Replik auf Nida-Rümelins Kritik am Bedingungslosen Grundeinkommen

Herbert Wilkens 16.06.2008 Druckversion

Sascha Liebermann (Freiheit statt Vollbeschäftigung) hat eine Replik auf den Beitrag von Julian Nida-Rümelin in der Frankfurter Rundschau geschrieben. Nida-Rümelin malt für den Fall der Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) das Gespenst einer vielfachen Spaltung der Gesellschaft an die Wand. Als Gegenmittel propagiert er eine „Integration durch Erwerbstätigkeit“.

Liebermann hält dagegen, indem er daran erinnert, dass die Bürger unseres Gemeinwesens immer schon Legitimationsquelle unserer politischen Ordnung sind und von daher ohnehin „integriert“. Es bedürfe dazu keiner Erwerbsverpflichtung und Bevormundung. Vielmehr schaffe das BGE die Voraussetzung für eine freie Entscheidung der Bürger, wo sie sich für die Gesellschaft einbringen wollen, ob nun in Erwerbstätigkeit oder in häuslichem oder ehrenamtlichem Engagement. Von einer Spaltung der Gesellschaft durch das BGE könne gar keine Rede sein, vielmehr würde es zu besserem Zusammenhalt führen.

Pikant: Die Kritik an dem Beitrag von Nida-Rümelin wurde der Frankfurter Rundschau zum Abdruck angeboten, die Redaktion hat jedoch abgelehnt.

Ein Kommentar

Viktor Panic schrieb am 18.06.2008, 11:42 Uhr

THEMA VERFEHLT - Von vorne bis hinten!

Das ist das verheerende Urteil, das ich zu NIDA-RÜMELIN\'s Pamphlet ziehen muss.

Bevor ich seine Abhandlung auseinandernehme, möchte ich jedoch anmerken, dass mir Liebermann\'s Buch-Titel \"Freiheit statt Vollbeschäftigung\" übel aufstößt, denn dieser Titel stützt das Vorurteil unserer Kritiker, die Einführung des BGE würde dazu führen, dass in Deutschland (etc) weniger gearbeitet würde. Oder glauben das etwa auch viele von uns? Das Gegenteil ist richtig! Auch wenn es den meisten von uns wohl nicht schmecken dürfte, wenn ich das sage, aber Haupteffekt des BGE - aus heutiger Sicht, denn das gilt nur für bestehende Sozialstaaten - wäre eine drastische Verbilligung einfacher Tätigkeiten und somit die Schaffung von Millionen von Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich! Dagegen gäbe es auf qualifizierte Tätigkeiten nur minimale direkte Auswirkungen.

Zurück zu Nida-Rümelin\'s Machwerk \"Integration statt Ausstieg - Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde unsere Gesellschaft noch weiter spalten\"

\"Gemeinsam ist allen Befürwortern das Ziel eines radikalen Systemwechsels.\"

Falsch! Ich glaube nicht, dass ich damit allein stehe: MEIN Ziel ist schlicht und einfach die Reparatur des Geburtsfehlers unseres Sozialstaats, das BGE ist in meinen Augen einfach die korrekte Verbindung von Sozialstaat und Marktwirtschaft.

\"Die unterschiedlichen sozialen Sicherungssysteme sollen durch ein einfaches und vermeintlich gerechtes Modell ersetzt werden.\"

Wenn es nicht gerecht wäre, müsste man nur ein Gegenbeispiel angeben! Herr Nida-Rümelin, Sie halten sich doch für einen Wissenschaftler! Da sollte ihnen bekannt sein, wie es sich mit Theorien verhält: Sie zu beweisen, wenn sie richtig sind, mag schwer sein, sie zu widerlegen, wenn sie falsch sind, ist einfach, nämlich durch ein einziges Gegenbeispiel!!!

\"Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens geht in seinen Wurzeln bis auf das 19. Jahrhundert zurück.\"

Grammatisch falsch. Tut mir Leid, konnte ich mir nicht verkneifen!

\"Der wichtigste weltanschauliche Kontext ist der des Anarchismus und des utopischen Sozialismus.\"

Damit wird das BGE weltanschaulich diskreditiert! Schämen Sie sich, Herr N.-R.! Warum unterschlagen Sie die Themen Nationaldividende und Negativsteuer? Vielleicht, weil sie von renommierten Wissenschaftlern und Nobelpreisträgern stammen?

\"... die These vom Ende der Arbeitsgesellschaft ... dass Erwerbsarbeit durch Rationalisierungsprozesse zu einem knappen Gut wird ... ist empirisch nicht belegt.\"

(Ich hoffe, man wirft mir nicht vor, ich hätte die Aussage durch die Kürzungen entstellt, ich würde den Text ja ungekürzt kommentieren, mache mir aber Sorgen wegen des Urheberrechts.)

Dass (im produzierenden Gewerbe) Arbeit durch Rationalisierungsprozesse unwiderruflich abnimmt, kann niemand ernsthaft bestreiten! Natürlich könnten Dienstleistungen an deren Stelle treten, und das BGE würde sie bezahlbar machen!

\"Jeder kann zu jedem Zeitpunkt entscheiden, ob er der Erwerbsarbeit ... andere Arbeiten (bürgerschaftliches Engagement, Familienarbeit …) oder ... Muße.\"

UND JETZT ACHTUNG: \"Da Erwerbsarbeit nicht mehr notwendig ist, würde durch das bedingungslose Grundeinkommen zum ersten Mal der Zwang zur Arbeit nicht nur für einige wenige, sondern für alle im arbeitsfähigen Alter entfallen.\"

Da ist er wieder, der fundamentale Irrtum: Angeblich besteht heute ein Zwang zur Arbeit, Erwerbsarbeit sei für den Einzelnen zwingend notwendig! Falsch! Unser Sozialstaat garantiert JEDEM EINZELNEN BÜRGER das \"soziokulturelle\" Existenzminimum. Der Fehler ist ja gerade der mangelhafte Anreiz im unteren Einkommensbereich! Diesen Anreiz würde das BGE multiplizieren. Das ist sogar dem kritischen Wirtschaftsweisen-Gutachten zu entnehmen!

\"Das zentrale Argument gegen diese so attraktive Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle ist die zu erwartende fundamentale Spaltung der Gesellschaft, in sozialer, kultureller und geschlechtlicher Hinsicht.\"

Schön, dass es ein \"zentrales\" Argument gibt, dann kann man es leichter widerlegen!

\"Die soziale Spaltung: Schon ein bescheidenes bedingungsloses Grundeinkommen würde zu einer extrem hohen Steuerbelastung führen.\"

Falsch! Die Höhe des BGE steht in direkter Relation zur Steuerbelastung. Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, hat sogar berechnet, dass ein BGE auf Höhe von 2/3 des derzeitigen ALG-2 OHNE JEGLICHE STEUERERHÖHUNG zu finanzieren wäre! Wurde zurecht als unsozial abgelehnt, aber es sollte unseren Kritikern zu Denken geben!

\"Die Höhe der Steuern ist davon abhängig, in welchem Umfang vom bedingungslosen Grundeinkommen Gebrauch gemacht wird, das heißt wie groß der Anteil derjenigen ist, die freiwillig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, auf Zeit oder auf Dauer, teilweise oder vollständig.\"

Falsch! Zu Schulzeiten hat man mich für ein mathematisches Genie gehalten, aber für folgende Rechnung braucht man kein Genie zu sein:

Bei einheitlichem Bürgergeld und konstantem Steuersatz (auf das Gesamteinkommen, sogenannte Flatrate) ist die Höhe des Steuersatzes einzig von der Höhe des Bruttoinlandsprodukts (pro Kopf) abhängig. Es ist also irrelevant, WIEVIELE PERSONEN dem Erwerbsleben fernbleiben, sondern einzig, WIEVIEL ARBEIT geleistet wird. Ich habe Verständnis dafür, wenn Normalbürger dies verwechseln, aber ein \"Wissenschaftler\"...

\"Eine Existenz auf der Basis des bedingungslosen Grundeinkommens wird nur für Teile der Bevölkerung attraktiv sein...\"

Was soll man denn mit dieser Formulierung anfangen??? JEDER bekäme doch das Grundeinkommen als \"Basis\"! \"Attraktiv\" ist das BGE aus heutiger Sicht SELBSTVERSTÄNDLICH nicht für Jeden!

\"...dazu gehören insbesondere Jüngere in der Phase nach dem Abschluss ihres Bildungsweges und vor dem Einstieg in die Erwerbstätigkeit...\"

Junge Menschen haben es heute schwer, sie sind gering qualifiziert, das BGE würde ihnen mehr brutto vom netto bringen, was die spärlichen Ausbildungsvergütungen betrifft!

\"...und diejenigen, die etwa durch innerfamiliäre Transferleistungen...\"

Also, falls das Familieneinkommen SO HOCH ist, haben diese Menschen doch heute schon die Wahl, ob sie hinzuverdienen oder nicht. Keine Änderung.

\"Die empirische Evidenz ist jedoch überwältigend, dass eine längere Absenz von der Erwerbstätigkeit die Erwerbsfähigkeit drastisch reduziert.\"

Bombastische Formulierungen ändern nichts daran, dass diese Aussage allein für die HEUTIGE Situation gilt! Gering-Qualifizierte werden vom Sozialstaat im Stich gelassen, sobald sie eine Arbeit aufnehmen. Langzeitarbeitslose - und auf diese ist die \"empirische Evidenz\" gemünzt - sind Menschen, die die Illusion aufgegeben haben, durch Arbeit sozial aufsteigen zu können. Sie sind genauso erwerbsfähig wie Du und ich, wenngleich für die meisten ein \"Vollarbeitsplatz\" eine große Umstellung bedeuten würde. Aber Teilzeit-Arbeit ist bei geringer Qualifikation HEUTE noch unattraktiver und verleidet schon den Wieder-Einstieg ins Erwerbsleben.

\"Absolventen müssen nach Abschluss ihrer Ausbildung bzw. ihres Studiums rasch in das Erwerbsleben integriert werden, weil sonst ihre Qualifikation an Wert verliert.\"

Empirisch richtig, sachlich falsch. Die Arbeitgeber sind es, die dieses Vorurteil pflegen. Solange es zu wenige Arbeitsplätze gibt, können sie es sich leisten, die frischesten auszuwählen.

\"Anreize zur langjährigen Absenz vom Erwerbsleben sind schon von daher unverantwortlich.\"

Gebetsmühlenartg wird wiederholt, das BGE halte die Menschen zum Nichtstun an!

\"Sie führen zu einer Spaltung der Gesellschaft in dauerhaft Erwerbstätige und dauerhaft ... Erwerbslose.\"

BRAVO! Die heutige Realität vollends verdrängt!

Gerade unser Sozialstaat, der Hilfe nur als LohnERSATZ leistet, zwingt die Menschen, sich zu entscheiden, nämlich zwischen Vollzeit-Arbeit und Nichtstun, da Teilzeit-Arbeit finanziell diskriminiert ist. Was nur wenigen klar ist: Der Kaufkraft-Graben zwischen Sozialhilfe und Vollzeit-Arbeit ist es auch, der die Erwerbstätigen dazu drängt, MÖGLICHST VIEL zu arbeiten, um das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu verbessern, gewissermaßen das Preis-Leistungs-Verhältnis der beruflichen Tätigkeit! Das ist auch der Grund, warum Arbeitgeber in Deutschland subjektiv schlechte Erfahrungen mit der Arbeitszeitverkürzung gemacht haben und wieder Verlängerung anstreben: Längere Wochenarbeitszeiten bei gleichem Stundenlohn bedeuten für die Beschäftigten spürbaren Wohlstandsgewinn, daher lassen sich bei längeren Wochenarbeitszeiten in niedrigere Stundenlöhne durchsetzen. Die Zeche zahlt der Sozialstaat. Das sind zwar auch wieder Arbeitnehmer und Arbeitgeber, jedoch bezahlt die Gesamtwirtschaft die Fehler der einzelnen Branche

\"Die kulturelle Spaltung...: Für manche kulturelle Milieus ist die Existenz auf der Basis eines bedingungslosen Grundeinkommens unattraktiv\"

Nun, ich glaube, mit seiner \"Basis\" meint Herr N.-R. den Verzicht auf Erwerbsarbeit, eine missverständliche Formulierung!

\"...zum Beispiel in Form von Elternschaft und Familie...\"

Besonders für Familien mit Erwerbseinkommen stellt das BGE eine bedeutende finanzielle Erleichterung dar! Heute erhalten nur Bedürftige (Haushalte) die vollständige staatliche Finanzierung des Existenzminimums ihrer Kinder. Dadurch wird heute die Lohn-Hürde, welche die Sozialhilfe (Alg-II) darstellt, für Eltern weiter erhöht. Zurecht fordern auch konservative ein existenzsicherndes Kindergeld.

\"...auch für diejenigen, die sich vom Beruf ... mehr als nur ein gesichertes Arbeitseinkommen erwarten.\"

Es widerspricht der Idee des BGE nicht, wenn zwischen Broterwerb und Sozialem Engagement auch Mischformen existieren!

\"Die Bereitschaft zu bürgerschaftlichem politischen Engagement sinkt drastisch mit dem Ausstieg aus dem Erwerbsleben, das gilt nicht nur für Arbeitslose, sondern auch für Ruheständler.\"

Wer will es den unfreiwillig Arbeitslosen verdenken, die der Gesellschaft die Schuld für ihre persönliche Misere geben, dass sie sich daraus zurückziehen?

\"Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde die ohnehin bestehende kulturelle Spaltung der Gesellschaft in beruflich Integrierte und beruflich Nicht-Integrierte ... vertiefen.\"

Hat er diese These vernünftig begründet? Die Spaltung existiert, das gibt er zu. Vertiefen? Meine These lautet, dass die Spaltung durch den Kaufkraft-Graben erzeugt wurde und durch dessen Zuschütten aufgehoben wird!

\"Die Gender-Spaltung: Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde sich in der Realität wie eine üppig ausgestattete \"Herd-Prämie\" auswirken, wie sie von der CSU vorgeschlagen worden ist.\"

Offensichtlich sollen mit dieser Aussage FeministInnen und Linke abgeschreckt werden. Doch schon heute gilt: Wenn das Einkommen des Partners üppig ist, haben Ehefrauen (oder -männer) die freie Wahl zur Arbeit. Sie haben gegenüber den Empfängern von Sozialleistungen sogar den Marktvorteil, da sie deutlich geringere Abzüge erleiden!

\"In vielen Migranten-Familien ... wäre das Thema der Berufstätigkeit der Ehefrau endgültig erledigt.\"

Erstens werden hier wieder Feminismus und Zuwanderung gegeneinander ausgespielt. Vor allem aber ignoriert er die Tatsache, dass sich schon die Einwanderer zweiter Generation weitestgehend an die Rahmenbedingungen anpassen.

Im folgenden Absatz ist von ineffizient eingesetzten Finanzmitteln zur Familienförderung die Rede (Fehlallokation). Ob Kinder von ihren Eltern oder öffentlich betreut werden sollten, sollten die Eltern entscheiden, die wissen es am besten! Sogar \"Rabeneltern\" würden die richtige Entscheidung treffen, wenn die finanziellen Rahmen-Bedingungen keinen Druck ausüben.

Danach plädiert Herr N.-R. ernsthaft für schwedische Verhältnisse, wo 34 Prozent der Beschäftigten im Staatsdienst sind, wohingegen in Deutschland 12 Prozent... also, da bleibt mir den Atem stehen! Wie will er denn DAS finanzieren, wenn er schon Probleme mit \"Existenzmnimum für alle\" hat?

\"Sehr viele, die keine Unterstützung benötigen, würden diese in Anspruch nehmen...\"

Ja, da ist sie wieder, die vermaledeite Bedürftigkeits-Idee! Die Vorstellung, dass es gerecht sei, wenn die Gemeinschaft nur die notwendigsten Bedürfnisse garantiere. Im übrigen begreift er einfach nicht, dass ohnehin JEDER das Grundeinkommen erhielte! Von \"in Anspruch nehmen\" kann keine Rede sein!

\"...das Geld für Ganztagseinrichtungen [und soziale Dienste] weiter fehlte oder ... ganz gestrichen würde.\"

Ob das so sein soll, darüber gibt es sehr wohl unterschiedliche Ansichten. Ich bin der Meinung, dass sich echte Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung tatsächlich mit kostenlosen Betreuungsangeboten nicht verträgt. Ein neutrales Gebührenmodell zu schaffen erscheint mir schwierig, insbesondere muss man bedenken, dass die Betreuung eines einzelnen Kindes ineffizienter als die einer Gruppe ist.

Den Rest seines Artikels kann ich weitgehend unterschreiben. Wie schade, dass so viele Menschen, die gute Ideen haben, die guten Ideen anderer bloß verzerrt wahrnehmen!

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