Menschenrecht auch für Asylbewerber – Argumente für das Grundeinkommen
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 die Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz als verfassungswidrig bezeichnet, weil die Leistungen zu niedrig sind. Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz liegen um mehr als 35 Prozent unter denjenigen nach dem allgemeinen Fürsorgerecht (Hartz IV = Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch u. a . Grundsicherungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, wie die Hilfe zum Lebensunterhalt und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung).
Das Urteil ist eine Ohrfeige für alle bisherigen Regierungsparteien (CDU/CSU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) seit Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes im Jahr 1993, die dies beschlossen bzw. nicht verfassungskonform weiter entwickelt haben.
Hier seien nur einige, auch für die Grundeinkommensdebatte relevante Aussagen im Urteil dokumentiert und kommentiert:
So heißt es im Urteil unter Randziffer 88 f.: „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. […] Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.“ Und diese Feststellung vertiefend heißt es unter Randziffer 120: „Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigte es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss. […] Art. 1 Abs. 1 GG garantiert ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch im Sozialstaat des Art. 20 Abs. 1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist, als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht. Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten […]. Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss daher ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden.“
Ohne die juristischen Details bedeutet das:
Erstens: Egal, ob der betreffende Mensch Staatsbürger des Landes ist oder nicht, ob er sich auf Dauer aufhält oder nicht, er hat in jedem Fall ein Grundrecht auf ein – wie auch immer – bestimmtes Existenzminimum, dass auch die gesellschaftliche Teilhabe an und in der jeweiligen Gesellschaft umfasst und für alle gilt, die sich im dem jeweiligen Land aufhalten. Grundeinkommenskonzepte, die dieses Menschenrecht missachten, sind also abzulehnen. Menschenrechte sind Globale Soziale Rechte – jeder Mensch hat an jedem Ort seines Aufenthalts das Recht, menschenwürdig zu leben. (Siehe dazu auch Hagen Kopp von ‘kein mensch ist illegal’.)
Zweitens: Wenn die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die unter dem Niveau des regierungsoffiziell festgelegten Existenzminimums liegen, als unzureichend für ein menschenwürdiges Leben erklärt werden, und das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil als Übergangsregelung eine Orientierung der Leistungen an den o. g. Fürsorgeleistungen festlegt, ist auch klar: Sanktionen oder Leistungseinschränkungen, die das – wie auch immer bestimmte – Existenzminimum unterschreiten, sind verfassungswidrig, auch „geringe“ Kürzungen der Leistungen, z. B. um 10 oder 30 Prozent. (Siehe dazu auch die Debatte über Sanktionen bei Hartz IV). Das Existenzminimum muss in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein. Sanktionen und Leistungskürzungen bei Grundsicherungen gehören sofort abgeschafft – ein Schritt in Richtung Grundeinkommen.
Eine weitere Aussage im Urteil (Randziffer 126) ist noch wichtig – auch eingedenk der beim Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorliegenden Klagen gegen die regierungsoffiziell festgelegte Höhe des Existenzminimums für o. g. Grundsicherungsleistungen gemäß dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz: „Ebenso wenig kann eine Aussage darüber erfolgen, ob auf dieser Grundlage ermittelte Leistungen an Berechtigte in anderen Fürsorgesystemen einer verfassungsrechtlichen Kontrolle Stand halten können. Da jedoch derzeit keine anderen tauglichen Daten zur Verfügung stehen, bleibt dem Senat nur die Annahme, dass jedenfalls die wesentlichen Grundbedarfe durch Leistungen in einer am Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz orientierten Höhe vorübergehend gedeckt werden können.“ Grundsätzliche Kritiken an den derzeitigen Grundsicherungshöhen und Neuberechnungen sind in der Studie der BAG Hartz IV DIE LINKE ausführlich dokumentiert.
3 Kommentare
Trotzdem muss ich feststellen, dass es volkswirtschaftliche Probleme bereiten kann, allen sich hier auch nur kurzzeitig aufhaltenden Menschen ein Existenzminimum zu garantieren. Es müssen schon Schranken und Grenzen für ausländische Mitbürger gezogen werden, vor allem auch das BGE betreffend, ansonsten kollabiert das System. Es muss eher sukzessive darauf hingearbeitet werden, in den entsprechenden Ländern das BGE einzuführen bzw. die Mindestabsicherung dort einzuführen.
Ich bin dafür, dass auch Migranten das BGE gezahlt wird.
Warum es uns als G7-Staat, also einem der reichsten 7 Länder der Erde, »volkswirtschaftliche Probleme« bereiten sollte, allen sich hier aufhaltenden Menschen ein Existenzminimum zu garantieren – nichts anderes verlangt laut dem Urteil des BVerfG jedoch unser Grundgesetz – erschließt sich mir nicht so ganz. Für Flüchtlinge, die Asyl beantragen, gibt es durchaus harte Aufnahmeregelungen, die auch auf EU-Ebene nicht unumstritten sind. Für die Dauer ihres Aufenthaltes würden sie auch nicht automatisch ein BGE erhalten (ein deutsches Konto dürfte wohl nicht vorhanden sein). Ihr soziokulturelles Existenzminimum würde zunächst als beantragte und geprüfte Leistung ausgezahlt – es sei denn, sie streben einen dauerhaften Aufenthalt in unserem Land an. Dann würden sie wie alle anderen Einwandere auch das BGE beantragen müssen, indem sie einen Wohnsitz nachweisen. Eine alleinige Kopplung des BGE an die Staatsbürgerschaft ist daher abzulehnen.