Grundeinkommen für Kinder

Baukje Dobberstein 15.08.2018 Druckversion


“Ich möchte nicht, dass jemand, der 1500 Euro Grundeinkommen hat und keine Perspektive auf einen Beruf, auf die Idee kommt, fünf Kinder zu kriegen”. Diesen Satz hat der philosophische Publizist Richard David Precht in einem Gespräch mit Christoph Butterwegge am 7. Juni auf dem Philosophie-Festival Phil.cologne gesagt. Der Text steht in der aktuellen Ausgabe des Philosophie Magazins und dieser Gesprächsausschnitt hat seitdem in der BGE-Szene für viel Diskussionsstoff gesorgt.

Viele hunderte Kommentare kamen. Nicht nur auf Facebook und Twitter, auch diverse Blogs (im freitag.de, neulandrebellen.de und freiheitstattvollbeschäftigung.de) und Presseartikel beziehen sich darauf.

Versuch einer Analyse

R. D. Precht argumentiert seit einer Weile für das Bedingungslose Grundeinkommen, vor allem aus der Perspektive der Digitalisierung heraus. Dabei hat er eine Umwälzung der Arbeitsverhältnisse, drohende Massenarbeitslosigkeit und ein Stück Sozialismus im Kapitalismus im Blick. (Deutschlandfunk)

So weit, so gut. Kinder kommen in dieser Rechnung allerdings nicht vor. Precht plädiert für ein recht komfortables BGE von 1500 Euro für Erwachsene, betrachtet die Versorgung der Kinder dann aber als Privatvergnügen der Eltern, die es daher von ihrem BGE mitbezahlen müssten. Dies wird durch seine Aussage, dass er auch das heutige Kindergeld abschaffen würde, noch verschärft.

Daraus folgt, und das zeigt die Debatte darum auch sehr schnell, dass finanziell schlecht Gestellte entweder keine Kinder haben können oder diese je nach Anzahl der Kinder in zunehmender Armut aufwachsen müssten. Eine wirtschaftliche Selektion für Kinder nach Berufsperspektive der Eltern entspricht aber wohl nicht dem vorherrschenden Menschenbild der Gesellschaft, die Kinderarmut regelmäßig anprangert. Der Idee vieler Grundeinkommensbefürworter sogar noch weniger, denn die Würde eines Kindes sollte genauso gesichert sein wie die aller anderen Menschen auch. Und dazu gehört eben auch eine wirtschaftliche gesicherte Existenz.

Trotzdem hat sich zu dem Thema eine breite Diskussion entzündet, längst unabhängig von der Person Prechts, sodass es sich lohnt, die Argumente hier einmal zusammenzufassen.

Sind arme Eltern schlechte Eltern?

Eine Argumentationslinie befasst sich mit der Fürsorge für die Kinder. Es werden immer wieder Einzelbeispiele ins Feld geführt, in denen sich Eltern nicht gut um ihre Kinder gekümmert haben. Finanzielle Unterstützung, die für die Kinder gedacht war, sei für andere Zwecke verwendet worden. Teilweise wird sogar unterstellt, dass sie die Kinder aus einer finanziellen Motivation heraus erst bekommen hätten.

Dazu ist festzuhalten: Zunächst einmal kann ein Kind nichts dafür, dass es auf der Welt ist, und sollte schon aus menschenrechtlicher Perspektive nicht noch für das Tun seiner Eltern mit Armut bestraft werden. Chancengleichheit wird als Ideal nie vollständig erreicht werden, das politische Ziel besteht dennoch und würde durch ein BGE an Kinder besser als bisher verwirklicht. Mit einem BGE nur für Erwachsene, wie Precht es fordert, wäre das Gegenteil der Fall.

Für Eltern, die sich tatsächlich nicht ausreichend um ihre Kinder kümmern, sind in Deutschland das Jugendamt und diverse andere Hilfsangebote zuständig, von der Familienhebamme über Jugendhilfe bis zu Erziehungsberatungsstellen. All dies würde sich durch ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht ändern. Da manche Eltern heute zwar alles für ihre Kinder tun wollen, aber nicht (gut genug) können, weil sie einem zeitaufwendigen Erwerbsarbeitszwang unterliegen und Armut möglicher Weise ihre Intelligenz und Alltagstauglichkeit reduziert (wie Rutger Bregman behauptet), würde der Bedarf an staatlicher Hilfe vielleicht sogar fallen. Als Sicherstellung, dass den Kindern ihr Grundeinkommen auch zugutekommt, sollte das eigentlich ausreichen.

Dem Misstrauen in die Menschen, aus dem Hartz IV gestrickt ist, entspricht die Angst Vieler, dass einige Eltern das BGE “ausnutzen” könnten. Dies bringt sie dazu, den Kindern aller anderen Eltern ohne ausreichendes Erwerbseinkommen mit Armut zu drohen (vgl. hierzu auch ein Kommentar von Sascha Liebermann).

Schon ein Kinder-Grundeinkommen würde unter anderem viele Alleinerziehende aus der Alg-II-Bedürftigkeit befreien, und eine Sicherung des sächlichen Existenzminimums1 (rund 400 Euro) der Kinder wäre laut einer aktuellen Springer-Studie problemlos möglich.

Ein Grundeinkommen für Kinder kann nicht an das Kind direkt ausgezahlt werden, sondern geht an den, der die Versorgungspflicht innehat. Das kann Mutter, Vater, Pflegefamilie, Adoptivfamilie oder, falls erforderlich, auch ein dafür Beauftragter des Jugendamtes sein. Streit um Unterhalt wäre damit weitestgehend Geschichte. Und friedliche Eltern sind eine wichtige Voraussetzung für einen gesunden Start ins Leben.

Wollen wir Kinder auf dieser Welt?

Es hat sich auch noch eine andere Argumentationslinie herausgebildet, die mit der Aussage von Precht eigentlich gar nichts mehr zu tun hat: die Perspektive der Überbevölkerung. Hier wird davon ausgegangen, dass es zu viele Menschen auf der Welt gebe und dass man deswegen eine globale Geburtenkontrolle fordern solle.

Auch über diese Behauptung könnte man streiten, denn es gibt laut ZDFinfo auch die Annahme, dass die Weltbevölkerung sich auf ein stabiles Niveau von 10 Milliarden einpendelt. Die aktuelle Zunahme ergibt sich vor allem aus einer geringeren Sterblichkeit von Kindern und einer gestiegenen Lebenserwartung. Ob das schlecht für eine nachhaltige Nutzung unseres Planeten ist, ist schwer zu beurteilen. Ich kann aber aus persönlicher Erfahrung hinzufügen, dass es definitiv schlecht für ein Kind ist, mit einem Vater aufzuwachsen, der Kinder als “Umweltverschmutzung” bezeichnet.

Aber selbst wenn man die Weltbevölkerung verringern und das nicht allein Kriegen, Seuchen und Hungersnöten überlassen will: Es gibt auch humane Methoden der Geburtenkontrolle, zum Beispiel kostenlose Verhütungsmittel, bessere Bildung und eine gesicherte Altersvorsorge. Eine Beschränkung des Grundeinkommens auf Erwachsene ist dafür sicherlich nicht erforderlich und verstößt außerdem gegen den Grundgedanken des Grundeinkommens als Menschenrecht.

Wie alt bin ich und wenn ja, wie viel wert?

Wenn man nun, im Gegensatz zum Auslöser der Debatte, für ein Grundeinkommen auch für Kinder ist, dann stellt sich die Frage der Höhe. Manche Modelle äußern sich dazu gar nicht, andere schlagen ein “halbes BGE” vor, wieder andere den gleichen Betrag “von der Wiege bis zur Bahre” (vgl. Übersicht ausgewählter Grundeinkommenskonzepte).

Zu welchem Ansatz man neigt, hängt davon ab, ob und wie sehr man die Geburt und das Aufwachsen von Kindern in unserer Gesellschaft fördern oder behindern möchte.


1 Das sächliche Existenzminimum wird von der Bundesregierung festgelegt und beinhaltet neben den sozialhilferechtlichen Regelsätzen für Kinder auch die statistisch ermittelten durchschnittlichen Kosten für Unterkunft und Heizung sowie Bildungs- und Teilhabeleistungen, “die typische Bedarfspositionen abdecken”. Es beträgt im Jahr 2018 399 Euro (vgl. 11. Existenzminimumbericht der Bundesregierung)

6 Kommentare

Jutta Müller schrieb am 26.08.2018, 20:59 Uhr

Wohlstand ist bekanntermaßen ein \"Verhütungsmittel\"

Thomas Kornfeind schrieb am 04.09.2018, 19:17 Uhr

Das BGE muss natürlich auch für Kinder eingeführt werden, aber in einer geringeren und nach Alter gestaffelten Höhe. Z. B. beginnnend mit 500 Euro ab Geburt bis 1500 Euro steigend bis zur Volljährigkeit, und als Erwachsener die 1500 Euro lebenslang!

Für BGE-Gegener genauso wenig vorstellbar wie eine Steuerprogression bis MINDESTENS 100 Prozent, um endlich eine gerechtere und weltweite Einkommensverteilung anzugehen.

Gabriele Weis schrieb am 20.09.2018, 20:11 Uhr

ad 1)

Der ewige Blick auf drohende Arbeitslosigkeit im Kontext der Digitalisierung, wie ihn Precht zelebriert, nervt, denn er entwertet die emenzipatorisch-kulturellen Möglichkeiten eines BGE (ebenso wie diejenigen teil-erweiterter digitalisierter Leistungserbringungung neben neu zu gewinnenden Leistungs-Bereichen!)

ad 2)

Mir ist lange kein absurderer Gedanke untergekommen als der, kaum hat man die alten überwunden, auch gleich beim Grundeinkommen nach neuen MIssbrauchs-´Gefahren´ Ausschau zu halten ! Und das auch noch mit Blick auf Kinder ???!!!

Entweder haben Menschen ein Recht auf Leben, egal in welchen Familiengrößen und welchen Lebensphasen sie sich befinden - oder sie haben es nicht !

Alles da unterscheidende Lenken-Wollen ist Anmaßung !

[...]

Andrea Müllerschön schrieb am 18.12.2018, 14:27 Uhr

Guten Tag,

Da Kinder unsere einzigste Form von Zukunft sind, finde ich die Vorstellung nicht schlimm, dass die wenigen Menschen, die sich mehr als zwei Kinder überhaupt vorstellen können, auch welche bekommen. Da sich ein Drittel gegen Kinder frei entscheidet, könnten sich auch ein Drittel für vier Kinder oder mehr entscheiden.

Als geburtenschwächstes Land der Erde wäre selbst eine Verdoppelung der Kinderzahl kein Problem, sondern eher die Lösung eines seit 1892!!! bestehenden Problems, nämlich dem Geburtenrückgang und dem demografischen Wandel.

Allerdings würde ich nicht die Höhe von 1500 Euro mittragen.

1000 € müssen den Mitbürgern schon reichen. Mehr braucht man ja nun wirklich nicht. Sinnloser Überfluss und eine Leben in Luxus muss ja auch nicht herrschen.

Yücel Atiker schrieb am 13.01.2019, 00:56 Uhr

Hier wird Precht falsch zitiert und interpretiert. Er gab sich selber als Beispiel und sagte sinngemäss: Warum soll einer wie ich Kindergeld bekommen bei seinem üppigen Einnahmen (sein Erfolg mit Büchern und Vorlesungen sind gemeint). Es geht ihm nicht darum, Kinder mittellos zu lassen, sondern nach Bedürftigkeit zu unterstützen. Das heißt, reiche Eltern brauchen kein Kindergeld, sie können selber für ihre Kinder sorgen, ohne staatliche Unterstützung. Außerdem ist er für eine umfangreiche Bildungsreform mit Ganztagsschulen und reformierter Bildungsinhalte. Keineswegs für verwahrloste Kinder!

Christoph Horstmann schrieb am 16.01.2019, 14:21 Uhr

Ich bin sehr für ein BGE für Kinder oder ein allgemeines BGE und eine umfassende Steuerreform.

Mein Beispiel: Geschieden, 4 Kinder mit meiner Ex-Frau, verdiene ca. 50.000 € brutto pro Jahr und zahle Unterhalt. Das mache ich auch gern, ich weiß ja worum es geht.

Nun ist es allerdings so, dass mir persönlich fast nix bleibt. Ich kann nix zurücklegen für später, ich kann nix zurücklegen um, wenn die Kinder da sind, mal mit denen mehr als einen Tagesausflug zu machen. Gleichzeitig wird man, wenn geschieden, wieder in Lohnsteuerklasse 1 gesteckt und nochmals bestraft dafür, dass man seine Beziehung nicht aufrecht erhalten konnte. Die Kinder habe ich \"dem Staat\" trotzdem geschenkt.

Dafür werde ich nun mehrfach bestraft. Nicht durch Unterhalt, sondern durch den Umstand, dass ich trotz ganz gutem Gehalt nichts habe, garnichts.

Ein BGE würde bei all solchen Konstruktionen etwas den Dampf rausnehmen.

Geschiedene Eltern werden auf so vielen Ebenen benachteiligt, dass es zum Schreien ist.

Ich habe also noch gute 15 Jahre in relativer Armut vor mir und die fehlen mir am Ende für die Altersvorsorge. Altersarmut ist also nahezu vorprogrammiert und das bei gutem Gehalt.

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