Wahlkampf weichgespült – bitte beamt uns nach 2013! Oder: Wer hat Angst vor dem Grundeinkommen?

Archiv 26.09.2009 Druckversion

Ein laues Lüftchen von Bundestagswahlkampf ist auf der Zielgeraden angekommen. Gestritten wird über die Farbenspiele von Koalitionen, anstatt über Zukunftsfragen. Nach der Wahl wird dann wieder durchregiert: Soldaten am Hindukusch – zu wenig, Steuern für Reiche – zu hoch, Hartz IV – zu hoch, Kurzarbeitergeld – zu viel. Und (selbst die offiziellen) Arbeitslosenzahlen marschieren weiter in Richtung fünf Millionen.

Zwei Parteien bleiben beim neuen Machtpoker draußen – Grüne und Linke. Man könnte meinen, das gibt beiden Raum für echte Alternativen. Wer ihre Wahlkampfpositionen analysiert, ist jedoch schnell ernüchtert – mit Visionen tun sich beide schwer.

Bei der Linken finden sich langatmige Analysen über Krise und Kapitalismus, hausbackene Lösungen folgen auf dem Fuß: „Vergesellschaftung“ der Banken, Verbot von Entlassungen (!) bei profitablen Unternehmen (welche Bürokratie entscheidet das?) oder die populistische „Millionärssteuer“. Obendrauf ein (jährlicher!) Hundert-Milliarden-Zukunftsfonds. Dass Wirtschaft am Staats-Tropf nicht funktioniert, hat sich offensichtlich nicht herumgesprochen.

Die Grünen bagatellisieren ihre Mitverantwortung für die Hartz-Reform, die „eigentlich“ als Grundsicherung gedacht gewesen sein soll. Erst die böse CDU habe alles verschlimmert – wer Angst vor Brandbeschleunigern hat, sollte sich überlegen, wo er zündelt. Stattdessen nun ein neuer Name: „Grüne Grundsicherung“, aufgestockt auf 420 Euro, dazu werden 400 000 Langzeitarbeitslose „öffentlich beschäftigt“. Der Staat soll´s richten – ist das die neue grüne Idee? Visionen sehen anders aus.

Erst in den Fußnoten finden sich jeweils zarte Pflänzchen, im harten Gefecht der innerparteilichen Demokratie von denen errungen, die in beiden Parteien gegenwärtig in der Minderheit sind: Sanktionsfreiheit bei Hartz IV, Kindergrundsicherung, Individualisierung statt Bedarfsgemeinschaft, oder eine Art Übergangs-Grundeinkommen auf Zeit für Kreative. Tastende Versuche in Richtung einer echten Grundeinkommenslösung, bei der dann wirklich ein BGE drin ist. Aber auf welchen Plakaten werden diese Ideen im Wahlkampf beworben?

Vielleicht findet das Grundeinkommen ja vier Jahre später statt, in Partnerschaft mit einer SPD, einer kleinen, aber mit sich selbst im reinen. Die dann mehr als nur den Mindestlohn auf ihre sozialpolitische Fahne schreibt. Wer es mit ihr gut meint, wünscht der alten Tante jetzt eine Verschnaufpause – zur Regeneration auf die Oppositionsbänke.

Der Linken – ob grün, rosa oder rot gefärbt, fehlt noch ein überzeugendes Konzept für die solidarische postindustrielle Gesellschaft, das nicht nur „gute Arbeit“, auch freie Tätigkeit, Muße, zivilgesellschaftliches Engagement und gutes Zusammenleben beinhaltet – mit einem neuen Leitbild vom Staat, der vom Kontrolleur zum Ermöglicher für Initiative wird. An einigen Stellen wird schon daran gearbeitet. Dass das Grundeinkommen dabei ein Herzstück ist, sollte sich von selbst verstehen.

Es funktioniert aber nicht, wenn es nur ein linkes Projekt bleibt. Das Grundeinkommen muss auch den Unternehmern schmecken. Eine Wirtschaft, die nur eine Vielzahl neuer Steuern zu erwarten hat, wird dafür nicht zu gewinnen sein. Neben einem Grundeinkommen die Bürokratie aufzublähen, mit totalem Kündigungsschutz, hohem Mindestlohn, Eingriffen in Unternehmen und staatlichen Superfonds, bleibt ein Szenario, das in Deutschland nicht mehrheitsfähig ist. Manches Wünschenswerte nur zu summieren, ergibt noch keine Politik.

Auch die dringend überfällige ökologische Wende wird in einer unsolidarischen Gesellschaft nicht gelingen – wenn ein paar Gutverdiener und Beamte auf Bio setzen, die verarmte Mittelschicht jedoch Geiz geil findet, weil im Portmonee nicht mehr drin ist. Ökologie benötigt eine Atmosphäre der Freiheit und der realen Wahlmöglichkeiten für die bisher Benachteiligten, statt in der Tretmühle zwischen unbefriedigender Erwerbsarbeit und drohender Erwerbslosigkeit gefangen zu sein.

Die Grundeinkommensbewegung hat in den letzten Wochen die richtigen Zeichen gesetzt. Die zahlreichen Direktkandidaten, die sich mit oder ohne Partei im Rücken zum BGE bekennen, sind imposant. Ganz ohne generalstabsmäßige Organisation weht hier ein anderer Wind, das dürfte vor allem denen in den Parteien zu denken geben, die immer noch Berührungsängste haben – vor allem in den Führungsetagen.

Eine „parteiliche“ Wahlaussage zu erwarten, verkennt die eigentliche Aufgabe der jungen Grundeinkommensbewegung – weiter dafür zu werben, dass sich die gesamte Gesellschaft in Richtung Grundeinkommen bewegt. Wenn wir damit weiter so erfolgreich sind, dürfte das BGE bis 2013 in vielen Wahlprogrammen fest verankert sein. Sogar in der CDU formiert sich derzeit bundesweit eine „Union solidarisches Bürgergeld“ – die Hoffnung stirbt zuletzt.

Zum Autor: Christoph Schlee ist Netzwerkrat von Netzwerk Grundeinkommen und Sprecher der Kölner Initiative Grundeinkommen. Der Artikel gibt seine persönliche Meinung wieder und stellt keine offizielle Stellungnahme des Netzwerks dar.

9 Kommentare

Guido Riga schrieb am 27.09.2009, 09:14 Uhr

Die Grundeinkommensbewegung soll sich mal an einem Runden Tisch zusammen setzen und konkrete Forderungen erstellen wie den nun ein BGE auszusehen hat - ganz konkret! Da sollte nicht auf das Jahr 2013 gewartet werden und schon gar nicht auf ein schwarz/gelbes Konzept eines Grundeinkommens. Ein Grundeinkommen kann auch missbraucht werden um soziale Kürzungen im großen Stil durchzusetzen, und genau das unterstelle ich einer CDU/FDP oder CDU/SPD Regierung! Grundeinkommen ist eben nicht gleich Grundeinkommen! Und ein Grundeinkommen um jeden Preis, dazu sage ich \"Nein Danke\"!!!

Robert Bleilebens schrieb am 28.09.2009, 00:18 Uhr

Richtig! Das Grundeinkommen wird nur kommen, wenn es bei allen gesellschaftlichen Gruppen Rückhalt findet. Ganz wichtig sind hier Unternehmer und Besserverdiener, denen man es mit ökonomischen Argumenten nahebringen kann. In Köln gab es sogar Unterstützung von einem Fünf-Sterne-Hotel für das BGE: Das Dom-Hotel hat den Strom für den kürzlich hier weilenden Bus der Krönungswelle spendiert! Ein guter Anfang!

Dirk Jacobi schrieb am 28.09.2009, 01:18 Uhr

Tja. Das Beamen hat leider nicht funktioniert. Jetzt heißt es vier Jahre lang schwarz-gelbe \"soziale\" Marktwirtschaft: Verscherbeln des staatlichen Tafelsilbers, Sozialabbau und Schulden anhäufen für die nächste Regierung.

Klaus Neudek schrieb am 28.09.2009, 10:19 Uhr

Bei soviel Mut

Wird alles gut

Drum lasst uns diese Sachen

Auch weiterhin zusammen machen

Ob Grün, Gelb, Schwarz oder Rot

Wir sitzen doch alle in einem Boot

Nun kommt es darauf an

Was jeder von uns so kann

Wir alle haben das eine Ziel

Dazu brauchen wir nicht viel

Intelligenz, Liebe und Ausdauer

Gibt uns die nötige Power

Jetzt sind erstmal die Parteien dran

Damit jeder seinen Posten finden kann

Und wenn sie nicht damit rechnen

Dann holen wir aus

Denn wir müssen raus

Aus der jetzigen Situation

Diese hatten wir zu lange schon

Günter Dennhoven schrieb am 28.09.2009, 17:12 Uhr

Die Direktkandidaten haben einen Schritt zur Volksaufklärung Richtung Grundeinkommen getan.

Meiner Meinung nach ist aber noch eine Menge Aufklärung nötig. Das \'Pflänzchen\' muss permanent gefüttert werden - und zwar in der Öffentlichkeit, nicht nur in den Initiativen.

Mathias Schweitzer schrieb am 28.09.2009, 20:24 Uhr

Alle gesellschaftlichen Schichten müssen einen Vorteil von einem BGE sehen. ... Die \"Reichen\" sollten sehen, dass es ein menschliches, ein lebenswertes Umfeld (keine Armut, keine Schlangen vor Suppenküchen etc.) für ihre Kinder, in Zukunft, in Deutschland gibt. Den \"Anderen\" sollte es Wert sein, in ökonomischer Freiheit zu leben und sich verwirklichen zu können, ohne Angst vor einem Abrutschen in Hartz IV.

bibliotheksigel schrieb am 02.10.2009, 00:06 Uhr

Alle Grundeinkommensbefürworter sollten ihr Augenmark zunächst darauf legen die Begriffe \"Arbeit\" und \"Geld\" zu trennen. Ich denke, solange der Begriff \"Arbeit\" zwangsläufig mit Beschaffung der Mittel zur Aufrechterhaltung des Lebensstandards begriffen wird, wird es nicht gelingen, die Idee des Grundeinkommens gesellschaftsfähig zu machen. Denn: \"Faul ist, wer kein Geld verdient\"

Ute Kludig-Hempel schrieb am 25.10.2009, 00:24 Uhr

Ich habe mich nun irgendwie, in all der Bürokratie, mit Kindern, Krankheiten, lebenstechnischen Turbulenzen in einem Turbo-Dasein eingerichtet, in dem mich die Notwendigkeit, Versorgungsleistungen zu erbringen, schier umbringt. Mit Hartz 4 kämen wir als 6köpfige (Akademiker-)Familie besser, also Grundeinkommen heute schon? Was würden wir machen? Sicher weniger von dem, nur besser, was wir jetzt tun. Zeit für gesundes Leben. Warum machen wir es jetzt? Weil wir lieber mehr von dem tun, was wir wollen, als nur was wir sollen (auf Ämtern sitzen, katzbuckeln und nichts sonst!).

Doch allein für meine Kinder eine Perspektive zu sehen, mich auch von dem Druck befreit, sie auf eigene Füße schubsen zu müssen, auch wenn die Gesellschaft es nicht hergibt, da sie selbstbewusst laufen lernen können, das wünsche ich mir. Ich möchte es noch erleben, genau so, wie ich den Mauerfall erleben durfte - was auch niemand geglaubt hätte. Sozialismus ist Müll, Kapitalismus auch. Wirtschaft zur Befreiung der Menschheit von (zu) harter Arbeit mit Grundeinkommen ist d a s Gesellschaftsmodell, ist d e r dritte Weg.

Und immer wenn wer meckert, zucke ich die Schultern und sage: Deshalb Grundeinkommen für alle. Werde mir mal eine Visitenkarte machen mit den wichtigsten Links, meinem Namen und der Berufsbezeichnung \"Visionärin\"...

Soulman schrieb am 11.11.2009, 11:25 Uhr

In vielen Bereichen existiert ein Grundeinkommen schon:

- Viele Politiker beziehen eine ordentliche Rente weit über dem Satz für Hartz IV für ein paar Jahre Arbeit, für die ein Arbeiter hunderte von Jahren arbeiten müsste.

- Viele Erben können von dem Erbe sehr gut leben und Ihr einziger Beitrag dazu war, bei der Geburt sich die reichen Eltern zu suchen.

- Viele Manager haben weit mehr Geld, als Sie ausgeben können, und Ihr einziger Verdienst ist, zur richtigen Zeit als Kapitän der Titanic vor der Havarie als Erster im Rettungsboot zu sitzen.

- Viele Grundbesitzer müssen nicht mehr arbeiten gehen, deren Verdienst es ist, aus den Bedürfnissen anderer Kapital zu schlagen.

- Viele Sportler und Musiker....

Diese Liste liese sich fortsetzen, bis die finanzielle Situation von 10% der Bürger in Deutschland beschrieben wäre.

Diese Bürger beanspruchen Besitz und das Kapital für sich mit der ganzen Verantwortung, die damit zusammenhängt. Um diesen Besitz und die Strukturen aufrechtzuerhalten, wird wie in einem mittelalterlichen Schloss sehr viel Personal benötigt - die übrigen 90% der Bürger weltweit. Da diese zum Überleben ebenfalls Geld benötigen, bieten Sie Ihre vielfältigen und spezialisierten Dienste an.

Je ärmer diese 90% sind, desto billiger sind ihre Leistung und ihre Waren zu haben. So funktioniert Kapitalismus, so arbeitet Ausbeutung, so lebt der Mensch. Dieses hat den Wohlstand und die Technik, wie wir sie heute kennen, erst möglich gemacht. Niemand bräuchte eine Glühbirne, wenn es kein Strom gibt. Somit ist das System evolutionär nicht schlecht. Zumindest für 10% der Bürger auf der Welt, denen es an nichts mangelt, außer an Mitgefühl für diejenigen, die hier nicht partizipieren können oder wollen, und immer mehr von der Natur abgeschnitten sind, die vom Schöpfer einst für alle Menschen und Lebewesen gleichermaßen gedacht war.

Die Menschheit befindet sich damit in einem Dilemma. Wir können nicht einfach aus diesem System ausbrechen, das wir geschaffen haben, so wie wir auch nicht in das verlorene Paradies zurückkehren können.

Was wir allerdings können und tun sollten: Jedem Bürger das Leben in diesem System zu ermöglichen, ohne ihm unsere Vorstellungen von Abhängigkeit und Arbeit oder Leistung aufzudrängen, oder gar aufzuzwingen. Und das bedeutet hinsichtlich der Grundversorgung auch, dass er sich leisten kann, an dieser Gesellschaft teilzunehmen, ohne betteln zu müssen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) wäre ein Schritt in diese Richtung, sich etwas Konsum leisten zu können, und damit die Arbeit anderer Menschen in dieser Gesellschaft zu finanzieren.

Dann wäre ein Freiraum geschaffen für Aufgaben, die in unserer Zeit vielfach schlecht oder gar nicht bezahlt werden: Im sozialen Engagement, im Gemeinwesen, in der Fürsorge, der Altenpflege, der Feuerwehr etc. Dadurch gewinnen viele jetzige Hartz IV-Empfänger und nutzlos Arbeitssuchende wieder eine Bedeutung, einen Sinn in Ihrem Leben oder einfach nur ihre Menschenwürde zurück, der Sie aus dem heimlichen Rausch der Anonymität herauslockt, die sie betäubt.

Und wie soll das Ganze finanzierbar sein? Ganz einfach - indem der Staat für seine Schulden keinen Zins mehr zahlt. Dann wäre jeder vierte Euro der Steuereinnahmen für das Bürgergeld zur Verfügung, und das sollte reichen! Auch für die Reichen!

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