Kein Grundeinkommen für Tiere im Zoo: Ein Verriss von Anna Mayrs jüngstem BGE-Verriss

    Philip Kovce 19.01.2022 Druckversion

    Alle Jahre wieder kommt der Jahreswechsel – und irgendwie scheint es inzwischen ein ungeschriebenes Mediengesetz zu sein, dass dann überall irgendwas zum bedingungslosen Grundeinkommen zu sehen, zu hören, zu lesen ist. Wie heilig oder profan man das mediale Grundeinkommenshoch zwischen Weihnachten und Epiphanias auch deutet, es verweist darauf, dass das Grundeinkommen Brennglas für allerlei Hoffnungen und Befürchtungen geworden ist, die zwischen den Jahren offenbar ganz besonders dringend verhandelt werden müssen.

    Ganz besonders leidtun kann einem in diesem Zusammenhang Anna Mayr. Sie hat Anfang dieses Jahres in der ZEIT einen Feuilleton-Aufmacher zum Grundeinkommen fabriziert, der wirklich schlimme Dinge aufdeckt. Zum Beispiel, dass die superlinke Autorin, die „für echte arme Leute“ kämpfen will und meint, ein Grundeinkommen „für alle“ deshalb doof finden zu müssen, viele nicht superlinke Leute kennt, die ein solches Grundeinkommen nicht doof finden.

    Dass zu diesen komischen Leuten, die mit einem Grundeinkommen liebäugeln, gemäß repräsentativen Umfragen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung inzwischen rund jeder zweite Bundesbürger zählt, macht die Sache nur noch schlimmer.

    Erschütternd auch, dass – „nur ein paar absurde Beispiele“ – in Weimar, Dudweiler (Saarland) und Göttingen gar Zukunftswerkstätten, Aktionswochen und Diskussionsabende zu diesem toxischen Thema stattgefunden haben. Denn, so Mayr, „das Problem der Podiumsdiskussionen, des ganzen Themas und Theaters“ sei „die Entfremdung linker Debatten von denen, die doch eigentlich gestärkt werden sollten: die Armen, Bedürftigen, Abseitigen“. Dass viele dieser „armen Menschen“ längst selbst ein Grundeinkommen fördern und fordern, kommt Mayr scheinbar gar nicht in den Sinn.

    Anstatt für ein bedingungsloses Grundeinkommen ist Mayr lieber total sozial dafür, „Hartz IV zu verbessern“ – und mittel- bis oberschichtige Grundeinkömmler zu verteufeln. Diese unmenschlichen, allzu unmenschlichen „Künstlerfreunde“ fänden Arme zwar „von Grund auf abstoßend“; da sie aber wüssten, „dass dieser Ekel falsch ist, moralisch verwerflich“, sublimierten sie ihn zur Grundeinkommensforderung – „weil es sich besser anfühlt, für eine Utopie zu argumentieren“ als für die Unterschicht. Für eine „Utopie“ freilich, der Mayr zugleich attestiert, dass sie gar nicht utopisch sei („Das mit dem Geld bekäme man hin“; „Das mit der Arbeit auch“) und dafür sorge, „dass niemand mehr so richtig, richtig arm ist“. Klingt verdammt widersprüchlich. Ist es auch.

    Dass Mayr sich in ihrer Igitt-Grundeinkommen-Attitüde nicht auf dessen oftmals herbeisimulierte Unfinanzierbarkeit oder die immer wieder herbeihypothetisierte Faulheit des homo grundeinkommensis stürzt, ehrt sie zwar gewissermaßen; es ändert aber nichts daran, dass die „Träume vom Grundeinkommen“, die sie zerstören will, herbeihalluzinierte Hirngespinste sind. Wer behauptet etwa allen Ernstes, ein Grundeinkommen wäre „die Lösung aller sozialpolitischen Probleme“? Wenn überhaupt, dann gewiefte Gegner, die das Grundeinkommen lächerlich machen wollen. Und es ist eben ganz und gar nicht so, dass jene, „die in Niedriglohnjobs arbeiten“, mit einem Grundeinkommen wohl oder übel dem „Abbau ihrer Arbeitnehmerrechte“ zusehen oder „der Intensivpfleger und die Physiotherapeutin“ den „Sohn eines Unternehmensberaters“ durchfüttern müssten. In Mayrs Albtraumwelt ist das so – nicht mehr, nicht weniger.

    Außerdem: Warum soll der Grundeinkommensdiskurs bloß eine „linke Debatte“ sein? Noch nie was von der liberalen Tradition – von Thomas Paine bis Ralf Dahrendorf – gehört? Und sind die Pro-Grundeinkommen-Unternehmer Mark Zuckerberg, Elon Musk oder Götz Werner – den Mayr fälschlicherweise dm-„Chef“ nennt, obwohl sein Sohn Christoph längst die Geschäfte führt – etwa links? Wohl kaum.

    Am aller, aller ärgerlichsten ist jedoch, dass Mayr die Grundeinkommensbewegung als einen Haufen selbstzufriedener „Petitionsunterzeichner und Weltverbesserinnen“ abtut, die sich für „nervige, ultrakomplizierte Sozialpolitik“ nicht interessieren würden. Kein Wort darüber, dass das Netzwerk Grundeinkommen 2004 als unmittelbare Reaktion auf die Verabschiedung der Hartz-IV-Gesetze gegründet wurde und seither tut, was Mayr sich wünscht – nämlich dafür kämpfen, „die Sanktionen abzuschaffen, die Sätze zu erhöhen“. Kein Wort darüber, dass der Verein Mein Grundeinkommen, der Grundeinkommen verlost, und der Verein Sanktionsfrei, der Hartz-IV-Sanktionen ausgleicht, seit jeher zusammenarbeiten. Und kein Wort darüber, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 2019 die Hartz-IV-Sanktionen teilweise für verfassungswidrig erklärte, sich nicht zuletzt dem unermüdlichen Einsatz vieler Grundeinkommensaktivisten am Schreibtisch, im Sitzungssaal und auf der Straße verdankt.

    Richtig ist: Ein Grundeinkommen für alle adressiert „arme Menschen“ nicht als arm, sondern als frei. Wenn Anna Mayr sie lieber als arm einhegen will wie, Achtung, polemisch gesprochen, Tiere im Zoo, dann sollte sie ein bedingungsloses Grundeinkommen weiterhin ganz schlimm finden.

    Zum Autor: Philip Kovce, geboren 1986, Ökonom und Philosoph, edierte u.a. den Sammelband Bedingungsloses Grundeinkommen. Grundlagentexte (Suhrkamp Verlag).

    Foto: flickr

    2 Kommentare

    Holger Roloff schrieb am 01.02.2022, 14:35 Uhr

    Kleine Anmerkung zur Debatte: Autoren wie Frau Mayrs ignorieren völlig die seit den 1970er Jahre bestehende Wertschöpfungskrise des Kapitalismus und versucht argumentativ die bestehenden Macht- und Eigentumsverhältnisse aufrecht zu erhalten und unbeirrt von der Lebensrealität vieler Menschen fortzuschreiben.

    Leider ist ebenfalls anzumerken, dass dieser Fehler auch vielen BGE Befürwortern unterläuft. Zu selten wird deutlich auf die kaufmännischen und werttheoretischen Auswirkungen der fortschreitenden technischen Innovationen hingewiesen. Wir steuern nicht, wie unter Merkel stets gern behauptet, auf eine Zukunft der Vollbeschäftigung hin, sondern auf 5, dann 8 und irgendwann 10 Millionen Arbeitslose.

    ALLE Kapitalformen, auch die menschliche Arbeitskraft, werden durch die Digitalisierung entwertet!!! Das ist Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, samt theoretischer Erklärung dazu (vgl. \"Ein Widerspruch aus Stoff und Form\", Ortlieb 2008). Was sagt Frau Mayrs denn dazu?

    Franz Vetter schrieb am 17.02.2022, 21:23 Uhr

    Frau Mayr hatte und wollte zu dieser Antwort keinen Dialog aufnehmen. Ihr wurde wohl bewusst, wie viel Naivität Ihr Artikel ausstrahlt.

    Ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) von 1500,-€ und nicht bloß 1000,-€ erlaubt erstmalig ein einfaches Leben ohne Existenzängste. Mit diesem BGE könnte ein bescheidenes Leben und an einem anderen Ort in der Welt, auch ein privilegiertes Leben geführt werden. Der plötzliche Verlust der bezahlten Arbeit würde uns nicht in Krisen und Ängste stürzen, die zwangsläufig ohne Gönner (Arbeitgeber), durch unsere ewigen monatlichen Schulden, alleine für Wohnen, Nahrung und Energie, den Weg in die Armut ebnet. Durch die Digitalisierung, KI und Roboter werden zwangsläufig die alten Arbeitsplätze jetzt zu Millionen in allen Branchen und Bereiche mehr oder weniger, überall wegfallen. Es wird keine Alternative geben. Selbst die Arbeitsplätze, die neu dazukommen, werden rar sein, da die Arbeit - in jeder Branche, durch die Digitalisierung ersetzt wird. Massenhafte Armut und Elend wird ohne bezahlte Arbeit (gesichertes Einkommen), in eine Diktatur führen. Womöglich wieder in den Faschismus. Ein BGE ist demzufolge nicht bloß eine Hilfe, sondern der Weg, der uns vor diesem Unheil bewahrt.

    Mit einem BGE würde der Mensch wirkliche reale Freiheit erfahren. Er müsste nicht bezahlte Bullshit-Arbeit („Zwangsarbeit“) nachgehen, die sich mit seinem Gewissen nicht vereinbaren lässt (Waffenherstellung). Echte Freiheit kann erst möglich werden, wenn wir die monatlichen Schulden, alleine um Leben zu können - also für Wohnen, Nahrung, Energie, kein Geld mehr ranschaffen müssen.

    Wir Menschen wurden nicht geboren, um als lebendige Arbeits-Maschine zu funktionieren, wie im Mittelalter und heute als ein Roboter. Wir sind Wesen der Natur, die die Fähigkeit bekommen haben zu denken, zu lernen, kreativ zu sein, um dadurch Ideen, Innovationen und Erfindungen zum Wohle der Menschheit und Natur zu erschaffen.

    Der Wohlstand und Fortschritt der Menschheit basiert auf das Denken und das Potenzial des Menschen ! Arbeiten sollen Maschinen. Die Gewerkschaften kämpfen seit Jahrhunderten für weniger Arbeit und mehr Geld. Der Mensch soll denken, kreativ sein. Durch denken entsteht der Mehrwert in der Gesellschaft und für das Gemeinwohl. Nur durch das Denken kann der Mensch sich vom Übel der Arbeit befreien, die er nicht ausführen möchte. Die Quelle und Wurzel für Wohlstand und Fortschritt wird durch das Denken möglich. Durch das Denken wurden Maschinen und Werkzeuge gebaut, die ein Produkt erschaffen. Denken ist daher das göttliche, was wir Menschen als Geschenk erhalten haben. Arbeiten sollen Maschinen. Denken ist daher die schwerste Arbeit und wird demzufolge oft gemieden oder gern an Dritte übertragen. Mit einem Grundeinkommen würde Denken erstmalig richtig bezahlt.

    Mit einem BGE kann aus einer Möglichkeit Wirklichkeit werden, (z.B. eine Idee, Innovation oder Erfindung angehen und umsetzen). Wir hätten mit dem BGE die Zeit zum lesen, zum nachdenken. Ergo, feststellen welche besonderen Fähigkeiten wir haben. Was würden wir gerne tun und ausprobieren. Welche Leidenschaft besitzen wir, die wir gerne als Berufung erleben möchten. Wir könnten mit einem BGE unsere Talente ohne Ängste und finanzielle Sorgen realisieren bzw. zumindest testen. Unsere ganze Schöpferkraft in uns, (die Jeder in sich trägt, jedoch meist verschüttet ist), grandios entfalten. Mit Bullshit-Arbeit werden wir oft erpresst. Es ist egal, ob wir mit legaler oder illegaler Arbeit Schulden bezahlen. Der Supermarkt fragt nicht danach.

    Unser uraltes von Menschen erdachtes Schuld-Geldsystem ist die Wurzel. Ein BGE wäre ein erster Schritt in eine bessere Welt. Mit einem BGE könnte das ganze Potenzial der verschüttenden Schöpferkraft in jedem Menschen, mehr oder weniger, erblühen und der ganzen Gesellschaft zu Gute kommen. Es sollte ein angestrebtes Ziel und zumindest für die Kritiker ein Versuch Wert sein.

    Erst mit dem Recht auf ein lebenswertes Leben, dass mit einem Grundeinkommen erfüllbar ist, wird auch die Verachtung der Arbeitslosen, der Hartz IV Empfänger, der Sozialhilfe-Bezieher aufhören. Auch das Schein-Argument und die bloße Behauptung, dann arbeitet niemand mehr, ist eine Fata Morgana, eine reine Behauptung, ohne erbrachten Beweis. Schon seit Jahrtausenden wird mit Angst der Mensch gesteuert. Angst blockiert alle Zugänge zu unseren höheren Wahrnehmungen. Viele versinken angesichts von Verlusten und Krisen in Angst und Depression. Mit der Vorbereitung auf ein Paradigmenwechsel, einen Evolutionssprung, müssen die alten Denkstrukturen verlassen werden. An ihrer Stelle wird sich dann neues Denken und Bewusstsein etablieren.

    Mit einem BGE für alle Bürger, würden die Armen eine Lebenschance erhalten, ihr Leben selbst zu gestalten. Der Mensch kann selbst Verantwortung für sein Leben übernehmen, welchen Weg er gehen möchte, welche Hilfe hinzuzuziehen ist. Diejenigen, die einen Job haben bzw. weiterhin ihren Job nachgehen, sind dabei privilegiert. So würde man mit zusätzlichen 1500,-€ als bezahlte Pflegekraft oder freier Journalist eine kräftige Gehaltserhöhung haben. Die Gewerkschaften können dieses Angebot nie für ihre Arbeitnehmer erreichen. Gewerkschaften müssten nicht mit Arbeitgeber um ein höheres Gehalt kämpfen. Auch der großartige Kampf der Gewerkschaft seit Jahrhunderten, weniger arbeiten und mehr Geld, wird dann Realität. Sogar Personen, die in der „Hängematte“ liegen, ermöglichen mit einem BGE einen Mehrwert für die Gesellschaft. Beim ausgeben des Geldes tragen sie dazu bei, dass die Arbeitsplätze der Putzfrau oder Taxifahrer und der Tante Emma-Laden erhalten bleiben. Die freie Entscheidung erschafft reale Freiheit und sichert die Demokratie. Die nächsten Generationen werden es uns danken. Wir hätten eine positive Geschichte geschrieben und nicht wie üblich gegeneinander aufgehetzt und bekämpft. Neid, eine Todsünde, könnte gestoppt werden. Der Millionär benötigt dieses Geld nicht und würde es bestimmt spenden - Gutes damit tun oder freiwillig verzichten. Immerhin ist es bloß eine Zahl im Computer und damit kein realer Wert. Siehe:

    https://www.youtube.com/watch?v=n7b8NWwBbiU ARD erklärt Geldschöpfung

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