Warum das Netzwerk den Aufruf „Kinderarmut durch Hartz IV“ unterstützen sollte

Gisela Brunken und Christoph Schlee 19.11.2008 Druckversion

Der Aufruf von über 3000 Einzelpersonen und rund 200 Organisationen fordert eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze für Jugendliche. Gisela Brunken und Christoph Schlee befürworten eine Zustimmung des Netzwerks für pragmatische Schritte zur Verbesserung der Situation von Familien und Alleinerziehenden mit Kindern, die von Erwerbslosigkeit betroffen sind.

Eine durchsetzbare Forderung
Die Forderung ist plausibel und kurzfristig durchsetzbar. Es gibt bereits über 3300 Einzelunterschriften, auch von Politikern wie z.B. Landtagsabgeordneten. Annähernd 200 Organisationen haben unterschrieben, darunter attac-Deutschland.

Die Forderung ist dringlich
1. Seit Inkrafttreten der Hartz-IV-Regelungen sind Familien und alleinerziehende Mütter von einer besonderen Härte betroffen, auch von finanziellem Mangel. Betroffene haben kaum die Möglichkeit, ihre Lage zu ändern. Z.B. wird bei kleinen Jobs das Geld schnell wieder vom Regelsatz abgezogen, ebenso Verdienst von Kindern und Jugendlichen durch Ferienjobs. Einer alleinerziehenden, nicht berufstätigen Mutter nützt es z.B. auch nicht, wenn der Vater der Kinder eine Verdiensterhöhung erhält. Was er mehr an Unterhalt zahlt, wird vom Regelsatz abgezogen. Das Gleiche gilt für Erhöhungen des Kindergeldes.

2. Jugendlichen, die sich in unserem reichen Land noch nicht einmal gesund ernähren können, ist kaum zu vermitteln, dass wir nicht für eine Verbesserung ihrer Situation, sondern ausschließlich für ein BGE und für die Abschaffung des Hungers im Ausland kämpfen. Man kann ihnen nicht zumuten, stillzuhalten, bis ein Grundeinkommen durchgesetzt ist. Selbst ein Kinder-Grundeinkommen von 300 Euro würde denjenigen, die es am nötigsten hätten, nichts bringen, wenn es wie zur Zeit das Kindergeld in den Regelsatz eingerechnet wird.

Ein Zeichen für Zusammenhalt und Glaubwürdigkeit
Oft werden Forderungen nach Verbesserungen der aktuellen Regelungen, die sofort greifen sollen, in Konkurrenz zur Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens gesehen, die langfristig durchgesetzt werden soll. Wer sich für akute Hilfen einsetzt, wird oft von denen, die für ein Grundeinkommen plädieren, nicht unterstützt. Umgekehrt stößt, wer sich für ein Bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt, bei denen, die sich für kurzfristige Veränderungen einsetzen, auf Unverständnis. Das Unterzeichnen dieses Aufrufs durch das Netzwerk Grundeinkommen würde ein Zeichen setzen, dass beides vereinbar ist: kurzfristige Forderungen und langfristige Ziele. .

Diejenigen, die gegen Kinderarmut auf die Straße gehen, erwarten, dass Grundeinkommensbefürworter/Innen ihre Forderungen unterstützen. Sie sind mit Recht irritiert, wenn wir das nicht tun. Verbündete mit denselben Interessen sollten sich zusammenschließen, statt sich auseinander zu dividieren. Wenn manche BGE-Befürworter erklären, das Grundeinkommen sei „kein Mittel zur Abschaffung der Armut“, ist viel Erklärungsaufwand nötig, um davon zu überzeugen, dass das Grundeinkommen natürlich auch ein Mittel zur Abschaffung von Armut ist. Für Betroffene ist dieser Effekt dringlich und erstmal die Hauptsache.

Misstrauen gegenüber dem BGE kann auch aus der Erfahrung resultieren, bei Hartz IV für dumm verkauft worden zu sein. Bei dieser als „Reform“ bezeichneten Verschlechterung war für die Betroffenen in der Folge soviel auf einmal zu bewältigen, dass zunächst gar nicht auffiel, dass u.a. die finanzielle Abdeckung des Wachstumsbedarfs von Jugendlichen (bereits im 18. Jahrhundert eingeführt!) gestrichen wurde, dass 13jährige Kinder seit Hartz mit dem für Säuglinge bemessenen Bedarf auskommen sollen! Als das Geld nicht mehr für den alltäglichen Einkauf reichte, haben viele Mütter zunächst gedacht, sie selber könnten nicht wirtschaften.

Schritte in die richtige Richtung
Mit der Forderung der Bündnisplattform „Gegen Kinderarmut durch Hartz IV“ würde eigentlich nur einer der vielen Schritte rückwärts revidiert, die mit Hartz IV gemacht wurden. So geht denn auch die Forderung manchen nicht weit genug. Kleine Schritte haben jedoch den Vorteil, dass sie weniger dazu verleiten, im Gegenzug andere Leistungen zu kürzen. Kleine Schritte können außerdem weniger leicht mit Zielen verwechselt werden, wie das bei Veränderungsvorschlägen, die bereits als Grundeinkommen bezeichnet werden, passieren kann.

Es gibt außerdem die Meinung, es sei ein Widerspruch, sich für ein BGE einzusetzen und gleichzeitig eine Regelsatzerhöhung zu fordern, da man damit indirekt den geltenden Regelungen zustimmen würde.
Dem steht u.a. entgegen:

1. Die aktuellen Zustände beeinflussen auch das Denken in unserer Gesellschaft, d.h. die jeweils aktuelle Gesetzeslage wird von vielen für begründet gehalten. Oft wird die aktuelle Höhe von BAFöG-Sätzen und anderen Regelsätzen als Richtschnur genommen, wie hoch ein Grundeinkommen am Anfang mindestens sein müsste. Ohne genau nachzurechnen, wird erstmal vermutet, das sei das Einkommen, mit dem man auskommen könne. Für Diskussionen um die wünschenswerte Höhe eines BGE sind höhere Regelsätze daher hilfreich.

2. Die meisten sozialen Verbesserungen kommen unserem Ziel näher und sind daher unterstützenswert. Ebenso wichtig wäre es natürlich, den Abbau von Bedingungen für die Gewährung der verfassungsrechtlich jedem Menschen zustehenden Existenzsicherung und jeder Art von direktem oder indirektem Arbeitszwang zu fordern.

Katja Kipping sagte auf dem Kongress in Berlin: „Wir wollen das Grundeinkommen ja wirklich haben, also müssen wir unseren Grips anstrengen, wie wir dahin kommen.“ – Damit können wir, bei allen großen Zielen und interessanten Debatten, sofort anfangen.

6 Kommentare

Viktor Panic schrieb am 27.11.2008, 15:17 Uhr

Ich lehne die Erhöhung der Regelsätze aus folgendem Grund ab: Millionen fleißiger Geringverdiener und Millionen berufstätiger Eltern mit niedrigen oder mittleren Einkommen ärgern sich - zu Recht! - darüber, dass sie finanziell nicht viel besser dastehen als Hartz-IV-Empfänger. Obwohl letztere nicht die Schuld dafür tragen, ist dies Ursache von Ablehnung, ja sogar Hass, ihnen gegenüber! Jede Erhöhung der Regelsätze verringert diesen Abstand noch weiter und entwertet dadurch Arbeit.

Übrigens ist dies nicht nur für die genannten Erwerbstätigen frustrierend, sondern auch für diejenigen Erwerbslosen demotivierend, die tatsächlich arbeiten möchten, und das gilt meiner Meinung nach für die allermeisten!

Notwendig ist vielmehr, die Anrechnung von Erwerbseinkommen (Leistungs-Kürzung) zu verringern, also eine Verbesserung der Zuverdienst-Möglichkeiten um Arbeit wieder erstrebenswert zu machen! Dies würde auch Geringverdienern und vielen Eltern helfen, die bislang keinen Anspruch auf Hartz IV haben. Das wird HIER oben auch aufgeführt (Ferienjobs, Unterhaltszahlungen).

Doch IN DEM AUFRUF ist davon mit keinem Wort die Rede! Stattdessen spielen die Autoren unterschiedliche Altersstufen gegeneinander aus: Schul-Kinder (d.h. 7-13 Jahre) gegen Säuglinge, Minderjährige gegen Volljährige.

Es gibt an Hartz IV vieles zu kritisieren, doch dieser Aufruf geht am Thema vorbei!

Helmut Woda schrieb am 29.11.2008, 16:24 Uhr

Viktor Panic schrieb: \"Ich lehne die Erhöhung der Regelsätze ... ab....\"

Dazu sage ich: Ich fordere die Erhöhung des Eckregelsatzes auf mindestens 500 Euro! Dadurch verringert sich das Schreckenpotenial von Hartz IV für Erwerbstätige, so dass sich ihre Angst verringert, um höhere Löhne zu kämpfen. Jede fehlende Erhöhung des Eckregelsatzes drückt das Einkommen Millionen fleißiger Geringverdiener und Millionen berufstätiger Eltern mit niedrigen oder mittleren Einkommen noch tiefer als es mit Hilfe der Existenz von Hartz IV ohnehin schon ist. Obwohl letztere nicht die Schuld dafür tragen, ist Hartz IV Ursache von Armut und Verelendung von Millionen Eltern und Kindern!

Übrigens ist der offensichtliche Mangel an existenzsichernden Arbeitsplätzen, der sich nach Berechnungen der OECD durch die Krise drastisch verschärfen wird, nicht nur für die genannten Erwerbstätigen frustrierend, sondern auch für diejenigen Erwerbslosen demotivierend, die tatsächlich arbeiten möchten, und das gilt meiner Meinung nach für die allermeisten!

Viktor Panic schrieb weiter: \"Notwendig ist vielmehr ... eine Verbesserung der Zuverdienst-Möglichkeiten um Arbeit wieder erstrebenswert zu machen! Dies würde auch Geringverdienern und vielen Eltern helfen ..\"

Das ist konsequent gedacht zur Erhaltung und dem Ausbau des Niedriglohnsektors, der sich mit Hartz IV massiv ausgeweitet hat. Doch in seiner \"Kritik\" ist davon mit keinem Wort die Rede!

Weiter schrieb Viktor Panic: \"Stattdessen spielen die Autoren unterschiedliche Altersstufen gegeneinander aus ...\". Wo steht das denn? Gesagt wird, dass heranwachsende Schulkinder mehr brauchen als Babys. Die Forderung dazu ist aber nicht die Babys zu kürzen sondern Schulkinder wieder auf das Niveau anzuheben, das ihnen vor Hartz IV bereits zugestanden worden war.

Es gibt an Viktor Panic Kommentar vieles zu kritisieren, doch seine \"Kritik\" geht nicht nur am Thema vorbei, er hat sich offensichtlich mit der Plattform und dem dahinter liegenden Schicksal von Eltern und Kindern überhaupt nicht befasst!

Dieter Hoch schrieb am 01.12.2008, 12:10 Uhr

Die Erhöhung der Regelsätze für Hartz IV ist doch kein Hindernis für ein Grundeinkommen. In Frankreich gibt es nur 450 Euro Stütze plus Wohngeld, in anderen West- und Nordeuropäischen Ländern gibt es mehr - wieso soll da das reiche Deutschland so deutlich hinterherhinken - wieso sollen Kinder und Jugendliche von vorneherein ausgegrenzt sein?

Gisela Brunken schrieb am 07.12.2008, 20:50 Uhr

Den Forderungen haben sich bereits viele bekannte BGE-Befürworter, wie z.B. Prof. Seghers, und auch BGE-Gegner, wie z.B. Prof. Butterwegge, angeschlossen und die Initiative \"Unternimm die Zukunft\" fordert in ihrer neuesten Pressemitteilung:

http://www.unternimm-die-zukunft.de/Pressemitteilung_Werner_MwSt.pdf neben einer Kindergelderhöhung auch eine Erhöhung der Regelsätze.

Christine Hahn schrieb am 15.12.2008, 12:25 Uhr

Jahrelang denkt man, man könne nicht wirtschaften oder man habe sonst irgendeinen Makel, um an ein Auskommen durch Arbeit zu kommen. Alleinerziehende haben die Betriebe nicht nötig, ältere sowieso nicht. Wenn ich dann mal ein Jahr lang über meine Haushaltskosten Buch führe, sehe ich aber, dass alles was Heizkosten und Verschleiß anbelangt, finanziell nicht mehr zu tragen sind. Schön ist es wenn sich Mütter unentgeltlich gegenseitig helfen. Und in Anbetracht der Wirtschaftskrise müssen wir uns mehr untereinander helfen ohne Aufrechnen.

Edgar Schu schrieb am 17.12.2008, 11:42 Uhr

Auf der Mitgliederversammlung am 14. Dezember in Köln wurde entschieden, dass das Netzwerk Grundeinkommen den Aufruf der Bündnisplattform \"Gegen Kinderarmut durch Hartz IV\" unterzeichnet.

Herzlichen Dank!

Gisela Brunken, Arbeitskreis Grundeinkommen Göttingen

Edgar Schu, Aktionsbündnis Sozialproteste

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