Arbeit und Grundeinkommen in religionsphilosophischer Sicht

Stephan Holzhaus 23.01.2013 Druckversion

Unter dem Titel „Geld oder Würde? – Bedingungsloses Grundeinkommen und abendländisches Menschenbild“ hat der Norddeutsche Rundfunk am 13. Januar 2013 eine Sendung gebracht, in der die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens heftig kritisiert wird (Manuskript der Sendung beim NDR oder hier). Einige der Schwachpunkte dieser Kritik hat Stephan Holzhaus kommentiert. Er schrieb einen Brief an den Verfasser der Sendung, Matthias Greffrath. Diesen Kommentar veröffentlichen wir im Wortlaut.

Die Redaktion

Sehr geehrter Herr Greffrath,

mit Interesse habe ich die Sendung zum Thema Grundeinkommen am heutigen Tag verfolgt und möchte Ihnen Folgendes mitteilen:

Aus Ihrem Beitrag geht hervor,

  • dass Sie wohl noch nie die Erniedrigung bei einem Job-Center Gespräch erlebt haben, bzw. Sanktionen hinnehmen mussten, weil Sie irgend ein sinnloses Arbeitsangebot (Call-Center, Computerkurs etc.) abgelehnt haben – bzw. dass Sie sich in diese Thematik nicht einfühlen können;
  • dass Sie die Tatsache nicht wahrhaben möchten, dass uns besonders die sinnvolle Arbeit ausgeht – u. a. weil das selbstständige Handwerk, Bauerntum etc. wegrationalisiert wurde;
  • dass Sie nicht realisieren, dass in der Bibel an keiner Stelle von „Arbeit“ in dem Sinne gesprochen wird, wie wir heute diesen Begriff verwenden. Denn „die Schöpfung vervollkommnen, das Land bebauen“ ist genau das, was nicht mehr stattfindet. Stattdessen vergiften, verpesten und veröden wir die Erde, u. a. mit der modernen Landwirtschaft. Ich kenne viele Menschen, die gerne im ökologischen Landbau tätig wären, aber die will und kann sich heute bei uns kaum einer leisten.

Auf den von Ihnen vorgetragenen Arbeitsbegriff möchte ich hier eingehen:

Sie erwähnen zu Recht, dass „die Heiligung der Arbeit“ eine Folge des Protestantismus war. Dazu schreibt der Religionsphilosoph Romano Guardini:

    „Der Protestantismus hat die Christlichkeit so radikal auf den Glauben gestellt, dass dadurch ihre Verbindung mit der Welt zerrissen und diese für den Bemächtigungswillen des Menschen frei geworden ist. Und da der Mensch irgendeiner Gewähr für die Gnädigkeit Gottes bedarf, findet er sie vielfach im bürgerlich-wirtschaftlichen Erfolg, und Tüchtigkeit und Leistung werden zu unmittelbar religiösen Werten. Die Arbeit aber entwickelt sich zu der die ganze menschliche Existenz tragenden, methodischen und vom Gewissen geleiteten Anstrengung, welche sich auf sachliche Weltherrschaft richtet und den wirtschaftlichen Erfolg herbeiführt. Und da sich die ganze Sozialordnung aus dieser Gesinnung heraus aufbaut, wird die Arbeit für den Einzelnen unentrinnbar: er muss sie auf sich nehmen, auch wenn er nicht will.

    Diese Haltung vollendet sich, wie im Anfang des 19. Jahrhunderts die Naturwissenschaft ihren entscheidenden Durchbruch vollzieht und die Technik entsteht.“

Und Egon Friedell (in „Kulturgeschichte der Neuzeit“):

    „Arbeit ist erst durch Luther etwas Edles. Vor Luther war Arbeit etwas ganz Unedles.“

Ich möchte sagen, dass Sie, dass wir alle unseren Begriff von Arbeit grundsätzlich überdenken müssen. Wenn wir erkennen, dass es heute beinahe so viel unsinnige, überflüssige Arbeit in unserer Gesellschaft gibt – in diesem Zusammenhang empfehle ich Ihnen den Film „Produzieren für die Müllhalde“ – wie sinnvolle Tätigkeit, dann werden Sie mir zugestehen müssen, dass wir an dieses verinnerlichte „Arbeitsethos“ dringend heran müssen.

In einem Punkt irren Sie in Ihrem Beitrag gewaltig, darauf möchte ich Sie hier noch hinweisen: Aus der katholischen Soziallehre ist, besonders unter Berücksichtigung der o. g. Punkte, die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens sehr wohl herzuleiten, und zwar aus dem Gedanken des Subsidiaritätsprinzips.

Papst Benedikt XVI sagt in seiner Enzyklika („Caritas in veritate“):

    „Subsidiarität ist das wirksamste Gegenmittel zu jeder Form eines bevormundenden Sozialsystems, weil Solidarität ohne Subsidiarität in ein Sozialsystem abrutscht, das den Bedürftigen erniedrigt.“

Der Jesuitenpater Alfred Delp hatte dieses Prinzip verinnerlicht, als er kurz bevor er 1945 von den Nazis ermordet wurde, Folgendes sagte:

    „Der gegenwärtige Mensch ist in eine Verfassung des Lebens geraten, in der er Gottes unfähig ist. Alle Bemühungen um den gegenwärtigen und kommenden Menschen müssen dahin gehen, ihn wieder gottesfähig und somit religionsfähig zu machen …

    Es geht nicht ohne `Existenzminimum´ an gesichertem Raum, gesicherter Ordnung und Nahrung. Dieser Sozialismus des Minimums ist nicht das Letzte, was auf diesem Gebiet zu sagen und zu fordern ist, sondern das Erste, der Anfang.

    Aber kein Glaube und keine Botschaft, kein Imperium und kein Jahrhundert der Wissenschaft und Technik, keine Gescheitheit und keine Kunst helfen dem Menschen, wo dieses Minimum als gesicherte Stetigkeit nicht zur Verfügung steht …

    Ich kann predigen, soviel ich will, und Menschen geschickt oder ungeschickt behandeln und wiederaufrichten, solange ich will: Solange der Mensch menschenunwürdig und unmenschlich leben muss, solange wird der Durchschnitt den Verhältnissen erliegen und weder beten noch denken.“

Wenn Sie diesen Brief mit unvoreingenommenem Erkenntniswillen gelesen haben und die Intention wirklich nachvollziehen wollen, dann kommen Sie zu mindestens zweierlei Schlüssen:

  • Unsere Gesellschaft hat sich derzeit weitgehend mehrheitlich entschieden, wem sie dienen will: Gott oder dem Mammon (Mat. 6,24).
  • Wenn Ihnen der unter Punkt 1 genannte Umstand so klar ist wie mir, dann kommen Sie nicht umhin, die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens als kulturentscheidende Maßnahme (sicher nicht die einzige, aber eine wesentliche, um Maschinen/Technik/Raubbau zu begrenzen und menschlich-sinnvolle Arbeit wieder zu ermöglichen!) wertzuschätzen.

Herzlichen Dank für Ihre Argumentationsvorlage und Ihre Aufmerksamkeit

Stephan Holzhaus (Arbeitskreis Grundeinkommen Göttingen)

Quellen der Zitate:
Das Zitat von Romano Guardini stammt aus seinem Buch „Freiheit, Gnade, Schicksal“, Ostfildern 1994, S. 147.
Die Zitate von Alfred Delp stammen aus Alfred Delp, „Worte der Hoffnung“, Hrsg. Rita Haub, Würzburg 2009, und aus Alfred Delp „Gesammelte Schriften“, Bd.4, Hrsg. Roman Bleistein, Frankfurt/Main 1985.

Literaturempfehlung:
Dorothee Schulte-Basta: „Zur Kompatibilität von Bedingungslosem Grundeinkommen und katholischer Soziallehre“, Freiburg 2010.
Stephan Holzhaus (Hrsg.): „Vom Todesstreifen zum Lebensacker“, Göttingen 2012

Hinweis:
Auch beim Hamburger Netzwerk Grundeinkommen ist die Sendung des NDR kritisch gewürdigt worden.

2 Kommentare

beate lindemann schrieb am 30.01.2013, 15:17 Uhr

Es war bereits das zweite Mal, dass der ansonsten sehr geschäzte Mathias Greffrath sich in den \"Glaubenssachen \" gegen das Grundeinkommen ausgesprochen hat - wie andere geschätzte Persönlichkeiten auch. Das ist die Meinungsfreiheit. Schwierig wird es, wenn man sich dabei auf christliche Werte bezieht. Man muss kein Theologe sein, es reicht, wenn man lesen kann, um sich mit der Grundlage des christlichen Glaubens zu befassen, das sind die Evangelien.

Dort findet sich aber keine Verherrlichung irgendeiner Arbeit. Es gibt aber Lilien auf dem Felde und Vögel des Himmels, es gibt eine Martha, die sich um viele Dinge sorgt, und doch hat ihre Schwester Maria den besseren Teil erwählt, die sich zum Meister setzt und ihm zuhört. Sinnvolle Tätigkeiten, wie das Herausziehen des Ochsen aus der Grube auch am Sabbath, und die tätige Nächstenliebe kommen gut weg. Es ist ganz schwierig die Arbeit als Selbstzweck mit einem christlichen Wert zu versehen.

Christoph Schwager schrieb am 04.02.2013, 21:35 Uhr

Ich hatte meine Kritik zu Greffraths Beitrag in sein Manuskript hineingeschrieben und ihm per Mail geschickt.

Außerdem habe ich ihm eine Stellungnahme von Bischof Gerd Ulrich, Vorsitzender der Nordkirche, beigelegt.

Als Kommentar an dieser Stelle sind diese Dokumente zu lang, sie sind jedoch hier zu finden:

http://www.futur-kreative.de/Grundeinkommen_Greffrath.html

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