„Wir brauchen die Real-Vision, die mit zeitnahen Verbesserungen verbunden ist.“
Interview mit Wolfgang Strengmann-Kuhn (MdB, Bündnis 90/Grüne)
In einem Interview für das Netzwerk Grundeinkommen nimmt der Ökonom und Bundestagsabgeordnete Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis90/Grüne zum Thema Konjunkturprogramme Stellung und plädiert für ein Grundeinkommen als „Real-Vision, die mit zeitnahen Verbesserungen verbunden ist.“ Die Fragen stellte Günter Sölken.
Newsletter: Herr Strengmann-Kuhn, die Bundesregierung hat jetzt ein 50 Milliarden-Euro-Paket zur Ankurbelung der Konjunktur vorgelegt, ein Programm, das von Ihrer Partei mit den Bewertungen „Voodoo-Ökonomie“ und „Chaos-Festspiele“ belegt wird. Sind die Grünen gegen Konjunkturprogramme?
Strengmann-Kuhn: Die Grünen sind grundsätzlich durchaus skeptisch, was eine expansive Wirtschaftspolitik angeht – also eine, die blind auf Wachstum setzt. Wir sind deswegen nicht in jedem normalen Konjunkturabschwung gleich für schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme. Wir befinden uns allerdings in einer besonderen Situation, vor einer massiven ökonomischen Krise, in der ein deutliches und möglicherweise länger anhaltendes Schrumpfen der Wirtschaft droht. Hier fordern wir ein Investitionsprogramm für Bildung, Umwelt und soziale Gerechtigkeit in der Größenordnung von 50 Mrd. €, also von der Summe her ähnlich wie die Bundesregierung. Wenn wir eine solche Summe in die Hand nehmen, ist uns allerdings wichtig, dass die zielgerichtet für die Lösung der anstehenden Zukunftsprobleme verwendet wird. Ich spreche deshalb von einem Grünen Konjunkturprogramm im Rahmen eines Grünen New Deals, bei dem die weltweiten Probleme Finanz- und Wirtschaftskrise, Klimawandel sowie Nahrungsmittelkrise, Hunger und Armut in der Welt zusammengedacht werden. Das ist unser Kompass. Von solch einem Kompass ist bei der großen Koalition nichts zu merken.
Newsletter: Nun haben Sie in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau vorgeschlagen, jedem Bürger eine monatliche Steuergutschrift von 500 € zu geben. Ist das Ihre Empfehlung für ein Konjunkturprogramm?
Strengmann-Kuhn: Ein Konjunkturprogramm muss im Wesentlichen aus öffentlichen Investitionen bestehen, auch damit die Schulden irgendwann zurückgezahlt werden können. Es dauert aber eine gewisse Zeit, bis solche Investitionen wirken. Wir brauchen aber auch schnell greifende Maßnahmen. Eine solche Maßnahme wäre eine Steuergutschrift von 500 € pro BürgerIn. Insofern wäre das ein Teil eines Konjunkturprogramms. Ein Konjunkturprogramm muss aber mehr umfassen.
Newsletter: Sie kritisieren in Ihrem Beitrag für die Frankfurter Rundschau, dass das vorgesehene Konjunkturprogramm der Regierung relativ wohlhabende Bürger begünstigt, die statt zu konsumieren bereits jetzt viel auf die „hohe Kante“ legen. Wie kann dem durch eine monatliche Steuergutschrift von 500 € begegnet werden?
Strengmann-Kuhn: Von der Steuerentlastung der Bundesregierung profitieren vor allem Besserverdienende, die einen großen Teil des Geldes sparen. Wer den Konsum fördern will, muss aber die Personen unterstützen, die eine geringe Sparquote haben oder überhaupt nicht sparen. Genau das ist bei so einer Steuergutschrift der Fall. Der Betrag ersetzt die bisherigen Freibeträge im Steuerrecht und wird nicht vom Einkommen, sondern von der Steuerlast abgezogen. Wer ein hohes Einkommen hat, kann nur noch diese 500 € abziehen. Wer ein geringes Einkommen hat, bekommt eine Zahlung vom Finanzamt – eine „negative Einkommensteuer“. Und wer gar kein Einkommen hat, erhält die vollen 500 €. Wer bis ca. 1500 € monatlich brutto hat, würde also einen Zuschuss vom Finanzamt erhalten, hätte also mehr netto als brutto. Das sind genau die, die das Geld auch ausgeben und nicht sparen würden.
Newsletter: Nicht nur weil Sie einer der Mitbegründer des Netzwerks Grundeinkommen sind, kann hier der Eindruck entstehen, dass der Ökonom Strengmann-Kuhn hier vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise letztlich ein bedingungsloses Grundeinkommen einfordert.
Strengmann-Kuhn: Ja natürlich. Das Grundeinkommen hat aber auch noch andere Ziele. Auch und gerade in der jetzigen Situation hat es positive konjunkturelle Wirkungen
Newsletter: Dann sind wir also schließlich doch beim Thema Grundeinkommen angelangt. Und müssen feststellen, dass Sie als einer der Mitbegründer des Netzwerks ein Grundeinkommen in einer Höhe fordern, die deutlich unter allen Armutsgrenzen liegt und somit ähnlich wie das Althaus-Modell als nicht existenzsichernd gelten muss.
Strengmann-Kuhn: Die 500 € sind ein so genanntes Teilgrundeinkommen oder „partielles Grundeinkommen“, bei dem die Grundsicherungsleistungen nur zum Teil ersetzt werden. Die Gesamtleistung muss über der Armutsgrenze liegen und das tut sie auch, weil die 500 € nur den Regelsatz von Hartz IV von 351 € ersetzen. Arbeitslose haben also bei dem Vorschlag 150 € mehr als heute. Es ist allerdings nur ein Einstieg in ein existenzsicherndes Grundeinkommen. Dies ist aber nicht von heute auf morgen zu erreichen.
Newsletter: Das klingt u.a. stark nach einer Kritik am Kurs des Netzwerks.
Strengmann-Kuhn: Nein, der Anspruch und die Forderung nach einem existenzsichernden Grundeinkommen ist schon richtig. Ein Grundeinkommen in Höhe von 800 bis 1000 € ist allerdings zwar auf Basis der volkswirtschaftlichen Daten erreichbar. Das würde aber etliche, weitere und sehr umfassende Reformschritte notwendig machen. Außerdem stößt ein Grundeinkommen von 1000 € auf eine große Skepsis auch bei Leuten, die durchaus wohlwollend sind. Dadurch wird die reale Umsetzung erschwert. Ich will aber einen schnellen und realistischen Einstieg in ein Grundeinkommen. Das wäre bei einem Grundeinkommen von 500 € der Fall, das auch manche Zweifler, die sagen, ein Grundeinkommen könne nicht funktionieren, vom Gegenteil überzeugen könnte. Es wäre ein Beitrag „das Grundeinkommen zu denken“, wie Götz Werner immer so schön sagt. Letztlich müssen auf dem Weg zu einer Grundeinkommensgesellschaft breite Gesellschaftsschichten mitgenommen werden. Deswegen finde ich auch die Forderung von Althaus positiv, auch wenn die Leistung insgesamt zu gering ist. Sein Modell mit dem Etikett „neoliberal“ versehen, ist aber erstens falsch und zweitens in diesem Sinne völlig kontraproduktiv. Im Übrigen: Selbst mit dem Bürgergeld von Althaus ginge es vielen Menschen besser als heute, und die Armutsquote würde drastisch sinken. Für die Hartz-IV-EmpfängerInnen, deren Konten und Lebensführung amtlich durchleuchtet und die zu unsinnigen Bewerbungsorgien gezwungen werden, ist die Sankt-Nimmerleins-Vision weder eine Hilfe noch ein Hoffnungsschimmer. Wir brauchen die Real-Vision, die mit zeitnahen Verbesserungen verbunden ist. Insofern vielleicht doch ein wenig Kritik am Netzwerk. Wir als Netzwerk sollten Vorschläge wie die von Althaus zwar kritisieren, aber nicht verteufeln.
Newsletter: Herr Strengmann-Kuhn, lieber Wolfgang, wir danken für dieses Gespräch.
Ein Kommentar
Zitat: \"Ein Grundeinkommen in Höhe von 800 bis 1000 € ist allerdings zwar auf Basis der volkswirtschaftlichen Daten erreichbar. Das würde aber etliche, weitere und sehr umfassende Reformschritte notwendig machen.\"
Ich würde gerne die weiteren notwendigen Reformen kennen. Schade, dass dies nicht im Interview nachgefragt wurde.