Missverständnis oder Themaverfehlung? – Erwiderung auf Gero Jenners Kritik an Götz Werner
Dr. Gero Jenners empörter Angriff auf Götz Werner bezieht sich zum größten Teil auf die von Werner vorgeschlagene Konsumsteuerfinanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens und auf dessen Schweigen zu den größer werdenden Unterschieden zwischen Arm und Reich – eine Entwicklung, die Jenner durch die Konsumsteuer eher zementiert denn beseitigt sieht. Jenner betont, dass es eine kleine Oberschicht gebe, die von ihrem Kapital (d. h. von der Arbeit anderer) lebe und daher ein leistungsloses Einkommen in enormer Höhe beziehe, während die Mehrheit immer größere Kürzungen hinzunehmen habe. Götz Werner lasse diese Tatsache unerwähnt und damit unangetastet, was ihn in Jenners Augen zum „unermüdlichen Lobbyisten des großen Geldes“ promoviert.
Man muss auf die Bremse treten: Genau genommen hat der Einsatz für ein BGE mit der Einkommens- und Vermögensspanne nichts oder nur wenig zu tun – sogar dann, wenn man Jenners Kritik an der Konsumsteuer teilt. Beim BGE geht es um Freiheit, Würde und Sicherheit durch bedingungslose kulturelle Teilhabe für jeden Einzelnen (langfristig weltweit). Bei der Frage nach der Kluft zwischen Arm und Reich geht es um die Legitimität von materiellen Unterschieden – die ich ebenso wie Jenner mit den heutigen Auswüchsen als höchst ungerecht empfinde. Um glaubwürdig für das BGE eintreten zu können, braucht man aber nicht zwangsläufig die Forderung nach Umverteilung in einer Höhe zu erheben, wie Linke (mich eingeschlossen) sie wollen. Der Diskurs um bedingungslose kulturelle Teilhabe verläuft fast völlig unabhängig von demjenigen um die materielle Ungleichheit. Götz Werner verliert nicht seine Glaubwürdigkeit bei seinem Feldzug für ein Grundeinkommen, bloß weil er kein Linker ist.
Das Grundeinkommen verändert die Einkommens- und Vermögensverhältnisse nur teilweise. Da wir nicht wissen, ob die Menschen nach seiner Einführung weitere Korrekturen fordern würden, „kann“ das BGE diesbezüglich weniger, als linke Befürworter ihm manchmal zutrauen (wohl aber wäre die materielle Ausgangslage für Verteilungskämpfe besser als heute). Das Grundeinkommen ist aber auch unschuldiger, als linke Gegner glauben: BGE plus Umverteilung von oben nach unten oder ein Wechsel des Wirtschaftssystems sind absolut vereinbar. Das BGE ist nicht nur überparteilich, es ist übersystemisch: Es wäre meine erste politische Forderung in jedem System.
Das Grundeinkommen stützt nicht die Verhältnisse, sondern die Individuen – und vor dem, was die dann, losgelöst von wirtschaftlichen und politischen Funktionseliten, mit den neuen Möglichkeiten so alles auf die Beine stellen, müssen Autoritäre und Gegner der Demokratie in allen Lagern Panik bekommen. Das Disziplinierungsmittel Arbeit wird entschärft. Da schlottert der eine oder andere, man bangt auch um Privilegien.
Von der Finanzierung abgesehen, zeigt sich Jenner gegenüber der Idee des BGE unschlüssig. Einerseits hält er es (nach meinem Eindruck ironiefrei) für „schön“, andererseits behauptet er im letzten Satz, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen „nur dort einen Sinn ergibt, wo eine große und wachsende Kluft zwischen Arm und Reich existiert.“ Diese Suggestion Jenners, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen sich erledigt hat, sobald materielle Unterschiede eliminiert oder nach dem (hoffentlich vorhandenen) mehrheitlichen Gerechtigkeitsgefühl ausgestaltet wurden, ist ein Missverständnis.
Zur Untermauerung seiner Behauptung imaginiert er eine Gesellschaft, in der die „vorhandene Arbeit“ (wie auch immer) gleichmäßig geteilt wird und alle in etwa das gleiche Einkommen beziehen. Obwohl als Ziel „keineswegs wünschenswert“, ist dieses Beispiel für ihn doch als Argument gegen das BGE zu gebrauchen: Wo alle gleichmäßig arbeiten und gleich viel verdienen, sei ein BGE sinnlos, weil jeder es mit seiner Hände Arbeit selbst finanziere: „Er würde mit der linken Hand geben, was er mit der rechten genommen hätte.“
Jenner schließt: Wenn alle gleich sind, ist ein BGE sinnlos. Also: Wenn ein BGE sinnvoll sein soll, dann dürfen nicht alle gleich sein.
Formallogisch ist das richtig. Aber die Prämisse ist falsch. Gerade auch in einem autoritären Arbeitshaus mit gleichgemachten Einkommen und gleichgemachter Arbeitszeit wie dem in Jenners Phantasie kann man nur darauf hoffen, dass der Ruf nach bedingungsloser kultureller Teilhabe laut ertönt. Denn sie bringt die Freiheit mit sich, selber die Zumutbarkeitskriterien für die „vorhandene Arbeit“ festzulegen, die ansonsten rigide zugeteilt würde, und zwar zu den Bedingungen der Obrigkeit. Nur bei bedingungsloser kultureller Teilhabe gibt es aber ein Wahlrecht, also das Recht des Einzelnen, sich dort zu engagieren, wo es ihm sinnvoll erscheint, zu einem Lohn, den er als gerecht empfindet. Zum Beispiel würde das BGE überhaupt erst offenbaren, welche „vorhandene Arbeit“, die die Gesellschaft gerne erledigt sähe, in welcher Höhe entlohnt werden müsste, damit sie aus freien Stücken erledigt wird.
Außerdem erweitert das BGE die Palette der Tätigkeiten, die Anerkennung erfahren, indem es zwar keinen Lohn darstellt für diese neu anerkannten Tätigkeiten, wohl aber eine Ermöglichungspauschale, um ihnen nachgehen zu können (über weitere Entlohnung dieser Bereiche muss trotzdem nachgedacht werden). Der Tauschwert, den einige Tätigkeiten am Markt erzeugen, sagt nichts über den Wert der Tätigkeiten, die keinen erzeugen – und man ist angesichts der Waffenindustrie, des Finanzmarktes und anderer Wirtschaftszweige geneigt zu behaupten: Der Tauschwert sagt auch wenig über den Wert der Arbeit, die ihn erzeugt.
Bei allem, was auch ich in temperamentvollen Momenten gegen die jeder Leistungs- und Chancengerechtigkeit sowie allgemein jeder sozialen Gerechtigkeit spottenden Zustände vorbringe, ist Fairness gegenüber Götz Werner das Hauptanliegen dieses Kommentars: Der Mann hat mit seinen Interviews und Auftritten den Gedanken an Sanktionsfreiheit und an eine bedarfsorientierte Grundsicherung in der breiten Bevölkerung anschlussfähiger gemacht als alle roten „Hartz IV muss weg!“-Plakate zusammen – da zeigt er sich tatsächlich „unermüdlich“.
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Der Autor
Alexander Janke ist Kaufmann für Marketingkommunikation und lebt in Hamburg. Er ist Mitglied im Netzwerkrat des Netzwerks Grundeinkommen.
Ein Kommentar
Alles richtig. Dennoch ist die Kritik von Herrn Jenner an der Art der Ausgestaltung der Konsumsteuer nicht ganz unberechtigt. Es ist eine Tatsache, das 1 Euro Konsumsteuer in irgendeinem Produkt jemanden mit \"nur\" dem BGE mehr trifft, als jemanden der Hunderttausende verdient.
Wenn man das BGE über eine erhöhte Konsumsteuer finanzieren will (wofür ich absolut eintrete), sind BGE und Steuerreform nicht zwei Paar Schuhe, sondern gehören zusammen. Insofern kann die Idee des \"Neuen Fiskalismus\" von Dr. Jenner ein Diskussionsbeitrag sein ( http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/NeuFis.html ), abzüglich großer Teile des Absatzes: \"Die Steuerbehörde wird zum Sozialamt\".
Warum Dr. Jenner in persönliche Attacken auf Prof. Werner abgleitet, ist mir allerdings auch ein Rätsel.