Persönlicher Bericht von der Mitgliederversammlung des Netzwerks Grundeinkommen am 10.11.2007 in Hannover
Protokolle sind notwendig und wichtig, um Beschlüsse nachzuhalten und zu dokumentieren. In der Regel reichen sie jedoch nicht aus, um denen, die bei einer Mitgliederversammlung nicht selbst dabei gewesen sind, eine Vorstellung vom Verlauf einer solchen Veranstaltung zu vermitteln. Christoph Schlee, Initiator des Kölner Antrages zur Einrichtung einer Geschäftsstelle des Netzwerks, hat im nachfolgenden Beitrag seine persönlichen Eindrücke von der Mitgliederversammlung zu Papier gebracht.
Schon kurz nach unserem Eintreffen in Hannover mit dem „Schönes Wochenende-Ticket“ haben wir festgestellt, dass die Beteiligung an dem Mitgliedertreffen groß war. Und dies, obwohl einige Mitglieder bekannt gaben, aufgrund der finanziellen Belastung nicht an dem Treffen teilnehmen zu können.
Leider waren die räumlichen Verhältnisse ein wenig beengt und die Akustik ungünstig, aber Getränke und die Mahlzeit waren gut organisiert. Im Vergleich zu meiner ersten Netzwerk-Mitgliederversammlung im Dezember 2006 erlebte ich nicht nur eine deutlich größere Zahl von Mitgliedern, sondern eine insgesamt wesentlich aktivere und engagiertere Beteiligung.
Es begann damit, dass die Vertreter der regionalen Initiativen spontan den Punkt „Information“, der eigentlich die durchaus löbliche Aufklärung der Mitglieder über die Netzwerk-Belange vorsah, dazu nutzen, sich selbst einander vorzustellen. Die „heiklen“ Anträge waren ohnehin erst auf am Nachmittag vorgesehen. So blieb Zeit für die forschen Göttinger, sich zum Mittelpunkt Deutschlands zu erklären und die Errichtung der Geschäftsstelle in Göttingen anzubieten. Ansonsten erschienen eine Hannoveraner bGE-Gruppe, aber auch die Hamburger, Bonner, Kölner, Berliner, Darmstädter, Ulmer, und noch einige andere.
Herbert Wilkens Bericht über die Mitgliederentwicklung bot einigen Anlass zum Nachdenken. Z. B. dass die Hauptzuwächse mit Auftritten von Götz Werner in Verbindung stünden. Dies würde unterstreichen, dass die Diskussion mit Werner unbedingt sachlich und konstruktiv geführt werden sollten. Insgesamt geht das Wachstum zurück, der Service-Charakter des Netzwerks für die Mitglieder werde nicht klar genug. Dieser Punkt schien mir noch bedeutsamer zu sein – warum gehen die Leute ins Netzwerk? Vermutlich ist es gerade die Aufgabe der regionalen Initiativen, einen virtuellen, sich im Internet konstituierenden Verband zu einem konkret vor Ort nachvollziehbaren werden zu lassen.
Eine interessante Debatte um Mindestlohn zwischen Herbert Willkens und den von “Freiheit statt Vollbeschäftigung” eingeladenen Thomas Löhr fand viel Beachtung, mehrheitlich wurde die Auffassung vertreten, dass das Grundeinkommen die Mindestlohnforderung mit abdeckt, wenn es nur hoch genug ausfällt. Der Mindestlohn selbst bleibt aber zu sehr auf Erwerbsarbeit fixiert, Freiberufler und Arbeitslose gucken weiter in die Röhre. Herbert Wilkens wollte den Mindestlohn mit dem Grundeinkommen gekoppelt wissen, oder umgekehrt.
Neben der inhaltlichen Komponente des interessanten Vortrags von Thomas Löhr ist vielleicht ebenso wichtig, dass das Netzwerk einen Vertreter dieser Initiative eingeladen hat, die in der deutschlandweiten Debatte eine große Rolle spielt und in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen wird als das Netzwerk. Schon allein die regelmäßigen, fundierten und meist aktuellen Kommentare Sascha Liebermanns auf seiner Website sind der (alten) Website des Netzwerks weit voraus.
Trotzdem gab es im Kontext des Baseler Kongresses erhebliche Verstimmungen über eine nicht ausreichende Berücksichtigung des ganzen Grundeinkommensspektrums. Um so wichtiger, dies beim kommenden Berliner Kongress anders zu handhaben und auch z.B. Freiheit statt Vollbeschäftigung enger einzubeziehen.
Während der Mittagspause trafen dann Mitglieder aus Bayern und Österreich ein, die sich z. T. durch hohen Schnee kämpfen mussten. Kaum zu glauben in diesem verregneten Hannover! Gut gestärkt ging es dann zügig in die Diskussion und Verabschiedung der Anträge.
Klar wurde schnell, dass eine große Zahl der Mitglieder unter dem Stichwort „Demokratisierung“ mehr Transparenz, aber auch konkrete Institutionen wünscht, die eine Mitsprache ermöglichen. Insofern wurde dem Antrag von Matthias Dilthey entsprochen, der den Boden bereitet für bessere Information, aber auch für konkrete Mitwirkung der Mitglieder, die sich nicht nur auf die jährliche Mitgliederversammlung beschränken sollte.
Auch inhaltlich haben die Mitglieder eigene Akzente gesetzt. „Die Hannoveraner Erklärung“ wurde verändert, die pauschale Kritik an „neoliberalen“ Konzepten ohne nähere Differenzierung wurde gestrichen, durch eine konkrete Kritik von Konzepten, die Sozialabbau ermöglichen, blieb jedoch eine Signalwirkung bestehen. Für mich eine kluge Entscheidung der Versammlung, die sich gegen Boykott und endlose Debatten, stattdessen für eine moderate Änderung entschieden hat.
Unser Geschäftsstellenantrag aus Köln fand viel Zustimmung, es gab auch einige kritische Stimmen. Professionalisierung ist ohne entsprechende Finanzen natürlich nicht machbar, darauf hinzuweisen war natürlich richtig. Für mich weniger nachvollziehbar die Einreichung von zwei weiteren Anträgen durch Katja Kipping und Ronald Blaschke, die jeweils gegen Geschäftsordnung, aber ebenfalls für neue Jobs in der Öffentlichkeits- oder Projektarbeit votierten.
Auch wenn die Geschäftsführung die Antragseinreichung zu diesem Zeitpunkt nicht „verbietet“, da es gar keine Geschäftsordnung gibt, entspricht dies jedoch nicht demokratischen Gepflogenheiten – in keiner Partei wäre ein solches Vorgehen denkbar (ohne die Parteien hier zu gut wegkommen zu lassen). Um die Desorientierung der Mitglieder durch inhaltliche Anträge, die man sich nicht mehr gründlich erarbeiten kann, zu verhindern, sollte eine Geschäftsordnung möglichst schnell beschlossen werden – gerade wenn von Seiten des Sprecherkreises immer so viel von Machtmissbrauch (im Zusammenhang mit der Geschäftsstelle) die Rede ist. Bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen (Antragsschluss 6.11. neue Anträge bzw. 18.11. Änderungsanträge) wäre ein solches Vorgehen jedenfalls nicht möglich gewesen.
Während der etwas hitzig, insgesamt aber vor allem engagiert geführten Diskussion erklärte Günter Sölken in einem emotionalen Beitrag, dass er für einen solchen Geschäftsstellenposten zur Verfügung stehen würde. Er befürwortete vehement die Einrichtung einer Geschäftsstelle und hielt die Arbeitsweise des gegenwärtigen Sprecherkreises für uneffektiv und unzureichend.
Zunächst werden jedoch noch keine Posten vergeben, sondern erst mal die Aufgaben der Geschäftsstelle in einer dafür vom Sprecherkreis eingerichteten Arbeitsgruppe festgelegt. Bis spätestens Sommer, idealerweise im Frühjahr, wird eine neue Mitgliederversammlung dann endgültig das Geschäftsstellenkonzept absegnen und die Mitarbeiter wählen. Allerdings muss bis dahin die Finanzierung entscheidend vorangebracht werden
Ein weiteres positives Signal ist die neue (bald erscheinende) Website, die auch den regionalen Initiativen Raum zur Darstellung ihrer Aktivitäten geben wird. Schon jetzt zeigt sich auf der im Netz anzuklickenden neuen Seite eine Vielzahl von Beiträgen, die gegenüber der alten Seite einen immensen Fortschritt bedeutet.
Leider blieb keine Zeit mehr für die Debatte über die – auch nach der MV noch geheime – Planung des Berlin-Kongresses zum Grundeinkommen im nächsten Jahr. Dieses Thema sollten wir ebenfalls weiterverfolgen – vor allem nach der angekündigten Veröffentlichung eines entsprechenden Programms auf der neuen Website.
Unsere neun Mitglieder aus dem Rheinland konnten jedenfalls zufrieden nach Hause fahren – die vielfältigen neuen Eindrücke, Kontakte und Impulse sollten die Arbeit vor Ort beflügeln.
2 Kommentare
\"...Eine Kölnerin erklärte mir in der Pause, dass Köln auch ziemlich in der Mitte von Deutschland liegt...Sagt es doch gleich: Wollt Ihr ne Geschäftsstelle im Dom?\"
Erst einmal Dank für diesen sachlichen und informativen Bericht.
Ich bedauere, dass die Versammlungsleitung nicht auch berichtete, dass eine aktive und breite Bewegung für bGE in Belgien existiert und bereit ist für Kooperation. Sie heisst VIVANT. Die Belgier können sogar deutsch und geben ihre Webinformationen auch in deutsch heraus, weil sie auch eine deutschsprachige Minderheit in Belgien vertreten. Das aber ist den Herren Sölken und Wilkens seit mehreren Monaten bekannt.
Auf unserem Internetportal \"Tribüne der europäischen Zivilgesellschaft\" ist neben anderen auch VIVANT integriert. Wir würden auch die Webseite \"Netzwerk Grundeinkommen\" aufnehmen. Damit hätte diese Webseite eine größere Publizität. Bin gespannt, ob sich der Sprecherkreis dafür entscheidet.
Horst Grützke, Potsdam
Vorsitzender des \"Europäischen Bürger-Netzwerk EUROPA JETZT!\"