommens überhaupt diese sozialen Unterstützungs- und Hilfeangebote durch das Grundeinkommen ersetzt werden sollen, so dass von einem „in der Regel“ überhaupt gesprochen werden kann. Mit dieser Argumentation baut Bäcker erst einen Popanz auf, um ihn anschließend heftig kritisieren zu können. Auch hier könnte man von einem Professor für Soziologe des Sozialstaats erwarten, dass er sich mit Grundeinkommensmodellen und deren Finanzierungnachweisen beschäftigt – und zwar bevor er ein Standpunktepapier verfasst.

Eine weiterführende grundsätzliche Auseinandersetzung mit Bäckers Kritik am Grundeinkommen könnte sich auf sein Verständnis von Solidarität und Sozialstaat (vgl. S. 11) beziehen, genauso auf seine lohnarbeitsunkritische Sicht oder auf die Behauptung, dass nicht erwerbstätige Transferbeziehende von der Erwerbsarbeit anderer leben würden (vgl. ebenda).

Auch könnte die Kritik an seinem Standpunktepapier im Detail weitergeführt werden. Zum Beispiel an der unbewiesenen Behauptung und falschen Darstellung, dass „in allen vorliegenden Modellen, davon ausgegangen, dass zwar das BGE selbst steuerfrei bleibt, dass aber das überschießende Einkommen (jeglicher Art, auch der Renten!) durch hohe Steuerabzüge belastet wird.“ (S. 8) Allerdings verweisen schon die oben angeführten ausgewählten Kritikpunkte von Prof. Bäcker am „besinnungslos bedingungslosen Grundeinkommen“, wie er es selbst nennt, auf einen Stil, den man aufgrund seiner Unüberlegtheit und mangelnden Seriosität selbst auch gut und gerne als „besinnungslos“ bezeichnen kann. Bäcker argumentiert mit falschen Darstellungen und unbewiesenen Unterstellungen. Mit diesem Argumentationsstil würde ein Soziologiestudent in einer Prüfung zurecht durchfallen.

4 Kommentare

Richard Brandau schrieb am 14.12.2017, 19:01 Uhr

...kurz gesagt: Die Kapitalisten wollen nicht zahlen, wie immer.

Der Topmanager von Thyssen-Krupp hat zum Zusammenschluß mit Tata gesagt, daß man bei Thyssen-Krupp in Deutschland 2000 Arbeitsplätze \'anpassen\' müßte. Besser wäre es, wenn man einmal solchen Leuten, die Arbeiter ausbeuten, die Geldbörse anpassen würde.

Aber selbst Sarah Wagenknecht fällt ihren eigenen Genossen in den Rücken. [...]

Rainer Beerwald schrieb am 21.12.2017, 22:05 Uhr

Ich habe aktuell den Eindruck dass es gerade reichlich Hetze gegen das Grundeinkommen gibt. Immer wieder wird dem unsäglichen Butterwege medialer Platz eingeräumt. Auch in radikalen linken Medien wie der A&K dürfen Lohnarbeitsfetischisten vor dem Grundeinkommen warnen. Ganz aktuell gibt es ein Positionspapier des ver.di Bundesvorstandes mit dem Titel »Bedingungsloses Grundeinkommen – Risiken und Nebenwirkungen eine wohlklingenden Idee«. Bei der Frage der Finanzierung argumentiert es recht schlau. Aber der Blick von ver.di auf die Prekären und Abgehängten ist fast schon zynisch. Die interessieren überhaupt nicht mehr. Es geht um Lohnarbeit und Stammbelegschaften. Und sie gehen immer davon aus, dass alle Tarifverträge und der Mindestlohn mit dem Grundeinkommen abgeschaft würden. So ein Unsinn! Es gibt in ver.di eine kleine Initiative/Plattform für das Grundeinkommen, von der ich schon lange nichts mehr gehört habe. Wir müssen versuchen mehr medialen Widerspruch zu dieser Hetze zu organisieren. Dazu gehört auch eine Auseinandersetzung mit den neoliberalen Konzepten zum Grundeinkommen.

Heinz Gunkel schrieb am 30.12.2017, 23:45 Uhr

«GRUNDSÄTZLICH DARF VON EINEM EHEMALIGEN LEHRSTUHLINHABER FÜR SOZIOLOGIE DES SOZIALSTAATS AUCH ERWARTET WERDEN, ...»

... daß er nach seiner Lehrtätigkeit die sozialpolitische Interessen vertritt, mit denen er seinen Lehrstuhl ausgefüllt hatte. Der volkswirtschaftliche Hintergrund hat sich in den letzten 40 bis 50 Jahren aber dramatisch verändert. In den 1970er Jahren wurde die Volkswirtschaft von der Globalsteuerung nach Keynes umgesteuert auf den Monetarismus, der sein Theoriegebäude bis heute ad absurdum führt.

Mit den Grundsicherung genannten Hartz-Gesetzen durch die Schröder-Regierung wurden die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft konterkariert und faktisch abgeschafft; die seitherigen Merkel-Regierungen haben den Quatsch beibehalten und lieber verzockte (monetaristisch geschulte) Bänker saniert.

VOLKSWIRTSCHAFTLICH IST DIE «GRUNDSICHERUNG» EINE KATASTROPHE:

Sie verhindert die Investitionen in weitere Automation.

Sie hält das Lohnniveau niedrig.

Sie reduziert die Kosten für exportierte Waren und Dienstleistungen.

Sie zerstört die Volkswirtschaften unserer lieben Freunde in der EU mit Dumpingpreisen.

Sie tritt mit den Billiglohnstaaten in direkte Konkurrenz.

Sie exportiert die Arbeitslosigkeit in andere Staaten.

Sie verhindert die Reform der strukturellen Schwächen der deutschen Volkswirtschaft.

Sie reduziert die real existierenden Lohneinkommen.

Sie reduziert ganz unmittelbar die interne Kaufkraft.

Sie reduziert damit die Einnahmen der Sozialversicherung.

ZUSAMMENGEFAßT SCHAFFT SICH DIE (A-)SOZIALE GRUNDSICHERUNG DAMIT SELBST AB.

Das Rentenniveau wird in Deutschland bis 2030 _«abgeschmolzen» auf eine Mindest-Rente. Gleichzeitig werden die Rentenbeiträge steigen. Das ist ein schlechtes Geschäft, das uns das Polit-Personal da beschert hat.

Wenn Teile der SPD und der Gewerkschaften das überkommene Sozialsystem beibehalten wollen, werden sie pleite machen.

Bianca Schubert schrieb am 22.02.2018, 21:42 Uhr

Warum wird immer geleugnet, dass es sehr wohl gut begründete Grundeinkommensansätze gibt, die auf die weitgehende Abschaffung der unterschiedlichsten Sozialsysteme und der Arbeitsmarktregulierung zielen? Meiner Ansicht nach liegt genau da die Stärke des Modells. Äußert jemand z.B. die Kritik, dass mit dem Grundeinkommen der Mindestlohn abgeschafft werden soll, wird von Befürwortern oft behauptet, dass dem nicht so sei. Warum? Sind wir selbst zu feige, die Idee konsequent zu Ende zu denken? Der Mindestlohn wurde gefordert (auch von mir) und eingeführt, um unter den gegenwärtigen Bedingungen die Lohnspirale nach unten zu stoppen und dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmer von ihrem Lohn auch leben können. Wenn aber jeder ein Grundeinkommen bezieht, das ihm ein würdevolles Leben ermöglicht, ist der Mindestlohn obsolet. Auch deshalb, weil ja niemand mehr gezwungen ist, zu jedweden Bedingungen zu arbeiten.

Viele der Sozialgesetze wie Kündigungsschutz, Tarifautonomie, Mindestlohn, Arbeitszeitgesetz etc. zielen doch darauf ab, die Arbeitnehmer, die im derzeitigen System der Macht der Arbeitgeber mehr oder weniger ausgeliefert sind, vor den krassesten Auswirkungen dieser Macht zu schützen. Mit dem Grundeinkommen bekommen die Arbeitnehmer aber einen heute unvorstellbaren Machtzuwachs, nämlich die Freiheit \"Nein\" zu sagen. Sollte man nicht abwarten, ob diese Freiheit alleine nicht schon ausreicht, um einen Arbeits\"markt\" zu gestalten, der diesen Namen verdient, ohne dass man weiter regulierend eingreift? Ein Mindestlohn wäre z.B. äußerst hinderlich für die Entstehung von Beschäftigungsverhältnissen, die zwischen Erwerbsarbeit und Ehrenamt liegen, die aber mit dem Grundeinkommen sehr realistisch erscheinen.

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