Popper-Lynkeus‘ „Allgemeine Nährpflicht“

    Ronald Blaschke 22.12.2021 Druckversion

    Josef Popper-Lynkeus starb am 22. Dezember 1921. Er war bestrebt, ein sozialökonomisches Modell zu entwerfen, „das die Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse mit individueller Freiheit zu verbinden suchte“. So beschrieb es der Philosoph Friedrich F. Brezina * in seinem Beitrag in der Wiener Zeitung vom 19. Dezember 2021. Brezina zeichnet das Aufsehen erregende Leben Popper-Lynkeus‘ nach und würdigt sein Lebenswerk. Dazu gehören auch die philosophischen und sozialethischen Maximen von Popper-Lynkeus, die in seiner Utopie der „Allgemeinen Nährpflicht“ – einem gesellschaftlichen Ansatz zur Beseitigung von Elend und Not, Armut und Ausgrenzung von Menschen – enthalten sind.

    Oft wird behauptet, dass Popper-Lynkeus‘ „Allgemeine Nährpflicht“ ein Plädoyer für das Grundeinkommen ist. Tatsächlich ist dem nicht so. Er spricht sich zwar für ein sogenanntes „primäres Minimum“ („Existenzminimum“) aus, das die physischen Lebensnotwendigkeiten (Nahrung, Wohnung, Kleidung, Gesundheitsversorgung etc.) abdeckt. Doch soll dieses Minimum in Naturalien und nicht als Einkommen ausgehändigt werden. In Geldform soll nur das „sekundäre Minimum“ („Kulturminimum“) gewährt werden, das gesellschaftliche Teilhabe und soziale Beziehungen ermöglicht. Darüber hinaus sieht Popper-Lynkeus beide Minima nur für Staatsangehörige vor. Außerdem sollten arbeitsfähige Staatsbürger*innen erst dann Anspruch auf das „Minimum“ haben, wenn sie zeitweise Pflichtdienst in der sogenannten Nährarmee  ableisten. Dies alles formuliert Popper-Lynkeus in seinem Werk „Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage“ von 1912.

    Trotzdem geht Josef Popper-Lynkeus‘ Vorschlag in die Richtung des Grundeinkommens. Wenn er von den heutigen Produktivitätsgewinnen und der fortschreitenden Globalisierung gewusst hätte, wäre er sicher offen dafür gewesen, seinen Vorschlag zu einem Grundeinkommen weiterzuentwickeln.

    Übrigens: Das Netzwerk Grundeinkommen wurde in seiner Startphase von der Joseph-Popper-Nährpflicht-Stiftung gefördert.

    * Friedrich F. Brezina lehrte und forschte an der Universität Wien. Zu Popper-Lynkeus erschien 2013 sein Buch „Gesicherte Existenz für Alle“ im Verlag Monte Verita.

    Foto: wikipedia, gemeinfrei

    2 Kommentare

    Gerhard Seedorff schrieb am 25.12.2021, 22:30 Uhr

    Es ist meiner Ansicht nach nicht zielführend, wenn wir unsere Mitbürger, die das Grundeinkommen wählen sollen, durch die Ansichten großer Geister aus früheren Zeiten überzeugen wollen.

    Sollten wir nicht lieber auf die Fehlentwicklungen hinweisen, die 1972 nach der Meldung des Club of Rome, dass auf der Erde ausreichend Produkte für alle Menschen hergestellt werden, dazu führte, dass statt Gesetze für die bestmögliche Verteilung zu erlassen, die Staaten die Angebotswirtschft ein- und die goldgedeckten Währungen ab-schafften. Damit legten sie den Grundstein für unsere heutigen Probleme mit der Überproduktion und der Geldwertstabilität.

    Daran konnte Popper-Lynkeus damals noch gar nicht denken.

    Sollten wir die Wähler nicht lieber darauf aufmerksam machen, dass sie in unseren Demokratien die Möglichkeit haben von den örtlichen Kandidaten, die sie ja auch persönlich kennen lernen können, die Besten mit der Warnehmung ihrer Interessen zu betrauen, wofür die Erststimme ausreicht. Durch Verzicht auf die Zweitstimme würde die Parteien-Demokratie, die nach der Einführung des Internets eher überflüssig erscheint, weil sie der Demokratie mehr schadet als nützt, nachdem deutlich wird, dass Politiker gar nicht regieren, sondern die sie beratenden Beamten, die ja nicht abgewählt werden können und sich inzwischen ein warmes Nest aus Gesetzen gezimmert haben, in das die Einführung eines Grundeinkommens für alle nicht hinein passt.

    Das fühlen die Bürger und machen ihren Unwillen leider als Querdenker und Rechtsradikale luft, was sich von der Beamtenschaft mit den vorhandenen Gesetzen leicht bekämpfen läßt, wenn fast zentralgelenkte Medien (es gibt 5 große Häuser), die aus Eigennutz an den Gesetzen mitstricken, das unterstützen.

    Mit dem Sturz der CDU und hoffentlich vieler Beamter könnte vielleicht ein Lichtschimmer am Ende des Tunnels erkennbar sein.

    Robert Bleilebens schrieb am 11.02.2022, 01:47 Uhr

    Josef Popper-Lynkeus‘ allgemeine Nährpflicht sah eine Dienstverpflichtung in der sogenannten \"Allgemeinen Nährpflichtarmee\" vor (für Männer 13 Jahre von 18 bis 31 und für Frauen 7 Jahre von 18 bis 25). Deshalb war es nicht bedingungslos.

    Anders ging es allerdings damals auch nicht, denn 1912, als sein Werk erschien (\"Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage\") war die Produktivität noch nicht hoch genug dafür, den Zwang zur Erwerbstätigkeit komplett aufzuheben (partiell hat er es durchaus getan, denn Männer ab 31 und Frauen ab 25 waren von diesem Zwang befreit und konnten, wenn sie wollten, ab diesem Alter nur von der Grundversorgung leben). Diese sollte in einem staatlichen Wirtschaftssektor produziert werden und zu 7/8 in Naturalien geleistet werden (Nahrungsmittel, Kleidung, Wohnung, medizinische Versorgung etc.) und zu 1/8 in Geld.

    Darüberhinaus sah er einen privaten Wirtschaftssektor vor, der alles produzieren sollte, was über die Grundversorgung hinausging. Also ein Modell einer mixed economy.

    Insgesamt ein kluges und verantwortungsbewußtes sozialpolitisches Modell auf der Höhe der damaligen Zeit. Bei Kenntnis unserer heutigen Produktivität würde er sich sehr wahrscheinlich dem Modell eines Bedigungslosen Grundeinkommens öffnen.

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