Ronald Blaschke: Die Grundeinkommensidee wirkt in aktuellen politischen Debatten

    Netzwerkrat 15.07.2019 Druckversion

    Anlässlich des 15. Jubiläums der Gründung des Netzwerks haben wir die Gründungsmütter und -väter um einen Rück- und Ausblick gebeten. Hierzu zählen Birgit Zenker, Prof. Dr. Michael Opielka, Katja Kipping und Ronald Blaschke. Wolfram Otto, der fünfte Mitgründer, verstarb leider voriges Jahr.

    Die kurzen Beiträge werden in loser Folge auf der Website veröffentlicht. Auf die Beiträge von Birgit Zenker, Michael Opielka, Katja Kipping folgt nun der Beitrag von Ronald Blaschke.

    Lieber Ronald, wie bewertest du die Entwicklung der Grundeinkommensdebatte in Deutschland seit Gründung des Netzwerks Grundeinkommen im Jahr 2004?

    Mit der Gründung des Netzwerks ist es gelungen, vereinzelte wissenschaftliche und politische Diskurse zum Grundeinkommen aufeinander zu beziehen. Dank der Aktivitäten des Netzwerks und vieler weiterer Akteure ist das Thema Grundeinkommen nicht mehr wegzudenken aus der öffentlichen Debatte. Wichtig war und ist dabei, die Grundeinkommensbewegung nicht parteipolitisch zu instrumentalisieren und als Netzwerk parteiunabhängig und -übergreifend zu agieren – in der Sache aber äußerst parteilich zu streiten für ein Grundeinkommen, das seinen Namen auch wirklich verdient.

    Das Thema Grundeinkommen ist inzwischen im wissenschaftlichen Diskurs fest verankert. Hier hat die Bandbreite der Perspektiven auf das Grundeinkommen zugenommen – von ethischen, theologischen über philosophische und soziologische bis hin zu ökonomischen. Es werden menschen- und grundrechtliche, arbeits(markt)-, migrations-, europa-, steuer- und sozialpolitische Fragen im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen diskutiert, ebenso  ökologische und feministische. Diese Entwicklung ist sehr erfreulich.

    In den sozialen Bewegungen hat die Debatte über das Grundeinkommen ebenfalls einen festen Platz – ob nun in der wachstumskritischen Bewegung, in der Care-Bewegung oder in der Bewegung für eine emanzipatorische Gestaltung der Digitalisierung. Für kontroverse Debatten sorgt das Grundeinkommen in den Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden, ebenso in den meisten Parteien.

    Was mich jedoch ärgert, ist die Art und Weise, in der sich manche Spitzenfunktionäre der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften in die Debatte über das Grundeinkommen einbringen. Machtpolitisch gesehen ist dies durchaus verständlich, wenn sich die „Herren der Arbeitsgesellschaft“ (Ralf Dahrendorf) gegen eine grundlegende Ausweitung des Existenzsicherungs- und Teilhabezugangs jenseits der Lohnarbeit und gegen eine gesellschaftliche Gleichwertigkeit verschiedener Tätigkeitsbereiche wehren. Denn das Grundeinkommen stellt das arbeitsgesellschaftlich geprägte Machtzentrum und damit die Macht dieser „Herren“ in Frage. Sie haben Angst. Sie nehmen deswegen die Menschen in lohnarbeitsideologische Geiselhaft. Sie riskieren damit, dass viele angesichts des nötigen Wandels nur noch reagieren statt agieren können.

    Was ist aus deiner Sicht notwendig, um die Debatte in Deutschland über das Grundeinkommen und um die Einführung des Grundeinkommens zu befördern?

    Auch wenn Vielen das Grundeinkommen noch in weiter Ferne erscheint, so spielt es doch in aktuellen sozialpolitischen Diskussionen eine große Rolle – sei es in der Diskussion über die Kindergrundsicherung bzw. das Kindergrundeinkommen, über die Abschaffung der Sanktionen und der Bedarfsgemeinschaftsregelung bei bestehenden Grundsicherungen und über die Armut verhindernde Höhe von sozialen Transfers. Deren Umsetzung wären wichtige Schritte in Richtung Grundeinkommen.

    Auch bei anderen begrüßens- und befördernswerten Vorschlägen spürt man die Kraft der Grundeinkommensidee: ob es um gesetzlich garantierte Sabbatjahre, den Ausbau sowie die Demokratisierung und gebührenfreie Nutzung öffentlicher Infrastrukturen und Dienstleistungen, die Bürgerversicherung oder das Recht auf gesicherte Existenz und Teilhabe eines jeden Menschen in Deutschland geht – überall spielt das Grundeinkommensprinzip eine treibende Rolle. Wieso? Letztlich geht es mit dem Grundeinkommen um die Durchsetzung eines Prinzips, das ein modernes Sozialsystem ausmacht – das Prinzip eines universellen, inklusiven Systems, das sich am Menschen, seinen Bedürfnissen und seinen Grund- sowie Teilhaberechten orientiert. Ein Prinzip, welches repressiven, bürokratischen und patriarchalen Prinzipien diametral gegenübersteht. Nun gilt es, dem universellen, menschenrechtlichen Prinzip, das dem Grundeinkommen innewohnt, noch mehr Gewicht in der Debatte zu verleihen. Das heißt auch, grundlegende Differenzen zwischen politischen Zielen, die mit unterschiedlichen Grundeinkommensansätzen und -konzepten verbunden sind, klar zu benennen. Emanzipatorische und menschenrechtlich basierte Ansätzen sind das Eine, sozialtechnologisch bzw. steuertechnisch begründeten oder gar kommodifizierende* Ansätze das Andere.

    Aus einer universellen und menschenrechtlich geprägten Sichtweise auf das Grundeinkommen ergibt sich, dass die Debatte über das Grundeinkommen mit der Debatte über die Durchsetzung weiterer menschenrechtlich begründeter, universalistischer Grund- und Teilhaberechte verbunden werden muss. Nur so kann eine breite Zustimmung in unserer Gesellschaft und auch weltweit erlangt werden. Dies wünsche ich mir.

    * Kommodifizierung bedeutet, etwas zur Ware zu machen – hier ist es der Mensch, der zur Ware gemacht wird. Das ist insbesondere bei „Grundeinkommen“ und sozialen Sicherungen der Fall, die so niedrig sind und Menschen von der Gesellschaft ausschließen, sodass sie sich auf dem Arbeitsmarkt verkaufen müssen, um die eigene Existenz und gesellschaftliche Teilhabe zu sichern. Das Gegenteil von Kommodifizierung ist es, jedem Menschen Würde und Wert, und damit auch die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe, bedingungslos zuzuerkennen – einfach weil er Mensch ist, Punkt.

    Ronald Blaschke ist Mitgründer des Netzwerks Grundeinkommen, der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE und des Netzwerks Unconditional Basic Income Europe. Er ist Mitherausgeber mehrerer Bücher und Autor zahlreicher Publikationen zum Grundeinkommen.

    Fotos: pixabay; Fiona Krakenbürger

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