Kenia: Größtes Grundeinkommens-Experiment der Geschichte
Den Bewohnern von einem Dutzend Dörfern in Kenia soll 10 bis 15 Jahre lang ein Grundeinkommen ausgezahlt werden. Das Projekt wird wissenschaftlich ausgewertet. Noch nie zuvor gab es ein BGE-Pilotprojekt von solchem Ausmaß. Wie werden sich die Empfänger verhalten? Wie wird sich das soziale Leben in den Dörfern ändern?
Wie schwierig es ist, das Grundeinkommen in praktische Politik umzusetzen, haben schon viele engagierte Vorkämpfer dieser Idee zu spüren bekommen. Erinnert sei nur an Boris Palmer – heute Oberbürgermeister Tübingens und einst engagierter Verfechter des Grünen Grundeinkommens – oder Dieter Althaus, der als Ministerpräsident Thüringens der CDU sein Grundeinkommensmodell schmackhaft machen wollte. Der eine hat sich von energischem Eintreten für das Grundeinkommen verabschiedet und muss beobachten, wie bei den Grünen der alte Schwung allmählich verebbt ist. Der andere sieht in seiner Partei keine nennenswerten Lebenszeichen mehr für seine Vorstellungen.
Jetzt ist es ähnlich in Namibia. Dort sind zwei führende Repräsentanten der BIG-Koalition (Basic Income Grant Coalition) in höchste Staatsämter aufgerückt: Hage Geingob, ehemals Gewerkschaftsführer, dessen Druck zu dem Grundeinkommensprojekt in dem Dorf Otjivero[1] wesentlich beigetragen hat, ist Staatspräsident geworden. Bischof Zephania Kameeta, Befreiungstheologe und Vorsitzender der BIG-Koalition, wurde Minister für Armutsbeseitigung. Doch nun berichtet Herbert Jauch aus Windhoek von einer Enttäuschung: Es gibt keinen Plan für eine landesweite Einführung des Grundeinkommens und auch nicht für eine Umverteilung des Reichtums in Namibia. Stattdessen wird es Nahrungsmittelhilfe geben, die erfahrungsgemäß aus Armut und Abhängigkeit nicht herausführt.
Es ist kein unmittelbarer Trost für arme Menschen in Namibia, aber gleichzeitig eine Meldung, die Hoffnung macht: Die Nicht-Regierungsorganisation GiveDirectly aus den USA überrascht mit dem Plan, eine groß angelegte Pilotstudie zum Grundeinkommen in einem Dutzend kenianischer Dörfer zu organisieren. Spiegel-online gibt einen Überblick über das Projekt, die Zeit druckt einen Gastbeitrag der Organisatoren ab, in dem sie den Hintergrund und die praktische Arbeitsweise vorstellen.
Die Kernfrage bei Einführung des Grundeinkommens ist ja, ob die Menschen faul und bequem werden, wenn man ihnen dauerhaft ein Auskommen auf minimalem Niveau zusichert. Langfristig kann das Grundeinkommen nur finanziert werden, wenn ausreichend Erwerbsarbeit geleistet wird, wenn Bildungsanstrengungen nicht erlahmen und wenn sich die Menschen sozial und solidarisch verhalten.[2] Während die Befürworter des Grundeinkommens von der Realisierbarkeit ihrer Idee überzeugt sind – auch weil sie den meisten ihrer Mitmenschen vertrauen – sind viele Kritiker skeptisch. Argumente für und gegen die Finanzierbarkeit des Grundeinkommens sind reichlich ausgetauscht worden, aber das Verhalten der Menschen kann letztlich niemand vorhersagen. Es bleibt nur das Ausprobieren.
Zahlreiche Studien haben erwiesen, dass die größten Erfolge bei der Armutsbekämpfung mit sozialen Geldtransfers erreicht werden können[3], nicht mit Sachleistungen oder Einzelprojekten.[4] Dies wurde auch in der deutschen Entwicklungshilfe – z. B. in Sambia – versucht. Allerdings wird staatliche Entwicklungshilfe oft mit dem Hintergedanken vergeben, die eigenen Unternehmen durch Aufträge aus den Empfängerländern zu stützen (Lieferbindung der Hilfezahlungen). Für dieses Geschäftsmodell ist die direkte Zahlung an arme Verbraucher natürlich nicht geeignet, und so ist die staatliche Entwicklungshilfe beim Einsatz dieses Instruments zögerlich.
Anders kann das bei nicht-staatlichen Finanziers sein, die keine politischen Rücksichten zu nehmen brauchen. Sie können vor allem in der Anfangsphase des entwicklungspolitischen Umdenkens wichtige Starthilfe leisten. So wurde das Namibia-Projekt im Wesentlichen von einer Koalition verschiedener Kirchen finanziert. Leider reichte ihre Kraft nicht aus, um das BIG in ganz Namibia gegen den Widerstand der Skeptiker und der Eigeninteressen einer reichen Oberschicht durchzusetzen.
GiveDirectly will nun ein Pilotprojekt mit einer ganzen Serie von Dörfern in Kenia starten. Da in Afrika die Lebenshaltungskosten für einen mittleren Haushalt gering sind, kann man mit überschaubarem Finanzvolumen ein Grundeinkommen an so viele Menschen auszahlen, wie für eine aussagekräftige Statistik nötig sind. Es wird ohne Gegenleistung und ohne Einmischung der Geber in die Entscheidung der Empfänger über die Verwendung des Geldes an alle Einwohner der ausgewählten Dörfer gezahlt. Mit 30 Millionen Dollar sollen 6000 Menschen ein Grundeinkommen erhalten. Dabei ist an eine Dauer von „mindestens 10 Jahren“ gedacht. Das entspricht etwa 42 US-Dollar pro Kopf und Monat – immerhin mehr als viermal so viel wie in dem Namibia-Pilotprojekt.
Es handelt sich dabei wohl um mehr als nur ein „partielles Grundeinkommen“, das allein nicht ausreichen würde, um den Lebensunterhalt zu sichern. In Kenia betrug das jährliche Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt nach Schätzung der Weltbank 2014 rund 1360 US-Dollar, monatlich also gut 113 Dollar. Da die Empfänger des Grundeinkommens in besonders armen Dörfern wohnen, könnte die ausgezahlte Summe am Wohnort tatsächlich für die Deckung des Minimalbedarfs ausreichen, zumal der monetäre Armutsbegriff in ländlichen Gegenden mit Subsistenzwirtschaft problematisch ist. Somit würde dieser Betrag dem Zweck des Pilotprojekts genügen; die Verhaltensänderungen der Empfänger würden sich in einem realistischen Rahmen beobachten lassen. Für eine landesweite Einführung des Grundeinkommens müsste es jedoch höher angesetzt werden.
Wie es sich für eine ernst zu nehmende Studie gehört, wird das Programm wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Genannt wird Abhijit Banerjee, Wirtschaftsprofessor am Massachusetts Institute of Technology und weltweit renommierter Entwicklungsökonom. Gefragt ist eine unvoreingenommene und transparente Einschätzung der Auswirkungen des Grundeinkommens. Hierfür gibt es umfangreiche Erfahrungen. In der Praxis der Entwicklungshilfe ist gründliche Evaluierung gang und gäbe. Auch bei dem Namibia-Projekt war wissenschaftliche Begleitung gegeben, ebenso bei indischen Projekten zum Grundeinkommen.
Die Spendenbereitschaft – und damit die Reichweite dieses Vorhabens – hängt auch von dem Vertrauen der Öffentlichkeit in GiveDirectly ab. Die Organisation gibt klar Auskunft über ihre Geschäftstätigkeit. Sie stellt ähnliche Angaben bereit, wie sie auch für die Erteilung des deutschen Spendensiegels durch das DZI erhoben werden. So wird ein Verwaltungsaufwand von weniger als 10 Prozent angegeben. Die Geschäftstätigkeit wird – wegen der Steuerbefreiung – von den US-Finanzbehörden überwacht; die entsprechenden Angaben sind auf der GiveDirectly-Website öffentlich einsehbar. Die erfolgreiche Tätigkeit seit 2010 gibt Anlass zu der Erwartung, dass die Spenden wirksam und effizient verwendet und die Ziele der Organisation erreicht werden.
Das Pilotprojekt soll noch 2016 starten. Erste Ergebnisse sind bereits nach wenigen Jahren zu erwarten. Bei günstiger Entwicklung, d.h. bei einem Verhalten der Menschen, das den Erwartungen der Grundeinkommensbefürworter entspricht, könnte auch schon vor Ablauf der gesamten Projektphase die politische Arbeit für eine landesweite Ausdehnung der Grundeinkommenszahlungen einsetzen. Eine Entwicklung zu einem echten Grundeinkommen gemäß den vier Kriterien ist dann eine Aufgabe, die mit langem Atem schrittweise angegangen werden muss.
[1] Über das Pilotprojekt in Namibia haben wir immer wieder berichtet. Siehe z.B. ausführlichere Beiträge:
2014: Grundeinkommen in Namibia – Wiederaufnahme der Zahlungen
2010: Namibia: Zähes Ringen um landesweite Einführung des Grundeinkommens
[2] Siehe Kumpmann, Ingmar (2008): Das Finanzierungsproblem ist das Anreizproblem
[3] Siehe z.B. Künnemann, Rolf ; Leonhard, Ralf (2008): Sozialgeldtransfers und Milleniumsentwicklungsziele – eine menschenrechtliche Betrachtung. Bonn. Auch GiveDirectly gibt eine Literaturübersicht.
[4] Vgl. Wilkens, Herbert (2012): Soziale Basissicherung – ein Konzept der Vereinten Nationen gegen weltweite Armut
7 Kommentare
Der Bericht macht neugierig auf die Entwicklung in Ostafrika. Wie verhindern wir, dass sich die Afrikaner wie im Zoo fühlen, die von uns Spendern beobachtet werden?
Bei den Links zum Pilotprojekt in Namibia fehlt noch das Vortragsvideo mit Simone Knapp und Ronald Blaschke
https://www.youtube.com/watch?v=w2iz8hZ0pMI
GiveDirectly minimieren die Verwaltungskosten und das Korruptionsrisiko vor allem auch durch das verwendete elektronische Bezahlsystem, das die weite Verbreitung von Mobiltelefonen auch in der armen Bevölkerung Kenias nutzt.
Im Vorstand und unter den Großspendern von GiveDirectly finden sich bekannte Namen aus dem Silicon Valley. Die IT-Bosse reden also nicht nur über das GE, sondern sie nehmen dafür auch Geld in die Hand.
Projekte wie in Kenia und Den Haag bedeuten doch, dass man als BGE Befürworter mindestens noch 20 Jahre warten muss?
Grundlegend sollten wir das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) nicht nur von der sozialpolitischen Seite her betrachten. Ein BGE bietet die großartige Chance, neue Perspektiven und Ideen auch im Hinblick auf Demokratie, Wirtschaft, Steuerrecht, Außen- und Entwicklungspolitik zu entwickeln.
Ich halte es daher für sinnvoll, finanzielle Entwicklungshilfe vorwiegend für Grundeinkommens-Projekte bereitzustellen. So wird sichergestellt, dass das Geld den Menschen direkt zugute kommt. Die Gefahr, dass Gelder durch Korruption und Vetternwirtschaft in dunkle Kanäle fließen, ist dabei wesentlich geringer, als wenn man sie den staatlichen Organen zur Verfügung stellt.
Ferner fördert ein BGE die Infrastruktur sowie Selbsthilfe und Selbstorganisation der Menschen in den Entwicklungsländern. Es macht sie langfristig frei und unabhängig von Beeinflussung von außen. Und fördert die Eigenständigkeit und die Identität der Bewohner eines Landes.
Intelligenter wäre es auf Dauer, die Menschen in ihren Heimatländern bei der Aufbau einer eigenen Existenz mittels regionaler Subsistenzwirtschaft zu unterstützen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte dabei – schon auf bescheidener Basis – dem Hunger in der Welt wirksam begegnen. Denn die Menschen brauchen nicht als erstes ein politisches System, freie Wahlen oder soziale Marktwirtschaft, sondern das Nötigste zum Überleben. Ob durch Gebühren auf Finanztransaktionen oder andere Abgaben – es ließe sich problemlos weltweit finanzieren:
http://bgekoeln.de/projekte/index.html
Es gibt schon Erfahrungen in Kenia mit Grundeinkommen, zum Beispiel in Nairobis Slum Kibera. Dass 40 Dollar pro Kopf in ländlichen Gebieten reichen, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, da ich fast zwei Jahre in Kenia vor Ort war. Es ist sogar so, dass kinderreiche Familien mit dieser Summe im Monat auskommen müssen. Wenn noch mehrere \"Köpfe\" in den Genuss von 40 Dollar kämen, wäre das schon viel. Ich hoffe, dass ein so von \"außen\" kommender Ansatz genügend Lokalkompetenz mitbringt, zumindest Flexibilität und Lernbereitschaft.