UNO-Sonderorganisation nennt Rahmenbedingungen für Grundeinkommen
Während in Deutschland einige Spitzenfunktionär*innen der Gewerkschaften und Armutsforscher*innen das Grundeinkommen rundweg ablehnen, denken Expert*innen einer UNO-Sonderorganisation längst weiter. Gemeint ist die Internationale Arbeitsorganisation (IAO, englisch: International Labour Organization (ILO)), die es sich zum Ziel gesetzt hat, international verbindliche Arbeits- und Sozialstandards zu formulieren und durchzusetzen. Die IAO-Expert*innen beteiligen sich konstruktiv an der weltweiten Grundeinkommensdebatte und entwickelten konkrete Leitlinien für Grundeinkommenskonzepte und Rahmenbedingungen, von denen sie sich ausreichenden sozialen Schutz und soziale Gerechtigkeit für alle versprechen.
Bereits 2018, also vor vier Jahren, erschien ein Arbeitspapier des Social Protection Departments der IAO unter dem Titel: „Universal Basic Income proposals in light of ILO standards: Key issues and global costing“. Als Universal Basic Income wird ein bedingungsloser cash-Transfer zu allen Bürger*innen/Einwohner*innen eines Landes verstanden: „Universal Basic Income (UBI) is the most radical social protection scheme: an unconditional cash transfer to all citizens/residents in a country.“ (S. 1) *
Da dieses Arbeitspapier nicht in deutscher Sprache vorliegt, sollen daraus hier erstmals die entscheidenden Passagen ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht werden. **
In der Zusammenfassung des IAO-Arbeitspapiers heißt es: „Das universelle Grundeinkommen [UBI, Abk. für Universal Basic Income, R. B.] wird als mögliche Lösung für die zunehmende Ungleichheit, Arbeitsplatz- und Einkommensunsicherheit im Zusammenhang mit dem Wandel der Arbeitsformen und der Globalisierung vorgeschlagen. Es gibt viele UBI-Vorschläge. Diese reichen von minimalen haushaltsneutralen Stipendien bis hin zu größeren UBI-Vorschlägen zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit. Nur wenige Menschen verstehen die Unterschiede zwischen UBI-Vorschlägen, die auf Umverteilung/Gerechtigkeit abzielen, und neoliberalen oder libertären UBI-Vorschlägen, die darauf abzielen, den Wohlfahrtsstaat durch ein minimalistisches Sicherheitsnetz zu ersetzen, sowie deren jeweiligen Auswirkungen. In diesem Papier werden die wichtigsten Fragen im Lichte der IAO-Normen untersucht.“ (S. ix)
Schon im Jahr 2012 wurden die IAO-Empfehlungen 202 für einen sozialen Basischutz veröffentlicht. Im Arbeitspapier zum Grundeinkommen von 2018 heißt es dazu: „Die Empfehlung der IAO zum sozialen Basisschutz […] enthält eine Reihe von Grundsätzen, die für die Debatte über das UBI von großer Bedeutung sind, nämlich: (i) Angemessenheit und Vorhersehbarkeit der Leistungen des UBI zur Gewährleistung der Einkommenssicherheit, die mindestens an der nationalen Armutsgrenze festgesetzt werden; (ii) soziale Eingliederung, auch von Personen in der informellen Wirtschaft; (iii) sozialer Dialog und Konsultation mit den Interessengruppen; (iv) Erlass nationaler Gesetze zur Regelung der Ansprüche auf das UBI, einschließlich Indexierung der Leistungen; (v) Kohärenz mit anderen sozial-, wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen und (vi) nachhaltige und gerechte Finanzierung. Ausgehend von diesen Grundsätzen zeigt das Arbeitspapier, dass einige Modelle der UBI mit den IAO-Normen übereinstimmen können, während andere dies nicht tun.“ (S. ix)
Im Folgenden werden die IAO-Leitlinien für Grundeinkommenskonzepte, Rahmenbedingungen und die Einführung eines Grundeinkommens aufgeführt. Diese orientieren sich an den IAO-Empfehlungen für einen sozialen Basisschutz. Aus Sicht der IAO müssen die Leitlinien befolgt werden, damit Grundeinkommen sozialen Schutz und Gerechtigkeit befördern. Insbesondere wird im Folgenden aus der Schlussfolgerung des IAO-Arbeitspapiers zum Grundeinkommen zitiert. Die Autor*innen des Papiers bemerken dazu: „Die Schlussfolgerung nimmt ausdrücklich nicht Stellung zur sozialen und wirtschaftlichen Machbarkeit eines UBI in verschiedenen Kontexten, aber sie bietet einige Überlegungen auf der Grundlage der IAO-Normen, die Regierungen, Sozialpartner und andere Akteure bei ihren Überlegungen hilfreich finden könnten.“ (S. 6)
Ob alle IAO-Leitlinien für Konzepte, Rahmenbedingungen und für die Einführung eines Grundeinkommens befürwortet oder nicht befürwortet werden, soll hier nicht zur Debatte stehen – trotz einiger Ungereimtheiten und Unzulänglichkeiten in der Argumentation im Arbeitspapier. Insbesondere für Gewerkschaften und Gewerkschaftsmitglieder dürften die Leitlinien zum Grundeinkommen im IAO-Arbeitspapier interessant sein – stellen sie doch wichtige Eckpunkte für die Entwicklung gewerkschaftskompatibler Grundeinkommenskonzepte dar. Sie zeigen auf, dass das Grundeinkommen im Einklang mit einer progressiven Gewerkschaftspolitik stehen kann, also einer Gewerkschaftspolitik, die für Solidarität, ausreichenden Sozialschutz und soziale Gerechtigkeit für alle streitet.
IAO-Leitlinien für Konzepte, Rahmenbedingungen und Einführung von Grundeinkommen
1. Angemessenheit / Höhe des Grundeinkommens – der Lackmustest
„Die Auswirkungen eines UBI auf Armut und Ungleichheit hängen von der Höhe der Leistung und ihrer Fähigkeit, die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, sowie von der Finanzierungsquelle ab. Da ein UBI einen grundlegenden Lebensstandard für alle, auch für diejenigen, die keine andere Einkommensquelle haben, bieten sollte, werden in dem Papier die Kosten eines UBI auf der Grundlage national festgelegter Armutsgrenzen in Übereinstimmung mit den IAO-Empfehlungen für Einkommenssicherheit bewertet.“ (S. ix) Weiter heißt es: „Die Festlegung des Leistungsniveaus ist natürlich entscheidend dafür, ob ein UBI in der Lage ist, Einkommenssicherheit und einen angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten. Dies ist sicherlich der Lackmustest für die Unterscheidung zwischen den Vorschlägen für ein UBI, denen es in erster Linie um soziale Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung geht, und denen, die eher daran interessiert sind, den Wohlfahrtsstaat durch ein bescheidenes Grundeinkommen zu ersetzen. […] Die Angemessenheit eines UBI hängt jedoch nicht nur von seiner Höhe ab, sondern auch von den anderen Leistungen und Diensten, die neben dem UBI zur Verfügung stehen würden.“ (S. 7)
In der Schlussfolgerung des Arbeitspapiers heißt es:
„Die Angemessenheit der Leistungen muss gewährleistet sein, damit das UBI Armut und Ungleichheit wirksam reduziert: Die Höhe der UBI-Leistungen müsste so bemessen sein, dass zumindest eine basale Einkommenssicherheit gewährleistet ist, auch für Personen, die über keine andere Einkommensquelle verfügen. In der Empfehlung Nr. 202 [siehe oben, R. B.] wird vorgeschlagen, dass ein solches Niveau der nationalen Armutsgrenze oder ähnlichen Mindestschwellen entsprechen könnte, die die Schwellenwerte der Kosten für lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen widerspiegeln. Die Höhe der UBI-Leistungen muss regelmäßig an die Inflation (vorzugsweise), die Löhne oder einer Kombination aus beidem angepasst werden, damit sie ihren realen Wert und ihre Kaufkraft erhält.“ (S. 26)
2. Grundeinkommen und Sonderbedarfe für bestimmte Gruppen
„Die Art und Höhe der Leistungen sollte Nichtdiskriminierung sicherstellen und besondere Bedürfnisse berücksichtigen. Dies bedeutet, dass die Leistungen gewährleisten, dass Personen mit besonderen Bedürfnissen, z. B. Menschen mit Behinderungen, durch zusätzliche Geld- und Sachleistungen angemessen abgesichert sind, um Schutzlosigkeit zu vermeiden und das Menschenrecht auf soziale Sicherheit für alle zu verwirklichen.“ (S. 26)
3. Grundeinkommen und Sozialversicherungen
„Die beitragsbezogenen Mechanismen, insbesondere die öffentliche Sozialversicherung, sollten weiterhin eine Schlüsselrolle bei der Gewährleistung eines höheren Schutzniveaus für so viele Menschen wie möglich spielen.
Selbst wenn eine UBI-Leistung an der Armutsgrenze festgesetzt wird, werden viele dies als sehr niedriges Einkommen betrachten und ein höheres Schutzniveau durch die öffentliche Sozialversicherung anstreben, da sie umverteilend wirkt und einer größeren Zahl von Menschen einen höheren Lebensstandard garantieren kann als eine private Versicherung. Wenn ein UBI nicht durch eine öffentliche Sozialversicherung ergänzt wird, werden höhere Schutzniveaus nur für diejenigen verfügbar sein, die es sich leisten können, diese durch persönliche Ersparnisse und Privatversicherungen zu erreichen. Dabei wird die Solidarität und der soziale Zusammenhalt untergraben. Neoliberale oder libertäre UBI-Vorschläge, die vorschlagen, die öffentliche Sozialversicherung abzuschaffen, die Arbeitgeberbeiträge zu streichen und die Sozialleistungen zu kürzen, und diese durch ein dürftiges Sicherheitsnetz zu ersetzen, werden die Ungleichheiten verschärfen und stehen nicht im Einklang mit den IAO-Normen. Um den Bedarf der Menschen an sozialer Sicherheit vollständig zu decken, sollte das UBI durch ein höheres Schutzniveau – realisiert durch öffentliche beitragsabhängige Systeme – ergänzt werden, um einen größeren Anwendungsbereich und ein höheres Schutzniveau mittels Umverteilung sicherzustellen. Aus diesem Grund bleibt eine Kombination aus beitragsabhängigen und beitragsunabhängigen Elementen der Schlüssel zum Aufbau eines umfassenden Systems der sozialen Sicherheit mit einem starken sozialen Basisschutz, in Übereinstimmung mit der IAO-Empfehlung Nr. 202 sowie dem Übereinkommen Nr. 102 und anderen Normen der sozialen Sicherheit.“ (S. 26 f.)
4. Grundeinkommen und soziale Dienstleistungen
„Da ein gesichertes Grundeinkommen nicht ausreicht, um einen effektiven Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen zu gewährleisten, müsste ein UBI mit wirksamen Maßnahmen kombiniert werden, die den allgemeinen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und anderen sozialen Diensten gewährleisten. In Bezug auf die Gesundheitsversorgung verlangt der Grundsatz der Adäquatheit von den Staaten, allen Menschen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung – einschließlich der Mutterschaftsversorgung –, zu gewähren, der die Kriterien der Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Annehmbarkeit und Qualität erfüllt, und sicherzustellen, dass diejenigen, die eine Gesundheitsversorgung benötigen, nicht finanzielle Schwierigkeiten bei der Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung haben.“ (S. 27)
5. Finanzierung des Grundeinkommens
Im Arbeitspapier wird festgehalten, dass nicht-regressive Finanzierungsmechanismen entscheidend sind für die Gewährleistung von Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. (vgl. S. 27)
Weiter ausgeführt wird dazu in der Schlussfolgerung:
„Der Nettoverteilungseffekt von UBI hängt von der Höhe der Leistungen und der Quelle der Finanzierung ab. Die Empfehlung Nr. 202 und das Übereinkommen Nr. 102 verweisen auf die Notwendigkeit der Solidarität bei der Finanzierung des Sozialschutzes. Besondere Aufmerksamkeit muss der Gewährleistung der Progressivität der Finanzierungsquellen geschenkt werden. UBI sollte nicht durch regressive Methoden – wie die Besteuerung von Haushalten oder den Entzug anderer Sozialleistungen – finanziert werden, da eine solche Politik den Haushalten
das geben würde, was sie ihnen an anderer Stelle wegnimmt. Da das UBI vorgeschlagen wird, um die wachsenden Ungleichheiten auszugleichen, die durch die Globalisierung und neue Arbeitsformen verursacht werden, muss es umverteilend sein.“ (S. 27)
Darüber hinaus wird erklärt: „Haushaltsneutrale UBI-Vorschläge stehen nicht im Einklang mit den IAO-Normen. Verteilt man die bestehenden Aufwendungen für Sozialschutzausgaben in der Gesamtbevölkerung gleich, führt das zwangsläufig zu einem niedrigen Niveau der UBI-Leistungen, das in den meisten Ländern weit unter der Armutsgrenze liegt und zu weiterer Armut und Ungleichheit führt. Würde man das gesamte Sozialschutzsystem – einschließlich der durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge finanzierten öffentlichen Sozialversicherung – und andere Sozialausgaben durch eine einheitlich gestaffelte Sozialleistung ersetzen, würde dies zu einem Netto-Wohlfahrtsverlust führen. Unter dem Gesichtspunkt der Finanzierung wären die Nettogewinner die Arbeitgeber und Unternehmen, da die ‚Arbeitssteuern‘ (Arbeitgeberbeiträge) sinken würden. Selbst wenn die Arbeitnehmer anteilig mit höheren Löhnen entschädigt würden, könnte dies zu mehr Ungleichheit führen, da der größte Teil der Lohnerhöhung in erhöhten Konsum oder Ersparnisse fließen würde, was für die große Mehrheit der Menschen, einschließlich der unteren und mittleren Schichten, wahrscheinlich kein vergleichbares Niveau an sozialem Schutz bieten würde. Da das UBI vorgeschlagen wird, um Abhilfe für Ungleichheiten zu schaffen, einschließlich derer, die aus der Globalisierung der Unternehmen resultieren, wäre es wichtig, dass die Unternehmen zusätzlich zur Finanzierung des UBI beitragen. In der Debatte werden diese Punkte jedoch oft ignoriert. Die schrittweise Abschaffung der Arbeitgeberbeiträge würde die Arbeitgeber von ihrer sozialen Verantwortung entbinden und die wirtschaftlichen und finanziellen Risiken auf den einzelnen Arbeitnehmer verlagern, was vor allem diejenigen mit begrenzten Einkommens- und Sparmöglichkeiten – typischerweise Frauen und gefährdete Arbeitnehmer – hart treffen und daher zu mehr Ungleichheit führen würde.“ (S. 27)
Abschließend heißt es zum Thema Finanzierung: „Damit ein UBI-Vorschlag progressiv ist, muss er umverteilend sein, finanziert durch progressive Steuern und andere in diesem Papier erläuterte Quellen. Die Beiträge der Arbeitgeber müssen beibehalten werden und ausreichend sein, um ein höheres Niveau an sozialem Schutz durch die öffentliche Sozialversicherung zu sichern. Die Finanzierung eines UBI muss sorgfältig geprüft werden, um nachteilige Auswirkungen auf integratives Wachstum und Entwicklung und die Beeinträchtigung der Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit des Sozialschutzsystems, einschließlich eines UBI, zu vermeiden.“ (S. 27 f.)
6. Schrittweise Einführung des Grundeinkommens, auch durch Festlegung von Zielen und Zeitrahmen
„Länder, die den Wunsch haben, sich auf ein UBI zuzubewegen, aber nicht über ausreichende Mittel verfügen, um ein solches System bereits heute einzuführen, können die schrittweise Einführung eines solchen Systems in Betracht ziehen. Universelle Leistungen für breite Bevölkerungsgruppen, wie z. B. universelle Altersrenten oder universelle Kinderbeihilfen, sind mögliche politische Optionen zur Stärkung des universellen Sozialschutzes, die weniger Ressourcen erfordern und daher in vielen Ländern als Schritt in Richtung UBI realistischer und machbar sein könnten. Die schrittweise Verwirklichung erfordert die Aufnahme von Zielen in nationale Entwicklungsstrategien und -pläne sowie die Festlegung von Zielvorgaben und Zeitplänen.“ (S. 28)
7. Rechtlicher Rahmen, wirksame Steuerung und Verwaltung
„Ein UBI müsste in einem soliden rechtlichen und institutionellen Rahmen verankert sein, in dem die Höhe und der Umfang der Leistungen sowie ihre Dauer, die Anspruchsvoraussetzungen und die Finanzierungsmodalitäten klar definiert sind. Dies würde dazu beitragen, die Erbringung eines solchen Systems zu erleichtern und die Verwaltung solide, transparent und verantwortungsvoll zu gestalten, so dass die finanzielle Nachhaltigkeit langfristig gewährleistet ist. Ein solcher Rahmen sollte die Festsetzung der Leistungshöhe sowie deren regelmäßige Anpassung an die sich ändernden Lebenshaltungskosten, die Anspruchsvoraussetzungen, die Einspruchs- und Beschwerdemechanismen sowie die Rechenschaftspflicht regeln.“ (S. 28)
8. Sozialer Dialog – Schlüssel für die Beteiligung der wichtigsten Interessengruppen und den Aufbau eines breiten gesellschaftlichen Konsenses
„Ein UBI müsste im Rahmen eines legitimen nationalen Dialogs vereinbart werden, der die Regierung, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen sowie weitere Interessengruppen wie die Zivilgesellschaft einschließt. Institutionalisierte Mechanismen des sozialen Dialogs sind unerlässlich, um die die Beteiligung aller Interessengruppen zu gewährleisten.“ (S. 28)
9. Sorgfältige und umfassende Analyse der verschiedenen Auswirkungen eines UBI auf die Rechte der Frauen und ihre Selbstbestimmung
Um die Gleichstellung der Geschlechter zu sichern, wird Folgendes in der Schlussfolgerung festgehalten:
„Während die Einführung eines UBI positive unmittelbare Auswirkungen auf die Gewährleistung zumindest einer grundlegenden Einkommenssicherheit für Frauen haben dürfte, ist es wichtig, auch andere Auswirkungen auf kurze und lange Sicht zu verstehen. Wenn zum Beispiel die Einführung eines UBI mit der Privatisierung von Leistungen und Diensten verbunden ist, werden Frauen wahrscheinlich negativ betroffen sein. Regressive, haushaltsneutrale Vorschläge für ein UBI, die empfehlen, die öffentlichen Sozialversicherungssysteme durch ein bescheidenes UBI zu ersetzen, wodurch individuelle Ersparnisse und private Versicherungen für diejenigen, die es sich leisten können, gefördert werden sollen, stehen nicht im Einklang mit den IAO-Standards. Sie würden sich negativ auf Frauen auswirken, da Frauen tendenziell kürzere Karrieren, niedrigere Einkommen und geringere Ersparnisse haben. Darüber hinaus untergräbt die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen nicht nur die grundlegende Verantwortung des Staates, seinen Bürgern einen effektiven Zugang zu Einkommenssicherheit und wesentlichen Dienstleistungen zu gewährleisten, sondern verschärft die Ungleichheiten wahrscheinlich weiter.“ (S. 28 f.)
„Bei der Einführung eines BGE sollte auch die Notwendigkeit berücksichtigt werden, ergänzende geschlechtsspezifische Maßnahmen wie Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik, Lohnpolitik sowie Elternurlaub und Betreuungsmaßnahmen zu berücksichtigen, um negative Auswirkungen auf Frauen zu vermeiden. Diese enge Koordinierung eines UBI mit anderen Politiken, einschließlich eines starken sozialen Basisschutzes, ist auch für die Gewährleistung eines wirksamen Zugangs zu sozialem Schutz für Frauen und Männer von wesentlicher Bedeutung.“ (S. 29)
10. Systematische Bewertung der Auswirkungen, damit ein UBI einen positiven Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit und integrativer Entwicklung leisten kann
„Die Auswirkungen der möglichen Einführung eines UBI auf soziale und wirtschaftliche Ergebnisse erfordern eine gründlichere Betrachtung des weiteren politischen Kontextes – einschließlich Beschäftigung, Makroökonomie, Steuern sowie Gesundheits-, Bildungs- und Pflegepolitik. Eine enge Koordinierung eines UBI mit anderen sozial-, beschäftigungs- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen, wie es in der Empfehlung Nr. 202 gefordert, ist unerlässlich. Die Verbindung zwischen Einkommenssicherheit und Beschäftigungspolitik ist besonders wichtig, um den Einzelnen in die Lage zu versetzen, eine menschenwürdige und produktive Beschäftigung zu finden, eine langfristige Abhängigkeit zu vermeiden und die Beteiligung am Arbeitsmarkt zu fördern. Maßnahmen wie das öffentliche Beschaffungswesen, staatliche Kreditregelungen oder arbeitsmarktpolitische Maßnahmen können ebenfalls nützliche Ergänzungen sein, um formelle Beschäftigung und produktive Wirtschaftstätigkeit zu fördern.“ (S. 29)
„Wirksame Arbeitsmarktinstitutionen sind notwendig, um menschenwürdige Arbeit für alle in einem sich schnell verändernden Umfeld zu gewährleisten. Das Weltwirtschaftsforum (2017) erkennt an, dass ein UBI keine Arbeitsmarktinstitutionen ersetzen kann, wie z. B. eine aktive Arbeitsmarktpolitik und Maßnahmen zur Gewährleistung des gleichberechtigten Zugangs zu einer hochwertigen Grundbildung oder der Chancengleichheit für Frauen. Ebenso sind die Auswirkungen eines UBI auf andere Arbeitsmarktinstitutionen, wie Lohnfindungsmechanismen und Tarifverhandlungen, noch nicht vollständig verstanden. Darüber hinaus müsste die Wechselwirkung eines möglichen UBI mit der Berufsausbildung und anderen Maßnahmen zur Förderung des lebenslangen Lernens noch eingehender untersucht werden, da sie für die Vorbereitung auf die Zukunft der Arbeit wichtig sind. Außerdem sind hochwertige öffentliche Dienstleistungen, die ein UBI ergänzen würden, wesentlich zur Gewährleistung des universellen Zugangs zu qualitativ hochwertigen Gesundheits-, Bildungs-, Pflege- und anderen Dienstleistungen.“ (S. 29)
„Um ein integratives Wachstum zu fördern und bessere Verteilungsergebnisse aus makroökonomischen, wachstums- und einkommensverteilungsbezogenen Vorteilen zu erzielen, müsste ein UBI durch andere universelle Bestimmungen sowie durch makroökonomische, beschäftigungs-, lohn- und steuerpolitische und andere Maßnahmen ergänzt werden, die sich mit der Verteilung der Primäreinkommen befassen, um seine potenzielle Umverteilungswirkung zu ergänzen. Ein UBI allein reicht nicht aus, um die immer ungleichere Verteilung der Primäreinkommen auszugleichen. Im Gegenteil, wenn es nicht in einen kohärenten politischen Rahmen eingebettet ist, der diese umfassenderen Faktoren berücksichtigt, kann ein UBI die Ungleichheit verschärfen und integratives Wachstum und soziale Gerechtigkeit beeinträchtigen.“ (S. 29)
Abschließend – und durchaus mit positiver Bewertung des Grundeinkommens im Falle der Berücksichtigung der o. g. Leitlinien – wird in der Schlussfolgerung noch einmal zusammengefasst:
„Die Vielzahl von UBI-Vorschlägen erfordert ein besseres Verständnis von Fragen der Angemessenheit der Leistungen, der Kosten und der Finanzierungsquellen, der Auswirkungen auf Armut, Ungleichheit und Geschlecht, um nur einige zu nennen. Wie in diesem Papier erörtert, haben einige UBI-Vorschläge das Potenzial, mehr Gleichheit und soziale Gerechtigkeit zu fördern, während andere Vorschläge zu einem Netto-Wohlfahrtsverlust führen können.
Es ist wichtig, alle Fragen im Zusammenhang mit einem UBI-Vorschlag sorgfältig zu prüfen, darunter die Progressivität oder Regressivität der vorgeschlagenen Maßnahmen, die Gewinner und Verlierer, potenzielle Risiken und Zielkonflikte. Maßnahmen, die regressiv sind oder die integrative Entwicklung gefährden, sollten immer vermieden werden. Der nationale soziale Dialog ist von grundlegender Bedeutung, um einen breiten politischen Konsens für UBI zu schaffen und einen optimalen Policy-Mix zu definieren, um Ungleichheiten zu reduzieren, integrative Entwicklung und soziale Gerechtigkeit zu fördern.
Regierungen, die die Einführung eines UBI in Erwägung ziehen, können sich auf die Leitlinien der IAO-Normen stützen und sollten sorgfältig darüber nachdenken, wie das UBI wirksam in das Sozialschutzsystem eingebettet werden kann, verbunden mit einer gut konzipierten öffentlichen Sozialversicherung und anderen Sozialschutzleistungen sowie mit wirksamen Maßnahmen zur Gewährleistung eines effektiven Zugangs zu hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen, einschließlich Gesundheits-, Bildungs-, Pflege- und anderen Sozialdienstleistungen. Eine solche sorgfältige Bewertung sollte auch Wege zur Sicherstellung nachhaltiger und gerechter Finanzierungsmechanismen sowie eine umfassendere makroökonomische, arbeitsmarkt-, beschäftigungs- und steuerpolitische Strategie umfassen. Die Dynamik, die sich hinter der Idee eines UBI verbirgt, kann dazu beitragen, eine Diskussion darüber anzustoßen, wie auf die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen wirksamer und kompetenter auf der Grundlage sozialer Solidarität und bei gleichzeitiger Gewährung sozialer Gerechtigkeit für alle reagiert werden kann.“ (S. 30)
* Die Seitenangaben beziehen sich auf das englische Arbeitspapier.
** Dass das Arbeitspapier nicht in deutscher Sprache vorliegt, ergaben eigene Recherchen. Das Ergebnis der Recherche wurde durch das IAO-Büro Berlin bestätigt. Die Übersetzung wurde vom Autor dieses Beitrages mithilfe von deepL angefertigt.
Angaben zum Logo der ILO: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Flag_of_ILO.svg