Umverteilen schafft mehr Freiheit für alle

Ronald Blaschke 23.09.2012 Druckversion

Ergebnisse von Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts für Deutschland zeigen: Die Einkommens- und Vermögensungleichheit in Deutschland wächst.

Nach den von der Hans-Böckler-Stiftung aufbereiteten Ergebnissen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sank in den zehn Jahren zwischen 1999 und 2009 das real verfügbare Jahreseinkommen des ärmsten Zehntels in der Einkommenshierarchie um 9,6 Prozent, das Jahreseinkommen des zweiten Dezils sank um 7,9 Prozent. Dagegen stieg das Jahreseinkommen der Reichsten, also des obersten Zehntels, im gleichen Zeitraum um 16,6 Prozent.

Der Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts zeigt, dass es beim Privatvermögen nicht anders aussieht (vgl. S. VIII): Zwischen 1998 und 2008 fiel der Anteil der unteren Hälfte in der Vermögenshierarchie am gesamten Privatnettovermögen von vier Prozent auf ein Prozent, der Anteil der obersten Zehntels in der Vermögenhierarchie stieg dagegen von 45 auf 53 Prozent. 10 Prozent der Bevölkerung besitzen 53 Prozent des gesamten Privatvermögens!

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, über eine massive Umverteilung von oben nach unten nachzudenken – sowohl über eine Vermögens- und Erbschaftsteuer als auch über die Einkommensteuer. Es muss aber klar sein, zu welchem Zweck umverteilt werden soll. Für einen Grundeinkommensbefürwortenden liegt die Antwort auf der Hand: für mehr individuelle Freiheit und Solidarität. Ein Grundeinkommen, das die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe sichert, verteilt gleichzeitig um und befördert die individuelle Freiheit. Auch die Reichen profitieren. Sie müssen sich weniger um ihr Wohl in einer egalitäreren Gesellschaft sorgen, sie und ihre Kinder brauchen weniger Angst vor einer kriminalisierten Gesellschaft zu haben. Wer möchte schon gern in einer abgeschotteteten Welt gefangen leben, weil er sich sonst nicht mehr sicher fühlt?

Einen Anhaltspunkt für die Höhe eines Grundeinkommens, das tatsächlich auch einen Zuwachs an individueller Freiheit bewirken kann, weil es Existenz und Teilhabe sichert, gibt der Armuts- und Reichtumsbericht ebenfalls (vgl. S. 457 f.). Nach der Einkommens- und Verbrauchsstatistik (EVS) betrug im Jahr 2008 die monatliche Armutsrisikogrenze für eine/n Alleinstehende/n 1.063 Euro netto (1). Die Entwicklung der EVS-Armutsrisikogrenze hochgerechnet auf das Jahr 2013 würde ca. 1.100 Euro netto ergeben. Nach dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung betrug die Armutsrisikogrenze im Jahr 2009 966 Euro netto. Hochgerechnet auf das Jahr 2013 wären das ca. 1.050 Euro netto (2).

Bemerkungen:
(1) Netto bedeutet ohne die darüberhinaus notwendigen Mittel für Beiträge z. B. für die Krankenversicherung, die auch im Falle eines Grundeinkommens noch abzusichern wären.
(2) Die Angaben zur Armutsrisikogrenze nach dem EU-SILC und nach dem Mikrozensus werden hier nicht berücksichtigt, da sie nicht die europäischen Standardanforderungen an die Ermittlungen der Armutsrisikogrenze erfüllen, insbesondere der Mikrozenzus nicht (vgl. Blaschke, Ronald: Aktuelle Ansätze und Modelle von Grundsicherungen und Grundeinkommen in Deutschland. Vergleichende Darstellung, in: Blaschke, Ronald/Otto, Adeline/Schepers, Norbert: Grundeinkommen. Von der Idee zu einer europäischen politischen Bewegung. Hamburg 2012: S. 123 f.).

Ein Kommentar

Stefan Bürk schrieb am 23.09.2012, 21:32 Uhr

Umverteilen ist eigentlich nicht das treffende Wort, besser wäre \"anders verteilen\". Umverteilen suggeriert, dass das, was jemandem eigentlich gehört, an andere verteilt wird. So, also ob die Wurst aus dem Keller des Selbstversorgershofes genommen und einem fremden Bauern gegeben wird. Die Realität heute ist aber anders. Die gesamte Gesellschaft produziert gemeinsam und sehr arbeitsteilig. Wem wieviel von dem gemeinsam Erzeugten zusteht, ist eine Frage des Verhandlungsgeschicks und der Macht.

Man kann die Zugriffsrechte auf die Produte so wie bisher verteilen, oder eben auch ANDERS.

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