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Bedingungsloses Grundeinkommen – das Diesseits jenseits des Wachstums

Eine verquere Logik: Wir brauchen Wachstum, um Arbeitplätze zu schaffen. Wir brauchen Arbeitsplätze, damit die Menschen das Geld verdienen können, das sie zum Leben brauchen. Je produktiver die Ökonomie wird, das heißt, mit je weniger Inanspruchnahme von bezahlter Arbeitskraft die Arbeitsergebnisse erzielt werden können, um so größer muss das erarbeitete Produkt sein – und zwar nicht deshalb, weil die Menschen so viel mehr von dem Produkt brauchen (Beispiele für „Produkte“: Straßen, Lebensmittel, Häuser, Pflege, Kultur, …), sondern, damit es „genug Arbeit gibt“. Je überflüssiger die Arbeit, desto intensiver der Zwang, Arbeit zu „schaffen“, und desto intensiver der Zwang, ökonomisches Wachstum zu initiieren. Mit dieser widersinnigen „Logik“ bricht das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Aus dem Überfluss einer hoch produktiven Ökonomie wird ein Existenz sichernder Einkommenssockel für alle finanziert, so etwas wie ein finanzieller Bürgersteig, auf dem alle stehen und gehen können, ohne ihn sich durch Arbeit erst „verdienen“ zu müssen. Für diesen „Luxus“ eines BGE ist gesellschaftlicher Reichtum die Voraussetzung, nicht aber eine entfesselt wachsende Ökonomie, wachsend zu dem einzigen Zweck, genug Arbeit für alle zu schaffen. Es gibt genug für alle, auch ohne dass es dafür immer mehr Arbeit „geben“ muss.

Ein BGE in einer die Existenz sichernden Höhe wird sich angebotsseitig bremsend auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Einerseits weil es nicht mehr den Zwang gibt, die eigene Arbeitskraft zum Verkauf anbieten zu müssen. Die Arbeitsbereitschaft bei unangenehmen Tätigkeiten wird zurückgehen. Die Verkürzung von Arbeitszeiten wird in den Arbeitsbereichen möglich, in denen das Interesse daran am stärksten ist, und wo die Menschen bisher nur aufgrund des zu niedrigen Einkommens darauf angewiesen waren, Vollzeit und mehr zu arbeiten. Ebenso werden die unternehmerischen Gewinnmargen zurückgehen, in dem Maße, in dem es wegen des BGE nicht mehr möglich ist, Arbeitskräfte in beliebiger Höhe auszubeuten. Insofern bremst ein BGE auch die Bereitschaft zu investieren. Dadurch mag zunächst auch der Finanzierungsspielraum für das Grundeinkommen eingeengt werden, aber auf Dauer ist die Wirtschaftsweise dann nachhaltiger und noch mehr als jetzt schon in der Lage, ein menschenwürdiges Leben für alle zu gewährleisten.

Anders sieht es bei der Nachfrage aus. Den Rückgang der Konsumnachfrage durch zunehmende Prekarisierung wird der Einkommenssockel des BGE beenden. Denn je niedriger die Einkommen, desto geringer die Sparneigung, bzw. desto größer der Anteil des Einkommens, der zu Konsumzwecken ausgeben wird. Die Besserstellung der Schlechtergestellten durch ein BGE für alle, also die Erhöhung der niedrigen Einkommen, wird die Konsumnachfrage stärken. Dieses – keynesianische – Argument der Stärkung der „Massenkaufkraft“ ist geeignet, Befürchtungen zu entkräften, die von einem wirtschaftlichen Zusammenbruch aufgrund fehlender Binnennachfrage ausgehen.

Erweist sich das Grundeinkommen unter veränderten Vorzeichen, also bei einem nicht befürchteten sondern beabsichtigten Ende des Wachstums, als Bumerang? Keineswegs. Ökonomische Stabilität ist nicht das Gleiche wie Wachstumszwang. Das Grundeinkommen stabilisiert die Nachfrage, aber es führt nicht dazu, dass die Nachfrage ständig wächst. Auch der permanente den Kapitalismus kennzeichnende Druck auf die Unternehmen, entweder zu wachsen oder unterzugehen, wird durch ein BGE immer mehr gemildert und auf lange Sicht abgeschafft. Arbeitsplätze müssen nicht mehr „gerettet“ werden, erfolglose Unternehmer haben die Möglichkeit, auszusteigen, ohne materiell unterzugehen.

Außerdem sagt eine stabile Konsumnachfrage noch nichts darüber aus, wofür das Geld ausgegeben wird, welche Güter und Dienstleistungen produziert werden und auf welche Weise sie produziert werden. Das BGE ist nicht das Heilmittel für alle Probleme. Andere gesellschaftliche Rahmensetzungen wie z.B. Ökosteuern und Ordnungspolitik werden dafür sorgen müssen, dass ökologisch gefährliche Aktivitäten zurückgenommen werden und ökologisch unbedenkliche Aktivitäten zunehmen.

Heute gilt das Prinzip, erst die Arbeit dann das Vergnügen. Die Arbeit beinhaltet Leid, für die Arbeit darf man sich nicht zu schade sein. Um dann hinterher nach dem Motto „man gönnt sich ja sonst nichts“ einkaufen zu gehen. Kompensatorische Bedürfnisse, Konsum aus Frustration über ein entfremdetes Arbeitsleben, sind ein Motor für ökonomisches Wachstum. Je mehr nun in einer BGE-Gesellschaft die Menschen das tun, was sie wollen, umso weniger werden sie das Bedürfnis haben, zum Ausgleich für das Arbeitsleid kompensatorisch konsumieren zu müssen. Sie werden nicht permanent im Jenseits ihrer Arbeit leben, im Bann ihrer Arbeitsaufgaben und Mitwirkungspflichten auf Wochenende und Urlaub fixiert sein, sie werden sich weniger als bisher auf „Ersatzbefriedigungen“ (ein Wort, das bemerkenswerterweise unüblich geworden ist) orientieren. Nein, im Diesseits ihrer gestärkten „wirklichen Freiheit“ können sie immer anspruchsvoller und kompromissloser werden. Selbstbestimmt und eigenverantwortlich können sie in Freiheit tätig – und untätig – sein.

Starke gesellschaftliche Einrichtungen und gesellschaftliche Verabredungen sind nötig, um ökologische Gefahren abzuwenden, um die Ressourcen zu schonen, auf die wir angewiesen sind. Aber eine Umkehr von ökologisch gefährlichem Wirtschaften bedeutet nicht eine Rückkehr zu mühevoller Verausgabung menschlicher Arbeitskraft. Aus ökologischen Gründen auf Produktivitätssteigerung, also auf die Entlastung von mühevoller und Lebenszeit vernichtender Arbeit zu verzichten, hieße das Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn es geht auch um die Schonung der Ressource Arbeitskraft. Erst ein BGE für alle in existenzsichernder Höhe ermöglicht den Leuten, einen schonenden Umgang mit sich selber als Arbeitskraft zu pflegen. Sie können das Hamsterrad des permanenten Erwerbszwanges verlassen, können sich schonen und entscheiden selber, wofür sie sich zu schade sind, was sie sich zumuten wollen und was nicht; sie erkennen selber, wo sie im Job eine Perspektive sehen und wo eine Sackgasse, die ihnen die Zukunft versperrt.

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1 Comment To "Bedingungsloses Grundeinkommen – das Diesseits jenseits des Wachstums"

#1 Comment By jochen sindberg On 19.03.11 @ 08:58

Ich bin von dem Gedanken eines bedingungslosen Grundeinkommens schon längere Zeit grundsätzlich überzeugt. Wichtig erscheint mir auch für die Skeptiker die Feststellung, dass unser Sozialstaat schon heute jedem die Existenz sichert, nur eben nicht ohne Bedingung, sondern um den Preis der Demütigung.
Dennoch, so sehr ich auch aus eigener Perspektive die Vorzüge genießen wollte, wir dürfen die Kritiker und Mahner nicht übersehen und müssen uns mit den Argumenten befassen. Heute sehen wir als Befürworter vor allem Menschen, die in verschiedenen Aufgaben intensive Erfahrungen gesammelt haben und die sich verständlicherweise wünschen, dass sie mehr Zeit und Freiheit für Themen und Dinge haben, die ihnen mittlerweile als sehr wichtig bewusst (geworden) sind.

Frage: Können wir darauf vertrauen, dass gerade junge Menschen auch ohne einen gewissen (liebevollen) Druck überhaupt zu diesen Entwicklungsstufen gelangen, die viele von uns so beseelt? Ganz ehrlich, ich bin mir da absolut nicht sicher. Kann es für die große Idee Kompromisslinien geben, die es der gesamten Gesellschaft erlauben, im Rahmen eines Pilotgedankens erste Schritte zu gehen?

Bedingungsloses Grundeinkommen kann für die meisten an die Stelle der derzeit viel zu bürokratischen Förderung von Kindern, Jugendlichen und ihrer Bildung treten. Das Verarmungsrisiko würde dann endlich nicht mehr unsolidarisch bei den Eltern abgeladen. Ich würde dann aber bevorzugen, dass z.B. ein 20-Jähriger nicht übergangslos ins Grundeinkommen einsteigt. Außerdem sollte Grundeinkommen eine Entscheidung für ein materiell bescheidenes Leben sein. Wer sich anders entscheidet, sollte das Grundeinkommen auch nicht beziehen. Vielleicht mit Übergangsstufen wie beim “Dazu-Verdienen”? Was ich meine: Wir brauchen praktische Szenarien und Versuche, die in einem Entwicklungsprozess auch Skeptiker einfangen können.
Wer mit mir in Berlin dazu in Kontakt treten mag, oder Versuchsprojekte kennt, ist herzlich willkommen.

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