Enquete-Kommission zum Grundeinkommen?

Ronald Blaschke 22.11.2012 Druckversion

Nach dem Netzwerk Grundeinkommen und den Piraten fordert nun auch die Partei Bündnis 90/Die Grünen die Einsetzung einer Enquete-Kommission zum Grundeinkommen im Deutschen Bundestag.

In der Stellungnahme des Netzwerk Grundeinkommen vom 28. Oktober 2010 zur Petition von Susanne Wiest, die an alle Bundestagsabgeordneten vermailt worden ist, heißt es:
„In Deutschland existieren derzeit ca. 16 verschiedene Ansätze für ein
Grundeinkommen von Organisationen, (Jugend-)Verbänden, Parteigruppierungen, Initiativen und Einzelpersonen. Ca. die Hälfte der Ansätze sind lediglich partielle Grundeinkommen, die aufgrund der niedrigen Höhe keine Existenz und Teilhabe absichern. Die Grundeinkommensansätze sind von der Ausgestaltung her vollkommen unterschiedlich, z. B. bezüglich des Finanzierungsansatzes und steuerlichen Veränderungen, der Stellung zu den Sozialversicherungen und des Auszahlungsmodus (Sozialdividende oder Negative Einkommensteuer), der Flankierung durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung und Mindestlohn oder sozialpolitischer Maßnahmen wie Ausbau der öffentlichen Infrastrukturen und Dienstleistungen. […] Um diese Debatte um das Grundeinkommen, die in der Gesellschaft immer mehr an Breite gewinnt, auch im Deutschen Bundestag weiter voranzubringen, schlagen wir die Einrichtung einer Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag vor, die die Möglichkeiten der (schrittweisen) Einführung des Grundeinkommens in Deutschland debattiert und den Abgeordneten und Fraktionen im Bundestag konkrete Schritte zur Einführung empfiehlt. Weiterhin soll die Kommission konkrete Handlungsvorschläge erarbeiten, wie Deutschland die Einführung von Grundeinkommen in Europa und weltweit befördern könnte. Das Netzwerk Grundeinkommen ist dazu bereit, den parlamentarischen und außerparlamentarischen Diskurs mit Sachverstand und Kompetenz zu befördern.“ (Quelle: Stellungnahme)

In der öffentlichen Anhörung am 8. November 2010 zur Petition von Susanne Wiest im Deutschen Bundestag wurde von Katja Kipping, MdB, der Vorschlag des Netzwerks zur Enquete-Kommission aufgegriffen. Susanne Wiest befürwortet die Idee in der Anhörung (Video ab 0:59 h).

Auf dem Parteitag der Piratenpartei am 3. Dezember 2011 in Offenbach wurde folgender Text zum Wahlprogramm der Piratenpartei Deutschland für die Bundestagswahl 2013 beschlossen:
„Wir Piraten setzen uns für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ein, das die Ziele des ‘Rechts auf sichere Existenz und gesellschaftlicher Teilhabe’ aus unserem Parteiprogramm erfüllt. Es soll: die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden. Wir wissen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen die Paradigmen des Sozialstaats wesentlich verändern wird. Statt mit klassischer Parteipolitik muss dessen Einführung daher mit einer breiten Beteiligung der Bürger einhergehen.
Wir nehmen viele engagierte Menschen wahr, die sich seit Jahren in- und außerhalb von Parteien für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzen. Wir wollen dieses Engagement auf die politische Bühne des Bundestages bringen und mit den dortigen Möglichkeiten eine breite und vor allem fundierte Diskussion in der Gesellschaft unterstützen.
Dazu wollen wir eine Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag gründen, deren Ziel die konkrete Ausarbeitung und Berechnung neuer sowie die Bewertung bestehender Grundeinkommens-Modelle sein soll. Für jedes Konzept sollen die voraussichtlichen Konsequenzen sowie Vor- und Nachteile aufgezeigt und der Öffentlichkeit transparent gemacht werden.
Zeitgleich werden wir uns im Bundestag dafür einsetzen, dass noch vor Ende der Legislaturperiode die gesetzlichen Grundlagen für Volksabstimmungen auf Bundesebene geschaffen werden. Sie sollen den Bürgern ermöglichen, sowohl die in der Enquete-Kommission vorgestellten als auch andere Grundeinkommens-Modelle als Gesetzentwurf direkt zur Abstimmung zu stellen. Um dabei über eine Vielfalt an Konzepten gleichzeitig entscheiden zu können, sollen Volksabstimmungen auch mit Präferenzwahlverfahren durchgeführt werden können.“ (Quelle: wiki Piratenpartei)

Auf dem Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen in Hannover (16.-18. November 2012) wurde ein von diesen genannten Vorschlägen abweichender Vorschlag beschlossen:
„Wir halten die Einrichtung einer Enquetekommission im Deutschen Bundestag für sinnvoll, in der Idee und Modelle eines Grundeinkommens sowie grundlegende Reformperspektiven für den Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme diskutiert werden. In einer solchen Enquete wollen wir der Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen sowie damit verbundenen Veränderungen in den sozialen Sicherungssystemen den nötigen Raum verschaffen. Ziel ist, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen und das individuelle Grundrecht auf Teilhabe zu verwirklichen.“ (Quelle: Beschluss, S. 18)

Was bedeutet die Einsetzung einer Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag?

Dazu aus der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags:
㤠56 Enquete-Kommission
(1) Zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe kann der Bundestag eine Enquete-Kommission einsetzen. Auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder ist er dazu verpflichtet. Der Antrag muß den Auftrag der Kommission bezeichnen.
(2) Die Mitglieder der Kommission werden im Einvernehmen der Fraktionen benannt und vom Präsidenten berufen. Kann ein Einvernehmen nicht hergestellt werden, so benennen die Fraktionen die Mitglieder im Verhältnis ihrer Stärke. Die Mitgliederzahl der Kommission soll, mit Ausnahme der in Absatz 3 genannten Mitglieder der Fraktionen, neun nicht übersteigen.
(3) Jede Fraktion kann ein Mitglied, auf Beschluß des Bundestages auch mehrere Mitglieder, in die Kommission entsenden.
(4) Die Enquete-Kommission hat ihren Bericht so rechtzeitig vorzulegen, daß bis zum Ende der Wahlperiode eine Aussprache darüber im Bundestag stattfinden kann. Sofern ein abschließender Bericht nicht erstattet werden kann, ist ein Zwischenbericht vorzulegen, auf dessen Grundlage der Bundestag entscheidet, ob die Enquete-Kommission ihre Arbeit fortsetzen oder einstellen soll. (Quelle: Geschäftsordnung)

Die Einrichtung einer Enquete-Kommission hat den Vorteil, dass ein Thema in der Öffentlichkeit breiter und mit größerer Aufmerksamkeit diskutiert und Anlass für weitere politische Aktionen sein kann. Die Einrichtung einer Enquete-Kommission führt keineswegs zwangsläufig zur Einführung eines Grundeinkommens, sondern kann im schlimmsten Fall sogar eine langfristige Beerdigung des Themas im Bundestag zur Folge haben. Umso wichtiger ist es, eine solche Kommission zum Anlass zu nehmen, die Menschen für das Grundeinkommen zu politisieren und zu mobilisieren.

Weitere Bemerkungen:

1. Ein Viertel der Abgeordneten ist zur sicheren Einsetzung einer Enquete-Kommission nötig. Das ist bei der derzeitigen Zusammensetzung des Bundestag nicht gegeben. Relativ sicher wäre die Einsetzung, wenn die Piraten in den Bundestag einziehen würden und eine weitere Partei sich im Wahlprogramm ebenfalls für die Einsetzung einer Enquete-Kommission zum Grundeinkommen bekennen würde.

2. Eine Formulierung für einen Kommissionsauftrag, wie sie Bündnis 90/Die Grünen gewählt hat, ist problematisch: Es sollen „Idee und Modelle eines Grundeinkommens sowie grundlegende Reformperspektiven für den Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme diskutiert werden.“ Wer im Politikgeschäft steht, weiß, dass eine solche Formulierung von Gegnerinnen und Gegnern des Grundeinkommens und der Grundeinkommensdebatte genutzt werden kann, um alle möglichen grundlegenden Reformperspektiven für den Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme zu diskutieren, das Thema Grundeinkommen aber nur am Rande abzuhandeln. Deswegen muss eindeutig der Auftrag so formuliert werden, dass das Thema Grundeinkommen Schwerpunkt der Arbeit der Enquete-Kommission sein soll.

3. Die Grundeinkommensbewegung müsste im Fall der Einsetzung einer Enquete-Kommission darauf achten, dass auch Vertreterinnen und Vertreter der Grundeinkommensbewegung, die über umfangreiche Kenntnisse zum Grundeinkommen verfügen, in der Enquete-Kommission angemessen beteiligt werden. Sollte dies nicht gelingen, wäre ein Bundeskonvent zum Grundeinkommen ein mögliches Mittel Gegenöffentlichkeit herzustellen.

4. Die Verbindung der Einführung eines Grundeinkommens mit einem Volksentscheid in einem Präferenzwahlverfahren wäre sinnvoll. Grundeinkommen und Demokratisierung der Gesellschaft sind zwei Seiten einer Medaille. Dazu müsste natürlich erst die Möglichkeit von Volksentscheiden auf Bundesebene geschaffen werden, denn: „Für die Einführung des bundesweiten Volksentscheids ist eine Grundgesetzänderung notwendig. Dafür braucht es im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Bisher scheiterte dies an der Unionsfraktion.“ (Quelle: Mehr Demokratie)

2 Kommentare

Veit schrieb am 22.11.2012, 23:03 Uhr

Eine Enquete-Kommission habe üblicherweise nur neun Mitglieder? Bei dieser sind es aber mehr: http://www.bundestag.de/internetenquete/mitglieder/index.jsp

Ja, eine Enquete zum BGE sollte unbedingt auch Mitglieder und Sachverständige aus den außerparlemtarischen und parteilosen Teilen der Grundeinkommens-Bewegung beinhalten. Womöglich auch ein paar Skeptiker und Gegner gegenüber der Idee. Da sie zu einem Referendum führen möge, empfiehlt sich von vornherein eine Enquete offen in die Gesellschaft anzulegen.

Stefan Pudritzki schrieb am 26.11.2012, 00:17 Uhr

Zur Durchführung einer Volksabstimmung bedarf es nach meiner Auffassung keiner Änderung des Grundgesetzes, denn im Artikel 20, Absatz 2 heißt es: \"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.\" Dass bisher noch keine Abstimmungen des Volkes über wichtige politische Fragen stattgefunden haben, ist lediglich der mir unerklärliche Verzicht auf die Anwendung dieses Artikels des Grundgesetzes.

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