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Zwischenschritte zum Grundeinkommen – Zwischenschritte zur Bedingungslosigkeit


1. Der Weg zum Grundeinkommen

Diskussionen um das bedingungslose Grundeinkommen kreisen zunehmend auch um den Weg der Einführung – aus gutem Grund, denn die Transformation des bestehenden Steuer- und Sozialsystems in ein System mit Grundeinkommen ist schwierig und aufwändig.

Zwei Gründe sprechen dafür, das Grundeinkommen nicht in einem großen Schritt einzuführen, sondern in einer Reihe kleinerer Zwischenschritte. Der erste Grund besteht darin, dass die Einführung in einem einzigen großen Schritt nicht realistisch ist. Die sozialen Sicherungssysteme sind in ihrer Organisation recht träge. Es existieren nicht nur viele große Behörden zur Verwaltung der sozialen Sicherung, deren Umstellung mit hohen Kosten verbunden ist. Die heutigen Sozialleistungen beruhen auch zu einem großen Teil auf Ansprüchen, die durch lange Beitragszeiten erworben wurden und zu Recht einem starken gesetzlichen Schutz unterliegen. Das soziale Sicherungssystem muss verlässlich sein und ist deshalb nur schrittweise reformierbar.

Der zweite Grund ist, dass die Einführung in kleineren Zwischenschritten klug ist, denn mit dem Grundeinkommen betreten wir Neuland, und dies ist mit Unsicherheiten verbunden. Die ökonomischen Folgen werden wir nie sicher vorhersagen können. Schritte in Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens sollten deshalb ein offener Lernprozess sein, in dessen Verlauf Erfahrungen gemacht und bei Bedarf auch Korrekturen vorgenommen werden.

Im Abschnitt 2 nenne ich Kriterien, die die Zwischenschritte zum bedingungslosen Grundeinkommen erfüllen sollten. In den Abschnitten 3 und 4 werden verschiedene Einführungswege diskutiert und im letzten Abschnitt erste Einführungsschritte für Deutschland vorgeschlagen.

2. Kriterien für Einführungsschritte

Schon die ersten Einführungsschritte sind an den Zielen zu orientieren, die mit einem bedingungslosen Grundeinkommen verbunden sind. Zwei Ziele sollen im Mittelpunkt stehen:

Dabei gehe ich davon aus, dass das erste hier genannte Ziel Priorität hat. Entsprechend müssen die ersten Schritte zur Einführung des Grundeinkommens vor allem eine spürbare Verbesserung für die finanziell ärmsten Gesellschaftsmitglieder bringen. Bereits die ersten Schritte in Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens können soziale Probleme unserer Gesellschaft abmildern oder beheben. [2] [2]

Die ersten Schritte sind daher so zu gestalten, dass denjenigen Gesellschaftsmitgliedern, denen heute das soziokulturelle Existenzminimum verwehrt ist, dieses sofort in voller Höhe garantiert wird. Dies erfüllt direkt das erste Ziel. Indirekt dient es aber auch dem zweiten Ziel – der stärkeren Entkopplung von Einkommen und Leistung in der ganzen Gesellschaft. Schritte einer solchen Entkopplung, die sich darüber hinaus auch direkt auf Personen mit ausreichenden eigenen Erwerbs- und Kapitaleinkünften beziehen, also auch für gut versorgte Gesellschaftsmitglieder einen Grundeinkommensanspruch aufbauen, treten zunächst noch dahinter zurück.

3. Partielles oder zielgruppenspezifisches Grundeinkommen?

Man könnte ein Grundeinkommen schrittweise einführen, indem man zunächst ein relativ niedriges Grundeinkommen für alle schafft und dieses dann schrittweise erhöht, bis ein Existenz und Teilhabe sichernden Grundeinkommens erreicht ist. Ein solches partielles Grundeinkommen schlagen beispielsweise Poreski/Emmler oder Althaus/Binkert vor. [3] [3] Dieses müsste für bedürftige Menschen noch durch Grundsicherungsleistungen alten Stils aufgestockt werden. Mit einem niedrigen partiellen Grundeinkommen für alle zu beginnen, lässt sich auch als „Häppchenmethode“ (Götz Werner) [4] [4] oder als horizontales Verfahren bezeichnen.

Die Alternative wäre, nicht mit einem partiellen Grundeinkommen für alle, sondern einem vollwertigen Grundeinkommen für bestimmte Zielgruppen zu beginnen. Man könnte beispielsweise zuerst ein Grundeinkommen für alte Menschen, Langzeiterwerbslose oder Kinder einführen und dieses durch die schrittweise Ausweitung des Kreises der Leistungsbezieher nach und nach zu einem allgemeinen Grundeinkommen ausbauen. Dies kann man auch als „Wellenmethode“ (Götz Werner) [5] [5] oder als vertikales Verfahren bezeichnen.

Das partielle Grundeinkommen würde für die gesamte Breite der Bevölkerung einen leistungsunabhängigen Einkommensbestandteil schaffen. Damit würde die Entkopplung von Leistung und Einkommen vorangetrieben. Zugleich entstünde dadurch Anpassungsbedarf in allen Bereichen des Steuerrechts, der Sozialleistungen, der Renten usw., um das partielle Grundeinkommen stimmig in das bestehende System zu integrieren. Das Hauptproblem bei einem partiellen Grundeinkommen liegt darin, dass die finanziell am schlechtesten gestellten Gesellschaftsmitglieder weiterhin auf ergänzende Grundsicherungsleistungen im bisherigen Stil angewiesen wären. Damit würde sich – je nach Ausgestaltung des Modells – gegebenenfalls gerade für die Ärmsten relativ wenig ändern. Ein partielles Grundeinkommen für alle wäre somit eher ineffektiv, weil es mit einem sehr großen Aufwand an Systemumstellung für die am schlechtesten gestellten Gesellschaftsmitglieder relativ wenig erreicht.

Ein zielgruppenspezifisches Grundeinkommen hätte das Potenzial, zuerst den am meisten benachteiligten Personengruppen zu helfen. Der Aufwand der Systemumstellung wäre jedoch ebenfalls groß. Beispielsweise müsste ein volles Grundeinkommen für Langzeiterwerbslose ebenso mit Arbeitslosengeld und dem Einkommensteuertarif bei niedrigen Erwerbseinkommen konsistent gemacht werden wie ein Grundeinkommen für alle im erwerbsfähigen Alter. Allerdings wäre der Aufwand vermutlich geringer als beim partiellen Grundeinkommen, weil bei Personengruppen, die noch nicht zur Zielgruppe gehören und deshalb zunächst noch kein Grundeinkommen erhalten, auch noch keine Systemanpassungen notwendig wären.

Wahrscheinlich müssen Zwischenschritte nicht einem der beiden Verfahren in Reinform folgen, um sinnvoll zu einem vollwertigen allgemeinen Grundeinkommen zu führen. Eine universalistische (also jedes Kind umfassende) Kindergrundsicherung würde beispielsweise helfen, Kinderarmut zu reduzieren, und wäre vermutlich zunächst nur als partielles Kinder-Grundeinkommen realisierbar. Der Einbau grundeinkommenstypischer Elemente (wie Sanktionsfreiheit oder geringe bürokratische Hürden) in das bestehende soziale Sicherungssystem könnte schrittweise zum Grundeinkommen führen und die Lage der finanziell am schlechtesten Gestellten verbessern, ohne strikt dem horizontalen oder dem vertikalen Verfahren zu folgen.

4. Sozialversicherung oder Grundsicherung?

Soll das bedingungslose Grundeinkommen aus dem bestehenden System der sozialen Sicherung heraus entwickelt werden, dann stellt sich die Frage, welche heutigen Sicherungsleistungen sich am ehesten zu einem Grundeinkommen weiterentwickeln lassen. Das derzeitige soziale Sicherungssystem besteht im Kern aus der Sozialversicherung (mit ihren Zweigen Renten-, Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung) und der nur subsidiär einspringenden Grundsicherung (bestehend aus der Grundsicherung für Erwerbsfähige – „Hartz IV“ – einschließlich dem Sozialgeld für deren Angehörige, der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und der Hilfe zum Lebensunterhalt, außerdem den niedrigeren Leistungen für Asylbewerber).

Die Sozialversicherung garantiert in ihren Zweigen Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung Lohnersatzleistungen. [6] [6] Die Finanzierung erfolgt durch lohnbezogene Beiträge, die Beitragszahlung begründet den Anspruch auf Leistungen, die Leistungen (Rente, Arbeitslosengeld) richten sich in ihrer Höhe nach den früher erzielten Löhnen (Prinzip der Beitragsäquivalenz). Das Prinzip der Sozialversicherung ist sehr gut geeignet, den im Erwerbsleben erreichten Lebensstandard wenigstens teilweise auch bei Erwerbslosigkeit und im Alter aufrecht zu erhalten. Diese Lebensstandardsicherung ist das zentrale Ziel der Sozialversicherung. Sie setzt den Anspruch auf Leistungsbezogenheit des Einkommens auch in den Zeiten der Erwerbslosigkeit und im Ruhestand fort. Diese starke Orientierung am Gedanken der Leistungsgerechtigkeit (wenngleich auch nur bezogen auf die am Markt verkaufte Leistung und nur entsprechend ihrer Bewertung durch den Markt) dürfte ursächlich sein für die sehr große Unterstützung, die die Sozialversicherung in der Bevölkerung genießt.

Die heutige Grundsicherung wird aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Entsprechend sind Anspruch und Höhe der Leistungen nicht von vorangegangenen Einzahlungen abhängig. Die Grundsicherung soll das soziokulturelle Existenzminimum garantieren und nur dann gewährt werden, wenn andere Einkommensquellen (Arbeits- und Kapitaleinkünfte, eigenes Vermögen, Zahlungen der Arbeitslosen- und Rentenversicherung, Unterhaltszahlungen durch Lebenspartner/innen u. a.) nicht zur Verfügung stehen. Da die Grundsicherung sich nicht aus der Leistungsgerechtigkeit heraus begründen lässt, wird sie heute mit strengen Bedürftigkeitsprüfungen und bei den Erwerbsfähigen mit der Forderung nach Arbeitsbereitschaft verbunden.

Das bedingungslose Grundeinkommen aus der Grundsicherung heraus zu entwickeln erscheint nahe liegend, ist doch die Grundsicherung ein System, dessen Leistungen (wie beim Grundeinkommen) nicht als Gegenleistung gegen zuvor eingezahlte Beiträge zu verstehen sind. Von den beiden oben genannten Zielen des Grundeinkommens ist das erste (die Garantie des soziokulturellen Existenzminimums) dem Anspruch nach auch schon die Aufgabe der jetzigen Grundsicherung. Das zweite Ziel des Grundeinkommens (zunehmende Entkopplung von Einkommen und Leistung) geht über die Ziele der heutigen Grundsicherung wie der Sozialversicherung weit hinaus. Das zentrale Ziel der Sozialversicherung (Sicherung des jeweiligen individuellen Lebensstandards) ist hingegen in der Grundeinkommensforderung nicht enthalten (steht zu ihr aber auch nicht im Widerspruch). Eine Grundsicherung, die um ihre Arbeitspflichten und Bedürftigkeitsprüfungen bereinigt würde, wäre schon fast ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Allerdings gilt die Grundsicherung derzeit als stigmatisierend. Menschen vor der Abhängigkeit von der Grundsicherung zu bewahren, gilt als wichtiges Ziel der Sozialpolitik. Für die Einführung des Grundeinkommens wäre die Sozialversicherung, die im Gegensatz zur Grundsicherung einen guten Ruf hat, ein alternativer Ansatzpunkt.

Einführungsschritte in der Sozialversicherung

Will man das Grundeinkommen aus der Sozialversicherung heraus entwickeln, dann kommt dafür eine Verallgemeinerung der Mitgliedschaft in der Renten- und Arbeitslosenversicherung in Frage. So könnte man die bestehende Sozialversicherung, die im Kern eine Versicherung der Arbeitnehmer ist, durch Einbeziehung der Selbstständigen und Beamten zu einer Erwerbstätigenversicherung und durch Einbeziehung aller übrigen Gesellschaftsmitglieder zu einer Bürgerversicherung erweitern. [7] [7] Um die durch das Grundeinkommen gewollte Garantie des soziokulturellen Existenzminimums für alle zu erreichen, müsste dafür gesorgt werden, dass die Beiträge auf jeden Fall zu ausreichend hohen Ansprüchen führen. So müsste für erwerbslose Personen der Staat aus Steuergeldern ausreichend hohe Rentenversicherungsbeiträge zahlen. Außerdem könnte man innerhalb der Renten- und Arbeitslosenversicherung für langjährig Versicherte ein Mindestleistungsniveau einführen, das dann aber als versicherungsfremde Leistung steuerfinanziert sein müsste. Allerdings wird neben der beitragsbezogenen Sozialversicherung eine ergänzende Grundsicherung erforderlich bleiben, da es immer Personen gibt, die zeitweise keine Beiträge zahlen, beispielsweise, weil sie einen großen Teil ihres Lebens im Ausland verbracht haben oder weil sie sich der staatlichen Erfassung entziehen.

Opielkas Vorschlag einer Grundeinkommensversicherung zielt darauf ab, das Grundeinkommen durch eine Weiterentwicklung der Sozialversicherung aufzubauen. [8] [8] Hier zahlen alle volljährigen Steuerpflichtigen auf ihr gesamtes Einkommen Beiträge, Personen ohne eigenes Markteinkommen zahlen einen Mindestbeitrag. Im Alter (ab 67 Jahren) erhalten sie dafür eine nicht bedürftigkeitsgeprüfte Rente. Diese besteht aus einer Grundrente für Personen, die trotz langer Beitragszeit nur geringe Ansprüche erworben haben, und einer Maximalrente in doppelter Höhe der Grundrente für Personen mit hohen Beiträgen. Dabei liegt die Grundrente 20 Prozent über dem Niveau der Grundsicherung. In dem Korridor zwischen Grundrente und Maximalrente richtet sich die Rente ähnlich wie heute nach den eingezahlten Beiträgen. Durch die Einführung der Grund- und der gedeckelten Maximalrente sowie die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze wird innerhalb der Rentenversicherung eine starke Einkommensumverteilung von Reich nach Arm eingeführt. Auch die Arbeitslosenversicherung soll auf mehr Personenkreise (Beamte, Selbstständige) ausgeweitet werden. Auch hier wird ein Mindest-Arbeitslosengeld („Grundeinkommen als Arbeitslosengeld“) eingeführt, auf welches ein Anspruch nach drei Jahren Beitragszahlung besteht, ferner ein Maximal-Arbeitslosengeld in doppelter Höhe. Da alle Einwohner versichert sind, alle Einkommensarten der Beitragspflicht unterliegen und da das Beitragsäquivalenzprinzip aufgrund der Mindest- und Maximalleistungen eingeschränkt wird, macht dieses Modell die Sozialversicherung einem steuerfinanzierten System ähnlicher und ist ein Schritt der Entkopplung von Einkommen und Leistung.

Die volle Grundrente bzw. das Mindest-Arbeitslosengeld werden in Opielkas Modell nur nach Vorliegen von Mindest-Beitragszeiten (drei Jahre in der Arbeitslosenversicherung, die durchschnittliche Versicherungsdauer in der Rentenversicherung) gewährt. Da das Modell als Bürgerversicherung konzipiert ist, also die gesamte Bevölkerung versichert sein soll, dürften fast alle Menschen lange Beitragszeiten erreichen. Personen, die gleichwohl die Mindest-Beitragszeiten nicht erreichen (was zu einem relevanten Anteil auf Zuwanderer aus dem Ausland zutreffen dürfte) und kein ausreichendes Einkommen haben, erhalten weiterhin eine Form der herkömmlichen Grundsicherung, ferner ebenso Arbeitslose, die angemessene Jobangebote ausschlagen. Diese Grundsicherung soll demnach weiterhin bedürftigkeitsgeprüft sein und zumindest in der Einführungsphase des Modells zur Hälfte nur als Darlehen ausgezahlt werden.

Das Grundeinkommen aus der Sozialversicherung und nicht aus der Grundsicherung heraus zu entwickeln hat den Vorteil, dass die Sozialversicherung anders als die Grundsicherung große gesellschaftliche Akzeptanz genießt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Sozialversicherung im Gegensatz zur Grundsicherung Leistungen nur bei vorangegangenen Beitragszahlungen bewilligt und dadurch als ähnlich leistungsgerecht gilt wie der zu Grunde liegende Arbeitslohn. Die Grundsicherung dagegen wird ohne Vorleistungen der Leistungsbezieher/innen bewilligt. Diese grundsätzliche „Unverdientheit“ der Grundsicherung wird in großen Teilen der Gesellschaft als problematisch empfunden, weil sie dem Ideal der Leistungsgerechtigkeit widerspricht. Die Unabhängigkeit der Grundsicherung von Vor- oder Gegenleistungen führt dazu, dass sie als „leistungsloses Einkommen“ stigmatisierend wirkt. Als ein solches wird die Grundsicherung letztlich nur als Notlösung akzeptiert. Um aus ihr ein „verdientes“ leistungsgerechtes Einkommen zu machen, werden im Rahmen der „Workfare“-Politik von den Grundsicherungsbezieher/innen zunehmend Gegenleistungen verlangt. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen steht im Widerspruch zu dieser Idee strikter Leistungsgerechtigkeit. Indem sie die bedingungslose Anerkennung menschlicher Bedürfnisse fordert, richtet sie sich gegen die stigmatisierende Wirkung gegenleistungsfreier Transfereinkommen. Es mag sein, dass die Sozialversicherung heute in unserer Gesellschaft einen besseren Ruf hat als die Grundsicherung. Aber dies ist auf die Dominanz einer Idee von Leistungsgerechtigkeit zurückzuführen, die durch die Grundeinkommensforderung gerade in Frage gestellt wird. Deshalb ist möglicherweise die derzeit größere gesellschaftliche Akzeptanz der Sozialversicherung kein sehr starkes Argument dafür, das Grundeinkommen aus der Sozialversicherung heraus einzuführen.

Mindestsicherungselemente innerhalb der Sozialversicherung geraten zwangsläufig mit den Prinzipien der Sozialversicherung in Konflikt. So sind Mindestsicherungselemente innerhalb der Sozialversicherung (die insbesondere für die Rentenversicherung diskutiert werden, z. B. Opielkas Grundrente) üblicherweise abhängig von definierten Mindest-Beitragszeiten. Zugleich sind sie jedoch nicht durch Beitragszahlungen hinreichend fundiert, stehen also im Widerspruch zur Beitragsäquivalenz. Wer die Mindest-Beitragszeiten erfüllt, erhält Zugang zu einer verbesserten Grundsicherung innerhalb der Renten- bzw. Arbeitslosenversicherung, die sich gleichwohl nicht aus eingezahlten Beiträgen ableitet und teilweise steuerfinanziert sein müsste. Diese soll sich einerseits durch die geforderten Mindest-Beitragszeiten rechtfertigen und dadurch irgendwie doch leistungsbezogen bleiben. Sie soll andererseits aber den Einstieg in das bedingungslose Grundeinkommen herstellen und damit die Entkopplung von Leistung und Einkommen voranbringen.

An Beitragszeiten gebundene Mindestsicherungsleistungen innerhalb der Sozialversicherung führen dazu, dass es zu einer Zwei-Klassen-Grundsicherung kommt. Die Erfüllung der Mindest-Beitragszeit verschafft den Zugang zur besseren Grundsicherung innerhalb der Sozialversicherung. Diese folgt nicht dem Beitragsäquivalenzprinzip, entkoppelt insoweit das Einkommen von der Leistung, begründet sich aber durch die lange Beitragszeit. Wer die Mindest-Beitragszeiten nicht erfüllt, bleibt (beim Fehlen von ausreichenden anderen Einkommen) auf die Grundsicherung im heutigen Stil angewiesen, an deren stigmatisierender Wirkung sich nichts ändert. Dadurch verfehlt ein solches Modell eines der oben genannten Kriterien für Zwischenschritte zum bedingungslosen Grundeinkommen: Es verbessert gerade für einen Teil der Ärmsten die Lage nicht, die auf die alte Grundsicherung angewiesen bleiben.

Man könnte versuchen, dieses Problem zu lösen, indem (im Sinne der Idee der Bürgerversicherung) dafür gesorgt wird, dass eben alle Gesellschaftsmitglieder ununterbrochen Beitragszeiten erwerben, indem etwa der Staat aus Steuermitteln Beiträge für Arbeitslose entrichtet oder Beitragszeiten von Erwerbstätigen auch ihren nicht-erwerbstätigen Partnern angerechnet werden. Dieses Vorgehen folgt dem Prinzip der Beitragsäquivalenz nur noch scheinbar, da die mit der Beitragsäquivalenz intendierte Leistungsbezogenheit hier nicht mehr angewendet wird und fiktive Beitragszahlungen eingerichtet werden, um die Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums unter dem Dach der Sozialversicherung zu erreichen. Hinzu kommt, dass trotz allem nicht garantiert ist, dass jede und jeder ausreichende Beitragszeiten sammelt. Die Garantie des soziokulturellen Existenzminimums ist deshalb strukturell nicht als Leistung einer Sozialversicherung zu erfüllen.

Ein Modell der Mindestsicherung innerhalb der Sozialversicherung verbessert die Lage der Personen, die trotz langer Beitragszeiten keine auskömmliche Rente erzielen. Hier liegt das Potenzial, mit Modellen dieser Art soziale Verbesserungen zu erreichen. Die große Akzeptanz der Sozialversicherung könnte dazu führen, dass Verbesserungen der sozialen Sicherung innerhalb der Renten- und Arbeitslosenversicherung realisierbar sind, die vielleicht anderenfalls gar nicht zu Stande kämen. So sind in der Debatte zur Altersarmut Vorschläge zur Einführung von Mindestrenten für langjährig Versicherte innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung oder zur verbesserten Anrechnung von erwerbslosen Zeiten für die Rente weit verbreitet. [9] [9] Solche Vorschläge können zwar Altersarmut nicht so umfassend beseitigen wie ein Grundeinkommen, weil sie an lange Beitragszeiten gebunden bleiben. Aber sie tragen dazu bei, soziale Verbesserungen zu erzielen, die vielleicht außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erreichbar wären.

Denkbar wäre auch, die (von Beitragszeiten unabhängige) Grundsicherung im Alter organisatorisch in die Rentenversicherung einzugliedern, um auf diese Weise ihre Akzeptanz zu erhöhen, und sie dort in Richtung eines Grundeinkommens für alte Menschen weiterzuentwickeln. Dies könnte die Chancen erhöhen, sich über die Sozialversicherung dem Grundeinkommen zu nähern, ohne eine Zwei-Klassen-Grundsicherung in Kauf nehmen zu müssen. Die organisatorische Hülse der Rentenversicherung würde so genutzt, um eine Leistung, die in keiner Weise dem Versicherungsprinzip folgt, einzuführen.

Der Weg zum Grundeinkommen führt über die Kritik am Leistungsprinzip

Hier kommt ein politisches Umsetzungsproblem der Grundeinkommensforderung zum Ausdruck: Der Idee, die derzeit keine Mehrheit hat, können wir uns vielleicht besser nähern, wenn wir sie in mehrheitsfähigen Systemen verpacken. Doch bleibt der Zweifel, ob es wirklich gelingen kann, in der Leistungsgesellschaft das leistungsunabhängige Einkommen unbemerkt einzuführen.

Schritte in Richtung Grundeinkommen innerhalb der Sozialversicherung haben einerseits das Potenzial, die Sozialversicherung besser zu machen. Sie könnten aber auch auf die Grundeinkommensidee zurückwirken. Der Versuch, Schritte zum Grundeinkommen in ein leistungsbezogenes System (wie die Rentenversicherung) einzubauen, könnte politische Kompromisse verlangen, die von der Idee der Trennung von Einkommen und Leistung wegführen.

Die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen wird immer auch eine Debatte über das Ideal der Leistungsgerechtigkeit sein. Der Weg zu einem wirklich bedingungslosen Grundeinkommen führt über die Kritik an dem Ideal von Leistungsgerechtigkeit, das die heutige Wirtschaftsordnung vorgibt zu realisieren und das auch der Sozialversicherung zu Grunde liegt. Die mit dem Grundeinkommen intendierte stärkere Entkopplung von Leistung und Einkommen lässt sich nur begrenzt in der Sozialversicherung verstecken. Je mehr Mindestsicherungselemente in den Gegensatz zur Leistungsgerechtigkeit geraten, desto stärker geraten sie in Widerspruch zur Sozialversicherung und werden sich dort immer schwerer kohärent einbauen lassen.

Die politische Durchsetzung eines bedingungslosen Grundeinkommens hängt davon ab, dass es gelingt, die Dominanz der Idee der Leistungsgerechtigkeit im Denken der Menschen zurückzudrängen und den Gedanken wirklich bedingungsloser Anerkennung aller Menschen und ihrer Bedürfnisse zu stärken. In der heutigen Armutsdiskussion wird das Problem vielfach darin gesehen, dass Menschen trotz Erwerbsarbeit oder trotz langer Beitragszeiten arm sind. Demgegenüber ist darauf zu bestehen, dass Armut immer unerträglich ist – auch wenn die betroffenen Menschen keine Erwerbsarbeit oder keine langen Beitragszeiten haben. Diese Überzeugung liegt der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen zu Grunde und kann zur Behebung des Problems nicht auf das strukturell beitrags- und leistungsbezogene System der Sozialversicherung setzen. Die notwendige Infragestellung der Leistungsgerechtigkeit erfordert die öffentliche Thematisierung der Grundeinkommensidee in Reinform.

Vor diesem Hintergrund sind die diskutierten Mindestsicherungselemente innerhalb der Sozialversicherung als Beiträge zur sozialen Verbesserung zwar zu begrüßen und zu unterstützen. Hinsichtlich des Anspruchs, Zwischenschritte zum bedingungslosen Grundeinkommen zu sein, überwiegt aber der Zweifel. Denn der Kern der Grundeinkommensidee liegt darin, den Zusammenhang von Leistung und Einkommen zu einem größeren Anteil in Frage zu stellen. Wer das Grundeinkommen in einer leistungsorientierten Institution verstecken will, riskiert, diesen Kern aufzugeben, und riskiert, dass der Begriff des Grundeinkommens für eine andere Richtung missbraucht wird. Zwischenschritte zum Grundeinkommen, die im ohnehin vom Ansatz her leistungsunabhängigen System der Grundsicherung stattfinden, setzen sich dieser Kritik nicht aus.

5. Zwischenschritte im Bereich der Grundsicherung

Als erste Zwischenschritte sind also vor allem Weiterentwicklungen der heutigen Grundsicherung vorzuschlagen, die den Kreis der Leistungsbeziehenden um die heute nicht erreichten, finanziell am schlechtesten gestellten Gesellschaftsmitglieder erweitern, den Zugang erleichtern und das Leistungsniveau verbessern:

Diese Aufzählung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll zeigen, dass Verbesserungen der Grundsicherung aktuelle soziale Probleme mildern, dabei den Gedanken der Leistungsorientierung in den Hintergrund rücken und dadurch erste umsetzbare Schritte in Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens sein könnten.
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[1] [15] Vgl. Vobruba, Georg (2007): Die Entkopplung von Arbeit und Einkommen, in: Georg Vobruba: Entkopplung von Arbeit und Einkommen. Das Grundeinkommen in der Arbeitsgesellschaft, 2. Auflage, Wiesbaden, S. 31-44. (Originalveröffentlichung 1984).

[2] [16] Vgl. Kumpmann, Ingmar/ Hohenleitner, Ingrid (2010): Das bedingungslose Grundeinkommen als Perspektive des Sozialstaats in Deutschland und Schritte zu seiner Einführung, in: BIEN-Schweiz (Hrsg.): Die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Zürich. S. 133-157.

[3] [17] Vgl. Poreski, Thomas/ Emmler, Manuel (2006): Die Grüne Grundsicherung. [18] Ein Diskussionspapier für den Zukunftskongress von Bündnis 90/ Die Grünen; Althaus, Dieter/ Binkert, Hermann (2010): Solidarisches Bürgergeld – das weiterentwickelte Konzept, in: dieselben (Hrsg.): Solidarisches Bürgergeld. Den Menschen trauen – Freiheit nachhaltig und ganzheitlich sichern, Norderstedt, S. 37-87.

[4] [19] Vgl. Werner, Götz (2008): Zwischenbilanz zum Grundeinkommen [20], S. 10.

[5] [21] Ebd.

[6] [22] Da das Grundeinkommen im Kern eine monetäre Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts wäre, bieten sich innerhalb der Sozialversicherung die Renten- und Arbeitslosenversicherung als Ansatzpunkte an. Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung helfen bei Eintritt bestimmter Notsituationen überwiegend mit Sachleistungen oder zweckgebundenen Zahlungen. Deshalb lässt sich aus ihnen heraus das Grundeinkommen kaum entwickeln. Sie werden deshalb hier nicht weiter beachtet.

[7] [23] Vgl. Strengmann-Kuhn, Wolfgang (2005): Das Modell Bürgerversicherung zur Reform der sozialen Sicherung in Deutschland, in: ders.: Das Prinzip Bürgerversicherung. Die Zukunft im Sozialstaat, Wiesbaden, S. 7-27, dort S. 10 ff.

[8] [24] Vgl. Opielka, Michael (2008): Sozialpolitik, Grundlagen und vergleichende Perspektiven, 2. Auflage, Reinbek bei Hamburg, Kapitel 8.

[9] [25] Vgl. beispielsweise Hauser, Richard (2010): Das 30-30-Modell zur Bekämpfung gegenwärtiger und zukünftiger Altersarmut [26], in: Deutscher Bundestag: Materialien zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen, Ausschussdrucksache 17(11)251 vom 22.09.2010, S. 9-14. Für einen Überblick vgl. Meinhardt, Volker (2011): Konzepte zur Beseitigung von Altersarmut [27], Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung; Riedmüller, Barbara/ Willert, Michaela (2009): Aktuelle Vorschläge für eine Mindestsicherung im Alter [28], Abschlussbericht für die Hans Böckler Stiftung September 2009.

[10] [29] Zu verweisen wäre auf die Artikel 22 (soziale Sicherheit) und 25 (Recht auf Grundversorgung) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie auf Artikel 1 (Menschenwürde) und 20 (Sozialstaat) des deutschen Grundgesetzes.

[11] [30] Vgl. Berliner Kampagne gegen Hartz IV (2009): Wer nicht spurt, kriegt kein Geld, Sanktionen gegen Hartz IV-Beziehende [31], Erfahrungen, Analysen, Schlußfolgerungen, 2. Auflage, Berlin; Götz, Susanne/ Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang/ Schreyer, Franziska: Unter dem Existenzminimum [32], IAB-Kurzbericht 10/2010; Kumpmann, Ingmar (2009): Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger: Zielgenaue Disziplinierung oder allgemeine Drohkulisse? [33], in: Wirtschaft im Wandel 6/2009, S. 236-239.

[12] [34] Dies gilt selbst dann, wenn man bereit wäre, das sogenannte Statistikmodell als sachgemäße Methode anzuerkennen. Vgl. Becker, Irene (2010): Regelleistungsbemessung auf der Basis des „Hartz IV-Urteils“ des Bundesverfassungsgerichts und nach den normativen Vorgaben im Positionspapier der Diakonie, Projektbericht; Martens, Rudolf (2011): Die Regelsatzberechnungen der Bundesregierung nach der Einigung im Vermittlungsausschuss sowie der Vorschlag des Paritätischen Gesamtverbandes für bedarfsdeckende Regelsätze [35], Paritätische Forschungsstelle.

[13] [36] Vgl. beispielsweise Bündnis Kindergrundsicherung (2009): Kinder brauchen mehr! Unser Vorschlag für eine Kindergrundsicherung [37].

[14] [38] Dieses Prinzip wird in Schweden bei der Anrechnung der Versicherungsrente auf die steuerfinanzierte Garantierente teilweise angewendet. Vgl. OECD (2011): Pensions at a Glance 2011, S. 305. Ähnlich auch ein Vorschlag des SoVD, vgl. Sozialverband Deutschland (SoVD) (Verfasser: Ragnar Hoenig)(2009): Mindestsicherung in der Rente, Vorschläge des SoVD zur Vermeidung von Altersarmut [39], S. 15 f.
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Der Autor

Dr. Ingmar Kumpmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Die Meinungen in diesem Beitrag sind nicht notwendigerweise mit der Institutsmeinung des IWH identisch.

Für sehr hilfreiche Kommentare dankt der Verfasser Ronald Blaschke, Michael Opielka, Robert Ulmer, Ursula Walther und Herbert Wilkens.

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5 Comments (Open | Close)

5 Comments To "Zwischenschritte zum Grundeinkommen – Zwischenschritte zur Bedingungslosigkeit"

#1 Comment By Elisabeth Dörre On 30.07.11 @ 14:22

Beim Thema Einführung bzw. Zwischenschritte zum BGE möchte ich auf meine Petition von 2009 hinweisen:
[41]
sowie folgende Ansätze aus der Schweiz bzw. dem Iran:
[42]
[43]
[44]

#2 Comment By Karl Ebert On 02.08.11 @ 15:32

Ich möchte darauf hinweisen, dass das Grundeinkommen wohl einigen Arbeitnehmern ganz gut täte. Hier eine Studie zur Arbeitszufriedenheit:
[45]

#3 Comment By paso de lobo On 05.03.12 @ 14:53

Das bedingungslose Grundeinkommen muss handstreichartig eingeführt werden, damit er nicht zerredet werden kann. Gleichzeitig mit seiner Einführung werden alle bislang gewährten Sozialleistungen in einen Fonds eingezahlt. Alle Einkommen werden linear mit 30 Prozent versteuert, unter Wegfall aller Kürzungen. Das Grundeinkommens (z. b. 1300 EURO) wird anrechenbar (Wegfall der Geschäftsgrundlage) auf alle Verträge usw…

#4 Comment By Jochen Fröschle On 31.03.12 @ 06:02

Mein Vorschlag: mit einem „kleinen“ Grundeinkommen beginnen und dieses schrittweise erhöhen. Jede/r soll wählen können zwischen BGE und Sozialleistung bzw. Steuerfreibeträgen. So kann das alte System durch das neue Grundeinkommen sukzessive ersetzt werden und jede/r kann sich ausrechnen, was individuell besser ist, und sich selbst entscheiden (mündige Bürger).

#5 Comment By AndreasK On 05.05.12 @ 16:57

“das Ziel, allen Gesellschaftsmitgliedern…, also das soziokulturelle Existenzminimum für alle zu garantieren”

Ein Problem liegt doch darin, das dieses Ziel sehr weich und abhängig vom Individuum ist. Es gibt bei den Leistungsempfängern unterschiedliche Vorstellungen von einem soziokulturellen Existenzminimum. Das physische Existenzminimum lässt sich besser ausrechnen und ist daher als Ziel geeigneter. Wenn “soziokulturelle” Ausgaben auch Drogenkonsum abdecken sollen, dann ist das kein wünschenswerter Ansatz. Hier sollte die Kultur speziell gefördert werden durch freie Eintritte in förderungswürdige Angebote.