Ökumenischer Kirchentag – kein Aufbruch, nirgends

Dorothee Schulte-Basta 16.07.2010 Druckversion

Damit ihr Hoffnung habt war das Thema des 2. Ökumenischen Kirchentages, der vom 13. bis 16. Mai 2010 in München stattfand. (Wir berichteten vorab.) Die Hoffnung auf eine breite Basisbewegung für mehr soziale Gerechtigkeit, die vom ÖKT aus ihren Anfang nimmt, hat sich nicht erfüllt. Es lag nicht am Konzept der Veranstaltenden, dass soziale und politische Themen nicht das Bild des Kirchentages prägten. Die Ungerechtigkeiten in der globalisierten Welt, die Zerstörung unserer Mitwelt sowie die immer stärkere Marginalisierung der Erwerbslosen und Einkommensarmen – diese Themen wurden sowohl in den offiziellen Veranstaltungen und nicht zuletzt dank des alternativen Kirchentagnetzwerks Fair teilen statt sozial spalten, immer wieder eingebracht. So fanden z.B. nicht weniger als vier Veranstaltungen mit Grundeinkommensbezug ihren Weg in das offizielle Programm. Ob die Podiumsdiskussion zu den Themen Grundeinkommen statt Hartz IV – eine gesellschaftliche Zukunftsperspektive oder Unser tägliches Brot gib uns heute – ein gesichertes Grundeinkommen verändert … die Welt?!, die Bibelarbeit mit Götz Werner oder der Gottesdienst mit Agapemahl unter der Überschrift Brot vom Himmel – Menschenwürde und Grundeinkommen – allesamt waren sie zahlenmäßig bestens besucht. Was fehlte, war die kontroverse Diskussion jenseits des Podiums.

Die Chance für eine breite Basisbewegung für mehr soziale Gerechtigkeit war, vor allem auch wegen der Anstrengungen des Netzwerks Fair teilen statt sozial spalten, da. „Längst ist die Option für die Armen und Ausgeschlossenen jenseits des Taktierens der Kirchenoberen in der Frage der Ökumene zu einem tragenden Fundament der konkreten Zusammenarbeit in Initiativen, Netzwerken und Verbänden über kirchliche und konfessionelle Grenzen hinweg geworden“, so Michael Schäfers von der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands. Dass dennoch kein Aufbruch zu spüren war, trifft keine Aussage über die Verfasstheit des sozialpolitischen Interesses der Christinnen und Christen hierzulande sondern vielmehr über die generelle Engagementverdrossenheit in Bezug auf sozialpolitisches und gesellschaftspolitisches Aktivwerden. Wo sind denn die Massen, die dem wunderbar wütenden Slogan Wir zahlen nicht für eure Krise auf den Straßen Nachdruck verleihen? Wo ist denn der „Aufstand der Anständigen“ angesichts der spätrömischen Dekadenzdebatte? Der 2. Ökumenische Kirchentag reiht sich ein in das Line-up verpasster Chancen der zivilgesellschaftlichen Basis, die die Deutungshoheit über das Wie wollen wir in Zukunft leben ein ums andere Mal den konservativen und rückwärtsgewandten Kräften im Land überlässt.

Wenn der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach resümiert „Die kirchlichen Aussagen zur Krise des kapitalistischen Systems werden immer matter, der Papst ist ein zahnloser Papiertiger“, so ist das nur ein Teil der Wahrheit. Viel dramatischer empfinde ich persönlich die fehlende lautstarke Auseinandersetzung der breiten Basis mit sozialen und politischen Themen, die derzeit so dringend unser aller Einmischung bedürfen. Auch und gerade derjenigen von Christinnen und Christen. Den weltlichen und religiösen Führenden dieser Welt die alleinige Verantwortung für die Gestaltung der Gesellschaft zuzuweisen greift zu kurz. Wir sind das Wir! Den aus diesem Verständnis resultierenden Aufbruchswillen hat der 2. Ökumenische Kirchentag vermissen lassen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

5 Kommentare

Christian Paulsen schrieb am 19.07.2010, 12:31 Uhr

Leider erstickt das kapitalistische System jegliches Engagement und alle Proteste im Keim, denn: Diejenigen, die von dem System profitieren, wollen es nicht ändern. Diejenigen, die unter dem System leiden, sind mit Überlebenskämpfen und minderbezahlten Jobs ausgelastet und / oder es fehlt Ihnen der Gesamtüberblick (u.a. auch durch die Chancenungleichheit im Bildungssystem), das politische Interesse und die Lobby. Sowieso fehlt ihnen der Glaube, etwas ändern zu können und daher wird dann auch der Gang zur Wahlurne verweigert. Anscheinend muss es noch schlimmer werden, bevor die betroffene Mehrheit wirklich aktiv protestiert. Ich hoffe, dass es vorher gelingt, die Massen zu mobilisieren und das BGE als Startpunkt zu etablieren!

Uschi Bauer schrieb am 19.07.2010, 16:28 Uhr

Gut gebrüllt, Löwin - chapeau!

sam schrieb am 19.07.2010, 19:02 Uhr

Die Kirchenmitglieder werden nicht umsonst \"Schafe\" genannt ...

Jörn Daberkow schrieb am 19.07.2010, 19:11 Uhr

... Ich glaube tatsächlich, dass es in Deutschland schwer sein wird, genügend Menschen für eine Idee auf die Straße zu bringen. Dieses Land hat eine Geschichte, die so einem \"Verhalten\" eher entgegen steht.

Ich bin überzeugt, dass wenn glaubwürdige Menschen die Idee des Grundeinkommens in ein das Programm einer neuen politischen Bewegung (Partei) gießen würde, die Sache mehr an Fahrt gewinnt. Für etwas zu stimmen, fällt den Menschen leichter, als gegen etwas auf die Straße zu gehen.

Von der Kirche erwarte ich mir gar nichts - zumindest aktuell nicht, da hier ein Skandal nach dem nächsten offenbar wird. Zudem bin ich in der Vergangenheit oft darüber enttäuscht gewesen, wie sehr sich die Kirche aus dem Tagesgeschehen heraushält. Dabei wäre hier eine schöne und wichtige Gelegenheit \"Flagge\" zu zeigen.

Hans-Joachim Ebel schrieb am 22.07.2010, 12:53 Uhr

... Frau Dorothee Schulte-Basta, dieses letzte Wort in Ihrem Titel \"nirgends\", kann richtig frustrieren.

Seit 2 Jahren kämpfe ich um die Abschaffung des Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft bei den Kammern. Da ist auch immer wieder die Freude bei kleinen Erfolgen, aber oft auch die Enttäuschung darüber, wie wenig Betroffene sich engagieren. Es geht hier immerhin um 5 Millionen betroffene Unternehmer.

Weil der Zwang weg muss, engagiere ich mich auch für ein BGE ...

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