Politiker und andere engagierte Bürger sprechen sich für die Einführung des bedingungsloses Grundeinkommens aus.

Gisela Brunken 16.05.2009 Druckversion

In dem kleinen Dorf Heckenbeck zwischen Hildesheim und Göttingen führte ein Diskussionsabend [1] über die Ursachen und Folgen der Krise zu bemerkenswerten Ergebnissen. Es war ein Experiment neuer Gesprächskultur, organisiert von mehreren Initiativen im südlichen Niedersachsen. Beteiligt war auch der Arbeitskreis Grundeinkommen Göttingen.
Bereits die Sitzordnung nach der Fishbowl-Methode [2] lud zum Miteinanderreden ein: Rund um einen Stuhlkreis in der Mitte des Saales waren kleine Tischgruppen für die Gäste gestellt. Nadja Lehmann und Theodor D. Petzold, welche die Leitung übernommen hatten, baten zunächst die eingeladenen Politiker in dem Innenkreis Platz zu nehmen. Dort blieben einige Stühle frei um wechselweise aus dem Publikum zum Mitmachen besetzt werden zu können.

Die Diskussion sei hier in Ausschnitten wiedergegeben:

Wie ein roter Faden spann sich durch das gesamte Gespräch das Bedürfnis, sowohl unabhängig von eigenen Parteifraktionierungen als auch von der Fremdbestimmung durch die große Politik zu einem guten Miteinander in der Region zu kommen. Frau Selzer, CDU-Mitglied und stellvertretende Bürgermeisterin von Bad Gandersheim, betonte bei ihrer Vorstellung, sie sei immer bemüht gewesen, den einzelnen Menschen mit seinem Charakter wahrzunehmen, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei. Herr Schäfer, gleichberechtigt mit Frau Selzer stellvertretender Bürgermeister von Bad Gandersheim und Mitglied der SPD, stimmte ihr zu, als sie hervorhob, dass die Zusammenarbeit im Stadtrat mit allen Parteien noch nie so gut war wie jetzt. Die allgemeine Lage würde bewirken, stärker zusammenzurücken. Jenseits von Parteianimositäten aus der Vergangenheit würde nun der Blick gemeinsam auf die Lösung von Problemen gerichtet werden.
Auch Herr Baumelt, Mitglied vom Kreistag im Landkreis Nordheim und von der Partei DIE LINKE, vertrat die Ansicht, dass Fraktionszwang für politische Arbeit hinderlich sei.
Er kritisierte besonders hart die derzeitige Bundespolitik, deren Widersinnigkeit an der Abwrackprämie deutlich würde. Außerdem würde die Schere zwischen Arm und Reich immer größer werden. Er wünsche einen Zusammenbruch des derzeitigen kapitalistischen Systems, und zwar möglichst bald.
Hier wurde ihm von Frau Selzer heftig widersprochen, die darauf hinwies, dass wir mit diesem System bereits 60 Jahre Frieden in Europa haben.
Zustimmung fand jedoch auch eine weitere Stellungnahme, dass es keinen Sinn mache, ein nun mittlerweile global gewordenes Miss-System mittels Zahlungen an Banken aufrecht zu erhalten.
Herr Lipinski, Europa-Abgeordneter der Violetten, vertrat hingegen die Ansicht, dass das derzeitige künstliche Aufrechterhalten des bestehenden Geldsystems durchaus einen Sinn haben könne, nämlich dann, wenn dadurch Zeit gewonnen würde um nach anderen Wegen zu suchen. Ein solches Suchen nach Alternativen würde er in der Politik jedoch bisher nicht sehen.

Ein Diskussionsteilnehmer meinte, dass wir uns darüber klar sein müssten, dass wir in keiner Demokratie leben würden, sondern Mitglied in einem globalen Mord-System seien. Dies gelte es nicht zu verdrängen, sondern ins Bewusstsein zu bringen. Er zitierte aus dem Buch „Die Herrschaft des Geldes“ von Karl-Heinz Brodbeck: „Was die Märkte global alljährlich an wechselnden Standorten veranstalten, ist einem Holocaust vergleichbar.“
Es würde, führte er weiter aus, nicht ausreichen, sich bei einer Tasse Kaffee Gedanken über Ungerechtigkeiten in Deutschland zu machen. Ein Verwandter von ihm müsse in Südamerika zwölf Stunden am Tag auf einer Kaffeeplantage arbeiten und könne sich dann noch nicht einmal eine Tasse Kaffee leisten.

Über die Notwendigkeit einer gerechteren Verteilung des Geldes und der Güter war man sich in der Runde einig. Offen blieb jedoch die Frage, ob und wie die Reichen dazu zu bringen seien, ihren Reichtum mit den Armen dieser Welt zu teilen.

Zur Problematik des Zinssystems bemerkte ein Gast, wir seien nicht einfach nur den bestehenden Verhältnissen ausgeliefert. Man könne auch heute schon, z.B. in alternativen Leihgemeinschaften, Geld ohne Zinsen leihen und verleihen, man brauche diese Möglichkeiten nur zu suchen. Er selber habe nie Zinsen gezahlt und auch nie Zinsen genommen.

Alle Gäste waren eingeladen, sich zeitweise in den Kreis zu den in der Mitte des Saales diskutierenden Personen zu setzen und dort eigene Argumente einzubringen. Dies wurde unter anderem genutzt, um die anwesenden Politiker zu fragen, wie es um ihre Macht bestellt sei, den Druck aus der Bevölkerung nach oben weiterzugeben und Einfluss zu nehmen. Auch nach ihren Meinungen und Vorhaben zu akuten Themen der lokalen Politik wurden sie befragt. Wie diese Chance zum Mitreden vom Publikum genutzt wurde um auf die möglichen Auswirkungen durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens hinzuweisen, sei hier an einem Beispiel aufgezeigt:

Ein Diskutant vertrat die Ansicht, die Möglichkeit der grenzenlosen Geldanhäufung durch unser Zinssystem würde die Sucht des Menschen nach einer rücksichtslosen Vermehrung des privaten Reichtums überhaupt erst befördern.
Auch Frau Selzer bemängelte, dass Profitorientierung oft zu Einbußen in der Lebensqualität führen würde. In einem benachbarten Krankenhaus würde das Essen nicht mehr in der hauseigenen Küche gekocht. Es würde stattdessen aus einer Großküche transportiert, nur weil das 10 Cent pro Mahlzeit billiger sei. Dabei sei für viele schwerkranke Menschen ein gutes Essen die einzige Freude, die sie am Tag hätten.
Hierauf wurde von einer in den Innenkreis gewechselten Teilnehmerin darauf hingewiesen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen Arbeit in der Region wieder bezahlbar machen könnte. Auch ein verändertes Steuersystem könne dazu beitragen, notwendige Arbeit wieder zu ermöglichen.
Ein weiterer Diskutant ergänzte, es habe auch schon einmal innerhalb der SPD eine Diskussion darüber gegeben, Maschinen statt Löhne zu besteuern. Die Debatte über solche Alternativen sei in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen und müsse nun wieder geführt werden.

Nicht alle angesprochenen Aspekte können zitiert werden, doch erwähnt sei hier noch das Ergebnis der Abschlussrunde: Dabei kam es zu einer, nach teils doch recht heftigen Auseinandersetzungen vorher, verblüffenden Einmütigkeit: Der Hauptteil der am Schluss im Innenkreis befindlichen Teilnehmer und Teilnehmerinnen unterstützte, unterschiedlich begründet, die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens!
Nur Frau Selzer meinte, sie würde sich darüber erst genauer informieren wollen. Für sie seien die Freiheit des Einzelnen und die Gewährleistung eines Freiraums zu seiner Entfaltung mit möglichst wenig staatlicher Bevormundung oberstes Gebot. Sie freute sich, als sie dann zum Abschied eine DVD mit dem Film „Grundeinkommen“ geschenkt bekam.
Die meisten Gäste bevölkerten anschließend noch die Dorfkneipe „Zur Linde“. Dort wurde die Debatte bei einem und auch mehreren Glas Bier fortgesetzt bis der Wirt durch Hochstellen der Stühle und Abschalten der Beleuchtung den Abend beendete.
Vor Beginn der Veranstaltung hatte ein älterer Herr mir gestanden, er habe sich sein Leben lang nicht um die Politik gekümmert. Doch was in der letzten Zeit von unserer Regierung gemacht würde, fände er einfach nicht mehr hinnehmbar. Er halte es für Blödsinn, soviel Geld an die Banken zu geben, auch die Abwrackprämie sei ein verantwortungsloser Unsinn. Für kinderreiche Familien würde dieses Geld fehlen. Er habe Enkelkinder und er frage sich, was aus ihrer Zukunft werden solle, wenn in unserem Land weiterhin so gewirtschaftet würde. Da müssten wir doch alle auf die Barrikaden gehen. Ich traf ihn nun an der Theke wieder und während aus der Umgebung Wortfetzen wie „Kinderarmut“ und „Klimawandel“ zu hören waren, sagte er, es habe ihn überrascht, dass bei der in den Menschen vorhandenen Wut noch eine so sachliche Diskussion möglich sei.

So erlebten viele eine Überraschung an diesem Abend, der die Möglichkeit bot, neue Rollen und neue Gedanken zuzulassen.

Bereits vor seiner Einführung trägt das Bedingungslose Grundeinkommen dazu bei, Grenzen, mögen sie durch Parteiidentifikation und durch andere Gruppenzugehörigkeit oder auch einfach nur in unserem Kopf entstanden sein, aufzubrechen.
Was wird es uns erst alles ermöglichen, wenn wir es haben!

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Fußnoten:

[1] Ein Abend am 4. Mai 2009 im Rahmen der Veranstaltungsreihe in Heckenbeck bei Bad Gandersheim und in Göttingen zur Finanzkrise und ihren Lösungsansätzen wie Regionalgeld, Grundeinkommen und alternativer Ökonomie, an denen unter pädagogischer Verantwortung des VNB außer der Konvergenzgesellschaft e.V., Augusta-Regionalgeld e.V. und der KuK e.V. für Kultur und Kommunikation auch der Arbeitskreis Grundeinkommen Göttingen mitwirkte.

[2] Fishbowl-Methode (http://de.wikipedia.org/wiki/Fishbowl) Als Fishbowl-Methode werden unterschiedliche Verfahren bezeichnet, bei denen eine in einem Innenkreis stattfindende Diskussion von dem anwesenden Publikum wie in ein Goldfischglas beobachtet werden kann und an dem aus dem Publikum durch Dazusetzen teilgenommen werden kann.

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