Bessere Berufswahl dank Grundeinkommen

Lorenz Meyer 19.05.2017 Druckversion

Heinrich Pestalozzi sagte einst: „Die echte Freiheit ist nicht eine Freiheit von etwas, sondern eine Freiheit zu etwas.“ Das trifft im Kern das Potenzial des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Man könnte es aber auch noch deutlicher sagen: Erst die Freiheit von existenziellen Nöten schafft die Freiheit, seine Zeit zu etwas zu nutzen, das man wirklich will, in dem man einen Sinn sieht, das einem Spaß macht. Erst wenn ich mir nicht Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat überlegen muss, wie ich mit meinem Geld über die Runden komme, habe ich die nötige Energie, etwas zu tun, das mir gut tut. Das kann ein Hobby sein, das oft zu kurz kommt. Das kann Zeit für die Familie sein. Das kann ein Ehrenamt sein. Oder aber es ist der Traumberuf, den man bisher – aus welchen Gründen auch immer – nicht ergreifen konnte oder wollte.

In einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit im Rahmen des Lehramtsstudiums für berufliche Schulen fragte ich nach möglichen Konsequenzen des BGE für Arbeit, Berufswahl und Bildung. Der Fokus lag dabei auf dem Bereich der Berufswahl. 16 Personen im Alter zwischen 14 und 40 Jahren mit verschiedensten Bildungskarrieren befragte ich im Winter 2013/14 zu ihrer Berufswahl und wollte dabei die Potenziale des Grundeinkommens ausloten, ohne die Gesprächspartner vorher mit diesem unbekannten oder eventuell bereits besetzten Begriff zu konfrontieren. Um möglichst unvoreingenommenes Antworten zu ermöglichen, versetzte ich die Befragten in ein Lotto-Szenario:

Stell dir vor, du gewinnst im Lotto und kriegst den Gewinn nicht auf einmal ausgezahlt, sondern bekommst jeden Monat 1000 Euro (je nach Umfeld/Wohnort auch mehr oder weniger) auf dein Konto überwiesen. Du hättest also ein sicheres Einkommen, für das du nicht arbeiten müsstest. Womit würdest du dann deine Zeit verbringen?

Selbstverständlich sind die Ergebnisse nicht repräsentativ. Doch sie lassen erahnen, welch positive Dynamik die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zur Folge hätte. Deutlich wurde beispielsweise, dass die Neigungsorientierung bei der Berufswahl eine größere Rolle spielen würde, diese sich aber auf ganz unterschiedliche Art und Weise ausdrücken kann. Im Folgenden werden einige Erkenntnisse aus den Interviews dargestellt.

Frau S.: Mit einem nicht selbst gewählten Beruf glücklich werden

Ein vielleicht überraschendes Ergebnis: Häufig würden die Menschen mit Grundeinkommen keinen anderen Beruf wählen, sondern sich nur in ihrem derzeitigen umorientieren.

So berichtete Frau S., eine Gastronomieangestellte, die ursprünglich Friseurin werden wollte, dies aber nicht durfte und deshalb Konditoreifachverkäuferin lernte, sie hege den Wunsch, ein eigenes kleines Café zu eröffnen und selbstgemachte Speisen anzubieten. Dieser Fall illustriert sehr schön, dass man auch in fremdbestimmt gewählten Berufen noch eigene Talente entdecken kann. Zur vollständigen Selbstverwirklichung fehlt der 40-Jährigen jedoch die materielle Sicherheit. Ein Grundeinkommen hingegen würde sie bei einer Bank kreditwürdig machen. Sie könnte sich eine passende Lokalität suchen und dann ihr eigener „Herr“ werden, müsste sich nicht mehr den in der Gastronomie oft widrigen Arbeitsbedingungen unterwerfen, sondern könnte die Arbeit nach ihren Vorstellungen gestalten.

Dieser Fall ist noch aus einem anderen Grund erwähnenswert: Frau S. hat sich schon seit einiger Zeit Gedanken über ihre berufliche Zukunft gemacht. Denn sie merkte, dass sie ihre körperlich sehr anspruchsvolle Arbeit in diesem Umfang nicht noch einmal 25 Jahre wird leisten können. Also informierte sie sich beim Arbeitsamt über Möglichkeiten der finanzierten Umschulung hin zu einem Bürojob. Hier eröffneten sich für sie aber keine ernsthaften Perspektiven. Ein Grundeinkommen würde einer Ausbildung bzw. Umschulung den Schrecken der Existenznot nehmen. Die Ausbildung müsste zwar selbst finanziert werden, könnte aber dafür selbst gewählt werden. Oder aber es bestünde die Möglichkeit für Frau S., in der Gastronomie weiter zu arbeiten, dafür aber in reduziertem und damit gesundheitsschonendem Umfang. Die Selbständigkeit hinzugenommen, wären das drei berufliche Perspektiven, zwischen denen Frau S. weitgehend selbstbestimmt wählen könnte, hätte sie eine entsprechende finanzielle Absicherung. Profitieren würde davon nicht nur sie selbst, sondern auch das Gesundheitssystem.

Frau N.: Sozialpädagogin statt Reiseverkehrskauffrau

Ähnlich und doch anders ist der Fall der 29-jährigen Frau N. Auch sie durfte ihren Wunschberuf Reiseverkehrskauffrau nicht ergreifen. Denn ihre Eltern sagten, sie müsse studieren. So besuchte sie nach der mittleren Reife sehr unmotiviert den sozialen Zweig einer Fachoberschule und wurde schließlich Sozialpädagogin. Aktuell leitet sie eine Einrichtung der Jugendhilfe. Hier konnte sie an einem sicheren Arbeitsplatz zusammen mit einem Team eine abwechslungsreiche, nie langweilige Arbeit mit Jugendlichen verrichten. Trotz eines weitgehend fremdbestimmten Ausbildungswegs hat Frau N. also noch eigene Neigungen bei ihrer Berufswahl berücksichtigen können. Sie ist zufrieden mit ihrer Stellung und würde im Falle eines existenzsichernden Lottogewinns auch keine Kehrtwende zum ursprünglichen Wunschberuf vollführen, wenngleich sie das Reisen und Kennenlernen fremder Kulturen nach wie vor als Hobby angibt. Nichtsdestotrotz würde ein Grundeinkommen ihr Leben noch lebenswerter machen. Evtl. würde Frau N. zeitweise auf eine 30-Stunden-Woche reduzieren, aber dauerhaft weiter in Vollzeit arbeiten und 1.000 Euro monatlich in ein Eigenheim investieren und/oder für Reisen ausgeben.

Frau L.: Akademikerin – vielseitig aktiv dank Grundeinkommen?!

Auch die Lehramtsreferendarin Frau L. würde an ihrer beruflichen Situation nichts ändern. Sie würde das zusätzliche Geld dazu nutzen, später einmal interessante Fortbildungen zu besuchen und es ansonsten ebenso wie Frau N. zu verwenden. Der Unterschied zwischen diesen beiden ist, dass Frau L. ihren Beruf aus Überzeugung gewählt hat. Dennoch schien sie ein Einzelfall zu sein. Denn alle anderen befragten Akademiker, vier an der Zahl, würden ihr Berufsleben tatsächlich noch mehr als bisher an ihre Neigungen anpassen. Zwar würde niemand etwas komplett anderes machen, doch auffällig ist die Tendenz zu einer abwechslungsreicheren Lebensgestaltung.

Ehepaar K.: Sie: Beruf reduzieren, Kleider nähen. Er: studieren und Musik

So berichtet Frau K. davon, ihre berufliche Tätigkeit gerne reduzieren zu wollen und stattdessen Kleider zu nähen und zu verkaufen.

Herr K. dagegen würde erst einmal länger studieren, sich der hiesigen Stadtgeschichte widmen, nebenher als Fremdenführer arbeiten und vor allem Zeit und Geld in sein Hobby, die Musik, investieren und versuchen, sich mit ihr ein zweites Standbein aufzubauen.

Herr M.: Lehrer und Künstler

Ähnlich verhält es sich mit Herrn M., der, statt Vollzeit als Lehrer zu arbeiten, sich gerne als artistischer Kleinkünstler und Theaterpädagoge versuchen würde. Auch er würde das Unterrichten nicht komplett einstellen wollen. Jedoch würde er gerne weniger Stunden geben, um nicht Gefahr zu laufen, im neuen Beruf schon nach wenigen Jahren den Spaß zu verlieren.

Frau S.: Teilzeit-Bildungsmanagerin

Frau S. studierte Germanistik und ist momentan als Bildungsmanagerin tätig – dabei jedoch nur in Teilzeit, da sie sich um ihre Kinder kümmert. Sie würde sich mit einem Grundeinkommen weniger in die künstlerische, als vielmehr in die wohltätige Richtung orientieren. Als Kirchenvorstandsmitglied arbeitet sie nicht nur daran – wie in ihrem Beruf –, Abläufe zu optimieren, sondern ist auch seelsorgerisch tätig. Einen monatlich ausgezahlten Lottogewinn würde sie dazu nutzen, den Gang in die Freiberuflichkeit zu wagen, um ihren verschiedenen Aufgaben – Mutter, Ehrenamt, Beruf – besser gerecht werden zu können und die jeweiligen Erwartungen auch selbst besser kontrollieren und auf etwaige Bedeutungsverschiebungen besser reagieren zu können. Mal braucht das Kind mehr Zeit, mal die Seelsorge – Aufgaben, die einen hohen gesellschaftlichen Wert haben. Tätigkeiten, die im Zweifelsfall sogar wichtiger sind als der Beruf. Für diese möchte Frau S. Zeit haben. Hier kommt zum wiederholten Male ein starkes Bedürfnis nach Zeitsouveränität deutlich zum Vorschein.

Ehepaar J.: Nicht-Akademiker – die Vielschichtigkeit der Perspektiven

Wie sieht es aber mit Nicht-Akademikern aus? Hier ist das Bild weniger einheitlich. Zurück zum Fall der Gastronomieangestellten Frau S.: Sie reizt die Selbstständigkeit in ihrer bisherigen Branche. Der 32-jährige Industriemechatroniker Herr J. würde dagegen versuchen wollen, sein Hobby zumindest teilweise zum Beruf zu machen. Er arbeitet in seiner Freizeit viel am PC, beschäftigt sich mit Bildbearbeitung und entwirft für sich und Freunde regelmäßig T-Shirts. Eine bedingungslose finanzielle Absicherung würde ihm die Chance geben, auszuprobieren, ob er mit seinen Designs am Markt bestehen könnte.

Seine 31-jährige Frau ist zwar aus Überzeugung Krankenschwester, würde aber trotzdem gerne einen kleinen Tante-Emma-Laden eröffnen. Auch hier tritt also eine (zusätzliche) Orientierung in eine ganz andere berufliche Richtung zum Vorschein.

Herr H.: Wunschberuf erreicht

Der 24-jährige Herr H. hingegen ist sich sicher, nach den Ausbildungen zum Kfz-Mechatroniker und Einzelhandelskaufmann mit seiner Arbeit als Autoverkäufer seinen Wunschberuf realisiert zu haben. Eine Arbeitszeitverkürzung kommt für ihn nicht in Frage. Er würde ein zusätzliches regelmäßiges Einkommen in eine Immobilie investieren.

Herr R.: Spaß, trotz Zeitarbeit

Auch Herr R., 29 Jahre, angestellt bei einer Zeitarbeitsfirma und momentan als Gabelstaplerfahrer tätig, würde an seiner momentanen beruflichen Situation nichts ändern wollen. Die Arbeit an sich macht ihm Spaß, das Verhältnis mit den Kollegen ist gut und so hofft er auf eine Übernahme durch das Unternehmen, bei dem er tätig ist. Hier würde er auch im Falle eines BGE-artigen Lottogewinns in Vollzeit weiter arbeiten wollen. Das zusätzliche Einkommen würde er für Familie, Urlaub oder Auto sparen.

Frau H.: Weniger Tierarzthelferin, mehr Reiten

Ein wieder anderes Modell präferiert Frau H., 21 Jahre, für sich: Sie lernte den Beruf der Einzelhandelskauffrau nur, weil es für sie keine Alternative gab. Nun ist sie in einem Möbelhaus tätig. Sie würde 1.000 Euro zusätzlich im Monat dazu nutzen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, um mehr Zeit für ihre Reitbeteiligung zu haben. Alternativ würde sie sich gerne ein eigenes Pferd kaufen. In jedem Fall würde sie nicht mehr ihren eigentlichen Wunschberuf Tierarzthelferin anstreben, da sie eine nochmalige Ausbildungszeit mit Berufsschule abschreckt. Ihre Tierliebe würde hier also Hobby bleiben und nicht Beruf werden.

M.: Hobby nicht zum Beruf machen

Auch die 18-jährige M., die momentan ihre Ausbildung zur Erzieherin macht, würde ihr Hobby – die Fotografie – nicht zum Beruf machen wollen. Sie sieht die Gefahr, dass diese Tätigkeit dann ihre Funktion als Ausgleich zur Arbeit verlieren und selbst zu Stress werden würde. Einen BGE-Lottogewinn würde sie anlegen, um auf ein Auto zu sparen, die Arbeitszeit auf 30 Stunden zu reduzieren und sich öfter mal etwas Gutes, wie beispielsweise Massagen und Ähnliches, zu gönnen.

Gesamtbetrachtung der Ergebnisse

Betrachtet man die Gruppe der unter 20-Jährigen, ist auffällig: Nicht nur die gerade erwähnte M., sondern auch die interviewten Schüler glauben, dass kaum jemand die materielle Absicherung dazu nutzen würde, seinen Traumberuf anzustreben. Sie selbst sind mit ihrer aktuellen beruflichen Perspektive absolut zufrieden. Zumindest abschnittsweise Arbeitszeitverkürzung kommt für sie in Frage. Wichtiger ist es ihnen aber, finanziell gut da zustehen und sich etwas leisten zu können.

In der Gesamtbetrachtung der Befragungsergebnisse, für die – das sei hier noch einmal erwähnt – keinerlei Anspruch auf Repräsentativität erhoben werden kann, wird deutlich, was auch in der Fachliteratur konstatiert wird: „Ein Grundeinkommen würde eine Fülle von nebeneinander bestehenden Arbeitsformen und -rhythmen ermöglichen und unterschiedlichen Lebensphasen Rechnung tragen.“1 Zwar würde bei weitem nicht jede*r seine Berufswahl revidieren. Auch das Modell der Vollzeiterwerbsarbeit ist für viele (noch) nicht passé. Und trotzdem ist durch die Bank eine Verschiebung in Richtung neigungsbezogener Motive für das (Berufs-)Leben erkennbar.

Die genaue Aufschlüsselung der Berufswahlmotive sowie ein Vergleich mit bereits existierenden Erhebungen sind der zum Download bereitstehenden Arbeit ab Seite 41 zu entnehmen.


1A. Goehler, G.W. Werner: Vom Sollen zum Wollen in oekom e.V. (Hrsg.): Anders arbeiten. oekom Verlag München 2011. S. 78.

Zum Autor: Lorenz Meyer, geboren 1988, zweifacher Vater, studierte in Bamberg Lehramt für berufliche Schulen mit der Fachrichtung Sozialpädagogik und Zweitfach Sozialkunde. Er schrieb seine Abschlussarbeit über das Bedingungslose Grundeinkommen, gründete daraufhin eine kleine BGE-Initiative in der oberfränkischen Weltkulturerbestadt und ist von Zeit zu Zeit als Referent unterwegs. Außerdem betreibt er unter www.bgeba.wordpress.com einen kleinen Blog zum Thema – soweit das als Hobby mit Familie und Referendariat vereinbar ist.

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