Das bedingungslose Grundeinkommen: eine faszinierende Idee, aber …

Ronald Blaschke 20.12.2014 Druckversion

Das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt (SPD), sieht sich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 15. Dezember 2014 veranlasst, Hartz IV zu verteidigen: “Wir haben kein System der Bestrafung und Disziplinierung, sondern eines des Förderns und Forderns.” Doch damit nicht genug: Alt hält das Grundeinkommen für eine faszinierende Idee, obwohl es zu Hartz IV in krassem Gegensatz steht. Dann kommt das große Aber.

Zuerst klagt Alt: “Die Hälfte unserer Personalressourcen müssen wir für die Leistungsberechnung einsetzen. Das ist zu viel. Hinzu kommt: Je komplexer das Leistungsrecht wird, desto weniger ist es für die Menschen nachvollziehbar.” Fast richtig, möchte man erwidern. Denn die Bedürftigkeitsprüfung und das “komplexe Leistungsrecht” inkl. der Sanktionsregeln verschwendet nicht nur Lebens- und Arbeitszeit Tausender Angestellter. Sie führen vor allem dazu, dass fast 50 Prozent der Anspruchsberechtigten die ihnen zustehende Leistung gar nicht erst erhalten (Stichwort Nichtinanspruchnahme, vgl. Irene Becker/Richard Hauser, S. 138). Daher ist das System Hartz IV auch deshalb verfassungswidrig, weil es den Grundrechtsanspruch auf ein soziokulturelles Existenzminimum für Millionen Menschen eben nicht erfüllt.

Heinrich Alt antwortet auf die Interview-Frage: “Wäre es daher nicht sinnvoll, dieses ganze System abzuschaffen und den Menschen einfach ein bedingungsloses Grundeinkommen zu gewähren? … Das wäre eine faszinierende Idee. Aber wir würden den Menschen damit eine falsche Botschaft vermitteln. Im Kern heißt das doch: Wir brauchen euch nicht, aber wir lassen euch auch nicht verhungern. Das halte ich für einen zutiefst inhumanen Gedanken. Ich bin dafür, den Menschen das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden. Es gibt kein anstrengungsloses Glück. Bundespräsident Gauck hat zu Recht gesagt: Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten.”

Diese Worte sind nicht bloß eine unerträgliche Beschimpfung von Menschen als Schwache, die schon längere Zeit erwerbslos sind oder geringes Einkommen haben. Schlimmer: Sie schüren unmittelbar eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (Wilhelm Heitmeyer). Alt verdreht mit der Gauck’schen Argumentation die Tatsachen. Schwach ist doch ein System, das Menschen ausgrenzt, das sie demütigt.

Außerdem ist es eine längst widerlegte Denkweise, die Heinrich Alt hier offenbart, dass nämlich Menschen ohne Erwerbsarbeit oder mit geringen Einkommen faktisch nichts täten und “anstrengungslos” lebten. Diese Auffassung ist typisch für “Herren der Arbeitsgesellschaft” (Ralf Dahrendorf*). “Herren”, die sich im Vorstand der Bundesagentur versammeln und das Hartz-IV-System umsetzen. Dabei ist zu bedenken, dass es sich um eine Agentur handelt, die selbstverwaltet ist – “selbstverwaltet” allerdings von hochrangigen FunktionärInnen der Unternehmerverbände und der Gewerkschaften (siehe die Mitglieder im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit). Die Herren der Arbeitsgesellschaft kennen anscheinend nur “Arbeitslose”, die man aktivieren muss, weil sie sonst nicht arbeiten. Man könnte ein solches Menschenbild lächerlich und antiquiert finden, wenn diese “Herren” nicht Macht über Millionen Menschen ausübten mit ihrem “offenen Strafvollzug” (Götz Werner), genannt Hartz IV. Diese “Herren” kennen auch nicht den Wunsch vieler Menschen nach weniger Erwerbsarbeitszeit. Hätten sie einen Lohnausgleich durch das Grundeinkommen, würden zahllose Menschen ihren Erwerbsplatz mit Erwerbslosen solidarisch teilen.

Dagegen scheuen sich die Herren der Arbeitsgesellschaft nicht, ein System “selbstzuverwalten”, welches massenhaft Menschen mit Sanktionen (also Kürzung der Sozialleistung unter das Existenzminimum, sogar bis auf null) nötigt, das zu tun, was das Kapital, der Arbeitsmarkt und die Bundesagentur für Arbeit mit den Jobcentern von ihnen verlangt – auch gegen die Interessen der Erwerbstätigen.

Heinrich Alt bemerkt nicht einmal seine Widersprüchlichkeit, wenn er sagt: “Ich kann nur jedem raten, der den Regelsatz kürzen will, mal zu versuchen, mit 391 Euro im Monat auszukommen. Da sind schon einige nach der ersten Woche gescheitert.” (Hervorhebung im Interview). Wie sollen die Menschen zurechtkommen, die nicht nur mal kurz Hartz IV erhalten, sondern in diesem System jahrelang feststecken?

Warum verwaltet und lobt Heinrich Alt ein Unrechtssystem, das erstens Menschen bewusst in Armut hält, zweitens diesen die Hartz-IV-Leistung auch noch kürzt, wenn sie nicht spuren, oder drittens Anspruchsberechtigte massenhaft aus dem Leistungsbezug ausgrenzt? An diesem Unrechtssystem gibt es rein gar nichts zu bejubeln, sondern es ist gründlich gescheitert. Hartz IV gehört abgeschafft, ein Grundeinkommen eingeführt! Weg mit Sanktionen, weg mit der Bedürftigkeitsprüfung! Schluss mit der unsäglichen Stigmatisierung und Diskriminierung von Millionen Menschen als Arbeits- oder Anstrengungslose! Schluss mit der Vergeudung von Lebens- und Arbeitszeit Tausender Angestellter!

Herrn Alt ist zu wünschen, dass er sich weiter von der Idee des Grundeinkommens faszinieren lässt. Dann würde ihm wohl auch klar werden, dass es längst an der Zeit ist, sich bei den direkt oder indirekt von Hartz IV Betroffenen zu entschuldigen.

* Den Begriff prägte Ralf Dahrendorf in: Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht, in: Joachim Matthes (Hg.), Krise der Arbeitsgesellschaft? Verhandlungen des 21. Deutschen Soziologentages in Bamberg 1982, Frankfurt/Main, New York, 1983, S. 26

5 Kommentare

Sascha Wüstemann schrieb am 20.12.2014, 17:51 Uhr

Anderen Menschen Geld geben ohne eine Bedingung daran zu knüpfen, setzt bei dem Geber Menschenliebe und Vertrauen voraus. Wer dazu nicht fähig ist, kann keine Menschenliebe aufbringen oder Vertrauen oder beides.

Die Empfänger einer solchen Gabe hingegen fangen selbstverständlich und natürlich etwas damit an - sie geben es aus. Und die arbeiten, werden weiter arbeiten und die, die nicht arbeiten, werden weiter nicht arbeiten oder vielleicht ein bisschen. Und vielleicht werden alle etwas kreativer :)

Roland Ecke schrieb am 21.12.2014, 09:23 Uhr

\"Wir haben kein System der Bestrafung und Disziplinierung\"

Immerhin. Wir haben den Beweis, dass die Kritik zumindest in den Ohren angekommen ist. Wenn auch nicht im Bereich dazwischen.

Norbert Huber schrieb am 22.12.2014, 18:28 Uhr

\"Im Kern heißt das doch: Wir brauchen euch nicht, aber wir lassen euch auch nicht verhungern.\"

Und wo genau soll da jetzt der Unterschied zu Harz IV sein?

Lydia schrieb am 28.12.2014, 22:49 Uhr

Es würde mich wirklich freuen, wenn diese Idee umgesetzt würde. Sicherlich gibt es Menschen, denen das Grundeinkommen reicht. Doch andere werden immer dazuverdienen wollen. Es wäre es einfach großartig, den Verwaltungsapparat zu minimieren. Jedem Menschen ein gleichwertiges Grundgehalt zuzubilligen ist sicher einfacher als den Bedarf einer Harz 4 Familie zu klären!

Bj schrieb am 31.12.2014, 08:59 Uhr

Infos richtig, Schlussfolgerung falsch. Herr Alt (SPD) sollte mal fünf Jahre lang auf Peter-Hartz-Vier halbe plus 2-ZKDB-Warmmiete im Wedding gesetzt werden.

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