Die Sprachlosigkeit der Grundeinkommensbewegung
Ich bin erstaunt, dass die Grundeinkommensbewegung bislang keine Stellung im Bundestagswahlkampf bezieht. Es steht eine wichtige Wahl an. und die Grundeinkommensbewegung schweigt. Es gibt offenbar wichtigeres zu tun.
Ein Grund für das Schweigen ist vielleicht der in der Bewegung verbreitete Purismus. Angestrebt wird ein mindestens existenzsicherndes bedingungsloses Grundeinkommen für alle, am besten weltweit, welches zudem – zumindest für einen Teil der Bewegung – nur richtig (gedacht) ist, wenn es vollständig über die Konsumsteuer finanziert wird. Ein solches Grundeinkommen wird von keiner Partei angestrebt, also – so scheint die Schlussfolgerung zu sein – ist es egal, wen man wählt oder ob man überhaupt wählen geht.
Bewundernswert ist das Engagement der parteilosen DirektkandidatInnen. Es ist ein tolles Instrument, um für ein Grundeinkommen zu werben. Entscheidend für die Verteilung der Sitze im Bundestag ist allerdings die Zweitstimme, die Stimme für die Landeslisten der Parteien. Und zu den Wahlprogrammen und den Vorschlägen der Parteien schweigt das Netzwerk Grundeinkommen. Kein Wahlaufruf, keine Empfehlung und keine Stellungnahme. Für das Netzwerk Grundeinkommen scheinen alle Parteien gleich gut oder gleich schlecht zu sein.
Dabei hat die von dem Netzwerk Grundeinkommen selbst initiierte Initiative www.grundeinkommen-ist-waehlbar.de gezeigt, dass es in zweien der Parteien, die in den Bundestag einziehen werden, viele UnterstützerInnen eines bedingungslosen Grundeinkommens gibt. Die meisten UnterstützerInnen – fast die Hälfte der auf der Homepage des Netzwerks aufgeführten KandidatInnen – bei Bündnis 90/Die Grünen. Auch in der Partei DIE LINKE wird eine Debatte über das Grundeinkommen mit dem Ziel des Beschlusses eines Parteiprogrammes geführt. Dabei ist offen, wie diese ausgeht. Zur Zeit bekennen sich zumindest noch deutlich weniger KandidatInnen der Partei DIE LINKE zu einem Grundeinkommen als bei Bündnis 90/Die Grünen. Gleichzeitig treten sowohl Bündnis 90/Die Grünen als auch DIE LINKE in ihren Wahlprogrammen für universelle und bedingungslose Leistungen ein, sei es die Garantierente, sei es die bedingungslose Kindergrundsicherung oder bei der Studienfinanzierung.
Eine Wahlaussage der Grundeinkommensbewegung könnte genau dies in den Mittelpunkt stellen: Das sind richtige und wichtige Vorschläge dieser beiden Parteien, auch wenn die Grundeinkommensbewegung weitergehende Reformen anstrebt.
Was hingegen passiert, wenn Schwarz-Gelb an die Regierung kommt, müsste doch allen klar sein. Kaum an der Regierung, wird erst mal eine Missbrauchsdebatte angestoßen. Denn es muss ja einen Grund geben, warum man gerade bei den Ärmsten den Rotstift ansetzt. Und die versprochenen Steuersenkungen müssen schließlich gegenfinanziert werden …
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Zum Autor:
Dirk Jacobi ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem grünen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Strengmann-Kuhn und (ehrenamtlicher) Mitarbeiter beim Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll Stiftung.
7 Kommentare
Ich finde es richtig, dass das Netzwerk keine Wahlaussage macht, denn selbst wenn Parteien gewählt werden, die sich zwar tendenziell mit einem Grundeinkommen befassen, gibt es keine Partei, die sich im Bundestag für das Grundeinkommen ausspricht. Daher werden die BGE-Befürworter durch eine Wahl dieser Partei nicht gestärkt.
Die Splitterpartei \"Die Violetten\" wurde bei der Aufzählung übrigens nicht erwähnt, die als einzige Partei für ein Grundeinkommen steht.
Was geschieht nun bei der Wahl von Parteien?
Ich halte schwarz/gelb mit knapper Mehrheit nicht für dramatisch, im Gegenteil, das ist auszuhalten, könnte die Grundeinkommensbewegung jedoch verstärken und in den Oppositionsparteien SPD/Grüne/Linke das Thema an Fahrt gewinnen. Lassen wir schwarz/gelb den Karren aus dem Dreck ziehen, was sie nicht schaffen. Ich sehe da keine großen sozialen Verwerfungen auf uns zukommen, das ist Angstmacherei. Die Erwerbslosigkeit wird enorm steigen, die Koalition hält keine 4 Jahre und wir sind verstärkt am Zug.
Wer die Linke wählt, riskiert die große Koalition, nur wer splittert mit Piraten oder den Violetten, verringert das Risiko eines GAUs, denn mit einer großen Koalition müssten wir am leidvollsten 4 Jahre leben, ohne dass sich etwas tut.
Die SPD will möglichst alle arbeiten lassen, egal was, sie ist die Partei des Zwangs zur Arbeit.
Übrigens verlangt dies Frau Künast ebenso.
Die Agenda Parteien, die sich nicht distanzieren von ihrer falschen Politik aus der rot/grünen Ära.
Die Bewegung des BGE\'s erlebe ich nicht so pessimistisch, wenn man bedenkt, dass die Idee eine Breitenwirkung hat, die vor wenigen Jahren kaum vorstellbar war. Der Faktor des menschlichen Bewusstseins sollte nicht unterschätzt werden.
Die \"Mächtigsten\" (ich könnte auch sagen die Dummen, die Ungläubigen, die Geistlosen, die Ängstlichen, die Verbohrten, die Gestrigen...) müssen aufrüsten durch noch mehr Kontrolle und Manipulation, damit ihr \"altes Gebäude\" nicht einstürzt. Das geht bis hin zum Misstrauen in den eigenen Reihen. Je entschlossener jeder Einzelne seinen Impuls der Freiheit und die Teilhabe in der Gesellschaft vertritt, mit den unterschiedlichsten Facetten, desto kraftvoller kann sich die Idee des BGE\'s entfalten.
Das BGE ist ja in meinen Augen nicht nur ein mögliches Parteiprogramm, sondern ein neues Bewusstsein tiefer gesellschaftlicher Abläufe. Ich vertrete auch die Ansicht, dass das BGE nicht nur eine \"Umverteilungsmaschine von unten nach oben\", sondern Ausdruck von gesellschaftlich rudimentären Kräfte ist. Es ist eng mit unserer Sinn- und Daseinsentfaltung gekoppelt. Alte Strukturen und Denkansätze werden brüchig und verlangen eine neue Positionierung zum gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang.
In diesem Sinne ist Sprachlosigkeit, d. h. nicht sofort eine Lösung oder ein Konzept aus der Jackentasche zu ziehen, eine begrüßenswerte Situation. Jede ernsthafte Auseinandersetzung erzeugt Sprachlosigkeit und fördert das Nachdenken, das Hinschauen und die Aufmerksamkeit. Der sogenannte tragfähige Bodensatz bildet sich langsam.
Nicht desto trotz haben lautstarke Forderungen wie z. B. an einem Strang ziehen auch ihre Berechtigung, da sie eindeutige Positionen verschaffen und Kräfte bündeln, aber gleichzeitig wirkt jede Polarisierung entwicklungshemmend, weil Vereinnahmung eine nicht zu unterschätzende Gefahr bedeuten kann.
Jede Frage, was das BGE an persönlichen und gesellschaftlichen Veränderungen mit sich bringt, bewegt unser Denken und dient den \"Bodensatz\", auf dem sich besser \"bauen\" lässt als auf Argumentationsketten mit einseitiger Ausrichtung.
Keine Regierungsform wird die Idee des BGE\'s aufhalten können. Egal welche Konstruktionen sich bilden, denn das BGE ist schon Teil eines gesellschaftlichen Bewusstseins und würde sich je nach Machtverhältnissen neu ausrichten bzw. formieren. Es verhält sich wie Wasser und dringt durch jede undichte Stelle.
Ich denke, dass die Stellung der Grundeinkommensbefürworter zur Bundestagswahl eindeutig ist. Unter \"Grundeinkommen ist wählbar\" habe ich mir z.B. meine Kandidatin, die ich wählen werde, ausgesucht. Damit hat das Netzwerk Grundeinkommen für mich einen wertvollen Hinweis zur Bundestagswahl geliefert und ich kann damit persönlich keine Sprachlosigkeit der Grundeinkommensbewegung feststellen.
Ich sehe nicht die Notwendikeit, dass das Netzwerk Grundeinkommen eine Wahlempfehlung hätte abgeben sollen. Welche Partei hätte das denn sein sollen?
Schwarz/Gelb? Sollte es unter dieser Koalition zu Sozialkürzungen oder weiteren Verschärfungen bzw. Zumutbarkeiten kommen, wäre das Wasser auf der Mühlen der BGE-Bewegung.
Rot/Grün? Diese Koalition war verantwortlich für die Ausgestaltung und Einführung von Hartz IV, an vorderster Front der Kandidat Steinmeier. Im TV-Duett mit der Kanzlerin sagte er beispielsweise, er wolle die Lohnspirale nach unten stoppen. Der Bock macht sich also zum Gärtner. Denn Hartz IV und der Zwang, jede Arbeit anzunehmen hat doch Dumpinglöhne in diesem Ausmaß erst ermöglicht und hoffähig gemacht. Von 1€-Jobs ganz zu schweigen.
Einzig die Violetten haben das BGE im Programm.
Der Gedanke eines BGE muß erst ganz unten wachsen und einen Bodensatz in der Bevölkerung bilden. Ansonsten wird es von den Mächtigen in den Parteien zerredet. In der kurzen Zeit von der Eingabe der Petition bis zur Wahl war dies nicht möglich. Aber es ist viel erreicht worden, wir müssen geduldig sein und dürfen nur nicht lockerlassen.
Chapeau Herr Jacobi! Genau diese taktischen Machtspielchen der uns bekannten Parteien sind es, welche mich als Wähler zunehmend anöden und die Partei der Nichtwähler stetig anwachsen lässt (sie werden wohl wieder stärkste Partei werden). Wer keine Visionen anzubieten hat, der muss eben umso kräftiger mit seinem Handwerkszeug trommeln, um noch gehört zu werden. Die Zustimmung zu unserem angeblich so erfolgreichen Modell der „repräsentativen“ Demokratie schwindet nicht ohne Grund in geradezu dramatischer Stärke bei den 16 bis 25 Jährigen.
Ich persönlich möchte jedenfalls keine „Wahlempfehlung“ (ein publizistisches Relikt aus der Kohl/Schröder-Ära) für irgendeine Partei vom Netzwerk Grundeinkommen zur Kenntnis nehmen müssen, denn ich kann als mündiger Bürger für mich selbst entscheiden, wem ich meine Erst- und wem ich meine Zweitstimme gebe (oder sind die Grünen seit Neuestem eine 1-Themen-Partei?).
Wenn ich nicht zufällig drei Kandidaten in meinem Wahlkreis (Köln I / Wahlkreis 94) hätte, die sich für ein BGE aussprechen (ein Grüner, eine Linke und eine parteilose Direktkandidatin), wäre ich genauso desinteressiert am Wahlkampf wie der Rest der Nation. Es ist der Grundeinkommensszene zu verdanken, dass mit Aktionen wie „Grundeinkommen ist wählbar“, den Aktivitäten auf YouTube/Facebook und nicht zuletzt durch das Engagement der Krönungswelle wieder Spaß an der Demokratie vermittelt wurde. Den großen Parteien gelingt das leider nicht mehr.
Ach ja, der Hinweis des Autors auf die Wichtigkeit der Zweitstimme: Waren es nicht die Grünen, die auf ihrem Parteitag einen Antrag für ein demokratischeres Wahlrecht abgelehnt haben? Ein Wahlrecht, das es uns Bürgern ermöglichen würde, auch auf der Bundesebene (mittels „kumulieren“ und „panaschieren“) die parteiintern ausgekungelten Listen aufzubrechen. Damit wir nur noch die Personen in den Bundestag wählen, die uns Wählern gefallen und nicht die, welche den Parteifunktionären genehm sind (z.B. die vielen BGE-Anhänger…). Bis dieser Umstand nicht geregelt ist, muss ich meine Zweitstimme wohl oder übel weiterhin in die große Trommel der Parteienlotterie werfen (und als „Hauptgewinn“ gibt es dann ein Überhangmandat!).
Mich freut, dass meine kleine Intervention so lebendig aufgenommen wurde. Drei kurze Einwände auf die Einwände:
1. Bei einigen Repliken sehe ich einen Widerspruch: Zum einen wird von den Parteien etwas erwartet (nämlich, dass sie sich für ein Grundeinkommen einsetzen), aber gleichzeitig werden Schritte in diese Richtung nicht honoriert. Warum sollte eine Partei auf diesem Weg weiter gehen, wenn schon kleine Schritte in diese Richtung nicht honoriert werden?
2. Ich glaube auch, dass vieles an unserer Demokratie verbesserungswürdig ist (Stichwort Postdemokratie). Für mich heißt mehr Demokratie vor allem: bessere Diskussionen und ausgewogeneres Argumentieren aller politischen Akteure (nicht nur der Gewählten!). Eine Ausweitung der Ankreuzdemokratie (Volksabstimmungen) scheint mir nicht ausreichend. Die Einführung des angelsächsischen Mehrheitswahlrechts (aus jedem Wahlkreis kommt nur der/die Kandidatin rein, der/die am meisten Stimmen auf sich vereinigt), halte ich für den falschen Weg, weil dadurch, wie in den USA oder England, kleinere Gruppen keine Chance mehr haben, im Parlament repräsentiert zu werden.
3. In der GE-Bewegung gibt es sehr unterschiedliche Zeitvorstellungen. Wenn Götz Werner sagt, dass die GE-Bewegung eine Geistesbewegung ist, die keine Zeit kennt, dann klingt das irgendwie gut. Aber was sage ich dem/derjenigen, die jetzt und heute ganz konkret Hartz IV bezieht?
... WIR sollten selber eine Partei gründen (z.B. PGD Partei für Grundeinkommen Deutschlands ) und mit Werbung und Agitation an das Volk gehen.
Dafür müssen wir vorher ein durchgerechnetes Konzept haben, das ökonomisch machbar ist. Unser Grundeinkommen darf die Erwerbsarbeit nicht zur überflüssigen Sache machen (kann es ökonomisch auch gar nicht!). Die Finanzierung über MWSt und Einkommenssteuer muss so gewählt sein, dass sie weder leistungsfeindlich ist noch die Schwarzarbeit fördert. Wenn wir solch ein Konzept erarbeitet haben, müssen wir damit an die Öffentlichkeit gehen und für Zustimmung und Mitarbeit werben.
Dieses Konzept müssen Arbeitslose,Arbeiter und Angestellte genau wie Freiberufler, Selbständige und Unternehmer mittragen können. Wir brauchen die Zustimmung aus all den Gruppen.
Zu hoffen existierende Parteien verwirklichen unsere Ideen halte ich für hoffnungslos. Dort bestehende verhärtete Denkmuster zu brechen dauert zu lange.
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