Frankreich macht für die Europäische Bürgerinitiative Grundeinkommen mobil

Ronald Blaschke 15.01.2021 Druckversion

In der Libération am 11. Januar 2021 haben französische Wissenschaftler*innen, Politiker*innen, Bürgermeister*innen, Wachstumskritiker*innen  und Organisationen einen Aufruf zur Unterstützung der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) Bedingungslose Grundeinkommen in der gesamten EU gestartet und Begründungen für die Unterstützung benannt. Der folgende Text ist eine Übersetzung des Aufrufs Pour un revenu de base inconditionnel porté par les citoyens – Libération (liberation.fr).

Für ein von den Bürgern getragenes, bedingungsloses Grundeinkommen

Viel mehr als ein einfacher Stoßdämpfer für Krisen, wird das Grundeinkommen in verschiedenen Ländern zur Realität: Als neue Säule der sozialen Absicherung bewirkt es einen tiefgreifenden Wandel im sozioökonomischen System.

Für ein von den Bürgern getragenes, bedingungsloses Grundeinkommen

Mit der Pandemie hat sich die wirtschaftliche und soziale Situation verschlechtert. Zu den mehr als 9 Millionen Bürgern, die bereits ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze bezogen, kamen 1 Million Bürger hinzu, deren Berufstätigkeit durch die Eindämmungs- und Ausgangssperrenmaßnahmen beeinträchtigt oder sogar verhindert wurde. Die Branchen werden noch jahrelang unter den Folgen dieser Krise leiden, viele lokale Geschäfte werden zu Gunsten von Plattformen, Großunternehmen und anderen Pleite gegangen sein.

Institutionen und Führungskräfte aller Länder suchen nach einem Ausweg aus dieser nie dagewesenen Krise. Angesichts der ökonomischen Notlage tritt die ökologische Notlage in den Hintergrund. In Frankreich trägt die Regierung der vom Bürgerkonvent für das Klima empfohlenen Maßnahmen nur eingeschränkt Rechnung und argumentiert mit der Notwendigkeit, die von der Krise bedrohten Arbeitsplätze zu erhalten, während ökologische und klimatische Fragen eine Umstrukturierung oder sogar Reduzierung von Produktion und Konsum zwingend erforderlich machen. Nur nachhaltige und transformative Maßnahmen, einschließlich eines neuen Sozialschutzes, der die Schlagfestigkeit fördert, können uns vor weiteren, viel schwerwiegenderen Krisen bewahren.

Alle Experimente, die in verschiedenen Ländern der Welt durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass das Grundeinkommen, weit davon entfernt, Faulheit und den Verzicht auf Arbeit zu fördern, zu einer Steigerung des individuellen und damit des gesellschaftlichen Wohlbefindens geführt hat. Es gibt den Bürgern zusätzliche Möglichkeiten, ihr Leben und ihre Tätigkeit zu wählen und sich so unverzüglich am ökologischen Wandel zu beteiligen.

Für eine Verwirklichung des Grundeinkommens

Die Einrichtung eines Universaleinkommens wird für viele institutionelle Akteure zunehmend zur Selbstverständlichkeit. Im Juli letzten Jahres forderte UN-Generalsekretär Antonio Guterres die Schaffung einer „neuen Generation von Sozialschutzmaßnahmen“, die „eine universelle Gesundheitsversorgung und die Möglichkeit eines universellen Grundeinkommens“ beinhalten sollte. Die Veröffentlichung des Buches von Benoît Hamon, der sich für ein universelles Einkommen einsetzt, hat die Debatte während der zweiten Eindämmungsphase im November neu entfacht. Im Dezember veröffentlichte Papst Franziskus ein Buch, in dem er dazu aufruft, „das Konzept eines universellen Grundeinkommens zu erkunden„.

In Frankreich hat die Nationalversammlung gerade eine Resolution verabschiedet, um eine öffentliche Debatte über das Universaleinkommen (socle citoyen) zu starten. Und wird auch bald dazu aufgefordert werden, den von der Fraktion der Sozialisten und verwandter Parteien vorgelegten Gesetzesentwurf Aile(s) [« Flügel », Anm. d.Ü.] zu diskutieren. Ein Grundeinkommen ist ein entscheidender Weg zu einer tiefgreifenden Veränderung unseres sozioökonomischen Systems, viel mehr als ein bloßer Stoßdämpfer für Krisen. Es wäre die neue Säule unseres Sozialschutzes und würde die Sozialversicherung ergänzen, die uns heute schützt und die weiter bestehen muss. Wir müssen wachsam bleiben und jeden Rückschritt in der sozialen Absicherung anprangern, auch unter dem Vorwand der Sparmaßnahmen nach der Covid-19-Krise!

Das Grundeinkommen ist das beste Instrument zur Umverteilung des Reichtums und zur endgültigen Beseitigung der extremen Armut; zur Wiederherstellung des Machtgleichgewichts zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern; zur Unterstützung junger Menschen zwischen 18 und 25 Jahren; zum Abbau von Zukunftsängsten in unseren unruhigen Zeiten.

Wir fordern die Einführung eines bedingungslosen Universaleinkommens, das ein würdiges und menschenwürdiges Leben ermöglicht, d.h. in Höhe der Armutsgrenze (60 % des nationalen medianen Nettoeinkommens pro Erwachsenenäquivalent). Wir können unserer Stimme Gehör verschaffen, indem wir die im September gestartete Europäische Bürgerinitiative zum Grundeinkommen unterzeichnen, in der das Grundeinkommen als universell, individuell, bedingungslos und ausreichend definiert wird. Dieses Instrument der bürgerlichen und partizipativen Demokratie der Europäischen Union muss von einer Million europäischer Bürger unterzeichnet werden, darunter 120.000 in Frankreich.

Wir laden Sie dazu ein, in großer Masse Unterschriften zu leisten, damit wir an Gewicht für die nächsten Wahlen in Frankreich in den Jahren 2021 und 2022 gewinnen und dadurch Druck auf unsere Politiker für die Einführung eines Grundeinkommens ausüben können. Dies ist eine Gelegenheit dafür, sich mit dem Gewicht einer großen Anzahl in der Waagschale durchzusetzen!

Erstunterzeichner: Mouvement français pour un revenu de base, AC! Agir ensemble contre le chômage, Collectif Un Projet de Décroissance, Mouvement Utopia, Les Amis de la Terre France, Revue Multitudes, Revenu de Base Montreuil, Les Citoyennes.ens Lobbyistes d’Intérêt Commun, La Pêche, monnaie locale complémentaire citoyenne d’Ile-de-France, Tera l’EcoVillage, Martine Alcorta, Regionalrätin von Nouvelle Aquitaine, Julien Bayou, nationaler Sekretär von Europe Écologie-Les Verts, Abdennour Bidar, Philosoph und Essayist, Autor von Libérons-nous! Des chaînes du travail et de la consommation, Jacques Boutault, stellvertretender Bürgermeister von Paris Centre, Frédéric Brun, Präsident von Entr’aide à domicile personnes âgées, Marie-Christine Bureau, Soziologin, Forschungsstipendiatin am CNRS, Alain Caillé, Soziologe, Yves Citton, Philosoph, Antonella Corsani, Lehrbeauftragte-Forscherin, Universität Paris I, Jean Paul Deléage, Ökohistoriker, Direktor der Zeitschrift Ecologie et Politique, Antoine Deltour, Whistleblower, Jean Desessard, ehemaliger Senator von Paris, Willy Gianinazzi, Historiker, Jérôme Gleizes, Stadtrat von Paris, Prune Helfter-Noah, Stadtrat der Metropole Aix-Marseille-Provence, Régis Juanico, Abgeordneter der Loire, Annie Lahmer, Regionalrätin der Ile-de-France, Frédéric Lefebvre, ehemaliger Staatssekretär, Vincent Liégey, Ingenieur, interdisziplinärer Forscher, Essayist und Dozent für Degrowth, Benjamin Lucas, nationaler Koordinator von Génération. s, Charlotte Marchandise, Ökofeministin, Guillaume Mathelier, Doktor der Politikwissenschaften und Bürgermeister von Ambilly, Yann Moulier-Boutang, Wirtschaftswissenschaftler, Michel Pouzol, ehemaliger Abgeordneter von Essonne, Anne Querrien, Soziologin, Sophie Taillé-Polian, Senatorin von Val-de-Marne und nationale Koordinatorin von Generation.s, Marie Toussaint, MdEP, Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz, Roger Winterhalter, Präsident des Maison de la Citoyenneté Mondiale (Mulhouse).

Übersetzung : Angelika Gross

Foto : pixabay

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