Thomas Spence: Der Begründer des Grundeinkommens
Weder Thomas Morus, noch Juan Luis Vives oder Hugo Grotius waren Vordenker für das garantierte Mindesteinkommen, geschweige denn für ein Grundeinkommen. Der Kombilohn des Speenhamland-Systems hatte nichts mit einem Grundeinkommen zu tun. Auch Thomas Paine entwickelte nicht die Idee des Grundeinkommens, sondern die eines einmaligen Startkapitals für alle jungen Menschen und einer Grundrente für alle Alten.
Aber wann tauchte die Idee eines Grundeinkommens nun wirklich zum ersten Mal auf? Yannick Vanderborght und Philippe Van Parijs schreiben in ihrem Standardwerk zum Grundeinkommen: „Die spezifische Form eines Mindesteinkommens, wie es das allgemeine Grundeinkommen darstellt, trat erst Mitte des 19. Jahrhunderts kurz in Erscheinung […].“ Das ist aber nicht richtig. Schon vorher – nämlich 1796 – entwickelte und veröffentlichte Thomas Spence die Idee eines Grundeinkommens (hier Erläuterungen zu dem Begriff Grundeinkommen).
Der Engländer Thomas Spence (1750 –1814) schlug in seinem Essay „The rights of infants“ im Jahr 1796 als erster die lebenslange und regelmäßige Zahlung eines Grundeinkommens an alle Mitglieder des Gemeinwesens vor, von ihm „quarterly dividend“ genannt, weil es vierteljährlich ausgezahlt werden sollte. In einem Anhang dazu verdeutlicht Spence den Unterschied zwischen seinen Vorstellungen über die zu verändernde Gesellschaft mit den Vorstellungen von Thomas Paine in „Agrarian Justice“, obwohl beide das gemeinsame Eigentum aller Mitglieder des Gemeinwesens an allen Naturgüter propagierten.
Begründet wird das Grundeinkommen von Spence aus einer naturrechtlichen Perspektive – und mit den Worten einer Frau, die, besorgt über die Armut ihres und anderer Kinder, sich einen scharfsinnigen Schlagabtausch mit einem Landadligen liefert. Die privaten Immobilien der Großgrundbesitzer, die eigentlich gemäß dem Naturrecht allen gehören, sollen enteignet und wieder Eigentum des Gemeinwesens werden. Sie sollen an Interessierte verpachtet werden. Der aus den Pachterlösen („rents“) nach dem Abzug der Ausgaben für öffentliche Infrastruktur und Dienstleistungen verbleibende Betrag wird „gleich und gerecht auf alle Mitglieder der Gemeinde aufgeteilt, seien sie nun männlich oder weiblich, verheiratet oder alleinstehend, ehelicher oder unehelicher Herkunft, einen Tag alt oder Greise. Zudem soll kein Unterschied gemacht werden zwischen den Familien von Großbauern und Händlern, die einen hohen Pachtzins für ihre weiten Ländereien und Anwesen entrichten und jenen der armen Arbeiter und Handwerker, die wenig für ihre kleinen Mietwohnungen, Hütten und Gärten bezahlen. Jedes Familienoberhaupt soll den gleichen Anteil für jedes Haupt unter seinem Dach erhalten.“ [1]
Mit Grundeinkommen wird Armut bekämpf und die Wirtschaft angekurbelt
Das regelmäßig gezahlte Grundeinkommen sollte eine ausreichende Höhe haben, nämlich Armut und die dadurch nötige öffentliche Wohlfahrtspflege abschaffen. Für diese ausreichende Höhe sorgt, dass die Menschen den ganzen Ertrag ihres gemeinschaftlichen Naturerbes erhalten, ohne weitere Abzüge der bisher üblichen Steuern für die Staatsbürokratie. Die bisherigen Ausgaben für die Staatsbürokratie ließen sich dadurch reduzieren, dass die Mitglieder des Gemeinwesens selbst demokratisch über die Einnahmen und Ausgaben des Gemeinwesens bestimmen und wachen würden. So wäre nicht nur das Grundeinkommen, sondern auch die Bildung für alle statt charity-Einrichtungen für Arme gesichert. Denn die „unerschöpflichen Mittel des komfortablen Lebensunterhalts“ würden jeder und jedem die Bildung ermöglichen. Außerdem stünden ausreichend kommunale und nationale Mittel zur Förderung der Bildung und für andere öffentliche Zwecke zur Verfügung. [2] Spence verweist auch darauf, dass selbst die Lasterhaftesten und Verschwenderischsten mithilfe der „quarterly dividends“ die Möglichkeit hätten, einen fleißigen und anständigen Lebenswandel zu führen und sich so nicht dem Beispiel der allgemeinen Tugendhaftigkeit entziehen könnten. [3]
Infolge der die Armut beseitigenden Höhe des Grundeinkommens würde auch der Binnenhandel florieren und ein Wohlstand geschaffen, der nicht nur das Lebensnotwendige absichert, sondern auch den Kauf von Luxusgütern ermöglicht: „Der Binnenhandel würde ein erstaunliches Ausmaß annehmen, weil es keine Armen gäbe. Alle wären gut gekleidet, untergebracht und ernährt: Und die gesamte Menge der Pachterlöse, mit Ausnahme einer Kleinigkeit für die Regierung, die zu Hause in Umlauf gebracht werden wird, in jeder Gemeinde, jedes Quartal, würde zu einem Wohlstand führen, so dass jeder in der Lage wäre, nicht nur die Lebensnotwendigkeiten, sondern auch Elegantes und Luxuriöses zu kaufen.“ [4]
Direkte Demokratie, allgemeines Wahlrecht und Geschlechtergleichheit
Ausdrücklich verbindet Spence den Akt der Enteignung und der Überführung des Eigentums an Naturgütern an das Gemeinwesen, die Sicherung öffentlicher Infrastruktur und Dienstleistung sowie die Garantie des Grundeinkommens mit der Konstituierung eines demokratischen Gemeinwesens, in dem alle Einwohner Bürger und Eigentümer der gemeinsamen Naturgüter sind. Dazu gehört die direkte Kontrolle über das Eigentum des Gemeinwesens, der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben. Auf kommunaler und nationaler Ebene wird das allgemeine Wahlrecht eingeführt, die öffentliche Verwaltung stark reduziert. Frauen werden von Spence im Gegensatz zu den „apathischen Männern“ als die revolutionären Wesen in „The rights of infants“ gewürdigt. Sie sind gleichberechtigte Eigentümerinnen und Bürgerinnen. Das alles sind für diese Zeit außergewöhnliche Vorstellungen.
Thomas Spence gegen John Locke und Thomas Paine
Spence weist in seinen Darlegungen – ebenso wie Thomas Paine, aber in der angestrebten Umverteilung und in der Demokratisierungsabsicht über diesen weit hinausgehend – die von John Locke stammende These zurück, dass die Unverfügbarkeit der einzelnen Person und deren Arbeit Quelle berechtigten Privateigentums sei: „Halt, macht nicht die Rechnung ohne unseren Gast; denn Mr. Paine wird gegen solch eine gleiche Umverteilung sein. Denn er sagt in seinem Agrarian Justice, dass die Öffentlichkeit nur einen zehnten Teil vom Wert des Landbesitzes, so wie er jetzt mit seiner enormen Verbesserung der Kultivierung und Bebauung existiert, beanspruchen kann. Aber warum sollten wir uns nur mit einem zehnten Teil abfinden? Weil, sagt Mr. Paine, er sich in den Händen der privaten Eigentümer um das Zehnfache verbessert hat gegenüber seinem natürlichen Zustand. Aber müssten wir nicht fragen, wer das Land verbessert hat? Haben die Eigentümer allein gearbeitet und geschuftet an dieser Verbesserung? Und standen wir Arbeiter und unsere Vorfahren wie Indianer und Hottentotten als faule Zuschauer neben so viel öffentlich-inspirierter Strebsamkeit? Ich denke nicht. Nein, im Gegenteil, es ist offensichtlich für den oberflächlichsten Beobachter, dass prinzipiell der arbeitenden Klasse für diese Verbesserungen gedankt sein sollte. Tatsächlich, wenn niemals Sklaven, niemals Vasallen oder niemals Tagelöhner in Bau und Bodenbearbeitung angestellt worden wären, dann hätten sich die Eigentümer damit gebrüstet, die ganze fröhliche Szene selbst geschaffen zu haben. Aber der Fall gestaltet sich gänzlich anders, wenn wir annehmen, dass die Erde kultiviert wurde sowohl von Sklaven, welche zur Arbeit gezwungen wurden wie wilde Tiere, als auch durch Indigene, die sie als erste vom Anteil des Bodens ausschließen, so dass die Not sie zwingt, ihre Arbeit für das tägliche Brot zu verkaufen.“ [5]
Auch auf einer anderen Ebene wird die Kultivierung bzw. Verbesserung des Landes durch einzelne Privatpersonen, ein Grund den John Locke für die privateigentümliche Aneignung des Landes durch die Landbesitzer angibt, angezweifelt: „Die Mühe der arbeitenden Klasse produziert zuerst die bereitgestellten Güter und danach schafft die Nachfrage ihrer Familien einen Markt für diese Dinge. Die Märkte, geschaffen von den Arbeitern und Handwerkern, sind es, die die Erde verbessert haben. […] Wir sehen also, dass der Konsum, welcher geschaffen wurde von den Mündern und auf den Rücken der armen, verachteten Menge, mitwirkt an der Kultivierung der Erde, ebenso wie die Hände der Menge. Und es ist auch die Miete, die sie zahlen, die die Städte baut, nicht der quälende Miethausbesitzer.“ [6] Die naturrechtliche Begründung der „quarterly dividend“ wird also von Spence um eine historische und ökonomische Begründung erweitert. Das allen Mitgliedern des Gemeinwesens gehörende Erbe ist mehr als nur ein Naturerbe.
Ende der Unterdrückung
Mit all diesen Vorschlägen (radikale Umverteilung und Armutsbekämpfung durch Grundeinkommen und öffentliche Infrastruktur, Direktdemokratie, allgemeines Wahlrecht, Abschaffung der Staatsbürokratie, Gleichberechtigung von Mann und Frau) beschreibt Spence ein Gemeinwesen ohne Unterdrückung („system of the end of oppression“). In ihm erhalten die Menschen alles das (zurück), was ihr gemeinsames Erbe ist [7] – in Form des Grundeinkommens und öffentlicher Infrastruktur. Aber sie verfügen über dieses Erbe auch in Form der demokratischen Kontrolle und Entscheidung über öffentliche Einnahmen, die sich aus dem gemeinsamen Erbe ergeben, und die öffentlichen Ausgaben.
[1] „And as to the overplus, after all public expences are defrayed, we shall divide it fairly and equally among all the living souls in the parish, whether male or female; married or single; legitimate or illegitimate; from a day old to the extremest age; making no distinction between the families of rich farmers and merchants, who pay much rent for their extensive farms or premises, and the families of poor labourers and mechanics, who pay but little for their small apartments, cottages and gardens, but giving to the head of every family a full and equal share for every name under his roof.“
[2] „If the people are not generally learned it must be their own fault, as their inexhaustible means of comfortable subsistence must furnish also the means of education. […] The quarterly dividends, together with the abolishment of all taxes, would destroy the necessity of public charities; but if any should be thought necessary, whether to promote learning, or for other purposes, the parochial and national funds would be found at all times more than sufficient.“
[3] „The lowest and most profligate having such frequent opportunities, by the aid of their quarterly dividends, of starting into industrious and decent modes of life, could not always resist the influence of the general virtue every where displayed, without some time or other following the example.“
[4] „Domestic trade would be at amazing pitch, because there would no poor; non butwould be well clothed, lodged and fed: and the whole mass of rents, except a trifle to the government, being circulated at home, in every parish, every quarter, would cause such universal prosperity as would enable every body to purchase not only the necessities of life, but many elegancies and luxuries.“
[5] „But stop, don’t let us reckon without our host; for Mr Paine will object to such an equal distribution of the rents. For says he, in his Agrarian Justice, the public can claim but a Tenth Part of the value of the landed property as it now exists, with its vast improvements of cultivation and building. But why are we to be put off now with but a Tenth Share? Because, says Mr Paine, it has so improved in the hands of private proprietors as to be of ten times the value it was of in its natural state. But may we not ask who improved the land? Did the proprietors alone work and toil at this improvement? And did we labourers and our forefathers stand, like Indians and Hottentots, idle spectators of so much public-spirited industry? I suppose not. Nay, on the contrary, it is evident to the most superficial enquirer that the labouring classes ought principally to be thanked for every improvement. lndeed, if there had never been any slaves, any vassals, or any day-labourers employed in building and tillage, then the proprietors might have boasted of having themselves created all this gay scene of things. But the case alters amazingly, when we consider that the earth has been cultivated either by slaves, compelled, like beasts, to labour, or by the indigent objects whom they first exclude from a share in the soil, that want may compel them to sell their labour for daily bread.“
[6] „The toil of the labouring classes first produces provisions, and then the demand of their families creates a market for them. Therefore it will be found that it is the markets made by the labouring and mechanical tribes that have improved the earth. […] Thus we see that the consumption created by the mouths, and the backs, of the poor despised multitude, contributes to the cultivation of the earth, as well as their hands. And it is also the rents that they pay that builds the towns, and not the racking building landlord.“
[7] „Under the system of the End of Oppression, The people will receive, without deduction, the whole produce of their common inheritance.“
Literatur:
Thomas Spence, The rights of infants, 1796, with appendix: A contrast between Paine’s Agrarian justice and Spence’s End of oppression. Both being built on the same indisputable principle, viz. that the land is the common property of mankind (Übersetzung von Ronald Blaschke), http://www.thomas-spence-society.co.uk/rights-of-infants/; vgl. Ronald Blaschke, Denk‘ mal Grundeinkommen! Geschichte, Fragen und Antworten einer Idee, in: Ronald Blaschke/Adeline Otto/Norbert Schepers (Hrsg.) Grundeinkommen: Geschichte – Modelle – Debatten. Berlin 2010, S. 9-292 (dort Kapitel 2)
Yannick Vanderborght/Philippe Van Parijs, Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags, Frankfurt/Main 2005, S. 15