Ablass und Grundeinkommen – eine Gegenüberstellung zum Reformationsjahr

Hinrich Ruyter 18.04.2017 Druckversion

Zum 500sten Reformationsjubiläum erschien im Februar das Buch Manifest zum Grundeinkommen mit 95 Thesen zur Befreiung der Arbeit. Die Autoren, Daniel Häni und Philip Kovce, schreiben in der Einleitung: „War zu Luthers Zeiten die Religion lebensprägend, so ist es heute die Arbeit. … Vor 500 Jahren ergriff Martin Luther eine Selbstbestimmungsinitiative. Seine Thesen (zur Befreiung des Glaubens) wehrten sich dagegen, dass die Kirche … sich selbst an Gottes Stelle setzte … . Wer ein selbstbestimmtes Verhältnis zu Gott pflegen kann, der steht ganz und gar anders in der Welt.“


Foto: Generation Grundeinkommen, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Das kleine Buch ist bei Ecowin in Salzburg für 8 Euro erschienen, als eBook für 3,99 Euro. Das Titelbild zeigt die „größte Frage der Welt“ in Deutsch, die am 15. Mai 2016 auf dem größten Plakat der Welt auf der Plaine de Plainpalais in Genf in Englisch ausgelegt war: “What would you do, if your income were taken care of?” (Was würdest du tun, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?) Dieselbe Frage lag später, am 29. Mai in Berlin auf der Straße des 17. Juni, zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor. Am 5. Juni 2016 stimmten dann 23% der Schweizer Bürger dafür, den Satz „Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.“ in die Bundesverfassung aufzunehmen. So weit ist außer Brasilien – wo das BGE in der Verfassung steht – kein anderes Land auf der Welt.

Das neue Buch mit 64 Seiten ist wie der Vorgänger „Was fehlt, wenn alles da ist?“ (192 Seiten, 19,90 Euro) vor allem Denkanstoß, mit überholten oder widersprüchlichen Vorstellungen zu Arbeit, Freiheit und Selbstverantwortung zu brechen. Kecke Fragen und Feststellungen sind das Mittel. Im Prolog finden sich Aussagen berühmter Persönlichkeiten zum Grundeinkommen, gepaart mit Ausführungen zur “größten Frage der Welt”. Der Hauptteil widmet sich den „95 Thesen zur Befreiung der Arbeit“ – auf 23 Seiten, kurz und prägnant. Im Schluss führen Häni und Kovce Gründe an, warum es noch kein Grundeinkommen gibt. Normale Bürger und Bürgerinnen kommen zudem zu Wort, schildern ihre Lebenssituationen und was das Grundeinkommen dabei verändert hätte oder ändern würde. Das Buch wird die zur Zeit weltweit zunehmende Diskussion der Grundeinkommens-Idee weiter nähren. Es ist zu wünschen, dass es in andere Sprachen übersetzt wird.

Aber was hat dieses Buch mit der Reformation und Luthers 95 Thesen zu tun? Ist es überheblich, Thesen zum Grundeinkommen Luthers Thesen gleichzustellen? Was sind die Gemeinsamkeiten, wo sind Gegensätze?

Wenn wir 100 Jahre vorausdenken, möchte ich das dann wohl weltweite Grundeinkommen als mindestens so revolutionär ansehen, wie die Reformation einer der fünf Weltreligionen. Sowohl beim Grundeinkommen als auch bei der Reformation ging und geht es um Freiheit, im Kampf gegen Macht und Machtmissbrauch: Hier gegen die Macht der selbsternannten Vertreter Gottes, dort gegen die gängelnde Macht von Regierungen. Hänis und Kovces 62. These drückt das vortrefflich aus: „Das Demokratieverhängnis – Wer anstelle des schlechten Bürgers gute Entscheidungen treffen will, der trifft eine schlechte Entscheidung. Der Anfang vom Ende des mündigen Bürgers.“ Gemeinsam mit dieser richten Häni und Kovce gut ein Drittel ihrer Thesen an unsere Politiker, die meisten anderen hingegen an die Bürger.

Martin Luther soll 1517 seine Thesen an die Kirchentür der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen haben. 95 Thesen gegen den Ablass, welche die Grundlage für eine gelehrte Disputation sein sollten. Luther übersandte die Thesen am 31. Oktober 1517 an den Erzbischof von Mainz, von dem er glaubte, er wisse nichts vom Missbrauch des Ablasses. Lateinisch waren Luthers Thesen, das gemeine Volk hätte sie nicht verstehen können. Englisch war die “größte Frage der Welt” in Genf und in Berlin, um weltweit vom Volk verstanden zu werden. Deutsch ist das neue Buch. Die Thesen Luthers wurden – entgegen seiner ursprünglichen Absicht – ins Deutsche übersetzt und verbreiteten sich deshalb schnell im Volk. Nur so und mit Hilfe des neu eingeführten Buchdrucks kam die Reformation in Gang. Ob die Reformation durch gelehrte Disputation hätte entstehen können?

Die Thesen Luthers waren zwar für die Gelehrten gedacht, allerdings so formuliert, dass sie einfach zu verstehen waren. Zum Beispiel These 45: „Man muss die Christen lehren: Wer einen Bedürftigen sieht, sich nicht um ihn kümmert und für Ablässe etwas gibt, der erwirbt sich nicht Ablässe des Papstes, sondern Gottes Verachtung.“ These 45 bei Häni und Kovce liest sich fast so leicht: „Wer nicht isst, kann auch nicht arbeiten. – Das biblisch überlieferte Paulus-Wort, dass, wer nicht arbeiten wolle, weil er die baldige Wiederkunft des Herrn erwarte, auch nicht essen solle, hat sich von seiner humorvollen Zuspitzung zu einer humorlosen Doktrin gewandelt. Wir entziehen tatsächlich jenen die Lebensgrundlage, von denen wir glauben, dass sie ohne gute Gründe faulenzen. Dabei kann nur jener etwas tun, der etwas isst und den wir sein lassen.

Der Thesenanschlag 1517 gilt als Beginn der Reformation. Für das Grundeinkommen könnte das größte Plakat der Welt am 15. Mai 2016 und vor allem die Schweizer Volksabstimmung am 5. Juni 2016 als Auslöser zu seinem Durchbruch gelten. Auch bei der Reformation gab es Vorläufer lange vorher, wie den Pfarrer John Wyclif, der im 14. Jahrhundert in England wirkte. In der Geschichte des Grundeinkommens kann Thomas Spence um 1800 als Vorläufer gelten.

Von ihrem Beginn bis zu ihrem Abschuss im Westfälischen Frieden 1648 dauerte die Reformation 130 Jahre.

Wenn es so schleppend ginge wie bei der Reformation, müssten wir bis 2146 warten. Da allerdings heutzutage Reformer in den meisten Ländern keine Ketzerprozesse mehr zu überstehen haben und die ganze Welt nahezu synchron miteinander kommuniziert, warum sollte es nicht um ein Vielfaches schneller gehen?

Damals wurden die Ablassbriefe als Weg zu einer mühelosen Erlösung verkauft. Luthers These 4 lehrte in sozial und wirtschaftlich prekärer Lage des Volkes: „Daher bleibt Pein, solange Selbstverachtung – das ist wahre innere Buße – bleibt, nämlich bis zum Eintritt in das Himmelreich.“ Eine scheinbar überholte Vorstellung. Denn heute wird die Hartz-IV-Pein verharmlosend verkauft als Weg zur Bekämpfung von Armut und als Anreiz, tätig zu werden. Beides Ziele, die erst ein Grundeinkommen zufriedenstellend erreichen kann.

Zum Schluss: Zwei der vier Soli der Reformation ähneln dem Kriterium: Allein durch sein Dasein hat der Mensch Anrecht auf Unterhalt, nicht durch Arbeit.

  • sola gratia: Allein durch die Gnade Gottes wird der glaubende Mensch errettet, nicht durch seine Werke.
  • sola fide: Allein durch den Glauben wird der Mensch gerechtfertigt, nicht durch gute Werke.

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